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und so oft ihnen Widerstand geleistet wurde, über Glaubenszwang und Tyrannei sich beklagten, übten sie gegen alle Andersgläubigen despotischen Zwang', behauptet Janssen.1) Entschieden spricht Luther sich für den förmlichsten Gewissenszwang aus und weiß diesem Grundsag theoretisch und praktisch Anerkennung zu verschaffen', schreiben Andere ihm nach.2) Aber eben in diesem Punkte unterscheidet Luther sich unendlich weit von der Praxis der römischen Kirche, welche nicht allein das, was sie öffentliches Aergernis nennt, verhüten, sondern auch nötigenfalls durch Strafandrohungen und Strafvollstreckungen die Menschen zur Aenderung ihrer Glaubensüberzeugung zwingen will. „Sie zwingen", schreibt Luther an seinen Freund Spalatin3), „nicht allein zu äußerlichem Gottesdienst, sondern auch zu innerlichem Unglauben und Gottlosigkeit des Herzens. Unsere Fürsten zwingen nicht zum Glauben und zum Evangelium, sondern wehren dem äußerlichen grauenvollen Treiben“. Dieses zu thun, war nach seiner Ansicht die Pflicht derjenigen Obrigkeit, welche die papistische Lehre für Gößendienst erkannt hatte. Während er anfangs gar kein Eingreifen der Landesherren wollte, weder der römischen, noch der sektiererischen Predigt gegenüber, vielmehr seinem Kurfürsten schrieb 4): „Man lasse die Geister aufeinander plaßen und treffen", ist er nunmehr der Ueberzeugung, daß lange genug die reine Lehre verkündigt sei, daß also das Festhalten von seiten Einzelner an der Irrlehre irgendwelche unberechtigte Ursachen habe. So muß man denn nun, ob man sie gleich in ihrem Glauben unbehelligt läßt, doch ihnen untersagen, so ihres Glaubens zu leben, daß sie Anderen Aergernis bereiten. In das Verhältnis des Menschen zu Gott hat kein Mensch einzugreifen, wohl aber in das Verhältnis der Menschen zu einander.

Dieses von den evangelischen Fürsten zu verlangen, bewog ihn noch eine zweite Erwägung. Die Obrigkeit soll Friede im Lande erhalten. Das aber war nach seiner Ueberzeugung zu jener Zeit nicht möglich, wenn in einem Lande eine dreifache

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Predigt, die evangelische, die römische, die sektiererische nebeneinander ungehindert sich hören lassen durfte. „Einem weltlichen Regenten ist nicht zu dulden, daß seine Unterthanen in Uneinigkeit und Zwiespalt durch widerwärtige Prediger geführt werden, daraus zulezt Aufruhr und Rotterei zu besorgen wäre, sondern an einem Ort auch einerlei Predigt gehen soll".)

Diese Grundsäge weiter zu befürworten, zwang ihn später noch eine besondere Ursache. Janssen stellt diese mit folgenden Worten dar:2) In Kursachsen, wo Luther und seine Anhänger das Evangelium ungehindert hatten verkündigen können, war eine völlige Zerrüttung alles kirchlichen Wesens eingetreten'. Aber die Zerrüttung', um welche es sich handelt, war längst vor Luther dagewesen. Während nämlich die römischen Kirchenfürsten ihre Einnahmen beständig zu vergrößern gewußt hatten, war ihnen die entseßlich bedrückte materielle Lage der niederen Geistlichkeit völlig gleichgültig gewesen. Troß schreiender Mißstände war das Papsttum nie an die Aufgabe herangetreten, den finanziellen Ruin der Kirche" zu heben.3) So arg war diese Zerrüttung' in der römischen Kirche, daß nicht wenige der römischen Geistlichen in ihrer Verzweiflung sich zu den kommunistischen Aufrührern im Bauernkriege geschlagen hatten. Freilich, indem durch die Ausbreitung der evangelischen Lehre die fast noch einzig nicht versiegte Quelle der Einnahmen für die Geistlichen, die Bezüge für Messen und Weihungen aller Art, zu fließen aufhörte, wurde die Lage der evangelischen Prediger noch bedenklicher. Wer sollte in dieser „Not“ helfend eingreifen? Evers meint4), der „Gottesmann und Evangelist" Luther stelle sich ein Armutszeugnis aus', wenn er schreibe, niemand sonst nehme sich der Sache an, die Gehaltsverhältnisse der Geistlichen zu ordnen. Und gewiß war Luther zu „arm", um solche Summen aus eigener Tasche zu bezahlen; und noch weniger hatte er die Zeit oder das Recht, derartige „Ordnungen“ zu treffen. „Niemand kann noch soll

1) D. W. 3, 89. Walch 21, 146. Erl. 53, 368.

2) III, 57.

3) So Burkhardt, Geschichte der sächsischen Kirchen und Schulvisitationen S. 326.

4) Kathol. 227. Ebenso These 96.

sich der Sache sonst annehmen“, schreibt er, als der Landesfürst. Denn diesem darf es wahrlich nicht gleichgültig sein, wenn keine Schulen, Prediger, Seelsorger da sind, welche das „Volk zu Gottesfurcht und Zucht halten“, weil „dadurch das Land voll wilder, böser Leute" werden würde. So nennt denn Luther es die „Pflicht“ des Kurfürsten, auf irgend eine Weise dafür Sorge zu tragen, daß die Pfarreien gebührend unterhalten werden, „damit die hohen Schulen und der Gottesdienst nicht verhindert werde aus Mangel und Verlassung des armen Bauches".!) Indem er dann zur Regelung dieser Geldfragen ein Besuchen, eine Visitation aller Pfarren vorschlägt, fügt er hinzu: „Daneben müßte nun auf die alten Pfarrherrn oder sonst untüchtige acht gehabt werden, damit das Volk, welches die Pfarrherrn ernähren soll, auch wirklich Dienst von ihnen habe".2) So wurde denn endlich vom Kurfürsten jene Visitation veranstaltet, deren schriftliche „Ordnung“ zwar nicht von Luther selbst verfaßt, aber doch von ihm durchgesehen und im wesentlichen gutgeheißen ist.3)

Wir müssen diejenigen bedauern, welche ihre Kenntnis dieser Visitationen aus Janssens Darstellung geschöpft haben. Wer kann nach seiner Schilderung eine auch nur einigermaßen richtige Vorstellung davon gewinnen, was dieselben wesentlich gewollt und was sie erreicht haben! Verzeihlich ist es, wenn ihn eigentlich nichts anderes von dieser Visitation interessiert als diejenigen Einzelheiten, welche er zu dem Nachweise verwenden kann, daß von einer Duldung der Katholiken keine Rede mehr war', vielmehr eine Inquisition' vorgenommen wurde.) Aber die Sache so darzustellen, als ob diese Punkte thatsächlich die Hauptsache gewesen wären! Was er von diesen Visitationen weiß, hat er aus Burkhardt's sorgfältigen Untersuchungen geschöpft. Warum kennt er denn nicht auch das Resultat, welches diese Untersuchungen ergeben: „Der Schwerpunkt der Visitationen lag weitaus darin, daß die Bestrebungen auf eine vollendete wirtschaft

1) D. W. 3, 39. Walch 21, 133 f. Erl. 53, 331.

2) D. W. 3, 51 f. Walch 21, 139 ff. Erl. 53, 337.

3) „Mit Absicht", schreibt er, „habe ich einiges darin nicht geändert, damit es nicht als von mir gemacht erscheine“. D. W. 3, 204. Walch 21, 1055. 1) Janssen III, 58 ff. Ebenso These 98.

liche Gestaltung der Pfarreien hinausliefen. Diese Aufgabe zeigt sich viel schwieriger, als das Beiseiteschieben des Papismus"?1) Oder warum lesen wir bei Janssen kein Wort über die Bemühungen der Visitatoren, das unsittliche Leben der aus der römischen Zeit herübergenommenen Geistlichen und die Zuchtlosigkeit vieler Gemeindeglieder abzustellen? Oder was für eine Verdrehung liegt darin, wenn Janssen, um nachzuweisen, daß nur Gewaltmaßregeln die neue Lehre eingeführt hätten, etwa schreibt: Bei einer im Januar 1526 auf kurfürstlichen Befehl abgehaltenen Visitation in den Aemtern Borna und Tenneberg stellte sich heraus, wie wenig noch das Luthertum allgemein durchgedrungen war. Im Amte Tenneberg, welches zwölf Pfarreien zählte, predigte noch nicht ein einziger Geistlicher das „Evangelium“, das heißt Luthers Lehre'! Denn warum berichtet er nur von Tenneberg, nicht aber von Borna? In lezterem Amte predigten von dreiundzwanzig Geistlichen schon vierzehn das Evangelium. Oder warum berichtet er über Tenneberg nicht genauer, daß von den dortigen elf Geistlichen manche je nach Wunsch katholisch oder evangelisch predigten, woraus man sieht, daß doch auch evangelische Predigt gewünscht wurde? Oder, wenn er zu zeigen beabsichtigte, daß das Luthertum noch nicht allgemein durchgedrungen war', warum berichtet er nicht die hierfür sehr beweiskräftige Thatsache, wie einer dieser aus der römischen Kirche herstammenden Geistlichen der Trunksucht ergeben war, andere des Waidwerks pflegten ?2)

1) Geschichte der sächsischen Kirchen- und Schulvisitationen S. 325 ff. 2) Nebensächlich sei bemerkt, daß das grausenerregende Bild, welches Janssen (III, 64 ff.) auf grund der Visitationsprotokolle von den kirchlichen Zuständen in Kursachsen seit 1527' entwirft, eben nicht seit 1527' sich datiert, sondern in den meisten Beziehungen viel älteren Datums ist. Das Bild ist darum so häßlich, weil es nicht rein evangelisch ist, sondern vielfach die Ueberreste der katholischen Zeit zeigt. Der Beweis für diese Behauptung ist in dem schon erwähnten Werke von Burkhardt zu finden, obwohl Janssen gerade aus diesem die Einzelheiten entlehnt hat, die er zur Schilderung der entseßlichen Folgen der evangelischen Predigt zusammenträgt. Ein aufmerk samer Leser kann übrigens aus Janssens eigener Darstellung die Unrichtigkeit derselben erkennen. Denn zweierlei beweist dieser Geschichtsforscher: einmal, wie wenig noch das Luthertum allgemein durchgedrungen war', predigte doch im Amte Tenneberg unter zwölf Geistlichen noch nicht ein einziger das

Sodann diese fast unglaubliche Entstellung der die Verwendung von Klostergütern betreffenden Thatsachen! Schon dieser erste darauf bezügliche Sah! Zwei Jahre früher', schreibt Janssen, hatte Luther den Kurfürsten Friedrich, den Vorgänger Johanns, bezüglich der Kirchengüter belehrt: Wir sollen zuerst die Herzen von den Klöstern und Geisterei reißen. Wenn die nun davon sind, daß Kirchen und Klöster wüste liegen, so lasse man dann die Landesherren damit machen, was sie wollen'.1) Aber von Kirchengütern' ist absolut keine Rede in dem ganzen fraglichen Briefe. Dieses recht lange Schreiben handelt von nichts anderem als davon, daß der Kurfürst nicht ruhig dem Treiben derer zusehen dürfe, welche mit Gewalt für ihre Lehre streiten, mit Zerstörung von Kirchen und Klöstern das Papsttum besiegen wollten. Solche Art zu reformieren, erklärt er, sei sündlich und sei unnüß. Möchten die an die römischen Irrlehren erinnernden Gebäude nur stehen bleiben; darauf komme es an, die Herzen von dem römischen Irrtum zu erlösen. Wenn dann die Gebäude leer stünden, dann würde sich schon finden, was mit denselben gemacht werden solle; darüber würde dann die Obrigkeit als die geseßliche Hüterin herrenlosen Gutes zu befinden haben. Freilich

Evangelium', sodann, daß die trostlosen Zustände, welche die Visitatoren bei Geistlichen wie bei dem Volk, in Stadt und Land, vorfanden, aus der Predigt des Evangeliums hervorgewachsen' seien. An den Stellen, wo er herausbringen will, daß nur brutale Gewaltanwendung imstande gewesen sei, die neue Lehre in Sachsen einzuführen, zeigt er, wie allgemein das Volk noch an der katholischen Kirche gehangen und von der neuen Lehre nichts habe wissen wollen. An den Stellen aber, wo er alle in Sachsen sich zeigenden Uebelstände aus der Annahme der neuen Lehre' herleiten will, vergift er ganz, daß nach seiner Darstellung von Jahr zu Jahr die Abneigung des Volkes gegen die neue Lehre und ihre Verkündiger zugenommen hatte'. Und doch trägt er diese beiden einander schnurstracks zuwiderlaufenden Gedankenreihen mit solcher siegesgewissen Objektivität vor, daß schwerlich viele Leser auch nur den Mut gewinnen werden, sich klar zu machen, daß eben beide Gedankenreihen irrige sind. Janssen selbst aber wird jede derselben so schön, so brauchbar gefunden haben, daß er nicht hat den Mut gewinnen können, eine derselben aufzugeben; er wird daher auch garnicht gemerkt haben, daß nicht beide zusammen bestehen können.

1) D. W. 2, 547 (nicht, wie Janssen angiebt, 539). Walch 16, 21. Erl. 53, 266.

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