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Doch, wenn die Behauptung, daß wir hier aus Luthers Munde in optima forma jenen Sah haben: Der Zweck heiligt die Mittel'1), auch vollständig falsch ist, so könnte doch der Reformator nach diesem Grundsatz' gehandelt haben. Welche bedenkliche Mittel und Waffen das kurze Wort „alles“ bei Luther umfaßte, darüber erhalten wir erschrecklich klaren Aufschluß: Hinterlist und Verstellung, Aufruhr, Brennen und Plündern der Klöster und Kirchen, Ermorden und Ertränken der Bischöfe, Pfaffen und Mönche: alles ist unter Umständen erlaubt, wenn es dem Zweck des Evangeliums dient'2), hat die römische Lutherforschung ergeben. Sehen wir zu!

Schon die Art, wie Luther mündlich und schriftlich gegen seine Widersacher polemisiert, scheint den Römischen dem Geiste Jesu Christi zu arg zu widersprechen, als daß man ihn für einen gottgesandten Reformator ansehen dürfte. Kann doch die Redeweise Luthers in mehr als einer Beziehung unangenehm berühren. Es ist vor allem die rohe und überscharfe Art, wie er seine Gegner behandelt; sodann die übertreibende, den Mund gleichsam so voll nehmende und daher nicht selten in — seien es wirkliche, seien es scheinbare Widersprüche sich verwickelnde Ausdrucksweise;

Luther nun sagen, er halte dafür, daß ihm gegen das Papsttum, den Siz des wahren und wirklichen Antichristes, um des Heils der Seelen willen alles erlaubt sei'. Damit aber hat er eine neue Unwahrhaftigkeit begangen. Denn Luthers Worte lauten eben anders, lauten so, wie Janssen sie nicht gebrauchen kann. Dieser will sie zu dem Nachweise verwenden, daß Luther einen .gewaltsamen Angriff mit allen Waffen' gegen das Papsttum beabsichtigt habe. Dieses aber kann nicht in Luthers Worten liegen, da er nur die Hintergehung und Schändlichkeit des Papsttums' bloslegen will, was ja nicht durch einen Angriff mit Waffen erreicht wird. So läßt denn Janssen ihn fälschlich sagen, er halte gegen das Papsttum alles für erlaubt; ein Angriff mit Waffengewalt wäre ja gegen das Papsttum' gewesen. Genug, wo Janssens Beweise sich als falsch ergeben, da weiß er sie so zu verbessern', daß seine Behauptungen wohl gar noch mehr befestigt erscheinen. Wenn aber ein so kunstfertiger Schriftsteller bei Tausenden Glauben gefunden hat, so müssen wir schon den Lesern die große Geduldsprobe zumuten, seine Behauptungen und Beweise im einzelnen sorgfältig zu untersuchen.

1) Evers, Kathol. 110.

*) Gottlieb 437.

endlich die Schamlosigkeit, mit welcher er nicht nur ins sechste Gebot gehörige Fragen behandelt, sondern überhaupt Worte und Vergleichungen nicht scheut, welche kein anständiger Mensch unserer Zeit je in den Mund nehmen würde. An dieser Stelle haben wir nur den zuerst erwähnten Vorwurf zu prüfen. Wir gestatten uns aber, bei Besprechung seiner Polemik noch davon abzusehen, daß er auch öfter in derselben sich solcher Wendungen bedient, welche man in einer anständigen Gesellschaft unsers Jahrhunderts' nicht wohl wiedergeben darf. Denn man würde sehr irren, wollte man annehmen, daß dies eine Besonderheit seiner Polemik sei, daß er nur in der Hiße und Aufregung des Streites, nur in einer Art von Selbstvergessenheit in den Kot der Gasse gegriffen habe, um seine Gegner damit zu besudeln'. Vielmehr ist es eine an ihm ganz allgemein sich zeigende Eigentümlichkeit, daß er mag er nun schelten oder freundlich scherzen, mag er kämpfen oder einfach belehren, mag er erregten oder völlig ruhigen Gemütes sein, ungeniert von jenem Gebiete redet, welches vor Fremden zu erwähnen wir schon früh unsern Kindern abzugewöhnen suchen. Darum halten wir es für richtiger, diese auffallende Art des Reformators nicht schon hier, sondern erst bei Besprechung seiner Unsittlichkeit ins Auge zu fassen. Fragen wir denn:

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Ist die Art der Polemik Luthers noch ein Kampf allein durchs Wort zu nennen?

Die so häufigen Aufforderungen Luthers an die Prädikanten, den Papst und alle Papisten auf der Kanzel unablässig zu verfluchen, zu lästern und zu schänden, erscheinen mir nicht im Lichte eines evangelischen Kampfes mit dem Schwerte des Wortes', urteilt Janssen1) und citiert hinsichtlich Luthers eigenen Schimpfens die Worte Bullingers: Sein Schreiben ist mehrenteils nichts anderes, denn ein Poltern und Schelten; er giebt flugs dem Teufel alle, die sich an ihn nicht gerade ergeben. So wird in allem

1) 2. Wort 75. Aehnlich z. B. Janssen II., 98 und 375 f. Kathol. 91. 100; M. L. 1, 65. Wohlgemuth 46. 32 f. Kirche 233 ff. mann 6. Röhm, Unwahrheiten 150.

Evers,

Herr

seinem Schelten viel feindseligen Geistes, wenig freundlichen und väterlichen gespürt. Er bemüht sich, sich selber in Schmähungen zu überbieten'.

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Das Recht aber, solche Anklage zu erheben, müssen wir wenn auch nicht Janssen mit seinem diplomatisch ruhigen Stile, so doch den meisten unserer Lutherfeinde auf das Bestimmteste absprechen. Denn was für eine Sprache erlauben sie selbst sich, die doch am Ausgang des neunzehnten Jahrhunderts schreiben!

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Der ehemals lutherische Pastor Evers äußert einmal1): Ich habe öfter im protestantischen Schriften die Behauptung gelesen, daß Konvertierte den Stachel ihres bösen Gewissens zu betäuben suchten durch um so gehässigeres Schimpfen auf die verlassene Konfession und deren Vertreter. Diejenigen Schriften von Konvertierten zur katholischen Kirche, die ich bis jetzt gelesen habe, bestätigen jene Behauptung nicht'. Aber hat er denn seine eigenen Schriften nicht gelesen? Hören wir nur ein paar Säße davon, wie er sich über den ersten Vertreter' der von ihm verlassenen Konfession, wie er sich über Luther ausdrückt! Luthers ungebändigte Bauernnatur besaß ein Uebermaß frivolen und chnischen Spottes und einer unversöhnlichen Rachsucht... Dazu noch jenes hochfahrende Wesen, das neben großer Fertigkeit im Kriechen, wo es opportun erscheint, und einer oft komischen persönlichen Feigheit unsern Helden charakterisiert Eigenschaften, die man an Emporkömmlingen wahrzunehmen pflegt. Der lammfromme Gottesmann' mit seinem diabolischen Hohn und Haß', dieser Beelzebub', der Teufel austreiben will; dieser aalartige, unverbesserliche, in allen Lügen und Winkelzügen und in jeder Art von Heuchelei bewanderte Demagoge', der aufgeblasene und mit jeder Woche arroganter werdende Agitator', — sein geckenhaftes Verfahren erinnert an einen in der Kutte verborgenen Dandy'?) u. s. w.

Oder wie kann ein Wohlgemuth sich stoßen an Luthers Lästersprache, mit welcher er seine Gegner besudelt', wenn er selbst sich folgender Ausdrücke über Luther bedient: Er wurde nahezu

1) Katholisch 97.

2) M. L. I, 313 f. 331. 353. II, 352 f. 392.

verrückt, geriet in geistliche Raserei', in Schlangenwindungen züngelt er leckend und zischelnd, spottend und schmeichelnd um die Kirchenlehre herum', - in seiner Verschlagenheit und Frechheit' treibt er ein unwürdiges, nichtswürdiges Spiel'. Seine Briefe kann man nicht ohne Ekel an seiner Doppelzüngigkeit lesen'. Anhänger gewinnt er sich durch eine Flut von Schmeichelbriefen, Hegbriefen, Intriguenbriefen, Schimpfbriefen'. Er ist ein recht eckiger, grober Rülze', gemein und pöbelhast'. Er steht da als unwürdiger Priester, als eidbrüchiger Mönch, als Frevler, als Kriminalverbrecher, als Hochverräter, als Gottesräuber'.')

Oder wie kann ein Gottlieb an der bösartigen, rohen Ausdrucksweise' Luthers Anstoß nehmen, wenn er selbst 2) über einen antirömischen Vortrag -- und zwar auf dem knappen Raum von vier Seitenfolgende Wendungen nicht zurückhält: Ein Hagel widerwärtigster Verleumdungen und gröbster Unwahrheiten poltert Hernieder', ausgeworfene Giftsteine, erlogener Humbug', das ist nichts als ein alter aufgewärmter Brei, in welchen schon tausend hungrige Kazen ihre Schnauzen steckten, um ihn ungefressen stehen zu lassen oder als für gesunde Mägen unverdaulich wieder auszuspeien'; solche Charaktergelenkigkeit gehört ins Theater'. Die Infamie bleibt auf seinem Treiben hängen', bornierte Dummdreistigkeit, Gifthauch der vom Haß inspirierten Lügen' u. s. w.

So verweilen wir denn nicht sowohl um des Tadels von seiten der Feinde Luthers willen etwas länger bei seinem Schimpfen, Schmähen und Poltern', als vielmehr deshalb, weil auch viele evangelische Christen sich nicht in diese seine Weise finden fönnen.

Der jedoch, welcher mit der sonstigen Literatur jener Zeit bekannt ist, wird einen großen Teil des Unwillens, welchen Luthers Schreibart bei Vielen zu erregen pflegt, nicht mehr empfinden. Denn er weiß, daß dieser mit seiner auffallenden Ausdrucksweise in sehr vielen Beziehungen durchaus nicht allein dasteht.

1) Vgl. Wohlgemuth S. 9f. 22. 27. 29. 33. 44. 75. 76. 116.
2) S. 9-12.

Schweigen wir auch von Allen, welche irgendwie ihm zugethan waren, sie könnten's ja ihrem verehrten Meister richtig abgekukt" haben. Doch welchen Ton schlagen seine Gegner an? Es ist allerwärts anerkannt, daß man den in den katholischen Schriften der damaligen Zeit herrschenden Ton durchweg einen edlen nennen muß', erzählt man1) uns. Kein Wunder, daß die von Janssen abschreibenden Lutherfeinde so denken. Denn wer über den von den römischen Zeitgenossen Luthers angeschlagenen Ton aus Janssen's großem Geschichtswerke sich instruieren will, fann kaum eine andere Vorstellung gewinnen. Während nämlich dieser Geschichtsforscher unermüdlich uns die maßlosen', leidenschaftlichen' Aeußerungen Luthers vorführt und von seinen „friedlichen, freundlichen“ Schriften völlig schweigt, erwähnt er von den katholischen Gegnern Luthers fast nur solche, welche ihrem mehr phlegmatischen Temperament gemäß eine relativ ruhige Schreibart zeigen und läßt auch aus ihren Schriften nahezu alle diejenigen Stellen fort, in welchen die Verfasser zu schelten, zu spotten und zu schimpfen sich nicht scheuen. Wo er aber solche katholische Zeitgenossen Luthers erwähnt, welche sich die allergrößeste Mühe geben, ebenso maßlos' zu schreiben, wie Luther gethan, da citiert er nur aus ihren erbaulichen Schriften, nicht aber aus denen, welche zur Vergleichung mit den aus Luther angeführten Säßen allein in betracht kommen, nicht aus den polemischen Schriften. Durch ein derartiges Verfahren muß jeder Leser, der nicht durch Quellenstudium die Janssensche deutsche Geschichte' kontrolieren kann, zu dem Irrwahn verführt werden, als sei nur Luthers Ton wüst', der seiner Gegner aber edel'. Ein derartiges Verfahren kann auch nicht dadurch gefühnt werden, daß Janssen einmal 2) in einer Anmerkung, in welcher er das Urteil eines neueren Katholiken über Luthers Pöbelhaftigkeit, Rohheit, Cynismus' abdruckt, auch denselben Gelehrten sagen läßt: Es war begreiflich, daß der einmal angeschlagene Ton nicht bloß auf Luthers Seite fortklang, sondern auch ihm nichts geschenkt, seine Behauptungen als freche Lügen dargestellt wurden, er selbst

1) Gottlieb 968.

9) II, 195.

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