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Heinrich trat denn auch getrost den folgenden Tag wieder auf. Es war am Dienstag dem Nikolai-Tage (6. Dezember). Diesmal nahm er nicht die officiellen Texte des altkirchlichen Feiertages, sondern wählte am Morgen das Gleichnis von den anvertrauten Pfunden (Luc. 19, 12 ff), welches ihm wohl Gelegenheit gab, von der eigenen Verantwortlichkeit des Christen zu reden und damit den päpstlichen Ablaß und die Zurechnung der Heiligenverdienste in das gebührliche Licht zu stellen. Nachmittags legte er die Worte Hebr. 7, 23 ff zu Grunde; hierbei konnte er von dem alleinigen Hohenpriestertum Christi sprechen und damit in die Gedanken seiner oben besprochenen Wittenberger Thesen einlenken. Auch diesmal hatte er großen Erfolg. „Das Volk strömte fast aus allen Winkeln zusammen", schreibt Propst an Luther. Nicht geringer war der Volksandrang zwei Tage später, am 8. Dezember, der Feier von Maria's Empfängnis. Hier nahm Heinrich in beiden Predigten das erste Capitel des Evangeliums Matthäi vor und redete somit vor allem wohl nicht über Maria, sondern über Christus, durch welchen sie erst einen Namen gewonnen. Er wies dabei, (so hebt Luther hervor), auf die Verheißung hin, die von Christus schon den Vätern gegeben worden, und zeigte, wie wir nur durch den Glauben derselben teilhaftig werden könnten.

In dieser Weise schien Heinrich ruhig weiter wirken zu können. Nicht ein tägliches Reden that hier not, wie in Bremen, wo Jedermann in der volkreichen und reformeifrigen Stadt ihn hören wollte; wohl aber bei allen gegebenen Gelegenheiten aufzutreten und mit Kraft die neue Lehre zu bezeugen, schien das Richtige. Die Meldorfer waren gewonnen. Es heißt, Jedermann war verwundert über den Geist mit dem er redete; fie dankten Gott, daß er ihnen solch einen Prediger zugeschickt, und baten, er möge ihnen denselben erhalten, da ihnen nun klar werde, wie sie durch Pfaffen und Mönche verführt gewesen. An Heinrich aber erging die Bitte, er möge zu Weihnachten hier bleiben und dann alle Tage zweimal predigen; fürchteten fie doch, er werde bald an einen anderen Ort gefordert werden. „In mittlerer Zeit haben die gottlosen Mönche im Lande sich auf dem Predigtstuhl auch nicht gesäumet, sondern gerufen

und geheulet, Ach und Jammer geschrieen, wie sie denn nach ihrer altvettelischen Weise wohl gelernet haben, auf daß, wo ein Fünklein des Evangeliums entglimmet, sie es bald wieder auslöschen möchten, daß je die dichte Finsternis nicht erleuchtet und ihre Büberei an den Tag komme und angesehen werde", so heißt es in der ersten, noch vor Luthers Historie" erschienenen deutschen Schrift über Heinrichs Märtyrergeschichte.12)

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Der Prior Torneborch mußte begreiflicherweise über den Beschluß der Achtundvierzig sehr erbost sein. Ihm war ganz klar, daß jeder Aufschub nur den Keßern zu Gute kommen könne. Fasse das Evangelium erst wirklich Wurzel, dann werde der Widerstand schwer, wo nicht unmöglich sein, und dann sei's mit dem ganzen römischen Wesen vorbei. Was aber konnte geschehen? Der Beschluß der Obrigkeit ließ sich schwerlich ändern. Eher konnte eine rasche That zum Ziele führen, und bei dem konservativkirchlichen Sinne der Meisten war jezt noch auf deren Billigung zu rechnen.

Torneborch überlegte die Sache wieder mit dem Commissar Johann Schnicke, und beide zogen noch einen dritten, Dr. Wilhelm genannt, auch einen Dominikaner (der, wie es scheint, kürzlich aus Hamburg gekommen war) ins Vertrauen. Die drei beschlossen, sich weiter an die Franziskaner in Lunden zu wenden und um deren Beistand zu bitten. Diese „grauen Mönche" griffen die Sache mit Eifer auf, und luden auch einige der dort wohnenden Achtundvierziger, auf die sie rechnen konnten, mit zur Beratung. Es waren das der bereits erwähnte Peter Nannen, sodann Peter Schwien und Claus Rode. Diesen ward vorgestellt, der Rezer verführe mit seinen Predigten das Volk; wenn nichts geschehe, so müsse Mariä Lob samt den zwei Klöstern zu Grunde gehen. Aber diese waren etwas verwundert über die neue Klage, und einer von ihnen, Peter Schwien, erinnerte an den jüngsten Beschluß der Regierung. Wäre es nötig, meinte er, so könnte ja den Meldorfern ein neuer Brief darüber ge= schrieben werden. Aber hiervon brachte ihn der Mönch schnell ab. Torneborch erklärte das Hin- und Herschreiben für unnüß, ja für gefährlich, da die Antwort der Kezer sie selber verwirren und mit hineinziehen könnte. Er schlug ein kurzes Radikalmittel

vor: man solle den Kezer nachts gefangen nehmen und verbrennen, ehe Regierung und Volk es merkten. Diesen Mordplan wußte er ihnen wahrscheinlich nach allen Seiten hin plausibel zu machen und die Bedenken dagegen zu zerstreuen. Die grauen Mönche stimmten energisch bei, und die drei Lundener Bauern wurden schließlich ganz dafür gewonnen. Die Verschwörung war fertig; es galt zu schneller Ausführung zu kommen.

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Peter Nannen nahm nun die Sache in die Hand, und zwar in Verbindung mit dem gleichfalls gewonnenen Sekretär Günther. Ganz in der Stille wurden andre Leute aus verschiedenen Dörfern in's Geheimnis gezogen. Als solche werden uns noch genannt:*) Peter Schwien's Sohn, Henning von Lunden, ferner Johann Holm von Neuenkirchen, Lorenz und Ludwig Hannemann von Wennewisch, Bostel Johann Preen von Tiebensee, Claus von Weßlingburen, Grote Johann von Wockenhausen, Marquardt Krämer von Henstedt, Ludecke Johann von Weßling und Peter Großvogt von Hemmingstedt lauter gewichtige, tonangebende Männer. Man lud sie zu einer Versammlung nach Neuenkirchen auf die Pfarre, doch fand dieselbe in Günthers Hause statt.**) Die Geforderten wurden ohne Schwierigkeit, wie es scheint, gewonnen. Man verabredete, noch einige andere Leute herbeizuziehen und dann am Freitag, dem Tag nach Mariä Empfängnis, wenn die Abendbetglocke geläutet, sich in Hemmingstedt, eine halbe Meile von Meldorf, zu versammeln und von da aus den Ueberfall auszuführen. Allen wurde die größte Heimlichkeit zur Pflicht gemacht, namentlich durfte nach Meldorf hin nicht die geringste Kunde gelangen.

So kam's denn wirklich zur Ausführung. Freitag Abend versammelten sich die Verschwörer mit ihren Leuten in Hemmingstedt. Die Wege nach Meldorf waren sorgfältig bewacht, um jede Nachricht dorthin zu verhüten. In Hemmingstedt und Umgegend selber war angesagt, beim Ave-Maria-Läuten müßten alle

*) Luther bezeichnet sie als „Ammerals“(Admirals), und sagt ironisch: „Man sollt hie billig der Namen schonen; nachdem sie aber Ehre gesucht haben zu erlangen, muß man sie ihrer Ehre nicht berauben.“

**) Es mochte am Mittwoch oder Donnerstag sein. Ersteres ist mir wahrscheinlicher, weil das Folgende noch einiger Zeit bedurfte.

Männer sich mit Waffen einfinden. So kamen wohl an die 500 bewaffnete Landleute zusammen. Als man den Lezteren, die bisher von nichts gewußt, die Sache kundthat, weigerten sie sich, solche Mordthat auf ihr Gewissen zu nehmen. Aber die Führer redeten ihnen kräftig zu und stellten die Sache als eine hohe und heilige hin, bei der es zu gehorchen gelte. Neben dieser Entflammung des Fanatismus wurde tüchtig Hamburger Bier eingeschenkt, wovon man eine Anzahl Tonnen (wahrscheinlich vom nahen Meldorfer Kloster gespendet) zur Hand hatte. Das half. Die Leute waren in ihrer Trunkenheit schließlich zu Allem bereit. 13) So brach man um Mitternacht nach Meldorf auf.

Zuerst gings nach dem Kloster, wo man ihrer Ankunft entgegensah. Hier erhielten die Kommenden Lampen und Fackeln. Dann rückte man direkt zur Pfarre. Ein Verräter, Hennings Hans genannt, im Hause wohl bekannt, zeigte ihnen Weg und Gelegenheit, ein Andrer, Grote Johann Maaß, legte eine Leiter an, stieß die Bodenluke auf und öffnete das Haus an verschiedenen Stellen von innen her. 14) Der trunkene Haufe drang ein und fing an, zu zerschlagen und zu plündern, was ihm unter die Hände kam; Kannen, Kessel, Kleider, Becher wurden verdorben, Geld und Silber mitgenommen. Man fiel dann über den Pastor Boje her, der ruhig schlief, hieb auf ihn los und rief: Schlag tot, schlag tot! Andre rissen ihn auf die Straße, warfen ihn in den Schmuß und schrieen, er solle mitgehen. Aber dem wurde noch rechtzeitig gewehrt. Die Anführer hatten streng geboten, sich nicht an Boje zu vergreifen, um die unangenehmen Folgen seitens seiner Familie zu vermeiden. Doch nur mit Mühe gelang es den Besonnenen, ihn demgemäß zu befreien und die ganze Wut auf Heinrich zu lenken. Boje wurde in's Haus zurückgestoßen.

Desto roher ging's nun über den fremden Reformator her Man riß ihn aus dem Bett und auf die Straße, schlug und stach ihn, band ihm die Hände auf den Rücken und stieß den nur mit dem Nachtgewand Bekleideten vorwärts. Dabei schrieen sie: Mönch, hier gehst du her! Und als Heinrich fragte: wohin? brüllte man ihn an: in's Feuer! du mußt sterben! Er antwortete ergeben: im Namen Gottes! mußte aber dafür Schläge

und Mißhandlungen ertragen. 15) Darüber ergriff selbst den eifrigen Peter Nannen ein Erbarmen. Er befahl den Leuten, den Kezer in Ruhe zu lassen, er werde schon von selber gehen. So ward er einem gewissen Johann Balcke übergeben, der ihm die Hände an den Schwanz seines Pferdes band und ihn so mitschleppte.*) Die Meldorfer mögen bei dem großen Lärm erschrocken aufgesprungen sein, und als sie merkten, was vor sich ging, mag mancher an Gegenwehr gedacht haben. Aber ehe in der dunklen Nacht sich die Einzelnen darüber besprechen konnten, war der Haufe bereits fort. Alles war in höchster Eile vor sich gegangen. Was wäre auch gegen so Viele zu machen gewesen?

Der Haufe ging zuerst nach Hemmingstedt zurück. Hier hielt man einen Augenblick an. Den Meldorfern war man ent= gangen. Aber nicht hier, sondern im Hauptorte Heide sollte die grausige That vor sich gehen. Nur ein vorläufiges Verhör ward an Ort und Stelle vorgenommen. Man führte Heinrich in die Mitte und fragte ihn, wie er in's Land gekommen sei und was er da fuche. Der Gemißhandelte antwortete freundlich und der Wahrheit gemäß, und seine Antwort blieb nicht eindruckslos. Manchen wandelte ein Gefühl der Scham an. Aber man wollte sich dem nicht hingeben, daher hieß es: Nur weg mit ihm! hören wir ihn lange, so werden wir auch Kezer! Jeht wagte Heinrich die Bitte, man möge ihn doch auf ein Pferd sehen; denn er fühlte sich nicht imstande, mit seinen blutigen Füßen auf dem gefrorenen Boden weiter zu gehen. Aber nur rohes Lachen und Hohn war die Folge. Das fehlte noch, hieß es, daß man den Kezern auch noch Pferde hielte! Er mußte weiter wie vorhin.

*) Dieser Zug, daß Heinrich an den Pferdeschweif gebunden worden, findet sich bei Luther und den Chronisten nicht, aber ausdrücklich steht es so bei Jakob Probst: „darnach einem Pferd an schwank gepunden und also mitt großer frolockung geen der hahde, ein große meile wegs von Meldorff gefürt und geschlahpfft." Aehnlich in der kurzen „Historia.“ Claus Harms führt das auf eigne Hand noch drastischer aus, indem er von Heinrichs Führer (den er Bolcke Johann ut de Lieth nennt) schreibt: „wo de fleef aber man gelegenheit feeg, da föör he den armen minschen dörch pütt un pööl un scharpet hs, dat em dat roode bloot uud de fööt sprung.“

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