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mit seinem Blute die Wahrheit, von ihm gepredigt, bezeugen sollte, sandte er ihn unter die Mörder, die er dazu bereitet hatte." Es war in den Novembertagen des Jahres 1524, als von dem Kirchherrn Nikolaus Bohe zu Meldorf im Lande Ditmarsen (im westlichen Holstein) an Heinrich die Bitte gelangte, dorthin zu kommen und das Evangelium zu verkünden. Die Bitte kam in mehrerer Christen Namen und war sehr dringend. Heinrich mochte dabei in große Verlegenheit geraten. Einerseits hatte er den Vorsaß gefaßt und bereits kundgegeben, in Bremen zu bleiben, bis man ihn mit Gewalt vertreibe; er genoß die Liebe und das Vertrauen der ganzen Bürgerschaft und erkannte wohl, daß er hier einen guten Boden für ein segensreiches Wirken gefunden. Andrerseits aber dürstete ihn nach neuen Thaten, er glaubte, die Bremer könnten ihn jezt schon entbehren. Vor allem aber sah er ja in derartigen ungesuchten Aufforderungen einen Gottesruf und glaubte einen solchen nicht abweisen zu dürfen. Bei diesem Schwanken konnte er seine Bremer Freunde nicht sofort um Rat fragen; er wußte, daß sie ihm niemals zureden, sondern alles aufbieten würden, ihn zu behalten. Nur seine Kollegen, Probst und Tiemann zog er sofort ins Vertrauen, und sie zeigten auch Verständnis für seine Auffassung. Eine Anfrage in Wittenberg schien zu lange zu dauern. Heinrich mußte sich rasch entscheiden, und that es, indem er den Meldorfer Boten zusagte, demnächst zu kommen, ohne darum von Bremen, wo er eine feste Anstellung angenommen, gänzlich scheiden zu wollen.

Erst nach also gegebener Zusage und nach Abreise der Boten sezte er seine Gemeindegenossen hiervon in Kenntnis. Aber nur wenige durften es sein, denen es als ein Geheimnis eröffnet wurde, um ja keine Hinderung zu erfahreu. Auf den St. Catharinen-Abend (den 24. November), heißt es, habe Heinrich sechs fromme Mitbrüder und Bürger zu sich gefordert, unter welchen die bekannten Namen Evert Speckhan und Johann Hilmers vorkommen. 61) Diesen teilte er seinen Entschluß mit, indem er zugleich bemerkte, daß er schuldig sei Jedermann, der ihn bitte, das Wort Gottes zu verkündigen, und daß er darum es für Gottes Willen halte, ins Ditmarser Land zu gehen; er bat sie nur, ihm einen guten Rat zu geben, wie er am besten fortkomme,

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ohne daß die Gemeinde es erfahre und seine Reise hindere. Die guten Leute waren aufs höchste überrascht. Dringend baten ihn alle zu bleiben; er möge doch ansehen, wie das Evangelium noch fast schwach" im Volke wäre, sonderlich in den umliegenden Städten, und die Verfolgung so groß; auch dürfe er nicht vergessen, daß er von ihnen berufen sei, Gottes Wort zu predigen; wollten die Ditmarser einen Prediger haben, so möge er einen anderen hinschicken; auch bemerkten sie schließlich, sie könnten ihn nicht ziehen lassen ohne Bewilligung der ganzen Kirchgemeinde, die ihn gewählt habe. Heinrich antwortete darauf: wohl habe man ihn gewählt, aber zunächst seien jezt frommer gelehrter Leute genug da, die ihnen predigten; die Papisten wären auch teilweise schon überwunden, so daß nun Weiber und Kinder ihre Starrheit sähen und richteten; er hätte ihnen nun zwei Jahre gepredigt, aber die Ditmarser hätten keinen Prediger, weshalb er mit gutem Gewissen ihnen solche Bitte nicht abschlagen könnte; sodann sei seine Meinung gar nicht, sie ganz zu verlassen, vielmehr gedenke er nur eine Zeitlang, etwa einen oder zwei Monate in jenem Lande zu bleiben, um dort durch sein Wort das Fundament zu legen und dann wiederzukehren; deshalb bitte er sie dringend, ihn nicht zu hindern und erst nach seinem Abzuge der Gemeinde davon zu sagen, auch seinen heimlichen Abzug zu entschuldigen; er müsse ja so verfahren, da die Feinde ihn Tag und Nacht umlauerten, ihn zu töten. Nach einem späteren Berichte fügte Heinrich noch hinzu: Das sei der rechte Weg nicht, daß er hier in Bremen size, gute Tage habe und andre Leute an der Seele Not leiden lasse; er müsse hin, wo das Kreuz sei, und darin seinem Herrn Christo nachfolgen; gönne ihm der Herr das Leben, so wolle er wiederkommen; habe es aber der Herr anders mit ihm beschlossen, so wäre er auch damit wohl zufrieden. 62)

Die Freunde konnten hiergegen nichts einwenden, so sehr sie den Entschluß beklagten, und so mögen sie ihm, seinem Wunsche gemäß, zur heimlichen Ausführung desselben behülflich gewesen sein. Heinrich blieb nun einige Tage noch ruhig da und setzte seine Predigtthätigkeiten fort. Erst am folgenden Montag, den 28. November, verließ er Bremen in aller Stille.

Er hatte seine Mönchskutte abgethan und weltliche Tracht angelegt63), keiner seiner Freunde durfte ihn auch nur eine Wegstrecke begleiten, da jedes Aufsehen gefahrdrohend war. Einsam und einem Flüchtigen gleich, wie er gekommen, zog er wieder zum Stadtthor hinaus, nachdem er so viel hier ausgerichtet. Ein neuer Wirkungskreis stand ihm leuchtend vor der Seele und vielleicht dann baldige Rückkehr an diese gesegnete Arbeitsstätte. Er ahnte nicht, daß Gott es anders beschlossen.

5. Kurzes Wirken und Märtyrertod im Ditmarserlande.

Das Volk, welchem Heinrich jezt seine reformatorische Wirksamkeit widmen wollte, war ein freies Bauernvolk. Seine Wohnung ist der nordwestliche Teil von Holstein, zwischen Elbmündung und Eider, westlich vom Meere und östlich damals durch unwegsame Sümpfe und Moore begrenzt, ein reiches, fruchtbares Marschland, noch heute die Ditmarschen oder Ditmarsen genannt. Obgleich keinerlei Burgen und feste Städte sich im Lande erhoben, den eindringenden Feinden zu troßen, so hatte das Volk bisher doch seine Freiheit behauptet. Seit Jahrhunderten hatten sie darum kämpfen müssen bald mit den benachbarten Adelsgeschlechtern, bald mit den Holsteiner Grafen, bald mit den dänischen Königen, aber sie erlagen nicht, wie die Stedinger und Wurster an der Weserküste, sondern errangen gleich den freien Schweizerkantonen glänzende Siege über die eisengepanzerten Feinde. Noch kürzlich war ein solcher Sieg gewonnen. Im Jahre 1500 hatte König Johann II. von Dänemark, um seine angeblichen Ansprüche auf das Land durchzusehen, die sogenannte „schwarze Garde“ dazu angeworben. Es waren 6000 Landsknechte, ein auserlesenes Fußvolk, der Schrecken der Länder, unbesiegbar nach Aller Meinung. Mit dieser Kerntruppe wurden noch viele andre Soldaten ins Land geschickt, 30 000 Mann zogen gegen das stolze, kriegerische Bauernvolk ins Feld. Aber die Ditmarser feßten sich zur Wehre. Bei Hemmingstedt trafen die feindlichen Heeresmaffen auf ihren Haufen, der sich durch Abendmahl und Gebet ernstlich bereitet hatte und

nun unter der Führung einer Jungfrau, welche die Fahne schwang, in die Schlacht zog. Nach langem Kämpfen errangen die Bauern einen glänzenden Sieg, die schwarze Garde wurde gänzlich vernichtet, die Freiheit gerettet. Es war am 17. Februar 1500, da diese Schlacht geschlagen war, welche den Siegen bei Morgarten und bei Sempach gleichkommt.

Im Lande herrschten alte Bauerngeschlechter, aus welchen man 48 Regenten" erwählte, die in dem Orte Heide sich zu versammeln pflegten. Nebenbei erkannte man eine gewisse Oberhoheit des bremischen Erzbischofs an. Ein alter Zusammenhang lag hier vor. War doch von Bremen aus hier einsst zuerst das Kreuz gepredigt, und der Ort Meldorf (damals Milindorp) schon im 8. und 9. Jahrhundert von dem zweiten Bischof Bremens, Willerich (789-833), dazu öfter besucht worden, derselbe Ort, an welchem jezt Heinrich das Evangelium predigen sollte. Aber diese Hoheit des benachbarten Kirchenfürsten hatte wenig zu bedeuten und sollte wohl mehr zum eignen Schuß dienen. Noch bei Erzbischof Christophs Regierungsantritt übersandten ihm die Ditmarser einen „Willkomm“ von 333 Mark 5 Schilling und 4 Pfennig lübisch (oder 500 alter Mark), ließen sich dafür aber von ihm auch ihre sämtlichen Freiheiten bestätigen (1512).*) Eben jezt vor kurzem (1523) war auch mit dem neuen dänischen Könige Friedrich I. und Herzog Christian von Holstein ein Vertrag zustande gekommen, welcher die Ansprüche der letzteren aufhob und die behauptete Unabhängigkeit des Marschvolkes bestätigte. Die Freiheit schien für immer gesichert. Doch galt es, auf jegliche Gefährdung derselben Acht zu geben.

Schon hieraus läßt sich erklären, warum die Ditmarser nicht so schnell geneigt waren, die schwer erkämpfte politische Freiheit auch auf das kirchliche Gebiet zu übertragen. Nationen, welche mit Mühe um ihre Existenz gerungen, halten gern am Hergebrachten fest. Man denke an die Urkantone der Schweiz, an die ritterlichen Spanier oder auch an die Irländer. Bei solchen Völkern fand die Reformation meistens einen harten

*) 1187 hatten sich die Ditmarser unter die Oberhoheit des Bischofs von Schleswig begeben, 1227 wieder unter die des entfernteren, und daher weniger gefährlichen von Bremen.

Widerstand, weil man durch sie zu verlieren fürchtete, was gewonnen war. Auch in unsern Marschen stand es so. Die Bewohner hingen mit zäher Treue an der alten Kirche, deren Druck sie wenig empfanden und deren Schäden zu erkennen, ihnen die nötige Bildung abging. Freilich hatte es schon länger an Einzelnen nicht gefehlt, die weiter blickten. So erzählte man im 15. Jahrhundert von den Gebrüdern Grove, welche von den Hussitischen Bewegungen angeregt, ein reineres Evangelium gepredigt hatten. Aber der eine derselben, Heinrich, ward dafür zu Lunden am Altar erstochen (1451) und der andre, Johannes Marquart, zu Meldorf verbrannt (1450). 1)

Um die Zeit nun, als anderswo die Stürme der Reformation losbrachen, schien in diesem Ländchen die alte Kirche sich erst recht zu befestigen. In Meldorf erhob sich bereits ein großes Dominikanerkloster, an dessen Spiße der kluge und energische Prior Augustinus Torneborch stand. 2) Dazu hatte man nach der siegreichen Schlacht bei Hemmingstedt an diesem Orte ein Nonnenkloster erbaut. Aber aus uns unbekannten Gründen war dasselbe 1518 wieder abgebrochen und dafür zu Lunden ein Franziskaner- oder Minoritenkloster errichtet worden. Damit hatten beide Bettelorden der streitbaren Kirche im Lande Fuß gefaßt. Auch der Ablaß wurde hier mit Erfolg verkündigt. 1516 hatte der Ablaßprediger Johann Angelus Arcimbold mit drei Helfern das Land durchzogen und große Haufen Geldes eingesammelt*), die ihm freilich der dänische König hernach wieder abnahm.3) Und endlich erfahren wir, daß einer der Hauptführer im Lande, Peter Schwien, (dessen Name hernach vorkommen wird), 1522 eine Wallfahrt nach St. Jago in Spanien unternommen. +)

Troßdem fand jezt der neuverkündete Glaube unter ihnen einige Anhänger. Es tritt uns da vor allem der Geistliche Nikolaus Boje vor Augen. Er entstammte einer der ersten Landesfamilien. Sein Vater, Marcus Boje in Brunsbüttel, hatte sieben Söhne gehabt. Unser Nikolaus, etwa zu Anfang des Jahrhun

*) Es ist uns ein Ablaßbrief (vom 8. Mai 1516) erhalten für einen dortigen Bewohner Bojen herring, welcher eine Frau mit ihrem Kinde in einer Scheune verbrannt und einen Geistlichen ermordet hatte.

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