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Zu einer sachlichen Untersuchung der Lehre Heinrichs, wie die Bremer sie forderten, konnte sich der Erzbischof gewiß schwer entschließen. Für geistige Dinge hatte er niemals großes Interesse an den Tag gelegt, für theologische vielleicht am allerwenigsten. Und doch mußte der Schritt gethan werden, schon um den Städtern den Vorwand zu nehmen, die Sache sei garnicht untersucht worden. So wird dann für das neue Jahr 1523 eine Kirchenversammlung geplant. Einstweilen versucht man's noch mit neuen Drohungen. Der Erzbischof war zu der Statthalterin der Niederlande in Beziehung getreten und hatte sie veranlaßt, den Mönch als einen Gefangenen des Kaisers von den Bremern herauszufordern.27) Mit einem Briefe darüber von der Statthalterin erschien denn eines Tages, in der ersten Zeit des neuen Jahres, eine erzbischöfliche Gesandtschaft wieder vor dem Rate; sie wies hin auf Papst und Kaiser, übergab Margaretens Forderung und warnte mit allem Ernste, die Stadt nicht durch fortgesezten Eigensinn in Schaden zu stürzen. Aber umsonst! Es heißt, die Stadtoberen gaben den Gesandten eine „gute, beschedlike Antwort." 2s)

Mit um so größerem Eifer wurde jezt die kirchliche Versammlung betrieben, welche am 10. März dieses Jahres in dem Städtchen Buxtehude stattfinden sollte. Der Erzbischof ließ dazu weitgehende Einladungen ergehen an die „Aebte, Prioren, Pröpste, Dekane, Archidiakonen, Scholastici, Cantores, Custodes, Thesaurarii, Succentores, Sakristani sowohl an der Kathedrale als an den Kollegiatkirchen", sodann an die „Rektoren der Parochialkirche, die Plebane, Viceplebane, Kapellane“, ebenso an die Prioren und Guardiane der Klöster, die übrigen Presbyter, Kleriker, Notarien und Libellionen und zwar nicht nur der eigenen Diözese sondern auch anderer, wohin diese Ausschreiben gelangten. Es wird den Eingeladenen mitgeteilt, daß, wie sie wohl wüßten, ein Augustinermönch ohne seine Erlaubnis sich angemaßt, in seiner Diözese zu predigen, und was noch schlimmer, er bringe unter dem Schein der Frömmigkeit die Irrtümer eines gewissen Martin Luther und anderer Irrlehrer in seinen Predigten vor. Um solchem nach seiner Hirtenpflicht zu wehren, habe der Erzbischof ein Provinzialkonzil auf Dienstag nach Okuli (10. März) d. J. in Buxtehude angefeßt. Sie werden aufgefordert, den betreffen

den Mönch 6 Mal nach Empfang des Schreibens zu zitieren, wie er auch hiedurch zitiert werde. Komme er nicht, so werde das Konzil doch gehalten werden. Ein freies Geleit sei ihm zugesichert. Der dazu an Heinrich ausgestellte Geleitsbrief enthält noch eine besondere Einladung auf den angegebenen Tag mit der Weisung, daß ihn am Sonnabend vorher die Geschickten des Erzbischofs in Empfang nehmen würden; es wird ihm ein „frei, stark und vehelich*) Geleite“ zugesichert und er aufgefordert „auf die Artikel, so er sich zu predigen unterstanden, mit ihm disputieren zu lassen, auf daß er keine Ursach habe, Ausflucht zu nehmen." 29)

So sollte endlich zu Stande kommen, was sowohl Heinrich als seine bremischen Beschüßer allezeit begehrt, nämlich eine geistliche Untersuchung. Aber die Art und Weise, wie man damit vorging, mußte doch wieder bedenklich stimmen und zu einer Weigerung führen. Vor allem mußte die Wahl des Ortes auffallen. Nach altem Herkommen war Bremen als die Hauptstadt der offizielle Plaz für derartige Versammlungen. Warum wählte der Erzbischof statt dessen das fernab und nahe der Elbe gelegene Städtchen Buxtehude? Und ferner lag allerdings ein Geleitsbrief vor und in demselben war von einem Disputieren mit Heinrich die Rede, aber in dem eigentlichen Einladungsschreiben war von einer Untersuchung gar nichts gesagt, sondern seine Keßerei einfach vorausgesezt. Es war klar genug, das Konzil sollte nur formell besiegeln was bereits feststand, es sollte Heinrich für einen Keßer erklären und den Bremern damit den Vorwand nehmen, ihn zu schüßen. Dazu mochten viele dem brutalen Wesen des Erzbischofs auch noch eine Verlegung des Geleites zutrauen. Somit beschloß man, nicht darauf einzugehen, sondern den Mönch in der Stadt zu behalten. Dieser hätte sich bei seinem todesmutigen Wesen schwerlich vor der Reise gefürchtet, denn er wünschte nichts sehnlicher als eine Verantwortung über seine Lehre. Hat er doch in dieser Zeit sowohl den Doktor der Theologie Gerd Brandis am Dome, als auch den Dominikanerprior Hubert in Bremen schriftlich und mündlich ersucht, mit ihm zu disputieren, ohne daß diese darauf eingegangen waren.30) Aber die Art der Einladung mußte auch

*) Vehelich oder velich (ein niederdeutsches Wort) = sicher.

ihm die Lust dazu nehmen und ihn den Bitten seiner Freunde, nicht in die Falle zu gehen, Gehör geben lassen. Die Bremer erklären später, sie hätten Bruder Heinrich dazu verbotschaften lassen und ihm Sr. Fürstl. Gnaden Geleitsbrief vorgehalten; er aber habe erwidert, wiewohl er mit Sicherheit genugsam versorgt worden, so wäre er in der zugefertigten Citation schon gedeponiret", und hielte sich ferner nicht für „pflichtig“, nach Buxtehude zu gehen; denn da er hier (in Bremen) offenbar gelehret, so wollte er auch „allhier“ seiner Lehre Rede und Bescheid geben, was auch sonst mehr Frucht bringen würde.31)_Man kann die Richtigkeit dieser Auffassung vielleicht bestreiten, da Heinrich der Ladung des Erzbischofs, in dessen Diözese er predigte, wohl zu folgen haben mochte. Aber hier war die Absicht offenbar: er sollte nur noch feierlich verurteilt und damit vielleicht seiner Wirksamkeit entzogen werden. Darauf einzugehen, schien ihm nicht erforderlich.

Um aber doch etwas zu thun, schickte Heinrich statt seiner selbst seine Thesen ein. Es geschah das wohl auf Wunsch des Rates, welcher gedeckt sein wollte und darum auch selber die Uebersendung derselben übernahm. Heinrich ließ dabei erklären, er könne wohl leiden, daß man gelehrte Leute über seine Artikel urteilen ließe, und so man einigen Irrtum aus der Schrift in seinen Lehren oder Predigten nachweisen könne (da er doch glaube nur auf Grund der Schrift gepredigt zu haben), könne er Strafe leiden und sei bereit, zu Rechte zu stehen.32) Wir kennen diese „Artikel" oder Thesen bereits. Es sind dieselben, mit denen Heinrich seiner Zeit zu Wittenberg seine erste akademische Würde erlangt hatte.33) Wie oben (S. 14) ausgeführt, sind sie mehr theologisch und schulmäßig als praktisch gehalten; es wird in ihnen nichts gegen Papst, Bischöfe, Ablaß und sonstiges römisches Unwesen gesagt, vielmehr wird die Heilslehre in schriftmäßiger Weise erörtert. Eben das mochte den zum Konzil berufenen Geistlichen nicht genehm sein, da sie auf die wissenschaftliche Grundlegung seiner Theologie schwerlich eingehen wollten. Aber Heinrich hatte sich doch hier über die Rechtfertigung durch den Glauben, den Kernpunkt der Reformation, in einer Weise ausgewiesen, wie es vor Gelehrten geeignet sein mußte.

Ueber den Verlauf dieses Provinzialkonzils zu Buxtehude erfahren wir leider nicht das Mindeste.) Es sollte ja, wie die Einladung besagte, gehalten werden, auch wenn der Mönch nicht erscheine. Aber sein Ausbleiben änderte doch die ganze Sache. Mit den eingesandten Thesen werden sich die Herren nicht lange aufgehalten haben. Es war ja klar, viele konnten es bezeugen, daß er wider die römische Kirche gepredigt, und sein Ausbleiben konnte als neuer Beweis dafür gelten. Daher genügte eine einfache Verurteilung, soweit sie überhaupt noch nötig erschien. Vielleicht hat man weiter beschlossen, die Sache genau zu überwachen und die weiteren reformatorischen Regungen mit allen Mitteln niederzuhalten, sowie auch die Bremer mit dem Wormser Edikt bekannt zu machen. Weiteres gegen dieselben zu beschließen, lag außerhalb der Kompetenz dieser kirchlichen Versammlung; es mußte dem Erzbischof überlassen bleiben.

Derselbe mag denn über das Ausbleiben Heinrichs ärgerlich genug gewesen sein. Auch dieser Plan war gescheitert, es blieb kaum etwas übrig als ein Gewaltstreich gegen die Stadt Bremen, und hierzu wurden jezt wohl neue Pläne entworfen. Einstweilen aber sollten die Widerspenstigen keine Entschuldigung haben. Hatten die Bremer am 11. Dez. 1522 erklärt, daß ihnen das Wormser Edikt gegen Luther und seine Anhänger unbekannt sei, so ließ nun Christoph dasselbe nebst der päpstlichen Bulle an der Domkirche und später auch am Rathause anheften. Zugleich ließ er die Bremer aufs neue warnen, sich doch vor kezerischer Lehre zu hüten und die päpstlichen und kaiserlichen Drohungen zu beherzigen.35)

Auf die Bremer konnte das Alles nicht ohne Eindruck bleiben. Sie fühlten ihre exponierte Lage und machten sich die Folgen flar. Es fragte sich jezt, ob die anfängliche Begeisterung für Heinrichs Lehre noch stark genug sei, auch gegen etwaige kriegerische Maßnahmen auszureichen. Der Rat bedurfte dazu einer Erklärung der Bürger und versammelte daher am 24. März die „Sorten", d. h. einen Ausschuß aus den Handel- und Gewerbetreibenden. Diesen stellte Bürgermeister Johann Trupe vor, der Erzbischof habe die päpstlichen und kaiserlichen Bullen anschlagen lassen, in welchen Martin Luther als Kezer verdammt, aber ebenso auch

alle die ihm beipflichteten, seine Schriften läsen und hörten, in Bann und Acht gethan würden; ferner: Bruder Heinrich sei nach Buxtehude zitiert, und da er ausgeblieben, habe der gnädige Herr die Bremer warnen lassen. Hierüber wünsche der Rat die Meinung der Bürger zu vernehmen. Der Wortführer derfelben, Aeltermann Berend Velthusen, antwortete darauf im Namen Aller: die Bürger wünschten Bruder Heinrich zu behalten, so lange er nicht, mit göttlichen Schriften überwunden, als ein Kezer verdammt worden sei. Hieran knüpfen sie den Wunsch, der Rat solle allen Predigern sagen lassen, auch Bruder Heinrich, daß sie ihr unnüßes Schelten auf einander fahren ließen und dafür das heilige Evangelium nach göttlicher Schrift verkündigten. Auch verlangte man, die Geistlichen sollten die Stadtlasten mittragen, und redete in geringschäßigem Tone von den Mönchen, ihrem Wertlegen auf gute Werke u. s. w. Es war klar, die Bürger hielten an Heinrich fest. Der Rat konnte sich bei den folgenden Verhandlungen auf diesen ausgesprochenen Wunsch beziehen. In dieser festen Position wurden die Gemüter bestärkt durch die Verhandlungen und Ergebnisse des damaligen Reichstages zu Nürnberg (1522/23). Hier wußten die Stände es ja in Abwesenheit des Kaisers durchzuseßen, daß zur Klarstellung der christlichen Wahrheit ein freies Konzilium in einer deutschen Stadt begehrt wurde und daß bis dahin das heilige Evangelium nach den von der Kirche angenommenen Schriften gelehrt werden dürfe.36) Es war damit das Wormser Eqikt faktisch aufgehoben, die Predigt des Evangeliums gewann auf einmal eine rechtliche Stüße. Freilich fragte sich sehr, ob der Kaiser es dabei lassen werde, und ob die kleinen dem Evangelium zugeneigten Gebiete ihren Willen gegen die über sie regierenden widerstrebenden Reichsfürsten durchzusezen vermöchten.

Der Bremer Rat war dazu entschlossen. Er zeigte es in einer dem Erzbischof gegebenen neuen Erklärung. Am 21. Mai 1523 nämlich fand wieder eine Zusammenkunft statt, und zwar in dem Orte Achim zwischen zwei erzbischöflichen Räten und zwei Gliedern der städtischen Regierung.37) Hier gaben die leßteren die Antwort: auf dem Reichstage zu Nürnberg hätten der römische König, die Kurfürsten und Fürsten des Reichs dem Papste erklärt, man wolle Luthers Lehre bestehen lassen bis zu

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