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warten zu sollen.11) Die Hin- und Herreise des betreffenden Boten mußte damals jedenfalls mehr als acht Tage in Anspruch nehmen, sie scheint sogar viel länger, mindestens bis Ende des Monates, gedauert zu haben. 12) Inzwischen fuhr Heinrich bald nach dem 9. November unter neuer Genehmigung des Bremer Rates mit predigen fort, und wurde von den Kirchspielsleuten bereits als ihr Prediger betrachtet. Als Luthers Ermächtigung dann eintraf, konnte er sich als ordentlich berufen betrachten, Gottes Wort hier zu predigen. Es war das zwar nicht völlig legal geschehen, indem man das St. Ansgarii-Kapitel nicht befragt hatte; aber hierüber hat man sich in der reformatorischen Bewegung öfters hinwegseßen müssen, da es galt ein Neues und Größeres zu bringen.

Die Predigten des Augustinermönchs waren nun das wichtigste Tagesereignis in der Stadt Bremen. Alles wollte den kühnen Mann sehen und hören. Die Kapelle war zwar klein, und wir haben keine Ursache einer späteren Nachricht zufolge anzunehmen, daß Heinrich hernach in der großen Kirche selber gepredigt 13); aber dafür fanden die Predigten um so öfter statt. Nach verschiedenen Mitteilungen hat er hier täglich seine Stimme hören lassen, um der zusammenströmenden Menge die ursprünglichen Wahrheiten des Evangeliums und die Abweichungen des entarteten Kirchentumes vor Augen zu führen.14)

Wir besißen über jene Predigten ziemlich eingehende Berichte, und zwar merkwürdigerweise aus gegnerischer Feder. Denn unter den Zuhörern fanden sich auch täglich, so hören wir, Abgesandte der Priester ein, welche über das Gehörte weitere Mitteilungen machten, woraus dann auch ein genauer offizieller Bericht an den Erzbischof einging. Es konnte nicht fehlen, daß dabei Entstellungen, Mißverständnisse und Uebertreibungen mit unterliefen, dennoch können wir ein einigermaßen richtiges Bild hiervon aus diesem Bericht entnehmen. 15) Natürlich erfahren wir auf diese Weise aber nur das, was den Gegnern als besonders anstößig erschien.

Da habe denn also der aufrührerische Mönch, mit Berufung auf Stellen aus den Episteln St. Petri und Pauli, verkündigt, alle Geistlichen sollten dem Rate unterthan sein, was dann zur

Folge gehabt, daß der Rat sich an Stelle des Erzbischofs gesezt; ebenso sei infolge einer Predigt über einen Spruch Petri die Zerstörung des St. Pauli-Klosters vorgenommen (worüber hernach).16) Letterer Punkt kam hernach (1525) zur Verhandlung, und es wurde darauf von seiten der Bremer erwidert, man wisse nicht, „daß Bruder Heinrich Petrum anders angeführt, denn wo für Gott wohl gehörig, nachdem Bruder Heinrich ein gelehrter Mann gewesen." Ferner hieß es, er habe gesagt, zum Predigen bedürfe es nicht der Erlaubnis eines menschlichen Ordinarius, weil geschrieben stehe, Niemand könne Jesum einen Herrn heißen, ohne im heiligen Geist; somit komme es allein auf den Ruf Gottes an; sodann, die Bischöfe seien Diebe, Räuber, Menschenmörder, blinde Leiter, Delhändler und Seelenbetrüger, der Papst sei der Antichrist, und ein sogenannter höherer Priester gelte nicht mehr als ein einfacher;*) Papst und Kaiser verdürben durch ihre Anordnungen das göttliche Geseß und führten die Menschen elendiglich zum finstern Tartarus; die Prälaten grüben das Evangelium Christi in die Erde, er selbst sei der wahre Prälat, der das vergrabene Evangelium wiederheraushole. Ferner habe er gesagt: die göttlichen Gebote seien nicht mit Furcht, sondern mit Liebe zu Gott zu erfüllen; es sei kein Unterschied zwischen Priestern und Laien, wie denn auch Priester, Mönche und Laien mit derselben bürgerlichen und peinlichen Strafe gerichtet werden müßten; ferner: Maria sei nicht so heilig, wie sie jezt gehalten werde, denn in keinem Buche der Schrift werde sie beatissima, die Allerseligste, genannt, vielmehr nur wie Stephanus „voller Gnaden und Stärke"; auch sage man jezt wohl noch zu einem vorzüglichen Manne: „selig ist der Leib der dich getragen“, wenn auch dessen Mutter schlecht gewesen; die Heiligen seien nicht zu ehren und ihre Bilder mit Feuer zu verbrennen; ihnen Wachslichter anzuzünden, sei daher in keiner Weise verdienstlich; Fege

*) Gegen diesen Vorwurf replizierten die Bremer durch Hinweisung auf Johannes den Täufer, welcher auch die nach Gottes Gesez heiligen Pharisäer als Otterngezüchte bezeichnet, und mit dem Zusaße, daß, wer andere Wege und Grund seße denn durch den einigen Christum selig zu werden, wahrhaftig der Antichrist sei.

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feuer und Höllenstrafen seien nicht zu fürchten, da Christus zur Erlösung Aller gekommen; fasten und beten brauche man nicht, da Christus beides für uns gethan; es gebe keinen freien Willen, da Paulus gesagt: „Es liegt nicht an Jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen"; um das Himmelreich brauche man nicht Sorge zu tragen, sondern könne auch in den Todsünden beharren, da ja Christus nicht die Gerechten sondern die Sünder zu erlösen gekommen, und somit das Himmelreich unser sei; überhaupt sei Gott mächtig genug, uns aufs reichlichste auszustatten, und unnötig sei's daher, Schweiß zu vergießen um Nahrung und Kleidung. Im weiteren heißt es, er habe gesagt, die weltliche Obrigkeit der Stadt Bremen stehe über allen geist= lichen Personen in derselben (unter Berufung auf Röm. 13), und alle diese hätten daher die Stadtlasten mitzutragen. Ferner habe er mit Hohn gesprochen von den priesterlichen Weihen, insbesondere an den heiligen Kleidern, Lichtern, Weihwasser und Salz. Ebenso ist es nach ihm eine Fiktion, zu glauben, daß man durch Unterlassung heiliger Handlungen eine Sünde begehen könne; die Gebote Gottes führten die Menschen nicht zum Guten, sondern nur die Liebe; hinsichtlich der Ehehindernisse im 3. und 4. Verwandtschaftsgrade enthalte Gottes Wort nichts, sondern nur die aus Habsucht aufgestellten Menschensaßungen; mit unsern guten Werken gewännen wir das ewige Leben nicht, da es Jes. 63 heiße: „unsre Gerechtigkeit ist wie ein beflecktes Kleid", sondern allein mit dem Glauben; in der Fastenzeit dürfe jeder Christ Fleisch und Milchspeisen genießen, weil das Verbot nur eine Menschenerfindung sei; die Wallfahrten nach St. Jakob seien lächerlich und müßten aufhören; das Meßopfer nüze weder den Lebenden noch den Toten etwas und sei nur eine menschliche Einrichtung, zur Bereicherung der Priester und Mönche ausgedacht; ebenso, es gebe keine Sakramente, als Abendmahl und Buße, und die Laien müßten auch „unter beiderlei Gestalt“ kommunizieren; ein Beichtbekenntnis mit dem Munde sei nicht nötig, die Leute hätten es mit ihrem eignen Gewissen abzumachen und seien dann zu absolvieren (wie Heinrich selber auch thue); und endlich, da es Matth. 17 heiße: dies ist mein lieber Sohn" 2c., so seien Papst, Kardinäle, Bischöfe u. s. w. als Pharisäer und Antichristen zu achten, Christus

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aber allein zu hören, und zwar so weit er Gott, nicht aber so weit er Mensch sei.

Diese Angaben über Heinrichs Predigten gewähren uns einen interessanten Einblick in dieselben, obwohl wir sie nur aus feindlicher Berichterstattung und im Einzelnen wohl bis zur Unkenntlichkeit entstellt überliefert erhalten haben. Würde den Freunden oder ihm selber Gelegenheit geboten sein, hie und da Einsprache zu erheben, so würde Manches anders lauten. So hat Heinrich z. B. sicher nicht gesagt, es gebe keine andern Sakramente als Abendmahl und Buße, und also die Taufe unerwähnt gelassen*); ebenso nicht, er selber sei der wahre Prälat, desgleichen, man brauche nicht mehr für Nahrung und Kleidung zu arbeiten, auch nicht, man könne außer dem Fasten auch das Beten unterlassen, da Christus beides für uns gethan u. s. w. Im Uebrigen aber gewinnt man den Eindruck, daß die feindlichen Spione den Prediger sehr wohl verstanden und seine Meinung im Ganzen richtig dargestellt haben.

Fassen wir's kurz zusammen, so hat Heinrich hiernach einerseits das bestehende Kirchentum angegriffen, und andrerseits neue Behauptungen und positive Forderungen aufgestellt, die, von Uebertreibungen gereinigt, ganz wie bei den anderen Reformatoren lauteten. Hinsichtlich des Ersteren hat er ganz wie Luther den Papst als Antichristen bezeichnet, die Geistlichen aber als Pharisäer, Diebe, Räuber, Seelenmörder u. s. w.; er hat die dem Evangelium feindlichen Anordnungen von Papst und Kaiser verworfen, und für Bremen verlangt, die Klerisei solle der weltlichen Obrigkeit unterthan sein und die Staatslasten mittragen (lezteres eine alte Forderung der Bremer); er hat behauptet, das Evangelium sei bisher in der Erde vergraben gewesen und komme nun wieder zum Vorschein; er hat den Mariencult angegriffen, den Heiligendienst verworfen, gegen die Abgötterei mit den Bildern geeifert, die priesterlichen Weihen für nichtig erklärt, die Fasten, Wallfahrten, Meßopfer**) und kanonischen Ehehinder

*) Luther nimmt in der Schrift von der „Babylonischen Gefangenschaft der Kirche" drei Sakramente an: Abendmahl, Taufe und Buße, und so ist's auch hier wohl gemeint.

**) Hinsichtlich der Verwerfung des Meßopfers vergleiche man die

nisse als eitel Menschenwerk dargestellt. Als positive Forderung und Behauptung hat er dann folgendes gelehrt: zum Predigen komme es weniger auf menschliche Einsehung, als auf den Ruf Gottes an, der Mensch habe keinen freien Willen*), Christi Erlösung befreie uns von Fegfeuer und Hölle (mit andern Worten: es bedürfe keines Ablasses und dergleichen Hülfsleistungen von seiten der Kirche mehr), zur Erlangung des Heils diene allein der Glaube, nicht aber die guten Werke, und zum Guten führe uns nicht Gottes Gesez, sondern allein die Liebe.

Denken wir uns alle diese Säße in klarer theologischer, dabei populärer und von hohem Eifer beseelter Ausführung dargelegt, so erhellt schon daraus, in welch reichhaltiger und mannigfaltiger Weise der kühne Augustinermönch die reformatorischen Principien zu predigen verstand. Auf seine Hörer aber mußte solche Verkündigung einen überwältigenden Eindruck machen, und wir können uns wohl erklären, wie vom ersten Augenblicke an alle Unbefangenen ihm zufielen, die Feinde zur ernstlichsten Gegenwehr sich sammelten, von den in seine Predigten ausgeschickten Spionen mehrere völlig sich bekehrten, die Stadt Bremen aber für die Sache der Reformation gewonnen wurde.

Doch das Lettere konnte erst sehr allmählich und langsam vor sich gehen. Es war vorauszusehen, daß der Klerus von vornherein mit Kraft dagegen auftreten werde, wogegen der Rat der Stadt bei der schwierigen Sachlage nur mit äußerster Vorsicht handeln durfte.

Die nun zunächst folgenden Ereignisse finden in den Chroniken und sonstigen Quellen eine sehr verschiedene Darstellung, namentlich betreffs der Frage, welche Schritte die Feinde gegen ihn eingeschlagen. Das Erste war wohl, daß Heinrich vor das AnsgariiKapitel citiert wurde 17). Hier erschien er und wurde gefragt, warum und auf welche Auktorität er gepredigt habe. Seine Antwort war, er sei aufgefordert, und Gottes Wort sei nicht

oben erwähnten Thesen Heinrichs gegen die Privatmesse, deren erste ganz einfach sagt: „Die Meßfeier ist das Haupt und die Wurzel vom Untergang des Glaubens und der Liebe".

*) Man vergleiche hierbei die oben besprochenen Thesen vom 12. Jan. 1521, welche auch den freien Willen leugnen.

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