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4. Reformatorische Wirkjamkeit in Bremen.

Einer alten Tradition zufolge haben die Bremer sich selber ihren Reformator Heinrich aus Antwerpen geholt.') Bremische Schriftsteller des 17. Jahrhunderts nämlich erzählen, bei jener Katastrophe zu Antwerpen seien mehrere Bürger ihrer Stadt zufällig zur Stelle gewesen, hätten sich an der Befreiung des Mönches beteiligt, ihn dann statt der Augustinerkutte in Raufmannskleider gesteckt und heimlich (wohl zu Schiff) nach Bremen geschickt. Bei den Handelsbeziehungen zwischen beiden Städten wäre das denkbar, aber daß es nicht so gekommen ist, wissen wir gewiß. Im Gegenteil, es hat hernach sowohl Heinrich wie den Bremern sehr am Herzen gelegen, den Feinden gegenüber die völlige Absichtslosigkeit bei seinem Kommen nach der Weserstadt hervorzuheben. In den beiden Briefen, die wir von ihm besißen, betont er's, daß er nach Bremen gekommen, „nichts weniger als in der Meinung dahin berufen zu sein“, 2) und die Bremer erklären später den erzbischöflichen Abgesandten zu Protokoll: „Bruder Heinrich wäre von dem ehrbaren Rate nicht gerufen. Er wäre willens gewesen, aus den Niederlanden nach Wittenberg ins Studium zu reisen. So wäre er von den Bürgern gebeten worden, etliche Sermone allhier zu thun.“ 3) Auch die angelegten Kaufmannskleider erweisen sich als Legende; Heinrich ist (der alten Bremer Chronik zufolge) „in syner Kappen“, also in seiner Augustinerkutte nach seinem neuen Bestimmungsorte gekommen.

Auffallend aber ist es immerhin, daß derselbe überhaupt nach dieser so nördlich gelegenen deutschen Stadt gelangte. Wollte er (wie er selbst und die anderen Zeugnisse sagen) von seiner Heimat aus nur nach Wittenberg, und war seine legte Station dort die Vaterstadt Zütphen, so war die Reise über Bremen ein bedeutender Umweg. Zur Erklärung mag uns dienen, daß der Flüchtling nicht Ursache hatte sich zu beeilen, wohl aber auf seiner þut zu sein. Schon in den Niederlanden zog er anfangs hin und her, bis ihn die Nachstellungen der Statthalterin zu größerer Eile trieben. Dann war's ja seine Absicht, wie wir vernahmen, die Brüder nicht bloß dort, sondern auch in Westfalen“ zu bes

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suchen. So wird er in Deutschland vor allem nach Osnabrück gegangen sein, wo sich ein befreundetes Augustinerkloster befand; hierher ist nämlich ein Brief von ihm aus Bremen (vom 13. Dez. d. J.) gerichtet, und zwar an den Bruder Gerhard Becker daselbst, dem er von allen Erlebnissen genauen Bericht giebt.4) Danach ist anzunehmen, daß er sich eine Zeitlang in Dsnabrück aufgehalten. Die Weiterreise nach Wittenberg ging in östlicher Richtung. Warum Heinrich sich trozdem nördlich wandte und nach Bremen fam, ist wieder nicht recht ersichtlich, da in Bremen fein Kloster seines Ordens zu finden war. Ob ihn auch hierbei die Furcht vor den Verfolgungen der kaiserlichen Tante leitete, die ihn einen Umweg machen ließ, ob ihm die von Antwerpen und von Wittenberg her befannten Nanten in jener Stadt (wir werden davon hören) zur Anziehungskraft wurden, oder was es gewesen: genug, der Augustinermönch entschloß sich, vorerst der weiter abgelegenen Handelsstadt einen Besuch abzustatten, ehe er zum dritten Male nach Wittenberg fam, wo ihn doch Niemand erwartete und wo er nur als ein Geschlagener mit Beschämung einziehen fonnte.

Dieser Entschluß ist für ihn wie für Bremen von entscheidendster Bedeutung geworden. Stand es doch in dieser Stadt so, daß für eine Reform der kirchlichen Verhältnisse viele Gemüter empfänglich waren und es, wie an so vielen Drten, nur einer geeigneten Persönlichkeit bedurfte, um dieselbe herbeizuführen. Eine eingehende Schilderung der damaligen Verhältnisse Bremens würde hier zu weit führen; vieles davon wird uns die weitere Erzählung tlar machen. Aber einige Striche gehören hierher. Die Stadt Bremen gehörte damals noch nicht zur Aurie der Reichsstädte, sondern war firchlich wie politisch Hauptstadt des Erzbistumes oder Stiftes Bremen. Aber als Handelsstadt und Mitglied des Sansebundes hatte sie längst eine selbständige Stellung errungen, und die erzbischöfliche Macht war durch eine große Reihe von Stadtrechten eingeengt, welche man sich bei jeder neuen Wahl eines Landesherrn in den sog. Wahlkapitulationen bestätigen und, wenn's anging, erweitern ließ. Ueberhaupt war die Macht des geistlichen Herrn im Erzbistum feine absolute, indem die verschiedenen Stände, Domkapitel, Prälaten, Ritterschaft und Städte (leştere

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waren außer Bremen noch Stade und Burtehude) ihre Sonderrechte kräftig geltend machten und die Regierung mitführten. Es war ein Bild des deutschen Reiches im Kleinen. Die sog. „Landtage“, welche der Landesherr mit seinen Ständen in dem kleinen, mitten zwischen Weser und Elbe im Erzbistum gelegenen Orte Basdahl abhielt, um die gemeinsamen Angelegenheiten zu beraten, glichen in ihrer Schwerfälligkeit und bei den egoistischen Bestrebungen der Einzelnen nur alszusehr den vom Kaiser gehaltenen Reichstagen. Leichter hatte es der Erzbischof bisher in kirchlichen Dingen gehabt. Ein prinzipieller Widerspruch war nicht hervorgetreten, die religiöse Einmütigkeit bewahrt, nur die kirchlichen Rechte gaben zu Erörterungen zwischen Bischof und Domprobst, zwischen Klosteräbten und Pfarrern Veranlassung. Erst jeßt sollte eine wirklich firchlich-religiöse Frage in den Vordergrund treten und zu völlig neuer Parteistellung führen.

Ein Verlangen nach etwas Neuem und Besserem an Stelle des in Formelwesen erdrückten Christentumes mag fich in Bremen vielfach geregt haben, vor allem feit der Kunde von dem siegreichen Durchbruch der Reformation im Herzen Deutschlands. Zwar hatte 1503 die große Ablaßverfündigung des Kardinals Raimund, wie es scheint, unter Teilnahme der ganzen Bevölkerung stattgefunden und der Stadt viel Geld gekostet. Aber eine weitere derartige Ausbeutung wäre dem praktischen Sinne der Bürger schwerlich willkommen gewesen. Zudem geschah von Seiten des Alerus alles, um sich verhaßt zu machen. Wo waren die treuen und opferfreudigen Geistlichen zur Zeit des Ansgar und Rembertus geblieben? Wo auch nur die weitblickenden und ideenreichen aus den Tagen der Erzbischöfe Gerhard II. und Gieselbert im 13. Jahrhundert? Ein heruntergekommenes, unwissendes und selbstsüchtiges Geschlecht verwaltete die Heiligtümer Christi und suchte sich mit ihrer Hilfe ein möglichst angenehmes Leben zu bereiten. Vor allem überbot der gegenwärtige Erzbischof an Roheit, Streitsucht und unsittlichem Lebenswandel alle seine Vorgänger. Es war Christoph von Braunschweig, 1509 erwählt, aus altem, gutem Stamme, aber wenig auf der Höhe eines edlen Fürstengeschlechtes beharrend. Sein Bruder war jener Herzog Heinrich von Braun

. (chweig-Wolfenbüttel, der in der Reformationsgeschichte als „Heinz

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von Wolfenbüttel“ fich eine traurige Berühmtheit erworben hat. Ihm glich der Erzbischof in vielen Punkten. Sein ganzes Regiment bestand in Kriegführung gegen seine Nachbarn, Streitigfeiten mit den Ständen seines Stiftes und dem eigenen Klerus, in rohen, unsittlichen Handlungen und in einem grausamen, aber erfolglosen Ringen gegen die Reformation. Wie mußte sich der wohlgesinnte Bürger von einem solchen Airchenoberen und den ihm mehr oder minder gleichenden übrigen Geistlichen abgestoßen fühlen und nach Reform verlangen! Es ist in der Hinsicht in= teressant, zu sehen wie früh man sich von Bremen aus nach Wittenberg wandte. Seit 1508, dem Jahre, da sowohl Luther wie Heinrich von Zütphen an dieser neuen Universität erschienen, führt uns das Wittenberger Universitätsalbum auch Namen von Bremer Studierenden vor Augen, deren Inhaber den angesehensten Familien ihrer Stadt angehörten. Die Namen Trupe, sich, Hoyer sind davon für uns die wichtigsten,' weil sie in der Geschichte Heinrichs noch vorkommen. Nach Einführung der Reformation war dieser Zuzug dorthin natürlich weit stärker, aber es ist interessant genug, daß auch vorher schon eine Reihe von Bürgern dort gewesen war. Diese werden dazu beigetragen haben, daß man von Luthers Thaten und allen reformatorischen Fragen in Bremen genau Bescheid wußte, und daß der Boden für Heinrichs Wirken bereit war.

Als dieser also zu Anfang November5) durch das alte Brückenthor in die Stadt fam und, weil kein Augustinerkloster hier war, die anderen Klöster ihm aber feindlich gesinnt sein mochten, in der Herberge zum Strauße“, bei dem Besißer Martin Hemelingh am Marktplaße sich einquartierte, da war auch bald die Sache eingeleitet. Ohne Zweifel hat er die ihm bekannten Bürger aufgesucht und ihnen von seinen Erlebnissen erzählt. Diese berichteten anderen davon, und rasch entstand in einem Kreise von Männern der Wunsch, den fremden Mönch hier einmal predigen zu lassen und vielleicht gar an Bremen zu fesseln. Der Wunsch ward ihm alsbald vorgetragen, und von Heinrich keiness wegs abgewiesen.) Als Ort dieser Predigt hatte man eine Rapelle der St. Ansgarii - Kirche ins Auge gefaßt, teils weil jene Männer mehr oder minder alle diesem Kirchspiele angehörten, teils weil

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hier am wenigsten Hinderung von feiten der Geistlichkeit gefürchtet zu werden brauchte; hatte doch über die Ansgarii - Nirche, die selber eine sogenannte Kapitelskirche bildete, der Dompropst keine Macht, und konnten doch die Kirchspielsglieder altem Herkommen gemäß einen durchreisenden Redner zu hören wünschen.) Die Namen der Männer, welche Heinrich dazu veranlaßten, hatten einen guten Klang; es gehörten zu ihnen der Ratsherr Hinrich Erich, der Weltermann Eberhard Spedhan, ein Schwiegersohn des Bürgermeisters Meimar von Borcken, dazu noch andre Vertreter des Handelsstandes.s) Unter diesen waren jener Ratsherr Esich und Arend Wittelohe zugleich „Bauherren“ an jener Kirche. Heinrich konnte unbedenklich auf ihre Forderung eingehen. Dennoch begehrte er die Erlaubnis, zwar nicht des AnsgariiKapitels, die ihm zweifelsohne nicht gewährt worden wäre, sondern des Stadtrates, um sicher zu gehen; diese ward ihm auch alsbald zu teil. Am Sonntag vor Martini, den 9. November 1522, durfte die Predigt gehalten werden.

Die erwähnte Kapelle, an der Südseite jener Kirche gelegen, ist nicht grade groß zu nennen. Dennoch bot sie Raum genug, nicht bloß für den erwähnten Kreis von Freunden, sondern auch für viele andere, die herzukamen, den vielgeprüften „Bruder“, von dem man ihnen so mancherlei erzählt, zu sehen und zu hören. Nach einer späteren Schilderung war ein so großer Zulauf, „daß die Leute mit Leitern an das Dach der Kirchen gestiegen sein.“ 3) Der Eindruck der Predigt war ein allgemein günstiger. Große Begeisterung für den Bruder regte sich, man hegte nur den einen Wunsch, ihn behalten zu fönnen. Heinrich war dazu bereit, begehrte aber noch die Erlaubnis seines Ordensoberen und wandte sich daher durch ein Schreiben nach Wittenberg an Luther, ihm dieselbe bei Wenzelaus Link zu erwirken. Luther konnte denfelben nicht so schnell erreichen und, da ihn lint während seiner Abwesenheit mit den nötigen Ordenssachen zu betrauen pflegte, erteilte er vorläufig im Namen des Oberen die erbetene Erlaubnis unter dem Siegel des Wittenberger Priors, wie er hernach an Link meldet.10) Ihm war sofort die Wichtigkeit der Sache klar, und so wünschte er nicht den geringsten Verzug zu bereiten. Troß dieser Beschleunigung glaubte aber Heinrich, nicht so lange

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