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denklichsten Ausschreitungen zu bewahren. Die Sache der Refor= mation schien an ihrem Hauptorte in ein zielloses revolutionäres Treiben auszuarten und damit verloren zu sein. Denn schon forderte das Reichsregiment den völlig ratlosen Kurfürsten auf, ruit Gewalt einzuschreiten (20. Januar 1522). Da erschien Luther wieder von der Wartburg und ergriff mit fester Hand die Zügel des durchgegangenen Renners. Am 6. März traf er in Wittenberg ein, und nach acht Tagen war es ihm gelungen, durch seine täglichen kräftigen Ansprachen die Ruhe wieder herzustellen und der Störenfriede Herr zu werden. Die Elbstadt wurde damit vor dem späteren Schicksale Münsters bewahrt, die Reformation aber war gerettet und wieder in ihr richtiges Bette geleitet.

Es ist leicht ersichtlich, daß in dieser Gährungszeit die vorhin erwähnten Thesen Heinrichs vom Hohepriestertume Christi wohl entstehen konnten und an manche vielerörterte Frage anknüpften. Noch viel tiefer aber darin gewurzelt erscheint eine andere Thesenreihe, die auch seinen Namen trägt und um diese Zeit entstanden ist. Wir meinen die sog. „Thesen wider die Privatmesse" (Positiones contra missam privatam), eine lange Reihe von 73 Säßen.12) Dieselben drücken mit scharfer Bestimmtheit den damaligen Widerspruch aus. Es heißt in ihnen u. A.: durch Einführung der Privatmesse sei der christliche Gottesdienst ruiniert, das äußerliche Wesen in den Vordergrund getreten und das Wort verloren gegangen; auf diesem Grunde habe sich das Papsttum breitgemacht und zahllose unchristliche Anordnungen geschaffen; ferner: in der Privatmesse werde das Abendmahl für die Gemeinde genommen, während es grade zur Herstellung der Gemeinschaft der Gläubigen dienen sollte*); darum sei nötig, gegen dieselbe aufzutreten, wie Jesus auftrat gegen den Misbrauch an heiliger Stätte und Paulus gegen den heuchelnden Petrus; vor allem müsse es als ein unerhörtes Verbrechen bezeichnet

*) Wir hören hier sogar den bedenklichen Saz: „Neque enim ut tu communices Christo per fidem solum, quam ut tu per charitatem communices proximo, videtur haec communio instituta“ (,,denn nicht, damit du dich durch den Glauben allein mit Christo, sondern daß du dich durch die Liebe mit deinem Nächsten vereinigst, scheint diese Communion eingeseht zu sein.")

werden, daß man die von Christus eingesezte zwiefache Gestalt des Abendmahls angetastet habe u. s. w. Zum Schlusse heißt's dann aber in beachtenswerter Weise: „Wir bitten aber, um der Liebe Christi willen, daß hierzu das Votum (,calculus“) Bruder Martins hinzukomme, ehe etwas für oder wider uns beschlossen werde."

Daß diese Säße wirklich von Bruder Heinrich stammen, beruht auf dem Zeugnis von Georg Spalatin, welcher dessen Namen darüber gesezt hat. Freilich hat derselbe auch darüber geschrieben: „Der Augustiner zu Wittenberg Positiones von der Meß 1521.“ Darnach scheint es, daß Heinrich dieselben nicht aus eignem Antriebe und zu seinem Gebrauche, sondern im Auftrage seiner Klosterbrüder niedergeschrieben. Und das ist auch wohl denkbar. Allerdings hat man mit Recht bemerkt 13), daß diese Säße durchaus nicht so klar und in sich abgerundet seien, wie die anderen von ihm überlieferten Thesen, und daher eher den Geist eines Gabriel Didymus als eines Heinrich von Zütphen atmeten. Allein es handelte sich hier auch nicht um festgeprägte Thesen zur Erlangung eines akademischen Grades, sondern um eine Zusammenfassung der Meinungen der wittenberger Augustinermönche. Heinrichs Feder mochte dazu von besonderem Geschick sein. Auch finden wir bei allem Nachdruck der Behauptungen doch keine Extravaganzen in dem Ganzen, vielmehr klingt der am Schlusse laut werdende Wunsch, man möge erst auf Luthers Wort warten, wie ein Protest gegen die Ueberstürzungen der Tumultanten und ist dem Sinne Heinrichs völlig entsprechend. Es war denn auch wie eine Antwort hierauf, wenn Luther grade im November dieses Jahres (1521) eine Abhandlung über die Messe (in lateinischer und später auch in deutscher Sprache) veröffentlichte und den Augustinern zu Wittenberg widmete. Hierin erklärt sich der Reformator mit der Aenderung der bisherigen Praxis einverstanden, warnt aber vor allen Uebereilungen. 14)

Im Uebrigen aber beschäftigte sich Bruder Heinrich durchaus nicht bloß mit solchen aus der Zeitbewegung entstandenen Studien. Es liegen treffliche Zeugnisse über sein ernstes Studieren in den verschiedensten Fächern, sowie über musterhaftes Verhalten vor. So sagt Wenzeslaus Link von ihm hernach (1525) mit Bezug

auf diese wittenberger Zeit: „Darinnen wir ihm ein gutes Zeugnis seines fleißigen Studierens und ehrbaren Lebens vor Gott und den Menschen geben mögen. Dieweil ihn nun der Gott aller Barmherzigkeit durch seine Gnade von der Finsternis der heidnischen Philosophie und Sophisterei (befreit), darin er nicht der geringsten, sondern der vornehmsten einer gewesen, also daß er die Subtilitäten der Logika und anderer Schulkünfte als ein Magister fast wohl konnte und nach der hohen Schulen papistischer Larven der heiligen Schrift Lizentiat war“ u. s. w.15) Noch viel auszeichnender klingt was Melanchthon von ihm sagt. Dieser rühmt seine hohen geistigen Fähigkeiten, seinen Eifer, seine Liebe zu Christo, seinen exemplarischen Wandel; er bemerkt, daß Heinrich studiert habe was Griechenland über die „Natur“ geschrieben und insbesondere, daß er sich mit der Astronomie beschäftigt. Das Schönste aber ist, daß Melanchthon eine herzliche Zuneigung zu dem ihm im Alter nahestehenden Augustiner gefaßt hatte. 16) Alles das giebt uns ein vorteilhaftes Bild von Heinrichs wittenberger Leben. Wir sehen, wie er hier troß aller aufregenden und zerstreuenden Ereignisse mit Ernst seiner Hauptaufgabe nachging, und, wenn er auch an den lebhaft verhandelten Tagesfragen nicht wenig beteiligt war, doch sich von anderen Gegenständen dadurch nicht abziehen ließ, sondern mit hochstrebenden Geistern einen fördernden Verkehr unterhielt.

Im Sommer 1522 aber sollte dieser wittenberger Aufenthalt ein rasches Ende finden. Wir wissen nicht, welche Lebenspläne dem eifrigen Mönche vorgeschwebt. Daß er nach völliger Aneignung der evangelischen Wahrheit sich wieder seiner Heimat zuwenden und ihr seine Kräfte widmen wollte, darf man wohl annehmen, und eben jezt, da seine Ausbildung einen gewissen Abschluß gewonnen, mochte er wieder nach ihr seine Blicke richten. Da kam denn auch plößlich ein Ruf dorthin, zwar nicht von Außen, sondern von Innen. Zu Pfingsten 1522, so erzählt uns Link in dem eben angeführten Brief hielten die Augustiner ein „Kapitel“ zu Grimma, bei welchem Heinrich den Vortrag hatte. Bei der Rückkehr nach Wittenberg traf ihn die Kunde, daß zu Antwerpen über die Augustinerbrüder und andere fromme Christen Verfolgungen ausgebrochen seien. Die Kunde regte ihn stark auf

und schien ihm ein bestimmter Ruf zu sein.17) War Probst den Brüdern genommen, er fühlte nun Mut und Kraft genug, an seine Stelle zu treten. Lange genug war studiert, jezt konnte gewirkt werden zum Heil für Andere, sollte es auch dabei in den Tod gehen.*)

So verließ er Wittenberg etwa im Anfang Juni 1522, um seinem Vaterlande als Reformator zu dienen. Er ahnte nicht, daß er nicht dorthin, sondern an einen ganz anderen Schauplah berufen war.

3. Die Katastrophe zu Antwerpen.

In den Niederlanden sah es damals in der That bedenklich mit dem Evangelium aus. So sehr das Volk in seinem freiheitsempfänglichen Sinne der neuen Lehre geneigt war und ihre Verfündiger mit Freuden aufnahm, so wenig war die Regierung gesonnen, diese im Lande zu dulden. Das Wormser Edikt vom 8. Mai 1521, im Reiche von geringer Wirkung, konnte hier zur Durchführung gelangen und wurde durch neue Edikte verschärft. In Brüssel wurde ein Inquisitionstribunal errichtet, an dessen Spitze der Ratsherr von der Hulst und der Carmelitermönch Nikolaus von Egmond standen, und von da aus eine strenge Verfolgung über das ganze Land organisiert. Für den abwesenden Fürsten, den Kaiser Kail V., führte damals das Regiment als Statthalterin dessen Tante Margarete, die Witwe des Herzogs Philibert von Savoyen. Ihre Regierung wird im Ganzen als trefflich gerühmt, doch besaß sie kein Verständnis für die tieferen Bedürfnisse des Volkes und stand außerdem im Rufe großer Habsucht. Unter ihr wurden alle evangelischen Regungen mit Ernst bekämpft. Vor allem sah sich eben jezt die blühende

*) Link schreibt: „Dann als er nach dem capitel, so wir zu Grimm im 1522. Jare in Pfingsten hielten, da er auch die Disputacion hielt, gen Wittenberg kam, und alda erfur, wie die Augustiner. Brüder zu Handtwerp vil verfolgunge duldeten deß evangelii halben mitsampt andern frommen christen 2c., da hatte sein geist nit ruwe, machet sich auff und zog hinab, die betrübten verlassenen christen zu trösten.“

Handelsstadt Antwerpen davon betroffen. Am 13. Juli 1521 verbrannte man hier öffentlich Luthers Schriften und ließ den Rektor Nikolaus von Hertogenbusch als Lutheraner gefangen nach Brüssel schleppen, um damit die vom Evangelium angeregte Bevölkerung zu schrecken. Der Augustinerprior Jakob Probst befand sich grade zu der Zeit in Wittenberg (s. oben). Als er hernach zurückkehrte, traf ihn, wie bereits erwähnt, am 5. Dezember dasselbe Geschick. Er leistete zwar im Schrecken vor dem Scheiterhaufen am 9. Februar 1522 den geforderten Widerruf, fiel dann aber bald voll bitterer Reue wieder ab und entzog sich der fürchterlichen Rache nur durch eine Flucht aus dem Lande. Nun schritt man in Antwerpen zu einer neuen Verbrennung von Luthers Schriften (Frühjahr 1522), auch wurde der Stadtsekretär Cornelius Graphëus wegen seiner Uebersehung eines Buches des Vorreformators Johann von Goch eingekerkert und zum Verlust von Gütern, Amt und Freiheit verurteilt. Troßdem hören wir von einer immer stärkeren Verbreitung der Lehren Luthers in dieser Stadt wie im ganzen Lande, was dann freilich auch die grausamen Maßregeln der Gegner verstärkte. Das Antwerpener Augustinerkloster galt bald. als der Hauptansteckungsheerd. Im Juni 1522 ward eine Glaubensuntersuchung für dasselbe angeordnet. Man schleppte die Mönche nach Vilvoorden und ließ sie dann in der Liebfrauenkirche zu Antwerpen sich von ihrer Keßerei reinigen. Drei von ihnen verweigerten das. Es waren Hendrik Voes, Johann von Essen und Lambert von Thorn. Sie wurden nach Brüssel übergeführt, wo die beiden Ersteren ein Jahr später ihren Glauben im Flammentode bekannten (Juli 1523) und dafür von Luther in einem begeisterten Liede gefeiert wurden. Des Dritten Ausgang entzieht sich der Kunde, er scheint heimlich beseitigt zu sein.

In dieser traurigen Zeit des Sommers 1522 fam Bruder Heinrich nach den Niederlanden. Es wird nicht berichtet, ob er zuerst sein vor zwei Jahren verlassenes Kloster zu Dordrecht aufgesucht habe, aber es mag immerhin sein, daß er hier die Bekannten gegrüßt und nach dem Stande der evangelischen Sache sich umgesehen. Viel wichtiger indessen erschien ihm jezt Antwerpen, wo sein Freund Probst beseitigt und alles Evangelische unterdrückt war und wo doch, das wußte er genau, ungezählte Herzen

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