Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

dekanate des Professora

[ocr errors]

Mit Luther war er persönlich befreundet, welcher auch ihn in seinen Briefen von der Wartburg grüßen ließ und selber an ihn schrieb. Nach Erlangung des erwähnten akademischen Grades ging Probst wieder in die Heimat zurück. Heinrich eiferte ihm nach. Aus der erwähnten Wittenberger Urkundensammlung erfahren wir nämlich, daß am 11. October 1521 „unter dem Sommer

Andreas Carlstadt der Bruder Heinrich von Zütphen nach dem Frühmahle, unter dem Präsidenten Feld» tirch pro sentenciis" disputiert hat und befördert werden ist.") Auch diesmal hatte er Thesen aufzustellen und zu verteidigen, aber dieselben scheinen nicht mehr erhalten zu sein (obwohl wir sonst noch zweierlei Thesenreihen von seiner Hand besigen). Heinrich war damit ,Baccalaureus pro Sententiis“ (auch Baccalaureus formatus oder Sententiarius genannt), d. h. er hatte nun, nach mittelalterlicher akademischer Ordnung, das Recht, über das Sentenzenbuch des Petrus Lombardus, das beliebte Lehrbuch der alten Scholastit, zu lesen. Gegenwärtig hatte diese Stufe in Wittenberg wohl nur noch eine formale Bedeutung, der Inhaber strebte rasch darüber hinaus. Auch Heinrich muß in einem der nächsten Monate die wirkliche Licentiatur und damit das volle Recht, Theologie zu lehren, gewonnen haben.") Fehlt uns für die Zeit dieses Ereignisses auch der urkundliche Nachweis, so ist die That. sache sicher beglaubigt, und ohne allen Zweifel gehört es hierher, wenn (in einem datumslosen Aktenstücke) als Ueberschrift steht, daß „unter dem Herrn Johannes Dölsch, Doctor der Theologie, der Bruder Heinrich von Zütphen, Baccalaureus pro sentenciis, am 6. Tage in der ersten Stunde über die folgenden Conclusionen disputieren“ werde.10)

Die daran fich reihenden „Conclusionen“ oder Thesen verdienen wiederum unsre Aufmertsamkeit in hohem Grade. Ihr Gegenstand ist Christi Hohepriestertum. Dasselbe aber wird nicht bloß biblisch und dogmatisch erörtert, sondern auch diesmal greift der Verfasser dabei in's volle Leben damaliger Zeitgedanken. „Unter dem Gefeße“, so wird in ihnen behauptet, d. h. in der Zeit des Alten Bundes, habe es hohe und niedere Priester ges geben, welche für das Volf Gaben und Opfer darbringen mußten, aber „unter dem Evangelium“ gebe es gar keine niederen Priester

11

mehr und nur einen einzigen Hohenpriester, Christus; dieser habe seinen Leib als Opfer dargebracht und mache dieses Opfer noch immer geltend, also daß es eines andern Opfers und Priesters in Ewigkeit nicht bedürfe. Weiter heißt es dann: wohl fönne man in allgemeinerem Sinne jeden Christen einen Priester nennen, insofern er nämlich durch seine Leiden erfülle, was in seinem Fleische an dem Leiden Christi noch fehle (nach Col. 1, 24), aber irrig sei die Meinung, daß Christus sein Mahl als ein neues Opfer und dazu ein neues Priestertum eingeseßt habe. Dieses Mahl sei vielmehr weiter nichts als ein Zeichen des Glaubens und der Liebe", nämlich damit wir durch dasselbe im Glauben befestigt und zu neuer Liebe entflammt würden; auch solle es von Seiten der ganzen Gemeinde verwaltet werden, insonderheit aber sei es den „Diafonen" aufzutragen, während die „Bischöfe" das Wort (die Predigt) zu besorgen hätten.

Man sieht, Heinrich faßt mit diesen Thesen der römischen Lehre von Priestertum und Meßopfer an die Wurzel. Obgleich wir im Neuen Bunde leben, sieht er darin das alttestamentliche Opferwesen und Priestertum wieder aufgerichtet und die Lehren der Apostel beseitigt. Er gründet sich dabei vor allem auf die Epistel an die Hebräer, welche ja mit so großem Nachdrucke das alleinige Opfer und Priestertum Christi betont und die alttestamentliche Auffassung als einen überwundenen Standpunkt darlegt. Auch hierin steht unser Augustiner ganz auf der Angriffslinie der Reformatoren. Viele ähnliche Gedanken hatte Luther 1520 in seiner Schrift von der „Babylonischen GefangenSchaft“ ausgesprochen. Aber auch diesmal erscheint Heinrich in feinen Thesen eigenartig und selbständig. Vor allem darin, daß er das Abendmahl als ein „Zeichen des Glaubens und der Liebe“ auffaßt und es den Diakonen, im Gegensaß zu den Bischöfen, zum Austeilen überträgt. Man könnte darin zwinglische Gedanken finden, aber bekanntlich traten solche dogmatische Differenzen zwischen Wittenberg und Zürich erst einige Jahre später hervor. Eher ließe sich denken, daß der Professor Carlstadt, mit welchem Heinrich gewiß in vielfache Berührung fam, durch seine später bekannt gewordene und der zwinglischen verwandte Abendmahlslehre auf unsern Theologen eingewirkt habe. Doch wir meinen, daß der etwa 33 jährige Mann wohl durch selbständiges Forschen auf diese Gedanken gekommen sein fann. Auch steht der Ausdruck, das Abendmahl sei ein Zeichen des Glaubens und der Liebe, wohl mehr als Gegensaß zur römischen Lehre vom

, Dpfer da, denn daß er als feste Sakramentstheorie gefaßt werden dürfte. Aehnlich bewegte sich ja Luther anfänglich in allgemeineren Ausdrücken über die Saframente, ehe er zu seiner schärferen Fassung gelangte. Ebenso wird man auf die Unterscheidung von Bischöfen und Diakonen nicht allzu großen Nachdruc legen dürfen. Heinrich stüßte sich dabei wohl auf die von ihm eigenartig aufgefaßte Stelle Apostelgesch. 6, nach welcher die neuerwählten Diafonen zu Tische zu dienen (d. h. nach sonstiger Auffassung: den Armen Brot zu reichen, nach Heinrich: das Abendmahl zu Spenden) hatten, während die Apostel predigen sollten. Auch hierbei galt's ihm vor allem, der römischen Praxis zu widerSprechen, nach welcher die höheren Geistlichen sich um die Predigt des Evangeliums garnicht fümmerten, nicht aber einer Ausgestaltung in der neuen evangelischen Kirchengemeinschaft vorzugreifen. Endlich ist noch bemerkenswert, daß Heinrich hier auch von dem priesterlichen Thun und Leiden eines jeglichen Christen redet; es ist, als ob ihm dabei sein späteres Geschick vorschwebe.10) In der That mußte bei den damaligen Konstellationen in Kirche und Staat jeder ausgesprochen evangelische Christ sich auf Alles gefaßt machen. Wurde doch eben jeßt Jakob Probst, vor furzem nach Antwerpen zurückgekehrt, daselbst von der Inquisition ereilt. Am 5. Dezember 1521 schleppte man ihn gefangen nach Brüssel, wo er nur durch einen schmählichen Widerruf dem sicheren Flammentode entging. Grade in Heinrichs Vaterlande sahen die Dinge trübe und niederschlagend aus. Wollte er je wieder dahin zurück, und das mußte doch seine Absidit sein, so hatte er sich auf das Schlimmste gefaßt zu machen. Wohl mochte er bei seinen Thesen daran denken.

Wie sehr aber auch sonst diese Thesen nicht abstrakte Studierstubenpflanzen waren, sondern mit den realen Verhältnissen des Lebens im Zusammenhang standen, muß uns ein Blid auf die damaligen Ereignisse zu Wittenberg zeigen. Bekanntlich nahmen hier während Luthers Abwesenheit die reformatorischen Bewegungen eine gewaltsame und teilweise bedenkliche Wendung. Es fehlte die beruhigende, klare und mächtige Persönlichkeit des Reformators. Kleinere Geister hatten sich seiner Ideen bemächtigt und wurden von ihnen zu allerlei Extravaganzen fortgerissen. Es begann mit einer Agitation für die Priesterehe. Luther hatte diese bereits gefordert. Der Probst Feldkirch zu Remberg und andre vermählten sich jeßt, und Professor Carlstadt, Archidiafonus an der Wittenberger Stiftskirche, hielt dann eine Disputation wider die Ehelosigkeit der Mönche (19. Juni 1521). Luther sah sich dadurch auf der Wartburg veranlaßt, über diesen Punkt in maßvoller und evangelischer Weise seine Meinung kundzugeben (9. Sept.). Hierauf brach im Augustinerkloster selber eine weitere Bewegung aus, man fühlte sich beengt durch die erzwungenen Gelübde und die falschen Gottesdienste und wollte die von Luther proklamierten Grundfäße ins Praktische überseßen. An der Spiße der Tumultuantenstand der aufgeregte Klosterbruder Gabriel Didymus (Zwilling), neben ihm vorzüglich die Brüder aus den Niederlanden. Den legteren scheint Heinrich nicht angehört zu haben; es stimmt das nicht zu seinem sonstigen Verhalten, welches bei allem Eifer doch immer ein maßvolles blieb. Er folgte den Neuerern nicht in ihrem Vorgehen. Denn anfangs November traten 13 Mönche auf tumultuarische Weise aus und ins bürgerliche Leben zurück. Ein Aehnliches geschah bald darauf zu Erfurt. Pengstliche Gemüter konnten dabei bange werden. Luther sah es ruhiger an. Er verfaßte damals eine lateinische Schrift über die Gelübde, welche die Lösung erzwungener Gelübde billigte. Die Schrift erschieit aber erst im Februar im Druck.

Bis dahin hatten die Brüder, von seiner Zustimmung unterrichtet, bereits Weiteres unternommen. Um Epiphanias 1522 hielt man einen Ordenskonvent der meißnischen und thüringischen Augustinerklöster zu Wittenberg. Staupiß war damals zurückgetreten, er begriff die Bewegung nicht mehr und suchte in der alten Kirche Frieden. Sein Nachfolger Wenzeslaus Link stand entsdieden auf Luthers Seite. So fam es, daß dieser Konvent ganz reformatorische Bea (chlüsse faßte: keinem Bruder sollte der Austritt verboten sein, wer aber in den Klöstern bliebe, sollte sich mit Studieren, Unterrichtgeben oder leiblicher Arbeit zur þülfe Anderer beschäftigen.

Damit war das Mönchaleben an seiner Wurzel untergraben und mußte, wo die neue Lehre hindrang, früher oder später zusammenstürzen, zumal man in unruhiger Eile diese Beschlüsse an einzelnen Orten gewaltsam durchzuseßen suchte.

Aber noch weiter ging die Bewegung. Carlstadt und Didymus, Sie unruhigsten Treiber, richteten ihr Augenmerk auf den Kultus. Kuhig hatte man bis dahin die alte Abendmahlspraxis fortbestehen lassen, obwohl Luther längst den Laienfelch gefordert und die Privat- und Winkelmessen verworfen hatte. Jegt stellte Carlstadt Thesen auf, welche aussprachen, daß wer den Kelch fich nicht reichen lasse, sündige, Zwilling aber eiferte gegen die Privatmessen und gegen die Opferlehre. Ende September teilte man sodann das Abendmahl in der Pfarrkirche unter beiderlei Gestalt aus. Luther billigte auch dies Vorgehen, während Kurfürst Friedrich, den man um Abschaffung der römischen Messe in seinen Landen anging, sid, ablehnend dazu verhielt. Die Neuerer gerieten in immer heftigere Bewegung. Es kam vor, daß Bürger und Studenten die Priester beschimpften und drohende Reden ausstießen. Luthers vorübergehende Anwesenheit in Wittenberg (Anfang Dezember 1521) richtete dagegen ebenso wenig aus, als feine am 19. Januar 1522 erschienene Schrift: „Eine treue Vermahnung zu allen Christen, sich zu hüten vor Aufruhr und Empörung.“ Im Augustinerkloster begann man bereits, Heiligenbilder abzureißen und zu verbrennen, und in andern Kirchen wurde dein Beispiele gefolgt; Zwilling legte sein Meßgewand ab; Rat und Universität berieten über die Verwendung von Meßstiftungen und anderen firchlichen Geldern; Beichte und Fasten wurden beanstandet, Kindern von 10 und 11 Jahren reichte man das heilige Mahl u. f. w. Um die Verwirrung vol zu machen, tamen ums Ende des Jahres (1521) die sog. Zwickauer Propheten, Nikolaus Storch, Markus Stübner und ein dritter, deren Lehren Carlstadt und Zwilling als schwadie Anfänger erscheinen ließen. Denn dieselben rühmten sich unmittelbarer Offenbarungen, vers warfen die Rindertaufe, eiferten wider alles Kirchenwesen und wollten statt der Bibel mur vom „Geiste“ wissen. Wiedertäuferische und sozialistische Grundfäße wurden laut. Niemand vermochte die aufgeregte Menge der Bürger und Studenten vor den be

[ocr errors]
« ZurückWeiter »