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Iwidie nährt, Menschen duldee,

Thursen erwarten, Walküren trachten *).

Allvater (Alfödr), der über Alles erhabene Erschaffer, der auch über Ragnarökr steht (Völuspa 63, Gylfaginning 3, Simrock Hdb. 2. A. 151), wird hier waltend, also das, was geschehen soll, geschehen machend, vorangestellt. Nach ihm kommen die verschiedenen Wesen des altnordischen Glaubens angeführt, wie sie sich beim Eintreten des zu erwartenden Ereignisses verhalten werden, nicht wie sie sich bei dem gewöhnlichen Gang der Dinge zu verhalten pflegen, denn schon das Thursen erwarten" bezeichnet etwas Zukünftiges. Es ist dies ein Ausspruch in prophetischer Form über Ereignisse gegeben, welche auch nicht jetzt beginnen, wie mehrfach angenommen wird, sondern dereinst kommen sollen. An diese künftigen Ereignisse zu erinnern gibt Veranlassung, was in den folgenden Strophen dieses Liedes und in der Vegtamskwidha erzählt wird.

Lüning Edda 517 deutet elr ividja Iwidie nährt, durch ividja Riesin, worunter die Alte im Eisenwalde (Völ. 32), eine von den iárnviðjur (Sn. Edda 8), zu verstehen wäre. „Sie nährt, d. h. sie zieht ihre Brut groß; die Ungethüme, welche den Weltuntergang bereiten werden, erstarken, weil unheilvolle Zeichen verkünden, daß die Zeit des Untergangs näher kommt". Diese Auslegung hat viel für sich und scheint. auch das Richtige anzugeben, doch könnte nach dem Ausspruch der vierten, von der nach Str. 1 in die Vegtamskwidha eingeschaltenen Strophen, wenn diese, wie wahrscheinlich, auch nicht älter als Hrafnagaldr selbst sind, nämlich nach dem:

"

Allvater (hier Odhin) achtete das ungenügend,
Verschwunden schienen ihm die Schutzgeister all“,

auch an die Waldgeister oder die Waldweibchen gedacht werden, welche Grimm (DM. 451) von ividr Wald, das Völuspa 15 vorkommt, ableitet. Er sagt, die Waldweibchen erscheinen, wenn die Leute Brod backen und bitten, ihnen auch einen Laib zu backen. Das Brod erstatten sie hernach zurück oder sie bringen auch von ihrem eigenen Gebäck, das sie den Ackerleuten in die Furche oder auf den Pflug legen. Hienach könnte das Iwidie nährt nach dem Sinn des oben angeführten Ausspruchs auch auf eine Zeit der Noth, während des erwarteten dreijährigen Winters, hinweisen sollen, wo in dieser Beziehung

*) Thrâ valkyrjur. Lüning meint, thrâ sei durch trotzen besser gegeben. Thra, pl. thrar, Sehnsucht, Kummer, ist vielleicht als Verbum durch harren entsprechender ausgedrückt.

nur die Hilfe guter Geister zu hoffen wäre, denen man sich vertrauend erwiesen hätte.

Str. 2. Die Asen ahnten übles Verhängniss,

Verwirrt von widriger Wesen Zeichen.
Urda sollte Odhrörir bewachen,

Wenn sie der Menge des Volks vermöchte zu wehren. Die Asen ahnten übles Verhängniss durch die Erscheinungen, welche in der Folge näher angegeben werden, verwirrt namentlich durch das anscheinlich absichtliche Aufhören der gewohnten Thätigkeit widriger Wesen (der Zwerge), mit anderen Worten durch das Stocken der Naturkräfte. Als Wesen widrig auch den Asen erkennen wir die Zwerge in den Alvismâl. Urda sollte Odhrörir bewachen, den Kessel, der den Meth der Dichtung und Weisheit enthält. Hier könnte Odbrörir auch den Urdabrunnen bedeuten, von dem die Verjüngung der ganzen Welt ausgeht (Lüning Edda 512). Übrigens kommen aus dem Urdabrunnen auch vielwissende Frauen (Völ. 19) und insofern passt die älteste Norne als Hüterin des Kessels Odhrörir, wiewohl nach Str. 11 hier unter Urda die Idun zu verstehen ist. Die vierte Zeile der zweiten Strophe, wo die Menge des Volks als der gefährliche Feind Odhrörirs angegeben ist, führt auf den Gedanken, daß hier unter Iduns Hut mit Urdas Namen die Verjüngungskräfte des geistigen und physischen Lebens gemeint sind; denn wenn auf einer Seite Urdasbrunnen nahe liegt, weist Odhrörir oder der Behälter des Meths der Dichtung und Weisheit auf den Mythus hin, nach welchem die Vanen, die sonst. auch als Volk bezeichnet werden, das man Vanen nennt", Ansprüche auf den Inhalt Odhrörirs haben (Sn. Edda Bragarödur 57), und wahrscheinlich unter dem Volk gemeint sind.

Str. 3. Auf hub sich Hugin den Himmel zu suchen,
Unheil fürchteten die Asen, verweil er.

Thrains Ausspruch ist schwerer Traum,

Dunkler Traum ist Dains Ausspruch,

Von dieser Strophe leitet Ubland (Th. 127) den Namen des Liedes Rabenzauber ab. Raben ließ man, vor dem Gebrauche des Magnets, vom Schiffe auffliegen, um die Nähe des Landes zu erforschen. Sagenhaft werden auch sonst Raben auf Botschaft ausgeschickt. Rabenzauber hieß nun wohl die Beschwörungsformel, wodurch diese Vögel zu solchem Dienst geweiht wurden, und dann auch die Rabensendung überhaupt, womit sich der Name des Liedes erklärt." Er setzt dabei einen dem Lied fehlenden Theil voraus, der das Ergebniss des Rabenflugs und die endliche Erlösung Iduns darstellen soll, da der Name Raben

"

zauber durch den sonstigen Inhalt des Liedes nicht gerechtfertigt wäre. Simrock meint, der Rabe sei zurückgekehrt und habe eben von den Zwergen den Ausspruch erfahren, der schweren und dunkeln Träumen verglichen wird, und erkennt in der Vegtamskwidha, wie oben erwähnt, richtig den zweiten und wichtigeren Theil des Liedes. Wenn aber, wie Simrock annimmt, die zweite Hälfte der Strophe 3 gleich das Ergebniss der Aussendung des Raben ausdrücken würde, so wäre der Ausspruch Unheil fürchteten die Asen verweil er" zum mindesten überflüssig; denn offenbar liegt es nach dem Sinn des ganzen Liedes in der Absicht des Dichters, auf eine herannahende Gefahr nicht nur vorzubereiten, sondern die Asen sogar in Angst versetzt darzustellen, wobei dem dunkeln Schicksal, wie auch aus den spätern Strophen hervorgeht, eine Hauptrolle zugetheilt ist. Hugin kann deswegen hier nicht zurückkommen; erst in der Vegtamskwidha erscheint er, unterrichtet von der Bedeutung der Zeichen, als Odhins Gedanke, dessen Verkörperung der Rabe, wie allgemein angenommen wird, ausdrückt. Die Asen sollen durch das Verweilen Unheil fürchten und, wie gesagt, eingeschüchtert erscheinen; auch würde wohl dieses Ausbleiben als ein Zeichen des bevorstehenden Weltuntergangs verstanden worden sein (vgl. Gylfaginning 38). Den Himmel suchen ist ohne Zweifel gleichbedeutend mit überall, in allen vier Ecken der Welt nachforschen *), Odhin sendet seine Raben Morgens aus, alle Welten zu umfliegen (Gylfaginning 38). Zu der zweiten Hälfte der 3. Strophe, nämlich zu: Thrains Ausspruch ist schwerer Traum,

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Dunkler Traum ist Dains Ausspruch",

gehört von der ersten Zeile der 4. Strophe das:

„Den Zwergen schwindet die Stärke",

indem dies in Verbindung mit dem Rest der 4. Strophe, ferner mit Str. 5, 6, 7 und 8 die Bedeutung der eben angeführten zweiten Hälfte der 3. Strophe näher bezeichnet. Alle diese Strophen geben den Sinn des nahenden und endlich des angekommenen Winters. Die Zwerge sind die Werkzeuge der Naturkräfte (Uhland, Thor 125). Ihr Wirken oder gewisse Erscheinungen der schaffenden Natur galten als Kundgebungen, als Aussprüche der Zwerge, also auch von Thrain und Dain. Das Schwinden ihrer Kraft oder Thätigkeit deutet demnach, wie die weiter angeführten Erscheinungen, auf den herannahenden Winter, und

*) Der Himmel ist aus dem Hirnschädel Ymirs gemacht mit vier Ecken, unter jeder Ecke oder Horn sitzt ein Zwerg, die heißen: Austri, Westri, Nordri, Sudri (Gylfaginning 9).

dieser gibt den Asen die Ahnung des endlichen Weltuntergangs; daher sind die Aussprüche der Zwerge im Spätjahr oder ihr vermindertes Wirken (wie) dunkle und schwere Träume.

Daß der Winter als Zeichen oder Vorgang des Weltendes aufgefasst wurde, beweist unter anderem auch die Äußerung „Weltwinter" (Fimbulwinter) in der 44. Strophe der Vafthrudhismâl.

Str. 4. Den Zwergen schwindet die Stärke. Die Himmel
Neigen sich nieder zu Ginnungs Nähe (Ginnungs niđi).
Alswidr lässt sie oftmals sinken,

Oft die sinkenden hebt er aber empor.

Unter Himmel ist hier der herbstliche Wolkenhimmel verstanden, welcher die Erde oftmals zu berühren scheint. Ginnungs nidi, Ginnungs Sohn oder Abkömmling; Ginnung, wohl auf Ginnungagap (Vôl. 3) Abgrund, Chaos hinweisend, wäre mit nidi als Abkömmling des Chaos aufzufassen, wie die Erde gedacht werden konnte. Alswidr, das Sonnenross, lässt sie, die Wolken, oft sinken, oft hebt es (nämlich die Sonne) dieselben wieder empor.

Str. 5. Nirgend haftet Sonne noch Erde,

Es schwanken und stürzen die Ströme der Luft.

In Mimirs klarer Quelle versiegt

Die Weisheit der Männer. Wisst ihr was das bedeutet? Der wolkenbedeckte Himmel lässt die Sonne, der Schnee die Erde nicht schauen. Unter Stürmen stürzen Regen und Schnee aus der Luft. Rathlos sind die Götter bei diesem Zeichen, welche das Herannahen des Weltuntergangs bedeuten könnten.

Wenn die 5. Strophe wörtlich genommen oder mit unregelmäßigem Sonnenlauf, Erdbeben u. s. w. erklärt werden könnte, so wäre der Anfang vom Ende gekommen und die Frage: wisst ihr was das bedeutet, eine müßige Frage; denn was diese Erscheinungen bedeuten würden, wäre jedem klar. Das Entblättern der Bäume müßte nach dem Geschehenen so unwichtig werden, daß nicht weiter davon die Rede sein könnte. Aber eben weil erst Strophe 6 das Herabfallen Iduns von der Esche Yggdrasil erwähnt wird, kann in den vorangegangenen Strophen 3, 4 und 5 nur das Hereinbrechen des Herbstes und des Winters anzudeuten beabsichtigt sein (vgl. Str. 21 u. 22).

Str. 6. Im Thale weilt die vorwissende Göttin

Herab von Yggdrasils Esche gesunken,

Alfengeschlechtern Idun genannt,
Die jüngste von Iwalts ältern Kindern.

Str. 7. Schwer erträgt sie dies Niedersinken,

Unter des Laubbaums Stamm gebannt.

Nicht behagt es ihr bei Nörwis Tochter (der Nacht),

An heitere Wohnung gewöhnt so lange.

Lüning S. 519 meint, nach diesem allgemeinen Vorzeichen des die Welt bedrohenden Unheils komme das Gedicht nun zu seinem eigentlichen Thema. Idun die verjüngende Göttin ist verloren gegangen und weil die Asen untergehen müßen, so muß auch Idun vorher untergehen, versinken und nicht wiederkommen (S. 526). Da nun in den übrigen Strophen weder von diesem Untergang, noch von einer Zurückkehr die Rede ist, so nimmt Lüning und, wie wir oben gesehen, auch Uhland einen zweiten fehlenden Theil des Gedichtes an. Uhland (Thor 130) erinnert an die Ballade von Hind Etin und Lüning findet in dieser eine Hinweisung auf einen Mythus, der mit dem Gedichte, nach seiner Auffassung, übereingestimmt haben könnte. Aber die Ballade Hind Etin liegt dem Jotun (ags. Eoten) Thiassi, und Margret mit ihren Nüssen der Idun mit ihren Äpfeln und ihrer Heimführung als Nuß in Sn. Edda (Bragaroedhur 56) so nahe, daß die von der Esche Yggdrasil herabgefallene Idun mit ihren Thränen kein weiteres Moment in der Ballade zu ergänzen hat; denn der Balladendichter mußte auch Idun bei dem Riesen Thiassi trauernd und weinend denken.

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Hätten wir diesen Mythus in seiner ursprünglichen dichterischen Fassung, sagt Lüning schließlich, dann hätte die Überschrift Forspillsliodh einen ganz andern Sinn; dann enthielt das Gedicht ein Vorspiel zur Götterdämmerung". Idun aber ist nicht verloren gegangen; ihr Herabfallen von der Esche Yggdrasil bedeutet die jährliche Entblätterung der Bäume u. s. w., nicht die vor dem Weltuntergang, wie auch Uhland dieses Herabfallen auffasst und erklärt, indem er freilich ein, wie wir sehen werden, nicht nothwendiges Wiedererscheinen derselben in einem fehlenden Stück des Liedes voraussetzt.

Idun ist Göttin des frischen Sommersgrüns in Gras und Laub (Uhland 120), wie die Nanna, unter deren Namen sie Str. 8 erscheint, die Blüthengöttin ist. Darin, sagt Uhland (Thor 125), daß sie von Yggdrasil herabsinkt, fallen Bild und Gegenstand fast gänzlich zusammen. Das Sommergrün erscheint hier als Laub der großen Esche, des Sinnbilds der lebendigen Natur; wann die Erde zu grünen aufhört, dann ist Yggdrasils Blätterfall, dann sinkt Idun vom Laubbaum. In Thälern im tiefen Grunde, unter dem Stamm des Baumes festgehalten, weilt sie jetzt; die zuvor in Luft und Licht lebte, ist nun von

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