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entsprechen unserm oberdeutschen Marktbrod von ähnlicher Form; die mehrzöpfigen und größeren unserm ellenlangen Züpfenbrod. Während das Fräulein flicht, hat ihr der beigeordnete Galan den Hof zu machen; er nimmt ihr die fertigen Stritzeln ab, füllt damit das Einschußbrett und überbringt es dem Bäckergesellen, der es in den Ofen schießt. Dies dauert bis Mitternacht. Schlag zwölf Uhr trägt die Beckenfrau den Kaffee und die ersten frischen Stritzeln auf, ein paar Stunden wird getafelt und gescherzt, dann geht es an den zweiten Theil der Arbeit. Den Mädchen werden nun längere und breitere Teigstriemen vorgelegt, aus denen fünftheilig gezöpfte Rosinenkuchen geflochten werden. Man nimmt an, dieser Brauch, der in den reformierten Gegenden Ungarns herrscht, stamme aus sehr alter Zeit. Ehedem, heißt es, da man hier zu Lande noch reicher und freigebiger war, hat man solche Stritzeln in jedem Hause die ganze Festnacht hindurch gebacken und sie Tags darauf an die Kinder und Armen verschenkt. Heute noch ist es daher dorten Kinderglauben, die lieben Heiligen brächten dies Süßbrod auf ihren eigenen Namenstag mit vom Himmel herab.

Auch dieses besondere Gebäcke der Stritzeln vermöchte hier seine eigene Geschichte zu erzählen, zieht sich doch sein Schmalzgeruch halb unangemessen bis in den Anbeginn der klassischen Periode unserer deutschen Litteratur herein. Da ist es Lessing, der Leipziger Student, der mittellos und bei harter Winterskälte von den Eltern nach Camenz heimberufen wird, um sich darüber zu verantworten, daß er die ihm von der Mutter überschickten Weihnachtsstritzeln mit den gottlosen Schauspielern der Neuber'schen Bande verzehrt hatte. Diese Anekdote lehrt mindestens, daß unsere Klassik, so häufig sie auch von den griechischen Göttern redete und mit Nektar und Ambrosia sehr verschwenderisch umgieng, in bäurischer Einfalt und Entbehrung aufwuchs und eben daher den verloren gewesenen Ton der Naturtreue und Wirklichkeit wieder anzustimmen vermochte. Doch anstatt hier noch weiter abzuweichen, ist es Zeit, das geschilderte Zweckbrod des Seelzopfes zu seiner noch ausstehenden Erklärung zu bringen und damit diesen Bericht abzuschließen.

Die Form der Haarflechte und des Frauenzopfes verräth sich außer an dem eben geschilderten Seelzöpfen, als einem Opferbrode zum Angedenken an die Verstorbenen, auch noch beim Ernteopfer. Wenn man einen Kornacker bis auf ein paar letzte Ährenbüschel, ein Flachsfeld bis auf wenige Stengel abgeschnitten hat, so lässt der bairische Bauer die noch übrigen Halme durch seine Schnitterinnen in einen Zopf zusammenflechten und sie bekränzen; dafür lohnt er dann die Mädchen mit Jungfernmilch und Jungfernschmarren, d. h. er setzt

ihnen außer dem Schnittermahl auch noch Milch mit Schmalzbrod vor. Jener geflochtene Ährenbüschel wird der Aswald genannt, man umtanzt ihn singend, weiht ihm die letzten Krumen des Brodkorbes und eine Libation des Restes vom Schnitterbier; jener Flachsbüschel wird ausdrücklich zu Ehren der Flurgöttinnen und Waldfrauen geflochten, der Spruch dazu lautet in Panzers Baier. Sag. 2, 161:

Holzfräule, da flecht i dir ein Zöpfle,

So lang als wie Weiden,

So klar als wie Seiden.

Verwandte Volksvorstellungen in verschiedenen deutschen Landstrichen zeigen, daß man das besondere Merkmal eines Segensgeistes oder eines Koboldes je nach der Pflege oder Verwilderung seines Haupthaars bemaß. Dieses wallt bei guten Geistern lang und zart hinab, bei verwünschten ist es struppig und verworren. Schweizerischer Volksglaube ist es, daß die guten Hauszwerge den Rossen im Stalle Mähne und Schwanz höchst kunstvoll flechten, während der Hauskobold selbst den Kühen das Haar verfilzet. Der hübsch in einen Haarkranz gerundete Frauenzopf heißt nach Aargauer Benennung Ährizopf, Kornzopf; das ungeordnete Haar dagegen Heuel und Holle. Dieselbe Anschauung herrscht in Thüringen, wo man den Wichtel- und Weichselzopf Saellocke nennt; auch in Bremen, wo er Selkensteert, Seelentost heißt und auf Sterz, Schwanz und Locke der verwünschten Geister bezogen wird; in Sachsen und der Mark heißt er Hollenzopf, in Schlesien Alpschwanz. Unter Aufsicht der Göttin Holle wird wohl das Haupthaar der Kinder und Mütter gestanden haben, so gut wie der Flachs, welcher in Oberdeutschland gleichfalls Haar heißt. Wer daher um Neujahr den Rocken nicht abgesponnen, das Haar nicht sauber geschlichtet hat, dem wird Beides von der durch den Ort ziehenden Göttin in einen Hollenzopf verzaust. Das am Allerseelentag in Zopfform gebackene Brod versinnbildlicht daher nur die Fortsetzung jenes Liebesdienstes, unter welchem man einst den Verstorbenen ins Grab gelegt hatte. Die Edda schreibt vor: „Ein Hügel soll dem Heimgegangenen erhoben, gewaschen und gekämmt soll er bestattet werden." Kämme und Scheermesser aus Bronze, in Heidengräbern aufgefunden, verzeichnet Weinholds Schrift, heidnische Todtenbestattung 1, 89. Eiserne Haarscheeren sind in den Alemannengräbern zu bairisch Nordendorf und in der Gegend des mittleren Kochers in Würtemberg erhoben worden. Es ist noch Aargauer Bauernbrauch, dem Todten seinen Kamm mit in den Sarg zu geben; wer sich sonst damit kämmen würde, verlöre die Haare. Nur der eingefleischten Lieblosigkeit soll diese Pflicht der Pietät nicht gewidmet sein, der Hartherzige soll mit seiner Münze bezahlt werden; daher

behauptet die Volksrede: Käufliche Richter und schlimme Waisenvögte werden einst von den Läusen gefressen. Aus solchem Grund ist es schon bei Homer höchster Beweis liebender Hingebung, wenn Achilleus in Trauer um seinen geliebten Patroklos sich das Haupthaar abschneidet und es dem Grabe des Freundes weiht. Nicht bloß des eigenen Hauptes Sinn und Gedanke sendet man damit dem Verstorbenen zu den Schatten nach, sondern dieser soll unter ihnen erscheinen wie sonst im Leben, nach dem Ausdrucke der Hellenen als ein hauptumlockter Achäer, nach christlicher Anschauungsweise als ein goldlockiger Engel. Die griechische Mutter weihte vor der Niederkunft und für die Gesundheit des Neugebornen ihren Haarschnitt der Gesundheitsgöttin Hygieia; und so eifrig, versichert Pausanias, war die mütterliche Liebe bei solchem Opfer, daß manche Bilder dieser Göttin vor der Fülle umgebundener Haare kaum zu erkennen waren. Der sich noch selbst überlassene deutsche Leichenbrauch weiht zwar den Todten nun keine Locke mehr, er schneidet sie ihnen wohl eher ab und bewahrt sie zum Angedenken; aber er überdeckt einmal des Jahres ihr Grab mit Opferbroden, in deren Form, Größe und Anzahl noch immer der Wunsch sich ausdrückt, wie vollkommen und stattlich das geliebte Haupt unter den Seelen erscheinen möge in der Lockenfülle seiner Jugend oder Männlichkeit. So lebt die Sitte und Urtheilsweise der Ahnen, wenn die Geschichtsquellen nicht einmal ein nur kärgliches Zeugniss darüber ablegen, oft noch fort in dem unverstandenen Volksbrauche der Gegenwart. Diesen Brauch immer mehr verstehen und ihn in seinen humanen Gründen an die unsere Zeit bewegenden Gefühle anschließen zu lernen, ist deshalb ein gedeihliches Unternehmen, weil darüber nicht bloß unsere Heimatskunde, unsere Kunde aus der Vorzeit wächst, sondern zugleich auch deren bestes Kind, dieses patriotische Bedürfniss unserer Tage, unser deutsches Gesammtvaterland.

NU BEI HARTMANN RELATIV GEBRAUCHT.

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Lachmann zu Iwein 2528 sagt: „ich glaube Hartmann gebraucht nú niemals relativ". Zarncke mhd. WB. 2, 421 sub f: bei Hartmann scheint es nicht in relativer Bedeutung vorzukommen"; doch befriedigt ihn nicht Lachmanns Deutung von Erec 7027. Lachmann wie Zarncke haben übersehen a. H. 1241:

BERLIN.

nû er sî alse schone sach,
wider sich selben er dô sprach.

ADOLF MANNKOPFF.

ALTHOCHDEUTSCHE GLOSSARE UND GLOSSEN.

VON

ADOLF HOLTZMANN.

I. Glossar Rd und Re.

Der oben (8, 395) beschriebene Reichenauer Codex 99 enthält auf Blatt 56 bis 104, also auf den nämlichen Blättern, auf welchen Glossar Rb geschrieben ist, auf dem hintern, leergebliebenen Raum die beiden Glossare Rd und Re. Beide sind zwar von Graff für den Sprachschatz benützt, aber noch nirgends gedruckt. Sie gehören zu den wichtigsten Quellen unseres Wörterbuchs und sind sehr reich an seltenen Wörtern. Geschrieben sind sie noch im achten Jahrhundert, und die alte Schrift, besonders die Verbindung des a mit folgendem n. h, l u. s. w. hat häufige Lesefehler veranlasst. Ich gebe sie hier nach meinen, vor mehr als zwanzig Jahren genommenen Abschriften und in zweifelhaften Fällen nach neuer Einsicht des Codex. Weggelassen habe ich nur diejenigen nicht zahlreichen Glossen, die weder ein deutsches Wort, noch sonst etwas Merkenswerthes enthalten. Das kurze Glossar Re habe ich nach den Buchstaben mit Rd verbunden, so daß also nach dem A aus Rd gleich A aus Re folgt u. s. w. Es ist dadurch die Vergleichung mit den Glossen Jun. b erleichtert. Ich bemerke noch, daß der Schreiber von Rd die Absicht hatte, das Glossar zu vermehren; wie daraus hervorgeht, daß er nach dem A anderthalb Seiten, nach B eine, nach C sogar sieben Seiten freigelassen hat. Es ist daher wahrscheinlich, daß das Glossar keine Abschrift ist, sondern die erste Schrift desjenigen, der die Glossen eines älteren biblischen Glossars nach den Buchstaben zu ordnen suchte. Als alphabetisches Glossar ist es die Urschrift, aber die einzelnen Glossen sind doch abgeschrieben aus einem älteren Werke.

Wir besitzen eine zweite Handschrift desselben Glossars in Jun. b. gedruckt in Suhm, symbolæ ad Literaturam teutonicam, Havniæ 1787, S. 193-233. Der fehlerhafte Abdruck kann aus Boxhorn, historia universalis, Lugduni 1652, wo S. 452 und folg. zuerst das Glossar Jun. A, aber alphabetisch geordnet, dann das Glossar B, aber nur bis zur Glosse cum parturiret, Jun. 198, abgedruckt ist, berichtigt werden. Doch ist der Codex, der aus Murbach im Sundgau stammt, noch vor

handen in der Bodleiana in Oxford, als codex Jun. 25. siehe Wanlei cat. libr. vet. septentr. p. 322. Vergleichen wir den Murbacher Codex nach dem Abdruck bei Suhm mit dem Reichenauer, so zeigt sich deutlich, daß der erste unmittelbare Abschrift des zweiten ist. Wie in unserem Druck hat der Schreiber von Jun. b nach jedem Buchstaben von Rd denselben Buchstaben aus Re eingetragen; damit sind zuweilen noch einige Wörter aus einem dritten Glossar verbunden. Im Buchstaben ist es auffallend, daß alle Glossen von cicatrix (64) bis zu Ende und ebenso Re in Jun. b fehlen, an deren Stelle einige im Reichenauer Codex fehlende Wörter stehen circumquoque bis coniceri; vielleicht fällt diese große Lücke dem Abdruck zur Last und nicht der Handschrift. Ebenso mag es von dem Herausgeber herrühren, daß die Glossen bei Junius zuweilen anders geordnet sind als in Rd und Re. Im Buchstaben E nach Egregius, und im F nach Fictor stehen in Jun. einige Glossen, die in Rd nicht zu lesen sind. Öfters aber ist es nur scheinbar, daß Jun. reicher ist, z. B. im A nach Aduena hat Jun. Antrum spelunca hol; diese Glosse fehlt in meinem Abdruck, aber nur aus dem Grunde, weil sie in der Handschrift ohne das deutsche Wort hol steht. Öfter scheint zwar Jun. besser, als Reich.; aber das beweist noch nicht, daß Jun. nicht aus Reich. abgeschrieben ist; der Abschreiber konnte einen Schreibfehler verbessern. Aber gerade diese Besserungen, z. B. bei impingebant, wo man die Note sehe, zeigen deutlich, daß Jun. Abschrift aus Reich. ist.

Auch das Glossar Jun. A ist aus Reichenauer verlorenen Handschriften abgeschrieben. Zur Berichtigung des Drucks dient Boxhorn, der dieselben Glossen, unter dem Namen Glossarium Caroli Magni, in alphabetische Ordnung gebracht, drucken ließ, und zwar wenn schon ohne Kenntniss der Sprache, doch unmittelbar nach dem Codex und nicht ohne Sorgfalt; ferner können verglichen werden die Anführungen, die Junius selbst von diesen Glossen in seinem Glossarium Gothicum (Dordrecht 1665) und in seinen Noten zu Williram (Amsterdam 1655) gemacht hat. Ferner ist für den Theil des Glossars, der zu Juvencus gehört, der Abdruck zu benützen bei Pitra, Spicilegium Solesmense, I (Paris 1852), S. 259, wiederholt durch Bartsch, Germ. 7, 239. Da jedoch der Codex selbst noch vorhanden ist, so darf man wohl, in der Hoffnung, daß uns die sämmtlichen deutschen Stücke desselben in zuverlässigen Abdrücken mitgetheilt werden, von der mühsamen und dennoch unvollkommenen Herstellung des Textes von Jun. A vorerst Umgang nehmen. Es ist nun aber ein Theil dieses Glossars, nämlich der Anfang bis zu den Wörtern aus Juvencus auf S. 179, und noch

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