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[BEILAGE ZUR GERMANIA XI, 2. HEFT.]

FÜR HERRN J. ZACHER IN HALLE.

Als Herr Zacher in den Jahrbüchern für Phil. und Päd. zu Ende des vorigen Jahres aus Anlaß meiner Ausgabe des Walther seine „kritische Wassersuppe" auftischte, hatte er, im Gefühl etwas Außerordentliches geleistet zu haben, wohl gehofft, ich würde nichts Eiligeres zu thun wissen, als hungrig darüber herzufallen und ihm damit eine Ehre zu erweisen, nach der er lüstern verlangt. Da mir jedoch Wichtigeres obliegt, als mich mit dem Gebräu kritischer Kochkünstler von dem Schlage des Hrn. Z. zu befassen, und mit einer vorläufigen kurzen Empfangsbestätigung (s. oben S. 114) ein Übriges gethan zu haben glaubte, wird er, in seinen Erwartungen geteuscht, nun frech und zudringlich, indem er die Gelegenheit vom Zaune bricht, um mich am nämlichen Orte (Jahrb. 1866, II. Abth. S. 111. 112) abermals, zum Nachtisch gleichsam, mit einem ungesalzenen Produkt aus seiner Waschküche zu regalieren.

Allerdings ist es für Jemand, der, in trauriger Selbstteuschung befangen, etwas Großes zu sein glaubt, sehr kränkend, sich geringschätzig behandelt zu sehen, und Monate lang auf eine unliebsame Eröffnung warten zu müßen, ist auch nicht gerade angenehm. Dennoch hätte Hr. Z., statt über einen von mir vielleicht nicht genugsam überlegten Ausdruck sofort Zeter zu schreien, gewiss klüger gehandelt, wenn er, seine Empfindlichkeit unterdrückend und seine Ungeduld bemeisternd, in Ruhe das Erscheinen des 2. Heftes der Germania abgewartet hätte. Er würde dann vielleicht geschwiegen und dadurch sich und mir mancherlei Unlust erspart haben. Wie die Sache steht, muß ich ihm wohl die Ehre einer Erwiderung anthun. Ob sie ihn befriedigen wird, weiß ich nicht, kümmert mich auch nicht, er hat es ja so gewollt.

Nach seiner Behauptung enthält die ihm gewidmete einzige Zeile eine Drohung, eine Schelte und eine Verleumdung. Das ist viel auf einmal. Hr. Z. teuscht sich jedoch, er gebraucht da Worte, deren wirkliche Bedeutung ihm, der ein deutscher Sprachforscher sein will, offenbar zur Zeit noch verschlossen ist. Weder ist die vorläufige Anzeige von etwas wirklich Geschehenem eine Drohung, noch die Erwähnung einer unleugbaren Thatsache eine Schelte. Auskunft über den eigentlichen Sinn dieser beiden Wörter kann Hr. Z. im nächsten besten Wörterbuche finden.

Von größerem Gewicht ist der mir zugeschleuderte Vorwurf der Verleumdung. Es wird daher nöthig sein, sich über die Bedeutung dieses Ausdrucks genau zu verständigen. Verleumden heißt: von Jemand ohne Grund Böses oder Nachtheiliges aussagen und ihn dadurch in übeln Ruf bringen. Habe ich mir Solches an jener Stelle wirklich zu Schulden kommen lassen? Ich befürchte nicht. Hat Hr. Z., wie er wiederholt versichert, in der That ganz allein, aus eignem Antrieb, den Beschluß zu jener Beurtheilung gefasst und ausgeführt, so ist meine Annahme, daß ihn Andre dazu „vermocht" haben, eine irrige und meine Behauptung eine falsche, aber darum noch lange keine Verleumdung; behauptet

doch Hr. Z., er sei es der Wissenschaft, der Universität, der Schule, sowie dem Andenken seines Lehrers und Freundes Lachmann schuldig gewesen, gegen mich und mein Buch aufzutreten, er habe damit eine unabweisliche moralische Pflicht erfüllt. Er bildet sich also alles Ernstes ein, der gute Hr. Z., ein tugendhaftes Werk, eine rettende That vollbracht zu haben. Wie in aller Welt kommt er dann aber dazu, mich der Verleumdung und Beschimpfung jener zu zeihen, die ihn nach meiner, wenn auch irrigen, Meinung zu deren Vollbringen vermocht haben? Seit wann pflegt man Denjenigen einen Verleumder zu heißen, der einem Andern, wenn auch ohne Grund, die Theilnahme an einem guten Werke zutraut und zuschreibt? Offenbar gebricht es Hrn. Z., trotz der Methode, deren Besitzes er sich rühmt, am einfachsten logischen Denken, oder sollte am Ende gar der Zweifel seines Herzens Nachbar und in dem schweren Vorwurf der verrätherische Zeuge einer leisen Mahnung seines Gewissens verborgen sein, einer innern Stimme, die ihm vorhält, daß die Anzeige doch nicht aus so durchaus lautern Motiven entsprungen sei, als er sich selbst und seinen Lesern aufzureden sucht? Dann allerdings, aber nur dann, wenn er von der Lauterkeit seiner Handlung nicht vollkommen überzeugt war, ist der Ausdruck 'Verleumdung' begründet, aber nicht ich bin es, der dann einen Vorwurf verdient. Denn meine Äußerung war ohne Arg, ich dachte entfernt nicht daran, Hrn. Z. und seinen Freunden damit etwas Böses oder Ehrenrühriges nachzusagen.

Im Gegentheil würde ich es ganz natürlich und unbedenklich finden, wenn er sich, aus Erkenntlichkeit, durch Jene, denen er so Vieles verdankt, hätte bestimmen lassen, seiner Meinung über mein Buch, das ganze Unternehmen und dessen Richtung öffentlichen Ausdruck zu geben und Ansichten auszusprechen, die bekanntlich nicht sein alleiniges Eigenthum sind, sondern der Clique angehören, deren Mitglied er ist. Unerhört wäre dergleichen nicht. Oder verlangt Hr. Z. Beweise? Ich kann sie ihm geben, authentische, aus eben jenem Kreise. Übrigens ist er selbst es, der durch die lange Auseinandersetzung, womit er am Schlusse seiner Anzeige die insolente Sprache, deren er sich wider mich bedient, zu motivieren, d. h. zu beschönigen bemüht war, die Vermuthung eines solchen Verhalts in mir geweckt hat. War er überzeugt, gegen Wissenschaft, Universität und Schule eine unabweisliche moralische Pflicht erfüllt, war er sich bewusst, durch Vernichtung von etwas Gemeinschädlichem um jene sich verdient gemacht zu haben, wozu dann die vielen Worte? Scine verdammte Schuldigkeit gethan zu haben, bedarf niemals einer Entschuldigung. Ich denke daher, ganz aus der Luft gegriffen war mein Verdacht nicht. In der That begreife ich heute noch, wo es mir, ihn aufrecht zu halten, nicht mehr gestattet ist, nicht recht, wie Hr. Z., dessen Name in der altdeutschen Philologie kaum bekannt ist, der auf dem Gebiete der Kritik und Exegese die ersten Proben noch abzulegen hat, sich konnte beikommen lassen, in einer Angelegenheit das Wort zu ergreifen, über die er zu reden gar keinen Beruf hat und die ihn im Grunde nichts angeht. Gegen ihn war das Vorwort wahrlich nicht gerichtet, denn mit ihm und seinen Arbeiten sich zu beschäftigen, in Gutem oder in Bösem von ihm zu reden, hat er uns kaum je Anlaß gegeben. Ist seine Liebe zur Wissenschaft so heiß, wie er vorgibt, warum hat er zu deren Förderung und Gedeihen so gar nichts bis jetzt beigetragen? Was soll das Geflunker von Wissenschaft und von angeblichen moralischen Pflichten, Männern gegenüber, die von jungen Jahren an der Wissenschaft mit Eifer und Hingebung redlich gedient und durch die That bewiesen haben, daß sie dieselbe nicht bloß auf den Lippen,

sondern im Herzen tragen? Wer ist der Hr. Zacher, der sich aufwirft, über sie Gericht zu halten? Es ist Hr. Zacher, der Professor. Sehr wohl; damit muß sich der Pedell auf einer preußischen Universität begnügen; aber auch der Leser? Wenn der Leser fragt: wer ist der Hr. Zacher? so will er wissen, was dieser Herr Zacher geschrieben hat und worauf sich sein Recht gründet, über solche Männer laut urtheilen zu dürfen. Nicht diese Männer nehmen ihn wegen dieses Rechts in Anspruch, sondern das Publicum. Die Nachsicht, die das Publicum hierin gegen einen ungenannten kritischen Schriftsteller hat, kann es gegen ihn nicht haben. Der ungenannte Kritiker will nichts als eine Stimme aus dem Publicum sein, und so lange er ungenannt bleibt, lässt ihn das Publicum dafür gelten. Aber der Kritiker, der sich nennt, will nicht eine Stimme des Publicum sein, sondern will das Publicum stimmen. Seine Urtheile sollen nicht bloß durch sich so viel Glück machen, als sie machen können, sie sollen es zugleich mit durch seinen Namen machen; denn wozu sonst dieser Name? Daher aber auch von unserer Seite das Verlangen, diesen Namen bewährt zu wissen! Daher die Frage, ob es verdienter Name, ob es verdienter Name in diesem Bezirke ist! Jeder andere Name ist noch mehr Betrug als Bestechung. Und wenn Hr. Zacher Staatsminister wäre und wenn er der größte lateinische Stilist, der erste Philolog von Europa wäre, was geht uns das hier an? Hier wollen wir seine Verdienste um die deutsche Sprachwissenschaft kennen, und welche sind die? Was hat unsere Sprache von ihm erhalten, worauf sie gegen andere Sprachen stolz sein könnte? Stolz? was sie sich nur nicht schämen dürfte, aufzuweisen!" Die Worte, deren ich mich hier bedient, gehören nicht mir, sondern ich habe sie, mit einigen ganz unwesentlichen, aber nothwendigen Änderungen, Lessing entlehnt, demselben Lessing, den auch Hr. Zacher zu citieren liebt, aus denselben antiquarischen Briefen, die er ungeschickter Weise gegen mich aufruft, von denen er aber nur den letzten zu kennen scheint, auf dem er nun schon zu wiederholten Malen (s. Jahrbücher f. Phil. u. Pädag. 1858, II. Abth. Bd. 78, S. 175) herumreitet. Hätte er auch den unmittelbar vorausgehenden Brief, den vorletzten (56.), gelesen, so würde er obige Stelle und noch andere gefunden und vielleicht auch bemerkt haben, daß, was Lessing dort über Klotz und dessen Freunde schreibt, auf ihn und seine Schulkameraden so genau passt, als wäre es ihnen auf den Leib gemessen. Noch ist, wie man sieht, das Geschlecht der Klotze nicht völlig ausgestorben und merkwürdiger Weise ist es abermals die Hallorenstadt, wo dieser allerdings etwas dürftige Ableger des alten Klotz, der trotz alledem ein vielverdienter Mann war, zum Vorschein gekommen ist. Zum Glück fehlen aber auch heute noch die Keile nicht, wie sie auf solche Klötze gehören. Den Anstoß zur Auffindung dieser treffenden Parallele empfieng ich von Hrn. Z., was ich hiermit dankend bescheinige.

Übrigens kam seine Warnung, den Abdruck der Briefstelle J. Grimms zu unterlassen, viel zu spät: als sie eintraf, war der Schade bereits geschehen. Gefruchtet hätte sie ohnehin nichts. Ich sehe nicht ein, was mich abhalten sollte, dem auf hohem Rosse dahersprengenden Hrn. Zacher aus dem Munde eines Mannes, dem ein sicheres Urtheil gewiss vor jedem Andern zustand, die Wahrheit über sich selbst sagen zu lassen. Streng genommen verstoße ich damit, da auch dieses Urtheil sich an eine litterarische Erscheinung knüpft, nicht einmal gegen den oben S. 114 aufgestellten Grundsatz, was zur Beruhigung des ängstlichen Warners in Nr. 14 der Blätter f. litt. Unterhaltung ausdrücklich hier bemerkt sein mag.

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„Zacher ist mir von jeher unbedeutend vorgekommen, doch einen so elenden und dabei sich übernehmenden Aufsatz hätte ich ihm nicht zugetraut.“ Dies ist und war auch stets meine Meinung, sie beruht auf eigenster Beobachtung und Erfahrung. Schmeichelhaftes liegt darin freilich nichts, aber auch nichts Ehrenrühriges, nichts was man anderswoher als aus dem, was Hr. Z. geschrieben, zu wissen braucht, nichts also, das zu jenem letzten antiquarischen Briefe Lessings „einen praktischen Commentar" lieferte. Der Ausdruck von jeher" deutet auf keine „vorübergehende gereizte Stimmung“, wie Hr. Z. im Voraus darzustellen sucht, sondern zeigt, daß J. Grimm ihn stets richtig, 'von jeher so taxiert hat, wie er es verdient. „ Unbedeutend" ist in der That das rechte Wort; wie sollte es auch anders sein können? hat doch Hr. Zacher nie etwas gethan, was ihm Anspruch auf eine bessere Note gäbe. Auch die Bezeichnung „elend" ist nicht zu stark, der erwähnte Aufsatz ist wirklich über alle Beschreibung elend; und ebenso muß der Ausdruck übernehmend“ vollkommen zutreffend genannt werden. Davon liefern seine Anzeige sowohl als das neuerliche Gewäsch wiederum die schlagendsten Belege. „Ich habe, sagt Hr. Z. an letzterem Ort, damals die eigene öffentliche Äußerung J. Grimms mit dem pietätsvollen Schweigen hingenommen, welches ich dem hochverehrten Lehrer schuldete, wie ja auch alle, die dem trefflichen Manne näher standen, seine reizbare Empfindlichkeit schonten und trugen.“ Wie, nachdem Hr. Z. ihm mit einer frecherlogenen Behauptung am Zeuge zu flicken gesucht und von ihm mit Fug darob zurechtgewiesen wurde, hat er noch den Muth, von „hoher Verehrung“ und „pietätsvollem Schweigen“ zu reden. Was hätte er auch darauf erwidern können? Nicht genug, ein Zacher spricht von Schonung und Ertragung, die er gegen einen J. Grimm und seine reizbare Empfindlichkeit" geübt! Ein Knirps hat Nachsicht mit den Schwächen eines Riesen! Wahrlich die verkehrte Welt und ein seltenes Beispiel unberechtigtster Selbstüberhebung. Es kann mir nur lieb sein, wenn es Hrn. Z. noch gelingt, das vorstehende wohlbegründete Urtheil zu seinen Gunsten umzuändern. Eins aber sollte er dabei beherzigen: daß er dies auf dem bisherigen und dem zuletzt betretenen Wege nimmermehr erreichen wird.

An dieser kleinen Abschlagszahlung möge Hr. Z. sich vorläufig genügen lassen, hat er nun doch erreicht, wornach er sich gesehnt: in der Germania genannt und einem großen Leserkreis einstweilen im Schattenrisse vorgeführt zu sein. Später, in der versprochenen Rechenschaft über meine Walther-Ausgabe, werde ich ihn, nicht sowohl um seiner selbst willen (das lohnte sich der Mühe nicht), als wegen der Ansichten der Clique, die in seiner Anzeige zum Ausdruck kommen, vollauf zu befriedigen trachten. Dort werde ich dann auch Gelegenheit finden, ein kleines Colloquium über das Wort „ehrenhaft" mit ihm zu veranstalten, das er so oft im Munde führt, über dessen wahre Bedeutung er aber ebenso im Unklaren zu sein scheint, wie über die von Drohung, Schelte und Verleumdung.

Wien, 4. April 1866.

Franz Pfeiffer.

Buchdruckerei von Carl Gerold's Sohn in Wien.

ÜBER DEN SYNTAKTISCHEN GEBRAUCH DES

DATIVS IM GOTHISCHEN.

VON

ARTUR KÖHLER *).

Wie eine jede Sprache in älterer Zeit eine äußerst einfache Syntax zeigt und in der Wortstellung und Satzfügung fast eine gewisse Dürftigkeit verräth, wie sie auf einer früheren Entwicklungsstufe noch eine Menge Partikeln entbehrt, welche späterhin zur Umschreibung einfacher bedeutungsvoller Formen, die verloren giengen, benutzt werden müßen, so zeigt auch der älteste germanische Dialect, auf welchen alle Forschungen im Gebiete der deutschen Philologie zurückgehen müßen, das Gothische, eine wunderbar klare und durchsichtige Syntax und vor Allem eine reiche Verwendung der Casus, welche in den übrigen älteren germanischen Sprachen schon weit mehr zurücktritt, und von der im Mittelhochdeutschen, noch mehr im Neuhochdeutschen, wenn ihre Spur überhaupt geblieben, nur noch Trümmer zu entdecken sind.

Den ausgedehntesten Gebrauch unter allen Casus findet im Gothischen der Dativ, welchem neben den Functionen des eigentlichen Dativs noch die des Ablativs und Instrumentals übertragen sind, soweit nicht als Stellvertreter des Ablativs, gleichwie dies im Griechischen geschehen, der Genitiv eingetreten ist. Von besonderem Interesse sind diejenigen Fälle, in denen wir die Frage, ob wir eigenthümlich gothischen Sprachgebrauch vor uns haben oder eine Nachahmung des griechischen Ausdrucks anzunehmen ist, zu entscheiden haben, eine Frage, die wir freilich oft nicht zu beantworten im Stande sind bei dem Übelstande, daß uns nur zwei Quellen vorliegen, die Bibelübersetzung des Ulfilas und die Skeireins, gleichfalls eine Übersetzung.

Über den syntaktischen Gebrauch des Dativs existiert bereits eine Abhandlung von Karl Silber **), die aber der Verfasser lediglich zu

*) Inaugural-Dissertation zur Erlangung der philos. Doctorwürde auf der GeorgAugusts-Universität zu Göttingen. Dresden 1864. 54 SS. 8°.

**) Karl Silber, Versuch über den gothischen Dativ. Im Programm des Domgymnasiums zu Naumburg 1845.

GERMANIA XI.

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