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unsere Darlegung wie überhaupt unsere föderalistische Welt auffaßung auf's Heftigste bekämpfen. Sie sagen uns:| Ihr irrt, wenn Ihr glaubt, die Unvollkommenheiten eines Zustandes, eines States, einer Gesellschaft entsprängen immer der mangelhaften Einsicht der leitenden Personen, und Ihr irrt darum auch, wenn Ihr glaubt, ein Universal mittel gegen die bestehenden Schäden zu besigen. Das, was Euch vorschwebt, sind Utopien! Wir aber erwidern hierauf, daß wir nicht sowol mit Utopien die Menschheit betrügen wollen, als vielmehr bestrebt sind, die utopistischen Vorgaukelungen gewißenloser Führer zu zerstören. Wir wollen insoweit es sich um die handarbeitende Bevölkerung handelt endlich einmal die Frage lösen, wie der Mensch aus einem Sklaven der Maschine zum Herrn derselben gemacht werden könne.

In England ist diese Frage heute als gelöst zu bes trachten. Wir wißen wol, daß es ein undankbares, ja fast aussichtsloses Unternehmen ist, in einer Zeit, in der die öffentliche Meinung selbst in Kreißen der Wol- und Ehrlichgesinnten frampshafte Anstrengungen macht, Eng land als ein Statswesen hinzustellen, in dem eine Sipps schaft von großen Kapitalbesißern und Ausbeutern herrscht und immer und überall nur sein eigenes Interesse ver folgt, -in einer solchen Zeit davon zu reden, daß in Bezug auf die Arbeiterfrage und auf die socialen Dinge überhaupt das englische Volk und das von ihm Geschaffene als unerreichte Vorbilder dastehen. Die Engländer haben für denjenigen, welcher sich nicht seine Sinne durch eine unerhörte, noch nie dagewesene Pressmache verwirren läßt, gerade auf dem Gebiete der Socialpolitik den Beweis er bracht, daß es auch einen Egoismus innerhalb sittlicher Schranken gibt. Wer hierfür die überzeugenden Belege bis ins Einzelne aus- und durchgeführt kennen lernen will, der nehme das Buch des sächsischen Legationsrates v. Nostig über „Das Aufsteigen des englischen Arbeiterstandes" in die Hand. Aus dieser ausgezeichneten Dar

stellung heraus wird es sich ihm mit einer zwingenden Notwendigkeit aufdrängen, daß, nicht veranlaßt durch eine nach Millionen zählende Socialdemokratie oder durch abscheuliche Mordanschläge auf das Statsoberhaupt, sondern zeführt lediglich durch den geistigen Zwang, den das Geühl der Pflicht ausübt, ein Emporheben und Gleichstellen der einst elend und unterdrückt gewesenen Industriebevölkerung vollzogen worden ist. Und so folgenreich ist dieses Aufsteigen geworden, daß in der großen Krisis, welche der südafrikanische Krieg heraufbeschworen, die Arbeiterschaft einmütig zur Regierung und den herrchenden Kreißen gestanden hat.

Wie steht es in dieser Beziehung im Deutschen Reiche? Nun, wir glauben: Noch können wir, trop so wenig bes friedigender socialer Zustände, im Falle äußerer Verwickelungen darauf rechnen, daß die Masse der deutschen Arbeiterschaft tren zum Vaterlande stehen wird; aber noch ein Jahrzehend jener Tätigkeit, die nach Bismarck als einziges wirksames Mittel gegen die Socialdemokratie das „Totschießen" kennt und aupreist, und die Zeiten des verfallenden Griechenlands, welches eine Beute der Mkaedonier wurde, und des niedergehenden, den anstiirmenden Barbaren verfallenden Roms kehren auch für uns wieder. Auch in der antiken Welt gieng jener breite und tiefe Spalt durch die menschliche Gesellschaft: besißende Bürger und besiglose Proletarier standen sich in tötlicher Feindschaft gegenüber.

A

Von den geistigen Gewalten.

Me die Lobrednereien, welche wir seit Jahrzehenden über die preußisch-bismarcksche Reichsgründung zu hören bekommen, erschöpfen sich in der Aufzählung materieller Erfolge, und selbst der unbedingteste und urteilsloseste Be wunderer dieses Reiches wagt es heute kaum noch, von Fortschritten geistiger Art als eine Folge der neudeutschen Einheit zu reden. Um so mehr allerdings glaubt man, die materiellen Erfolge als eine Sache hinstellen zu können, die anders als auf dem Wege der Reichsgründung nicht zu erzielen gewesen sei. Hierauf möchten wir im Voraus Eines bemerken: Wir sind der festen Ueberzeugung - und können es durch Tatsachen reichlich belegen - daß ein anderer Ausgang der Krisis von 1866, daß die Niederwerfung Preußens auch nicht im Entferntesten die Hemmung des wirtschaftlichen Fortschritts in Deutschland bedeutet hätte. Die wirtschaftliche Entwicklung würde ja einen andern Gang genommen haben, das ist gewis; aber es wäre sicherlich kein Unheil gewesen, wenn wir nicht mit so krankhafter Hast in den Erport-Industriestat hineingejagt wären und statt dessen unsere, der Gesundheit des ganzen Volkes förderliche landwirtschaftliche Grundlage verbreitert hätten. Daß damit auch zugleich der geistig-sittlichen Ents wicklung Vorschub geleistet worden wäre, liegt auf der Hand, während wir jest umgekehrt unter dem Einfluß des Industrialismus einen ebenso offenkundigen Niedergang gewahren, eine geistige Verflachung um sich greifen sehen,

e dem denkenden Beobachter wahrhaft beängstigend zu lut werden läßt. Zwar hat Wilhelm I. nach Abschlußz r „Einigungs“-Kriege versichern laßen, es solle uunmehr in Reich der Gottesfurcht und frommen Sitte" geschaffen erden, aber es ist wol kaum anzunehmen, daß diese Worte nst gemeint gewesen, und daß man sich in leitenden reißen in Wahrheit dem Glauben hingegeben habe, aus ter blutigen Saat könne „fromme Sitte" und vollends r Friede auf Erden entstehen wem fielen hierbei nicht ussprüche ein wie: Wer Wind säet, wird Sturm ernten, id: Wenn ihr gleichviel betet, so höre ich euch doch nicht, nn eure Hände sind voll Bluts und sollte man wirkhsich solchem Irrwahn hingegeben haben, so kann man ch sich hinterdrein nicht damit entschuldigen, daß niemand unternommen hätte, diesen Wahn in sein Nichts aufzusen. Wir erinnern an die von einem Feuer hoher Beisterung durchglühten Mahnschriften der V. A. Huber, etteler, Frank, Wuttke, Gerlach, Trautwein von Belle, chriften von z. T. so zwingender Logik, daß man sich in n leitenden Kreißen nur dadurch mit ihnen abzufinden ußte, daß man sie vollständig totschwieg.

„Kein Deutscher, der des Namens Deutscher noch wert ", sagte nach der Begründung des Nordbundes Trautein von Belle*, „wird das Streben nach Einigung eutschlands an und für sich verdammen wollen. Im egenteil, es ist das höchstberechtigte der Neuzeit. Aber 1s kann, darf und muß verlangt werden, daß dieses Streben sich befinde im Einklange mit der Entwicklung des utschen Volksgeistes, mit den Blüten deutscher Geschichte nd deutscher Kultur. Soll dieses Streben rein, lauter nd unanfechtbar bleiben, so muß es sich immerdar in den Jahnen geistiger Freiheit bewegen, es darf feinem Bestandile des Deutschtums einen Schatten von äußerem Zwang uferlegen, sondern es muß sein Ergebnis aus dem Gesamt

* Deutsche Vierteljahrs-Schrift, 1869, 111, S. 144.

willen und dem freien Entschluße der Nation selbständig und selbsttätig hervorgehen! Denn Deutschland ist eine individuell gestaltete Welt, die nie einem unbeschränkter Machtgebot sich willenlos beugte. Absolutismus unt Deutschtum sind entgegengesette Größen. Wider alle ab flachenden Einflüße hat der deutsche Volksgeist sich stets mannhaft gewehrt, wider alles über einen Kamm Scheeren hat er derb und geradeaus protestiert, gegen den Protestantismus selbst hat er sogar dereinst Protest erhoben, als die Lehre Luthers und Calvins zu toten Formeln versteinerte und der Buchstabenglaube in die Herzen der Evangelische: einzog. Es gibt kein rein protestantisches Deutschland, es gibt kein rein katholisches, weder das eine noch das andere ist auf der Landkarte zu finden. Ueberall durchkreuzen sich die Elemente. Nirgends in Deutschland trifft man ein Gebiet, in welchem ständisches Wesen als Einschränkung des Fürstentums immerdar gefehlt hätte, nirgends aber auch wird man bei uns eine Gegend ausfindig machen, in welcher die ständischen Rechte das Fürstentum völlig verdunkelt oder zur Parlamentsregierung herabgedrückt hätten. Ganz freie Stadtgemeinden, wahrhaftige Republiken hat es in Deutschland sechs Jahrhunderte lang viele gegeben, am 1. Januar 1792 waren ihrer noch einundfünfzig, aber auch diese standen unter der höchsten schirmenden Obhut des monarchischen Reichsoberhauptes, ihre Freiheit war eine kaiserliche, im Ursprung eine königliche, ihre Unabhängigkeit war mit dem leitenden Gedanken der Reichsregierung innig verbunden. Wo eine Reichsstadt sich als vollkommen souve rain geberdete, wie z. B. Straßburg im dreißigjährigen und im bourbonischen Einverleibungskriege, da hat sie es bitter, Straßburg mit der Fremdherrschaft, bezahlen müßen. Nie und nach keiner Seite steuerten die deutschen Dinge ins Unbegrenzte, Schrankenlose hinaus, es war überall da für gesorgt, daß die Bäume nicht in den Himmel wuchsen. Wer die deutsche Einheit erkämpfen will, muß diesen Lebensbedingungen sich fügen. Nicht wie über ein nieder

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