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Geschichte Rudolfs und seines Hauses. Die zahlreichen populären Erzählungen knüpfen an ihn, oder an jene Männer an, mit welchen Rudolf entweder freundschaftliche oder feindliche Beziehungen unterhielt. Zweitens lassen die genauen Bemerkungen und Aufschreibungen nur einen wohlinstruirten Mann vermuthen, der sich nicht begnügen konnte, blos nach Hörensagen sein Werk einzurichten, sondern der sich von Jedermann eingehend belehren liess und gerade für die älteste Zeit eine Quelle benützt hat, welche ihm derartige Detailangaben, wie die guten genealogischen Bemerkungen etc. liefern musste. Damit stimmt überein, dass der Verfasser oder resp. die Verfasser verlorengegangener historischer Denkmäler auch in den obern Landen gut orientirt waren.

Schon aus dieser gedrängten Uebersicht der ältesten Partie dieses Werkes geht also hervor, dass die Vermuthung, als hätte Matthias nur populäre Anecdoten gesammelt, nicht stichhältig sei, vielmehr dass der Autor eine oder mehrere Quellen vor sich gehabt, aus denen er schöpfte, und die er uns freilich in veränderter Form überliefert hat.

Was wir bisher aus der auf die Hauptmomente beschränkten Charakteristik unserer Chronik folgern durften, wird aber zugleich noch erhärtet durch einige andere Stellen, die positiv darthun, dass wir in Matthias Ueberreste eines älteren historiographischen Werkes haben. Dann dürfen wir sowohl auf die Glaubwürdigkeit unseres Schriftstellers Rückschlüsse zu machen uns erlauben, als auch weitergehend dem Wesen dieser literarischen Erscheinung auf die Spur zu kommen hoffen, welche in den Verhältnissen der oberen Lande zu dem Hause Habsburg wohl bewandert, zugleich dem Hause Habsburg volle Sympathie zubrachte.

Gehen wir nun auf jene Notizen ein, welche uns ein positives Beweismittel in die Hand geben. In unserer Chronik findet sich der kernige Ausruf des erstaunten Bischofs von Basel in der ursprünglichen. Gestalt. Vergleichen wir nämlich die angezogene Stelle bei Matthias und eine ähnlich lautende bei dem viel älteren Ellenhard (Gottfried von Ensmingen) mit einem den gleichen Anlass erwähnenden Gedichte des Schulmeisters von Esslingen, so werden wir wohl nicht zu zweifeln haben, wer die ältere Tradition darbietet.

Matthias berichtet Cap. 14): Audiens autem episcopus, quod factum est, se percutiens ad frontem dixit: Sede fortiter, Domine Deus, vel locum tuum occupabit Roudolphus! Dagegen erzählt Ellenhard Mon. XVII. p. 123: Et cum pervenisset ad episcopum Basiliensem, dominum Heinricum videlicet de Nuwenburg, irruit in eum timor et tremor, tantus etiam quod pre nimio livore post modicum tempus mortuus est, dicens circumstantibus: quod asperius nihil esset inopi cum surgeret in altum; ex eo quia fortuna arriserat principi antedicto dicens susurando et vertendo se hinc inde propter admirationem quam audierat: quod si homini in hac vita viventi patere posset meatus ad deum et in locum ipsius succedendi, quod ipse dominus Ruodolfus succederet in locum eius.

Der Schulmeister von Esslingen, dessen Gedichte an den Ausgang des XIII. Jahrhundertes fallen, benutzt den Ausspruch in folgender Weise:

Got, nu sich ze dînem rîche,

alsô, daz er dir niht ersliche

dînen himel âne wer;

unde boch er dar mit einem worte,

Sant Pêter, sô sît munder

wan swaz der kunic darunder

twingen, dast im, als ein ber;

unde pfleget wol der himelporte

dar zuo hüet allez himelsch her, etc.)

Schon diese Zeilen des Gedichtes werden die Art und Weise der Paraphrase des Ausspruches darthun. Wir ersehen aber daraus zweierlei. Erstens, dass die Worte, welche der Basler Bischof bei der Nachricht der erfolgten Wahl Rudolfs ausrief, sich rasch verbreitet haben, dass sie allgemein bekannt, also nicht Erfindung einer spätern Geschichtsschreibung waren; zweitens aber ergibt sich das Verhältniss in welchem Matthias und Ellenhard zu diesem Ausspruche stehen. Ellenhard hat ihn umschrieben, ihm die Gestalt eines unwillkürlichen Ausdruckes

1 ed. Studer S. 12. Nach Joh. Vietoriensis (Böhmer fontes I, 302) sagen die Bürger: Si de Throno suo omnipotens se moveret Rudolfus comes protinus insideret. Auch hier ist eher ein Anklang an Matthias, wenn auch der Ausspruch den Bürgern in den Mund gelegt wird.

2 Hagen, Minnesänger II, S. 137. 1.

unangenehmen Erstaunens genommen; die lebendige Form von Matthias aber ist nicht eine anecdotenhafte Ausschmückung, sondern treue Wiedergabe der Ueberlieferung von Seite des Verfassers.

Ein ähnliches Verhältniss gibt die Stelle des Matthias über den Tod Rudolfs; er berichtet Cap. 28:1)

Deficiente tandem rege pre senio et dicentibus sibi medicis, quod ultra certos dies durare nequiret, ipse dixit: ,Eamus ergo Spiram ad alios reges sepultos! et manens in Germersheim iuxta Spiram ibique moriens Spire in sepulcro regali honorifice est sepultus, anno regni eius XVIII. Wer diesen kurzen, aber der Sache nach vollständigen Bericht mit den Erzählungen des steierischen Ottokar vergleicht, der wird wohl die Verwandtschaft der beiden Erzählungen nicht verkennen. Ottokar schildert uns diese Ereignisse in den Capiteln 375, 376 und 377, zusammen in 407 Versen. Diese weitläufige Darstellung hält aber dieselbe Folge in den Einzelheiten bei,2) wie die kurze Angabe des Matthias. Zuerst wird, die Abnahme der Kräfte erzählt, hieran schliesst sich der Ausspruch der Aerzte:

wan iuwer arzât, die hie stânt
die habent mich des gemant,

daz ich iu tuo von in kunt

das vür dise stunt

ir lenger müget geleben niht,
wanob iu daz heil geschiht

1 ed. Studer S. 27.

2 Weit übereinstimmender als mit Ellenhard, der darin schon abweicht, dass er von einer eigentlichen Krankheit des Königs zu erzählen weiss. Im wesentlichen zeigt diese Quelle Verwandtschaft mit Matthias: Die hieher gehörige Stelle (Pertz, S. S. XVII. 134) lautet: Regressus (de Argentina) castrum imperii Germersheim mox lecto incumbens egritudinis, sciens quod brevi in tempore vita et spiritu vitali portans asinum, id est corpus, esset destituendus, disposuit domui sue, familiam, milites et alias voce lamentabili licenciando dicens: quod suis disponerent negociis, cum de eius vita non est et spes habenda. Familiaque ipsius incliti domini ab ipso domino recessit cum ululatu et fletu magno. Dominus enim Rudolfus rex predictus a castro Germersheim se transtulit Spiram, in qua civitate Spirensi reges Romanorum ab antiquo consueverant inhumari die videlicet sabbathi, cum die domenico sequenti esset moriturus.

Und auch hier erkennen wir die Umarbeitung einer älteren Erzählung.

als ich hoere an ir sag,

ob ir unz an den vünften tag

dem tôde vor weset;

vürbaz ir niht geneset.'

Darauf nun folgt der Entschluss des Königs:

,Wol uf, sô suln wir niht mer

beliben alhie.'

,Ze den andern künegen hin
will ich,' sprach er,,an dirre vrist
hin ze Spire, dâ ir mêr ist

mîner vorvaren,

die auch künege waren.

Den wil ich in belîbens siten

Zuo komen geriten

sô daz mich nieman vüeren tar'.

Den Schluss bildet die Darstellung des Todes selbst. - Abweichend von dem Berichte des Matthias ist die Einführung des Rittes zum Grabe, und die Angabe über den Ort woselbst Rudolf starb; in der Reimchronik ist Speier bei Matthias Germersheim genannt. Bei den citirten Stellen zeigt sich zum lateinischen Text genau dasselbe Verhältniss wie bei dem früher erwähnten Gedichte des Schulmeisters von Esslingen zu Matthias: das deutsche Gedicht erscheint als Paraphrase der lateinischen Aufzeichnung. Wohl liesse sich bei diesem Verhältnisse der beiden Angaben, natürlich abgesehen von einer näheren Untersuchung derselben, die Vermuthung aufstellen, Matthias habe einfach die Erzählung der Reimchronik ausgeschrieben. Doch dieser Einwand zeigt sich bei genauerer Betrachtung als unzureichend, denn aus der langen und durch lyrische Elemente vielfach zerrissenen Darstellung der Reimchronik einen so kurzen und in seinem Hauptmomente dennoch vollständigen Bericht herauszuschälen, erforderte eine ganz andere Begabung und Geschicklichkeit in der Behandlung vorliegender Quellen, als sie Matthias besass, der vielfach Begebenheiten der mannigfachsten Art willkürlich verkettete.') Dazu kommt noch ein Weiteres. Matthias hat die Reimchronik an keiner Stelle irgendwie benützt, folglich wäre gerade eine ganz zufällige 1 Vgl. Cap. 21. S. 18 f.

Berührung dieser beiden Quellen ein Ausnahmsfall, der auch in der Annahme, dass Matthias vielleicht nur einen kleinen Theil aus dem grossen Werke in Form eines abgesonderten Ganzen benützt hätte, keine genügende Erklärung finden kann. Dazu kommen noch die Differenzen zwischen den beiden Berichten in Betracht, welche durch das Verhältniss der Entlehnung unerklärt blieben. Wohl aber könnte die Erzählung der Reimchronik ähnlichen Ursprunges sein, wie die in Matthias von Neuburg vorliegende Fassung. Die Nachricht von dem Tode Rudolfs hat jedenfalls auf dem Wege nach dem Aufenthaltsorte des Dichters manche Aenderung erfahren. Diesen vielleicht schon in manchen Punkten veränderten Stoff erfasst der Dichter, und vom Mitgefühl und von dem Streben, die grossen Meister früherer Zeit nachzuahmen, angeregt, arbeitet er ihn um, unterbricht seine Darstellung der Begebenheiten in der Weise der alten Rittergedichte durch Schilderungen und Bemerkungen und bildet den sicchen König zu einem sterbenden Heros um. Schliesslich wird dem Dichter der einfache Entschluss, sich nach Speier zu begeben, zu einem Grabesritt.

Ist aber dem so, dann hat auch hier wieder Matthias nur eine den Begebenheiten gleichzeitige Aufzeichnung benützen können, die älter als Ottokars Reimchronik gewesen sein muss.

Der daraus sich ergebende Schluss, dass Matthias zur Geschichte Rudolfs von Habsburg aus älteren Quellen geschöpft haben muss - welche Ansicht auch dann nicht umgestossen werden kann, wenn die Annahme, Matthias habe den Tod Rudolfs aus der Reimchronik entlehnt, festgehalten wird und diese bis zu einem gewissen Grade treu wiedergegeben hat, ist wichtig zur Erklärung seiner Aufzeichnungen. Sicherlich von grösster Bedeutung wird diese Folgerung für die mannigfaltigen Notizen, deren Quellen nicht direct nachweisbar sind; denn sie erweisen sich unter dieser Voraussetzung als Reception älterer Nachrichten. Freilich erschwert die bedeutende Unbeholfenheit, mit welcher das Werk des Matthias angelegt ist, indem die verschiedenartigsten Bestandtheile vermengt sind, die kritische Behandlung und Untersuchung. Doch glücklicher Weise ist für unsere Frage eine solche Untersuchung nur auf wenige Fälle beschränkt, aber unter diesen ist eine Notiz von solcher Wichtigkeit, dass sie der Brennpunkt der Darstellung werden

Archiv. Bd. XLVIII. II. Hälfte.

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