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Die Schilderung, die Kaunitz von den für einen Staatsmann erforderlichen Eigenschaften entwirft, hat er sich abgelauscht.

Kaunitz schreitet sodann zur Darlegung der speciellen Grundsätze. So wie in früheren Jahren, bildet auch jetzt die Rücksichtnahme auf Preussen den Motor seiner Politik. An dem Grundsatze, dass dies ,der gefährlichste Nachbar und heimliche Feind' Oesterreichs sei, hielt er bis zum letzten Athemzuge fest. Nur einmal in seinem Leben redete er einer Verständigung mit dem Nachbarstaate das Wort, nämlich zur Zeit, als die russischtürkischen Wirren eine grosse Gefahr für das Gleichgewicht im Oriente befürchten liessen. Dass man dem Berliner Hofe nie vollständig trauen dürfe, ist für ihn der wichtigste Grundsatz des österreichischen Staatssystems, von dem man nur zeitweilig, wenn das eigene Interesse die wechselseitige Gehässigkeit überwieget', abweichen dürfe. Kaunitz verschloss sich nicht. der Ansicht, dass Oesterreich, Russland und Preussen im Falle einer gegenseitigen Verständigung den Continent beherrschen würden und keine Macht ihnen Widerstand zu leisten im Stande wäre, auch kleine Vortheile gegenseitig zu erlangen wären, ohne dadurch das Gleichgewicht zu stören. Allein die Zustandebringung eines solchen Concerts hielt er für einen politischen Traum, für ein Hirngespinnst. Andern Staaten gegenüber sei es jedoch angezeigt, die Möglichkeit einer solchen Vereinbarung durchblicken zu lassen, der Oesterreich schlimmsten Falls die Hände bieten würde.

Die Beibehaltung des neuen politischen Systems, wie Kaunitz die Allianz mit Frankreich nannte, sei auch künftighin im Interesse Oesterreichs entschieden geboten, wobei jedoch nicht vergessen werden darf, dass Frankreich eifersüchtig sei und leicht aus einem guten Freund ein gefährlicher Feind werden könne. Wenn Kaunitz aber in seinen nach Frankreich abgesendeten Depeschen nicht müde ward, immer und immer die Gegenseitigkeit der Vortheile, welche aus dieser Verbindung zwischen Oesterreich und Frankreich entstünden, zu betonen: legte er dem Monarchen gegenüber das Geständniss ab, dass

1 Vergl. meine Abhandlung: Ueber die Zusammenkunft Friedrich II. und Josef II. zu Neisse und Neustadt im Archiv für österreichische Geschichte Bd. XLVII. S. 397.

die Vortheile dieser Allianz doch mehr auf Seite Oesterreichs lägen. Josef II. war nichts weniger als von der Nützlichkeit des bestehenden Systems vollständig durchdrungen, und Kaunitz sah in diesem Schmerzenskinde die Meisterthat seines Lebens.

Zu Russland hatten sich die Beziehungen Oesterreichs seit dem Jahre 1772 sehr gebessert. Ein intimes Verhältniss bestand nicht, aber es nahm doch den Anschein grosser Vertraulichkeit an. Während der Verhandlungen zu Warschau über den Theilungstractat versuchte es Kaunitz mehrmals die Verbindung zwischen Berlin und Petersburg zu lockern, ohne jedoch seine Bemühungen von Erfolg gekrönt zu sehen. In entscheidenden Momenten trug Friedrich immer den Sieg davon. In Wien hegte man die Ansicht, dass Russland ein gewisses Gleichgewicht zwischen den zwei Staaten aufrecht erhalten wolle, und erklärte sich dadurch die allerdings oft nicht allzufreundliche Sprache, die man in Petersburg im Munde führte, wenn es sich um Preussen handelte. Andererseits schob der Statskanzler schon damals den russischen Staatsmännern den Gedanken unter, die Türkei über den Haufen werfen und sich zu diesem Behufe der Mitwirkung Oesterreichs bedienen zu wollen. Wenn Kaunitz in früherer Zeit einen solchen Gedanken weit von sich geworfen hätte, so glaubt er jetzt, es sei überaus wichtig, in sorgfältige Ueberlegung zu ziehen, ob es sich mit dem Interesse Oesterreichs vertrüge, wenn sich die Absichten Russlands realisiren würden. Hatte er früher das Vorrücken Russlands in der Türkei als höchst gefährlich für die Monarchie angesehen und damit alle jene Massnahmen zu rechtfertigen gesucht, die er zur Beilegung des türkisch-russischen Kampfes in den Jahren 1768-74 für nothwendig hielt, so hatte sich seitdem insofern eine Wandlung in seinen politischen Ansichten vollzogen, als er nunmehr die türkische Macht ihrem Untergange entgegen gehend und die Eroberung des Landes bei einer Mitwirkung Oesterreichs für gewiss ansah, wodurch das türkische Dalmatien und Croatien, Bosnien, Serbien, die Moldau und Walachei und noch andere Gebiete der österreichischen Monarchie einverleibt werden konnten. Allein einer Begünstigung des russischen Vorhabens redete er noch nicht das Wort. Abgesehen von manchen andern Bedenken, war auch hiebei die Rücksichtnahme auf Preussen ausschlaggebend, indem man diesem ebenfalls solche wichtige Vortheile in Polen würde einräumen

müssen, womit die Erwerbungen Oesterreichs keinen Vergleich aushalten könnten, da diese keineswegs zur Stärkung der Monarchie beitragen würden. Anders lag die Sache, wenn Russland darauf Bedacht nahm, Oesterreich von der Beisorge bezüglich Preussens zu entledigen.

Es ist klar: eine vollständige Abgeneigtheit, auf die Intentionen Russlands einzugehen, war bei dem Staatskanzler nicht vorhanden. Er warf im Laufe der nächsten Zeit fast alle Bedenken über Bord und steuerte noch bei Lebzeiten Maria Theresia's auf die Verbindung mit Russland los. Im Jahre 1776 wollte Kaunitz durch Frankreich eine Stärkung der Pforte bewerkstelligt wissen; ein Jahr darauf beschäftigte er sich mit dem Gedanken, Frankreich in ein Bündniss mit Russland zum Umsturze der ottomanischen Macht einzubeziehen.

Zwischen Oesterreich und Preussen stand nach der Ansicht des Staatkanzlers ein heftiger die Obermacht entscheidender Krieg über kurz oder lang bevor. Die Sicherstellung Oesterreichs erforderte es, bei Zeiten Vorkehrungen zu treffen, und Kaunitz warf sein Augenmerk auf Polen, welches eventuell gute Dienste leisten konnte.

Es würde hier zu weit führen, auch die andern Punkte der Kaunitz'schen Denkschrift hervorzuheben. Sie betreffen Baiern, Jülich und Berg, Ansbach und Bayreuth, demnach Fragen, die zwei Jahre später im Vordergrunde standen, und welche in einer selbstständigen Abhandlung allseitig beleuchtet werden sollen.

II.

Kaunitz leitete nicht allein die auswärtigen Angelegenheiten, auch bei allen wichtigeren die innern Verhältnisse der Monarchie betreffenden Fragen wurde sein Rath gehört und gab vielfach den Ausschlag. Die Anzahl der in diesen Richtungen von ihm verfassten Denkschriften ist nicht klein. Maria Theresia. nahm bei jedem bedeutenden Gegenstand zu der bewährten Einsicht des Staatskanzlers Zuflucht, ihm wurden die oft ungemein umfangreichen Elaborate, die von den anderen Centralbehörden

1 Ein vollständiger Plan war schon im Jahre 1777 vorhanden, also ein Jahr nach Abfassung dieser Denkschrift.

einliefen, zur Begutachtung zugewiesen, ehe sich die Monarchin entschloss, die Entscheidung zu fällen. Mochten es nun Finanzangelegenheiten oder Verordnungsfragen sein, ehe Kaunitz seine Ansicht kund gegeben, war an eine Erledigung nicht zu denken.

Insbesondere mehrten sich diese Voten des Staatskanzlers, seitdem Josef an der Regierung der österreichischen Länder activen Antheil nahm. Von einem regen Feuereifer getrieben, von brennendem Ehrgeize beseelt, wollte Josef seit der Uebernahme der Corregentschaft Reformen in fast allen Zweigen der Verwaltung einführen. Die Schäden und Gebrechen, an denen das Staatswesen krankte, wurden von dem jungen Monarchen in ihrer Wesenheit erkannt, und vielfach war er eifrigst bemüht, seine Mutter für seine reformatorischen Ideen zu gewinnen. Allein die Kaiserin befolgte auch ihrem Sohn gegenüber dieselbe Methode, wie bei andern weitgehenden Anträgen ihrer Minister, sie verlangte das Gutachten ihres Staatskanzlers.

Eine Denkschrift des Kaisers vom Jahre 1765 hat Arneth im dritten Bande des von ihm herausgegebenen Briefwechsels zwischen Maria Theresia und Josef veröffentlicht. Sie erörtert eine Anzahl von Veränderungen, die der Kaiser in dem ganzen Verwaltungsmechanismus des Staates für nothwendig hielt. Ende 1765 niedergeschrieben, übergab Maria Theresia das Memoire ihres Sohnes dem Staatskanzler. In einem umfassenden Elaborate vom 18. Februar 1766 kritisirt Kaunitz die Ansichten des Kaisers, und es ist für die Beurtheilung dieser beiden Persönlichkeiten von grossem Interesse, die Gegensätze ihrer Ansichten kennen zu lernen. Josef, damals im blühendsten Lebensalter stehend, bebt vor keiner Schwierigkeit zurück, wenn es gilt, eine reformatorische Thätigkeit zu entfalten; Kaunitz, idealistischen Träumereien seiner ganzen Anlage nach nicht zugeneigt, trägt den realen Verhältnissen Rechnung und sucht das Bestehende auch dort zu rechtfertigen, wo es sich factisch überlebt hatte. Nicht mit einem Schlage sollte und konnte seiner Ansicht nach eine Reform erfolgen, nur langsam und allmälig sich ein Umbau vollziehen. Kaunitz hat jedenfalls einen grossen Vorsprung vor dem Kaiser voraus, - seine Erfahrung. Mit grosser Umsicht erwägt er einen Punkt nach dem andern, während Josef bei vielen blendenden Ideen weit über das Ziel hinausschiesst, wodurch allerdings manches Vortreffliche seiner Vorschläge in die Brüche geht. Denn es ist

mehr als blosse Schmeichelei, wenn Kaunitz in seiner Denkschrift hervorhebt, dass die Arbeit des Kaisers vielfach richtiges Urtheil und eine grosse Einsicht verrathe.

Der Staatskanzler fasst zuerst die schwachen Seiten der kaiserlichen Arbeit ins Auge. Er beantwortet dieselbe nicht in derselben Reihenfolge, sondern greift den einen und andern wichtigen Punkt heraus, um denselben einer eingehenden Zergliederung zu unterwerfen.

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Josef hatte in seiner Denkschrift auch die Mängel des österreichischen Unterrichtswesens hervorgehoben und insbesondere eine scharfe Kritik der Erziehung, wie sie damals in den höhern Kreisen der Gesellschaft vorherrschend war, gegeben. So weit sich der Kaiser auf die Negative beschränkte, enthielt seine Darlegung viel des Wahren und auch noch in der Gegenwart zu Beherzigenswerthen. Seine Anträge aber boten der Widerlegung viele wunde Punkte.

Der Kaiser sieht einen Hauptfehler darin, dass die meisten höheren Lehranstalten sich in der Hauptstadt, in Wien, befinden; in Brünn, Neustadt und Linz, meint er, wären sie besser am Platze. Er legt ein Hauptgewicht auf die Zerstreuung, welche die grosse Stadt bietet. Dem gegenüber wird es Kaunitz gerade nicht schwer, die Gründe zu betonen, die gegen die Verlegung der Universität und der andern höheren Lehranstalten in Landstädte geltend gemacht werden können. Ueber diesen Punkt ist seitdem viel hin und her gestritten, Gründe für und wider ins Feld geführt worden. Kaunitz erörtert natürlich den Gegenstand nicht in seiner Tiefe; weit entfernt, ihn zu erschöpfen, begnügt er sich, vom Standpunkte der Nützlichkeit die Vortheile des Aufenthaltes in grossen Städten hervorzuheben, wobei allerdings auch manches nicht Stichhaltige mit in den Kauf gegeben wird.

Von grossem Interesse sind die Erörterungen des Fürsten Kaunitz über den Unterricht und die Erziehung überhaupt. Er will dieselben dem Stande gemäss, für den ein jeder bestimmt ist, eingerichtet wissen; der Unterricht sollte von Anfang an specielle Richtungen verfolgen. In dieser Hinsicht treten uns hier dieselben Gesichtspunkte entgegen, die später bei der Organisation der Unterrichtsanstalten unter Franz massgebend

1 Bei Arneth a. a. O. S. 318.

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