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ΙΟ

ASTRONOMIE

DIE SONNE

Wenn man rundfragen könnte, welches der wichtigste Himmelskörper für uns Menschen ist, so würde unzweifelhaft allenthalben die Antwort erfolgen: die Sonne. Dies ist auch richtig, aber in ungleich höherm Maße, als der bloße Augenschein lehrt. Die augenfällige Wichtigkeit des Sonnenlichtes und der Sonnenwärme ist von der neuern Wissenschaft noch in weit größerm Umfange nachgewiesen worden, so daß man wohl sagen kann, wir Menschen haben recht eigentlich bis zur Gegenwart 10 kaum gewußt, in wie hohem Grade wir von der Sonne oder richtiger von der Wärme, die sie uns spendet, abhängen. Die hauptsächlichsten Quellen der Kraft oder Energie auf unserer Erde entstammen der Sonne und sind mit deren Wärmestrahlen zu uns gekommen; neben ihnen gibt es nur verhältnismäßig unbedeutende Quellen der Energie für die Erde, nämlich deren Rotation, die innere Bodenwärme und die chemische Verwandtschaft. Die Sonnenwärme ist es, welche die Pflanzen wachsen läßt, und die im Erdboden in den 20 Steinkohlenlagern zur Feuerung für unsere Maschinen und Wohnhäuser aufgespeichert liegt. Das helle Gaslicht wie das strahlende elektrische Licht, verdanken ihre Existenz in letzter Beziehung der Kraft, welche mit den Sonnenstrahlen auf unsere Erde herabkam und hier in 25 Gestalt von chemischer Differenz aufgespeichert liegt.

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Die Flutkraft ist eine ungeheuere Quelle von Energie und wird größtenteils durch die Mondanziehung auf die zusammenhängenden Meere unserer Erde hervorgerufen; insofern haben wir also hier eine große Quelle von Energie, die nicht direkt der Sonne entstammt. Anderseits aber ist es freilich Sonnenwärme, welche das Wasser in seiner flüssigen Gestalt erhält, denn ohne die Wärmestrahlung der Sonne gäbe es kein tropfbarflüssiges Wasser, sondern nur festes Eis. Wenn man den ungeheuern Kraftverbrauch auf unserer Erde betrachtet, wenn man 10 erwägt, wieviel Bewegung hier unten stattfindet - und jede Bewegung erfordert Kraft! - Bewegungen von Menschen, Tieren, Maschinen usw., so könnte man glauben, daß die Sonnenstrahlen keine ausreichende Quelle seien, um diesen Kraftverbrauch zu bestreiten. 15 Diese Ansicht ist in der Tat ausgesprochen worden, allein sie ist völlig irrig. Denn der eben erwähnte Verbrauch von mechanischer Energie durch die sämtlichen organischen Wesen und durch unsere Maschinen ist im Vergleiche zu dem gesamten Kraftverbrauche auf der 20 Erde ein so geringer, daß er sogar als völlig verschwindend betrachtet werden kann. Professor Reye hat berechnet, daß der Orkan, welcher vom 5. bis 7. Oktober 1844 in der Nähe der Insel Cuba wütete, allein zur Bewegung der gegen das Zentrum des Sturmwirbels 25 einströmenden Luft, eine Arbeit von 473 Millionen Pferdekräften während dreier Tage aufwendete, eine mechanische Arbeit, die vielleicht größer ist, als alle Windmühlen, Wasserräder, Dampfmaschinen, Menschen- und Tierkräfte der ganzen Erde in der gleichen 30 Zeit leisteten. Die mechanische Kraft in jenem Wirbelsturme entstammte aber lediglich der Sonnenwärme und

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bildet nur einen verschwindend geringen Teil derjenigen, welche ununterbrochen erfordert wird, um das Wasser zu verdunsten und in Gestalt von Bächen, Flüssen und Strömen wieder zum Meere gelangen zu lassen, sowie der ungeheuern Mengen von Kraft, welche bei den Bewegungen des Wassers in den Ozeanen verbraucht werden. Durch sorgfältige Messungen mit sehr feinen Apparaten hat man gefunden, daß die Sonne, welche 149.5 Millionen Kilometer von uns entfernt ist, so viel IO Wärme der Erde zusendet, daß diese bei senkrechtem Auffallen ihrer Strahlen in jeder Minute auf jedem Quadratzentimeter der Erdoberfläche 1 g Wasser um 24 Grad erwärmen würde. Auf den ersten Blick scheint dieses Wärmequantum nicht groß zu sein, in Wirklich15 keit ist es ungeheuer, denn auf das Jahr berechnet, würde diese Wärme ausreichen, um eine die ganze Erdoberfläche bedeckende Eisschicht von 38 m Dicke zu schmelzen. Indessen ist diese gewaltige Energiemenge nur ein verschwindend kleiner Teil der gesamten Wärme, 20 welche die Sonne ununterbrochen in den Weltraum ausstrahlt. Denn wie eine einfache Betrachtung zeigt, muß diese gesamte Wärmestrahlung der Sonne 2200 Millionen mal größer sein als der auf die Erde entfallende Teil. Bestände daher der ganze Sonnenball, dessen Kubik25 inhalt 1297 mal größer ist als der des Erdballes, völlig aus Steinkohle, so würde deren Verbrennung nur ausreichen, die Wärmestrahlung der Sonne für einen Zeitraum von 21 000 Jahren zu decken. Niemand kann aber bezweifeln, daß die Sonne älter als 21 000 Jahre ist 30 und selbst älter als das Hundertfache und sogar Tausendfache dieses Zeitraumes; auch hat sich, soweit die Menschengeschichte reicht, keine wahrnehmbare Ver

minderung der Sonnenwärme gezeigt. Wir müssen daraus schließen, daß die Zustände auf der Sonne ganz eigentümliche sind; es muß eine Quelle existieren, die den Wärmeverlust der Sonne, wenigstens soweit menschliche Erfahrung reicht, ausgleicht. Um in der Frage 5 nach dem Anfange und Ende der Sonnentätigkeit etwas klarer zu sehen, ist es von größter Wichtigkeit, zu untersuchen, aus welchen Quellen überhaupt die Sonnenwärme stammt, woher die Energievorräte des gewaltigen Sonnenballes genommen sind? Diese Frage ist 10 außerordentlich schwierig, ja man hat bis zum Auftreten von Robert Mayer nicht einmal daran gedacht, sie allgemein aufzuwerfen. Dieser geniale Mann, dessen Name für immer mit dem Prinzip von der Erhaltung der Kraft verknüpft bleiben wird, und der zuerst mit Nachdruck 15 hervorhob, daß der Strom der Sonnenkraft, welcher sich über die Erde ergießt, die beständig sich spannende Feder ist, die das Getriebe irdischer Tätigkeiten unterhält, dieser scharfe Denker kam zu der Überzeugung, daß der Verlust, welchen die Sonne durch fortwährende 20 Strahlung erleidet, ihr auf irgendeine Weise ersetzt werde. Die Quelle dieses Ersatzes sah er in den unaufhörlich auf die Sonne stürzenden Meteoren. Man muß annehmen, daß die Anzahl der Meteore, der Sternschnuppen und Feuerkugeln, welche um die Sonne zirkulieren oder sich 25 aus allen Richtungen des Weltraumes gegen sie hin bewegen, außerordentlich bedeutend ist und gewiß zahllose Milliarden einzelner Körperchen umfaßt. Auch werden sicherlich unzählige Meteore auf die Sonne herabstürzen, und infolge der ungeheuern Geschwindig- 30 keit, mit welcher sie den Sonnenball treffen, muß eine Glut entstehen, die wenigstens 4000 mal größer ist als

diejenige, welche durch die Verbrennung eines den betreffenden Meteoren an Größe gleichen Quantums der besten Steinkohle entsteht. Es kommt dabei gar nicht in Betracht, ob diese in die Sonne stürzenden Substanzen 5 brennbar sind oder nicht, denn ihre Verbrennung würde die ungeheuere Hitze, welche durch den Zusammenprall erzeugt wird, nicht wesentlich vermehren. Die Hypothese Mayers hat daher sicherlich einige Wahrscheinlichkeit für sich. Unzweifelhaft stürzen zahllose Meteore 10 tagtäglich auf die Sonne, und sie erzeugen beim Zusammenprallen eine gewaltige Wärmemenge, allein es läßt sich beweisen, daß diese nicht ausreicht, den Verlust der Sonnenstrahlung zu decken. Denn wenn dies der Fall wäre, müßten die Meteore nicht minder in der 15 Nähe der Erdbahn so zahlreich vorhanden sein, daß sie, auf die Erde herabstürzend, auch diese merklich erhitzten, wovon doch nicht das geringste nachzuweisen ist. Eine bessere Erklärung gibt dagegen die Helmholtzsche Sonnentheorie im Anschluß an die Hypothese über die 20 Bildung des Sonnensystems, doch ist hiermit auch noch nicht das letzte Wort gesprochen. Die Sonne entstand nach Helmholtz vor Millionen Jahren aus einer Nebelmasse, die auch den Planeten ihr Dasein gab. Der im Mittelpunkte des Planetensystems befindliche Rest ballte 25 sich dort zu einer Kugel, deren Materie durch den Ballungsakt selbst in einen Zustand überaus hoher Glut geriet. Diese Glut strahlte ununterbrochen in den Weltraum aus, aber gleichzeitig verdichtete sich damit der zentrale Nebelkern, bis er schließlich das Aussehen un30 serer Sonne annahm. Der Vorgang der Wärmeausstrahlung und der Zusammenziehung aber dauert auch jetzt noch fort, und die Zusammenziehung oder Ver

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