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heit ungeheuer wichtige Einteilung der Eiszeit nach den Funden von Werkzeugen und Waffen versuchte als erster der Franzose Mortillet. Auf diesem System fußend schuf dann der Wiener Prähistoriker und Archäo5 loge Hoern es ein vereinfachtes neues System, nach dem wir die Eiszeit kulturgeschichtlich in drei Perioden zerlegen müssen. Die Namen sind in Anlehnung an die wichtigsten Fundstätten gebildet. Die wichtigsten eiszeitlichen Kultur perioden sind das Chelléo-MouIo stérien, das Solutréen und das Magdalénien. Das Chelléo-Moustérien ist die älteste der drei Perioden und zugleich die älteste Epoche der Anwesenheit des Menschen (homo primigenius). Eine interessante Tierwelt lebte damals am Rande der Gletscherwelt und in den 15 etwas wärmeren kontinentalen Gegenden. Da finden wir vor allem das Mammut und in Höhlengegenden besonders zahlreich den Höhlenbär; daneben kommen Elephas, Rhinozeros, Hippopotamus u. a. in Betracht. Die wichtigsten Fundstätten fossiler Menschenreste aus 20 dieser Periode sind: Le Moustier in Frankreich, Spy in Belgien, Krapina in Kroatien und das berühmte Neandertal bei Düsseldorf, Taubach, Rübeland usw. in Deutschland. Vermittelt durch die kürzere A cheulé en periode schließt sich an das Chelléo-Moustérien 25 das Solutréen an, einschließlich des sog. Aurigna cien als einer Art Übergang zu der letzten der drei großen eiszeitlichen Kulturperioden. Die Menschen des Solutréen besaßen zweifellos bereits eine vorgeschrittene Jägerkultur; die Steinwerkzeuge sind jetzt wesentlich 30 feinerer Art; Schnitzereien auf Knochen, Tierzeichnungen an Höhlenwänden und die Anfänge der Ornamentik weisen auf eine wesentlich höher entwickelte

Kultur hin. Auch die Tierwelt, inmitten derer der Mensch damals lebte, ist, zum Teil wenigstens, eine andere. Der Höhlenbär ist bereits selten, ja im Aussterben, auch das Mammut wird gegen das Ende der Periode seltener. Zahlreich sind Höhlenraubtiere aller 5 Art, Wildpferde usw. War die erste Periode die eigentliche Zeit des Höhlenbären, so kann man das Solutréen mit Recht als die Mammut- und Pferdezeit bezeichnen. Hauptfundstätten fossiler Menschenreste dieser Periode, die nur wenig von den älteren des Chelléo-Moustérien 10 abweichen, sind Solutré und Laugerie-Haute in Frankreich, sowie Brünn in Mähren. - Wiederum ein wesentlich anderes Bild zeigt das M a gdalénien, die letzte der drei bedeutendsten Kulturperioden der Eiszeit. Nashorn und Höhlenbär sind gänzlich erloschen, das 15 Mammut findet sich nur noch vereinzelt im Osten vor; das Magdalénien ist aber die eigentliche Renntierzeit, jenes Tieres, dessen Spuren der Mensch mit den zurückweichenden Gletschern nach dem höheren Norden folgte, wo wir es heute noch heimisch finden. Eine neue 20 Menschenrasse, diejenige von Crô-Magnon, welche dem rezenten Menschen der historischen Zeit bereits wesentlich näher steht als der Neandertaler, taucht auf. Hauptfundstätten fossiler Menschenreste dieser Periode sind: Crô-Magnon, La Madeleine, Laugerie-Basse in 25 Frankreich, das sog. ,,Kesslerloch" in der Schweiz, Schussenried in Bayern, Andernach und die berühmte Gudenushöhle im Kremstale in Österreich.

Interessant sind die Versuche, Dauer und Alter der Eiszeit in Annäherungszahlen zu bestimmen. So be- 30 rechnete Geheimrat Prof. Dr. Penck, wohl mit der beste Kenner der Eiszeitforschung, die Dauer der

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gesamten Eiszeitperioden auf ca. 500 000 Jahre; nach Mortillet hätte die älteste der von ihm angenommenen sechs Perioden allein einen Zeitraum von 78 000 Jahren umfaßt. Nuesch wiederum berechnete das Alter der ältesten menschlichen Reste auf 20 000 Jahre. Sicher kann dieses Resultat heute nicht mehr befriedigen. Vielmehr bestätigen die jüngsten Funde fossiler Menschen, welche Nuesch noch nicht kannte, die Annahme Pencks: ,,Wir können das Alter des 10 Menschengeschlechts in Europa mit einiger Wahrscheinlichkeit auf ein paar hunderttausend Jahre veranschlagen". Mortillet berechnete das Alter der Menschheit bereits auf 230-240 000 Jahre, und in neuester Zeit fand Reinhardt ein Alter von rund 15 400 000 Jahren. Naturgemäß handelt es sich bei allen diesen Angaben um mehr oder weniger zuverlässige Annäherungswerte, und mehr beanspruchen sie auch nicht.

Bei näherer Betrachtung der Funde von Menschen20 resten ältester Zeit gewinnt vor allem die Frage große Bedeutung: Müssen wir auf Grund dieser Funde annehmen, daß es sich hier um eine einheitliche Rasse handelt, oder müssen wir davon überzeugt sein, daß in Europa während der Diluvialzeit bereits verschiedene Formen 25 der Gattung Mensch gelebt haben? Da diese Frage nach dem heutigen Stande der Wissenschaft bejaht werden muß, richten wir unser Augenmerk zunächst auf die prähistorischen Menschenrassen. Die älteste uns bekannte, durch unanfechtbare Funde beglaubigte Men30 schenrasse gehört dem mittleren Diluvium an, oder, kulturgeschichtlich gesprochen, der älteren (paläolithischen) Steinzeit an. Man bezeichnet sie als die Nean

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dertalrasse (homo primigenius). Der Neandertaler war ein Zeitgenosse des Höhlenbären und des Mammuts, ein Höhlenbewohner der älteren Steinzeit, dessen primitive Chelléo-Moustérienkultur an anderer Stelle ausführlich geschildert werden soll. Funde 5 von zweifellos zu dieser Rasse gehörigen, im ganzen gleichartigen Menschenresten stammen aus: Neandertal, Spy, Krapina, La Naulette, Schipka, Ochos, Gibraltar usw. Fig. 1. Nach den Untersuchungen Schwalbes ist homo primigenius bereits im Diluvialalter erloschen, also noch vor Anbruch der geologischen Gegenwart, dem Alluvium, durch die zurzeit lebende Menschenart ersetzt worden. Die hervortretendsten Merkmale dieses Diluvialmenschen sind die schwache Entwicklung des Stirnhirns und dadurch bedingte Niedrigkeit des Schädels 15 und die starke Entwicklung der Augenbrauenbogen, welche zum Schutze für das schärfste und bedeutsamste Sinnesorgan des Menschen das Auge mit starkem Wulste schirmartig überragen. Ferner sind die fliehende Stirn und schwächere Aufrichtung des Hinterhauptbeines so- 20 wie auch besonders die mangelhafte Kinnbildung charakteristische Merkmale des homo primigenius. Ja bei dem alt diluvialen Typus fehlt die eigentliche Kinnbildung fast ganz. Die Arme des Neandertalers sind nicht annähernd so lang wie die Beine. In dieser Hinsicht 25 finden wir einen im wesentlichen menschlichen Typus. Übrigens vereinigt diese fossile Rasse charakteristische Merkmale, welche noch heute bei verschiedenen Naturvölkern, z. B. den Eskimos, bei Afrika- und Australnegern zu finden sind. Die neuesten Funde, welche 30 augenscheinlich ebenfalls der Neandertalrasse zuzurechnen sind, besitzen zum Teil wenigstens ein noch höhe

res Alter als alle bisher bekannt gewordenen. Im Jahre 1907 machte man den bedeutsamen Fund des sog.

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FIG. I.

Schädeldach des Spy-Menschen (oben), des Neandertalers (homo primigenius) und von Pithecanthropus erectus (unten). Nach Krantzschen Gipsabgüssen.

Unterkiefers von Mauer bei Heidelberg. Fig. 2. Dieser besitzt eine durchaus tierische, der äffi5 schen sehr verwandte Form; doch sind die Zähne zwei

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