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grossen Ausfall, in welchem sie den Feind geschlagen hatten, den Befehl erhielten, wieder in die Stadt zurückzukehren.

Schliesslich befasste man sich im Sommer 1855 nur mehr mit der Frage, wer überhaupt mehr Bomben zuführen kann, ob die Verbündeten zur See, oder wir mittels unserer Courrierkutschen. Eine Schienenverbindung aus dem Inneren des Reiches nach der Krym hätte damals sowohl, wie auch gegenwärtig genügt, um diese ungünstigen Verhältnisse auszugleichen; in militärischer Beziehung wäre aber eine Verbindung der Krym mit dem Prut noch bequemer gewesen. Den Bedürfnissen des Jahres 1855 hätte jeder Schienenweg aus dem Inneren Russlands genügt; die Lage aber wäre ausgezeichnet gewesen, wenn beide Wege sowohl aus dem Inneren als vom Prut sich in der Krym vereinigt. Nun aber scheint man die Absicht zu haben, eine künftige Bahn nach der Krym den Umständen des Jahres 1855 anzupassen. Eine solche Absicht ist eine phantastische Jdee, wenn nicht noch etwas Schlimmeres. Wir haben gesehen, welche Folge aussergewöhnlicher Bedingungen nothwendig war, damit der Krymkrieg geführt wurde. Eine einzige dieser Bedingungen weggedacht, und es wäre zum Krymkriege gar nicht gekommen ; damit aber ein solcher erneuert ausbrechen könne, ist nöthig:

1. dass wir abermals in die Türkei mit Umgehung Österreichs die klare Unmöglichkeit dieser Operation nicht berücksichtigend einfallen.

2. Frankreich müsste abermals einen Krieg, des Krieges halber, wollen und zu diesem Ende, sich vollkommen entblössend, alle seine Streitkräfte abermals im Bassin des schwarzen Meeres concentriren.

3. Preussen müsste, unbeschadet seiner freundnachbarlichen Beziehungen zu Russland, auch gleichzeitig für die Unverletzbarkeit der Rheingrenze bürgen.

4. Wir müssten uns abermals unfertig aus Verzweiflung in einen Krieg stürzen und daher auch die Möglichkeit verlieren, dem Kriege eine unseren Absichten angemessene Richtung zu geben.

5. Wir müssten erneuert in die Falle, wie im Jahre 1854 gerathen und dadurch den Österreichern Anlass geben, sich zwischen uns und die Coalition dieser die ganze Freiheit des Handelns gewährend zu stellen.

6. Es muss schliesslich der Hafen von Sewastopol sammt der Flotte des schwarzen Meeres existiren, um natürlich den ersten Angriff der müssigen Coalitions-Armee auf sich zu ziehen.

Wenn nun aber nicht Eine dieser wunderlichen Bedingungen, welche selbst in der Vereinzelnung künstlich bleiben, nicht besteht, um des Himmelswillen welche Coalition kann demnach nach der Krym kommen, und was wird sie dort beginnen?

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Würde man vorsätzlich trachten, die Verhältnisse des Jahres 1854 zu erneuern, man könnte unmöglich eine nach Hunderttausenden zählende feindliche Armee in die Krym locken. Gegen wen daher diese furchtbaren VorÖsterr. militär. Zeitschrift. 1871. (2. Bd.)

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bereitungen, dieses Verschleudern so vieler Millionen auf die gesicherte Bahn und das drohende Kercz, dieses neue Sewastopol, wie es der " Invalide" zu nennen beliebt? Die Krym gegen eine Coalition des Jahres 1855 zu befestigen, ist das nämliche, als wenn man Poltawa befestigen würde gegen eine neue Belagerung durch Karl XII.

Ich will damit nicht etwa sagen, dass es nicht nothwendig ist, für die Vertheidigung der Krym und des ganzen Landstriches am schwarzen Meere Massregeln bei Zeiten zu treffen; aber diese Massnahmen sollen eben den wirklichen Bedürfnissen der Zukunft und nicht jenen der Vergangenheit angepasst werden. Man muss dieselben auch entsprechend theilen, damit eben an einem Punkte nicht zuviel vorbereitet werde, während an anderen das Unentbehrliche mangell.

Ein Krieg mit der Türkei kann ja morgen ausbrechen; aber in diesem Falle werden sich die entscheidenden Handlungen auf der Westgrenze ab spielen und durchaus nicht auf dem schwarzen Meere. Den gefährlichsten Fall angenommen: Wir stünden plötzlich ohne alle Verbündete ganz allein gegen eine europäische Coalition, wie im Jahre 1854, so wird gewiss Jedermann einsehen, dass in einem solchen Falle vor Allem die Hauptgefahr in Polen, dann dem Zakaukas (Transkaukasus) und in Finnland liegt, — Gegenden, in welchen der Feind die Möglichkeit hat, im ersten Augenblicke die Oberhand zu gewinnen und sich dadurch günstige Verhältnisse zu schaffen. In keinem Falle aber dürften sich die Streitkräfte der europäischen Coalition während der ersten Periode des Krieges etwa in der Türkei zusammenballen, und die Verbündeten dürften auch keinerlei Veranlassung haben, sich um das Schicksal dieser letzteren zu beunruhigen. Wir aber werden im ersten Augenblick nicht gegen alle Erfahrung den Krieg hinter die Donau - Österreich umgehend tragen; denn vor dem Angriffe auf die Türken in Europa müssen wir gesiegt, das heisst, den nach wahrem Werthe stärkeren Gegner geschlagen haben. Die europäischen Armeen werden in der Reihenfolge dorthin operiren, wo für sie ein Ziel und nennenswerthe Punkte liegen, niemals aber auf Gegenden ihre Aufmerksamkeit lenken, wo für sie schliesslich Nichts zu gewinnen wäre. Das „wo“ und wohin“ hängt zwar von ver schiedenen Bedingungen ab, doch diese kann man auch ohne einen besonderen Scharfblick voraussehen. Der Krieg im schwarzen Meere wird somit ohne die materielle Unterstützung durch Europa ein localisirter, zwischen den Nachbarn, Russland und der Türkei sein, wenngleich man nicht behaupten kann, dass die Türken nicht schliesslich durch irgend ein europäisches Landungs-Heer verstärkt sein werden.

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England beispielsweise, welches zu einem europäischen Landkriege nicht kräftig genug ist, könnte eine solche Verstärkung der Türkei senden: aber auch dieses ist bei einem Kriege mit Russland kaum wahrscheinlich. denn England sendet alle seine überflüssigen Soldaten nach Indien, und eben nicht gegen den Nordwind und russische Bajonnete. Doch abgesehen davon. werden wir, wenn der Krieg entbrennt, am schwarzen Meere die Türken

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sehen, und möglicherweise ein europäisches Expeditions-Corps von 10 bis 15.000 Mann mehr Europäer in keinem Falle. Die Hauptstreitkräfte der Türkei aber werden in Asien engagirt sein, und zu Expeditionen auf der See bleiben sehr wenige Kräfte übrig. Wir können demnach das Operations-Heer für See-Expeditionen höchstens mit 40.000 Mann annehmen, und darunter zwei Drittheil Türken, das ist: Leute, welche ohne Ausnahme laufen, wenn einmal ihre erste Linie umgeworfen ist. Für den Trajet zur See wird man kaum Mittel für die Hälfte dieses Corps finden, denn im Jahre 1854 bedurfte es der grössten Anstrengungen Englands, Frankreichs und der Türkei, und war die Miethe von Schiffen aller Nationen nöthig, um in zwei Fahrten 62.000 Mann zu überführen. Doch angenommen, dass sich die Mittel für Landungen finden werden, ich will auch die Ziffern und die Wahrscheinlichkeit vergrössern, damit man mir ja nicht etwa Parteilichkeit vorwerfe, so wird es doch nöthig sein, zu untersuchen, was für Ziele eine entsprechend starke See-Expedition im schwarzen Meere verfolgen könnte.

Niemand verschleudert seine Mittel unnütz; eine solche Expedition ist aber mit ungeheurem Verlust verbunden, und es ist daher unbedingt nöthig, dass das Ziel, wenn auch nur annähernd, immerhin aber in einem Verhältnisse zum Aufwand der Mittel stehe. Man kann dem Feinde eben nur dort einen empfindlichen Schlag beibringen,wo nach der Grenz-Configuration oder der Stimmung der Bevölkerung der erste Sieg ihn zum Verlassen der Provinz zwingt, und dieser Umstand uns das Recht einräumt, im äussersten Falle den Feind zur Annahme unserer Bedingungen durch die Drohung zu zwingen, dass ihm die genommenen Provinzen nicht zurückerstattet werden, wenn er auf unsere Bedingungen nicht eingeht. Damit aber eine solche Drohung auch wirksam sei, muss man moralisch und materiell in der Lage sein, diese augenblickliche Eroberung festzuhalten. Schliesslich kann auch das Endziel eines Feldzuges in der Zerstörung von theueren, für ihre Wiedererneuerung lange Zeitperioden in Anspruch nehmenden und nach ihrem Zweck gefährlichen Einrichtungen des Feindes bestehen, -Einrichtungen, wie es Sewastopol war. Das ist jedenfalls begreiflich. Nun aber existirt Sewastopol als Kriegshafen und Arsenal nicht mehr, und einen anderen für den Feind wichtigen Punkt in der Krym gibt es nicht. Es könnte somit der Feind eine Absicht auf Transkaukasien haben? Diese Gegend ist zwar dermalen für einen äusseren Feind schwer zugänglich, weil die früheren Czerkessen-Berge sich in unserer Gewalt befinden und eine unüberwindliche Festung vorstellen, von welcher aus man auf die feindlichen Verbindungen, sei es nördlich oder südlich der Berge, wirken könnte; ferner lebt die muselmännische Bevölkerung, auf welche der Feind früher zählen konnte (Obchasien ausgenommen), weit vom schwarzen Meere entfernt, welch' letzteres von einem treuen christlichen und kriegerischen Volke umgeben ist. Immerhin hätte indess eine Unternehmung auf Transkaukasien von der Seeseite mit der gleichzeitigen Offensive einer türkischen Armee aus Kars eine Wahrscheinlichkeit des Erfolges.

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Wir sehen daher, dass unsere wunde Stelle im Bassin des schwarzen

Meeres, eben in Transkaukasien, eingeschlossen ist, und dort vorzüglich ist es nöthig, über Kriegsstrassen und Befestigungen nachzudenken.

Der Verfasser jenes Invaliden-Artikels gedenkt aber, bei irgend einer besonderen Kriegsperiode die Krym und die westliche Hälfte der neurussischen Länder vom Prut bis zum Dnjepr aufzugeben. Was soll dies eigent lich bedeuten?

Es wäre nicht schwer, die Sache ins Lächerliche zu ziehen, doch dieses ist nicht meine Absicht, da der Autor des in Rede stehenden Artikels insoferne nicht schuldig ist, als er nur, der allgemeinen Geistes-Richtung in dieser Beziehung folgend, seine Aufgabe auf Basis der Erinnerungen aus dem letzten orientalischen Kriege zu lösen versuchte. Nur mit Rücksicht auf die Vertheidigungs-Linie des Dnjepr bleibt noch Einiges zu erwähnen übrig:

Wenn wir ein Hervorbrechen Osterreichs im Jahre 1856 annehmen, so hätte sich der Krieg unzweifelhaft in den westlichen Gouvernements abgewickelt. Die Armee der Coalition würde wohl aus der Krym zur Vereinigung mit den Österreichern abgegangen sein, aber durchaus nicht etwa durch die Steppe über Perekop oder über die Köpfe unserer Sewastopol'schen Armee, sondern eben übers Meer und durch Odessa und hätte, um diesen Zweck zu erreichen, wohl ihre Arrièregarde geopfert. Damals wäre es für uns nöthig gewesen, zur Zeit des Abmarsches der verbündeten Armee von der Küste nach Podolien einige Tage am linken Dnjeprufer auszuharren, und in Folge dieser Combination verlegt der Autor jener Artikel die Verbindungslinie Russlands mit der Krym hinter den Dnjepr, um eben den Feind nicht in Versuchung zu führen.

In militärischer Beziehung dürfte sich jedoch der blosse Rückblick auf die Vergangenheit als ungenügend herausstellen, und es sind noch andere Vergleiche und eine gewisse Voraussicht nöthig.

Wer kann demnach von der Seite der neurussischen Länder unser zukünftiger Feind sein? Armeen einer neuen Coalition?

Hiezu mussten jene früher genannten sechs Bedingungen existiren; sie bestehen aber nicht. Die Österreicher?

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Aber wird Österreich, verstärkt durch andere Verbündete, im Kriege gegen uns an eine Offensive gegen den Dnjepr denken? es wäre denn, dass es sich in seine Wasserfälle verliebt hätte! Es könnte wohl sein, dass ein nicht unbedeutendes Corps diese Operation unternimmt. Was würde man aber sagen, wenn die gesammte österreichische Armee im neurussischen Lande erschiene? Wäre darin etwa Verstand zu finden? - Vor den Österreichern liegt Polen, das man auf den letzten Mann insurgiren kann, und sie sollten sich in die Steppe verirren, in die Steppe, welche von einer treuen russischen Bevölkerung bewohnt wird, wo jeder Fussbreit Bodens für uns kämpfen wird? - Die Kräfte Österreichs werden sich nach Polen richten, ein Theil von ihnen wird, wenn möglich die Fürstenthümer besetzen; doch uns die Krym'sche Bahn zu bedrohen, das werden sie wohl bleiben lassen.

Es bleiben somit blos noch die Türken übrig; der Autor des Artikels

scheint sie wohl nirgends im Feuer gesehen zu haben, wir aber haben es erlebt, wie einst 50.000 Fez vor 9000 russischen Soldaten davongelaufen sind. Auch haben sich die Türken niemals durch eine besondere Leidenschaft für Reisen ausgezeichnet; aus welcher Ursache sollten dieselben nun eine Reise nach dem Dnjepr unternehmen, da sie ja dort Nichts zu thun haben?

Ein Feind, welcher das schwarze Meer beherrscht, kann schliesslich wohl auch die Perekop'sche Eisenbahn, oberhalb oder unterhalb der Landenge, auf einige Stunden in Besitz nehmen. Zu einer solchen Operation sind aber mindestens drei Tage nöthig, und dieselbe ist jedenfalls riskirt. Ohne ein würdiges Ziel wird sich aber Niemand in die Gefahr begeben. Die Geringfügigkeit des in einigen Stunden an dem Schienenwege angerichteten Schadens ist für den Feind kein ernsteres Object und für uns kein besonderer Verlust. Man wird doch nicht etwa glauben, dass sich der Feind auf der einige zehn Werst von der Küste entfernten Schienenverbindung einnisten wird, um dort eine Stadt zu gründen? Die Krym'sche Bahn aus purer Besorgniss vor einem feindlichen Angriffe hinter den Dnjepr verstecken, heisst eben keine ernste strategische Würdigung schreiben.

Das Ziel der Eisenbahn ist die Krym. Diesem nach wird es nöthig sein, zu untersuchen, in welchem Grade die Halbinsel einen Feind anzieht, welche Bedeutung ein feindliches Eindringen in die Krym für uns haben könnte, und welche Massnahmen natürlich nicht etwa gegen phantastische, sondern begründete Gefahren für die Vertheidigung der Halbinsel getroffen werden sollen.

Wenn der Feind die Krym leicht nehmen, und sich dort mit geringen Kräften erhalten könnte, so muss es ihm vor Allem gelungen sein, die Zugänge nach der Krym zu beherrschen, und dieses kann eben nicht leicht gehindert werden: die Halbinsel wäre dann eine bequeme Station für den Wechsel der Absichten; ein anderes Ziel aber ist für den Feind dermalen dort nicht zu finden.

In der Krym existiren gegenwärtig weler Flotten noch Docks und Arsenale, die früher wie ein Staar das Auge Europas belästigten.

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Es bleibt nun Kercz. Doch von diesem später. Wohl bietet die Besetzung der Krym einige Vortheile, die jedoch wesentlich dadurch herabgemindert werden, dass es eben nicht möglich ist, sich mit geringen Kräften auf der Halbinsel zu behaupten, und die Verwendung grösserer Streitkräfte zur Eroberung der Halbinsel lohnt sich nicht. Für Festhaltung von Perekop und Czongar mit der Strjelka-Linie und zur Blokade von Kerez, dann für die allgemeine Reserve im Rücken wären aber mindestens 40.000 bis 50.000 Mann nöthig, und diese könnten nebstbei nicht Einen Schritt vorwärts kommen.

Wäre es wohl möglich, Jemanden zu finden, welcher für diesen Zweck 40-50.000 Mann auf die Dauer eines ganzen Feldzuges einbüssen wollte ?

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