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sie enthielt, und bedenkt man, dass ausser gutem Willen auch etwas Anderes zum Kriegshandwerke und gar zur schwierigen Aufgabe der Vertheidigung einer „alten" Festung gegen „neue" Geschütze gehört, so wird man gar bald zur Überzeugung kommen, dass die Besatzung nicht nur vollkommen ungenügend war, sondern dass es ganz unglaublich ist, wie man eine so wichtige Festung so leichtsinnig behandeln konnte, und endlich, dass der Dienst, welchen diese aus so wenig kriegstüchtigen Elementen zusammengewürfelte Besatzung ihrem Vaterlande geleistet, indem eine Summe von 50 bis 60.000 feldtüchtigen Soldaten nahezu zwei Monate durch sie aufgehalten und den Feldoperationen entzogen wurde, überaus gross ist.

Hervorleuchtend durch Tüchtigkeit und in jeder Beziehung zum Festungsdienste geeignet war eigentlich nur das 87. Infanterie-Regiment.

Brav und geschickt waren auch die Marineurs und Pontonniers'); allein die Festungswälle sind nicht ihr Element. Da keine oder nur wenige denselben zukommende Verrichtungen für sie vorkamen, so wurden sie theils zur Geschützbedienung, theils als Infanteristen verwendet.

Die Depôt-Abtheilungen bestanden fast nur aus Recruten.

Unter den Flüchtlingen von Wörth befanden sich wohl eine Anzahl guter Soldaten, welche sich compagnieweise einigermassen compact zurückgezogen hatten, die Mehrzahl aber war, wie dies leicht zu begreifen ist, fast gar nicht zu gebrauchen und trug nur dazu bei, die Indisciplin zu vermehren und die Ängstlichen durch übertriebene Schilderungen befangen zu machen.

Die Mobilgarde war vom besten Geiste beseelt und hielt sich sehr gut. Sie bestand aber bis zum 30. Juli blos auf dem Papiere. An diesem Tage wurde sie zusammenberufen, erhielt am 8. August erst die Gewehre, eine Uniformirung aber gar nicht.

Keiner von ihnen hatte je einen Schuss nach der Scheibe gethan oder exercirt. Ohne erfahrene kriegstüchtige Officiere, ohne brauchbare UnterOfficiere musste sie sich erst während der Belagerung bilden; ihr Muth, ihre Begeisterung mussten nur zu Vieles ersetzen.

Die Garde mobile war auf die schwierigsten Punkte vertheilt und hielt sich entschieden besser als die Versprengten von Wörth.

Die Artillerie der Mobilgarde hatte ebenso wenig je mit dem Geschütz exercirt.

Die Bürgerwehr (garde nationale sédentaire) hatte natürlich nicht durchaus kriegstüchtige Elemente in ihren Reihen, aber sie war, wie fast alle Strassburger, während der Belagerung voll Muth; allein erst am 9. August bezog sie ihre Gewehre (fusils à tabatière); sie hatte nie exercirt und konnte. natürlich nur zum innern Sicherheitsdienst (Mairie, Präfectur etc.) verwendet werden. Eine Uniform hatte dieselbe nicht.

1) Die Pontonniers stehen in Frankreich unter der Artillerie und beschäftigen sich einzig mit dem Brückenbau und nicht, wie bei uns die Pionniere, auch mit Erdarbeit, konnten daher die Genie-Truppen nicht unterstützen.

Sehr gute Elemente, aber an Zahl unzureichend, gaben die Franctireurs, welche sich aus lauter schiesskundigen Bürgern zusammensetzten, dann die Freicompagnien, welche aus ausgedienten Soldaten bestanden, endlich die Zollwächter (douaniers).

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16 Genie Soldaten sollten den technischen Dienst auf den Wällen versehen, und 4 Mineurs den unterirdischen Krieg in einem erst auszubauenden Minensystem führen, dann die sonstigen Minen-Arbeiten (Steinfougassen, Demolirungsminen) verrichten! Und diese 20 Mann waren am 6. August als Versprengte zufällig in die Festung gekommen!

Die Zahl der Genie-Officiere (Anfangs 6 dienstbare, inclusive des Chefs, später deren nur 5) war die für den Friedensstand normirte. Für den Krieg mussten wenigstens deren 30 gerechnet werden. Für die Kriegsbesatzung waren 100 Mineurs und 400 Sappeurs du génie vorgeschrieben, am 6. August aber war nicht Einer vorhanden.

Der Mangel an Genie-Officieren machte sich um so fühlbarer, als auch nur 5 Unter-Officiere (die Wallaufseher) zur Verfügung standen, die Officiere somit Dienste, welche man sonst ganz leicht einem Unter-Officier übertragen konnte, z. B. Palissaden setzen, Scharten einschneiden, selbst überwachen mussten.

Wie dem Genie-Corps, so ergieng es auch der Artillerie: eine völlig unzureichende Anzahl von Officieren, wenig Unter-Officiere, wenig ausgebildete Kanoniere!

Die Summe von 20.000 Mann sagt also nur, dass dem Vertheidiger so viel Menschen zur Verfügung standen; unter diesen waren aber höchstens 16.500 Mann überhaupt auf den Wällen verwendbar, davon kaum 12.000 wirkliche Militärs, und von diesen kaum die Hälfte ausgebildete, gefechtstüchtige Soldaten. Dazu der Mangel an Officieren, an Artillerie, an GenieTruppen! Hätte nicht der Zufall die Besatzung verstärkt, so würde die Macht des Vertheidigers am Tage der Einschliessung aus 3660 Recruten bestanden haben, — und davon sollte man im Kriegsministerium nicht in Kenntniss gewesen sein?

Strassburg hätte sich unter diesen Verhältnissen kaum eines Sturmes erwehren können!

Geschütze. An Geschützen dürften bei 1200 vorhanden gewesen sein. Sie gehörten, wie dies in jeder Festung der Fall ist, allen möglichen Systemen an. Indessen stand auch eine grosse Anzahl gezogener Geschütze zur Verfügung. Ich habe deren über 100 gezählt, aus welchen nicht ein Schuss gemacht worden war. Sie lagen ruhig auf Kanterhölzern!

Munition war noch nach der Einnahme in den Kugelgärten in grosser Masse aufgeschlichtet; dagegen hat es an Geschützzündern gefehlt. 35.000 verbrannten in der Citadelle, 25.000, welche in die Festung geschwärzt werden sollten, wurden von den Badensern abgefangen.

An Pulver wurden noch 3000 Centner übergeben.

Genie-Materiale. Werkzeuge konnten in einer Stadt wie Strassburg nicht fehlen. An Bauholz waren grosse Vorräthe da, welche aber in der zweiten Hälfte der Belagerung verbrannten. Die Bäume auf den Wällen und an den Strassen im Bereiche der Festung lieferten vortreffliches Material zu Hohlbauten und Palissaden; Strauchwerk konnte man in Unmasse gewinnen.

Die Eisenbahn, welche im Gewehrertrag die Festung umkreist, einen Bahnhof vor dem Austerlitzer Thor und einen im Innern hatte und nahe am Vorwerk Nr. 44 sich in drei Arme theilt, lieferte eine grosse Quantität von Schienen und Schwellen, vortreffliches Material, um bombensichere Unter

künfte für die halbe Besatzung zu bilden.

Sandsäcke waren während der Vertheidigung in grosser Menge erzeugt worden. Man benützte dazu die Hopfensäcke des Schiltigheimer Bräuhauses, welche, aus einem vortrefflichen Drilch gefertigt, monatelang in feuchter Erde liegend, nicht verfault waren.

III. Der Angreifer.

Bis zum 14. August war vor Strassburg nur die badische Division, etwa 25.000 Mann unter dem Commando des badischen Kriegsministers General Beyer, verwendet. Erst mit diesem Tage wurde das BelagerungsCorps zusammengestellt, und zwar:

Commandant en Chef: Der preussische General-Lieutenant von

Werder.

Genie-Chef: Der preussische General-Lieutenant von Mertens, der Eroberer von Düppel, der Befestiger Dresdens und Kiels.

Artillerie-Chef: Der preussische General-Lieutenant von Decker.
An Truppen:

Die grossherzoglich badische Division,

die Garde-Landwehr-Division und eine combinirte Reserve-InfanterieDivision,

37 Festungs-Artillerie-Compagnien.

An Genie-Truppen: 15 preussische Festungs-Pionnier-Compagnien, 2 badische Feld-Pionnier-Compagnien.

An Geschützen: 158 gezogene Festungs-Kanonen, 83 Mörser.

Zusammen 50-60.000 Mann. Also gegenüber den Kräften der Festung, mit Rücksicht auf deren Zusammensetzung eine vollkommen ausreichende, an Genie-Truppen und Artillerie, Ingenieur- und Artillerie-Officieren reichliche Zahl.

Belagerungs-Materiale war in hinreichender Masse an Ort und Stelle zu gewinnen oder aus den nahen, reich dotirten Festungen zu beziehen. Das Angriffsterrain war den Laufgraben-Arbeiten ungemein vortheilhaft: man bedurfte fast nur der Schaufel.

Die reichen Ortschaften boten die nöthigen Bequemlichkeiten; die Jahreszeit war günstig, die Verpflegung gesichert; die Cernirung durch die Inundation und den Rhein erleichtert, somit der Belagerer in jeder Beziehung in der vortheilhaftesten, einen raschen Gang der Belagerung gestattenden Lage.

IV. Der Angriff und die Vertheidigung.

Am 15. Juli erfolgte bekanntlich die Kriegserklärung, am 6. August wurde die Schlacht bei Wörth geschlagen, und schon am Abende desselben Tages kamen Versprengte des Corps Mac Mahon und Flüchtlinge aller Waffen, Anfangs einzeln, dann in wirren Haufen, endlich massenweis durch Strassburg, Ruhe und Nahrung begehrend, zügellos, theilweise das Bild der Entkräftung, des Schreckens, für die Strassburger kein erhebender Anblick. Die prächtige geschulte Armee in wenigen Stunden zerrüttet und geschlagen, - wie sollte der Widerstand, zu welchem sie nun aufgefordert wurden, mit Recruten und unerfahrenen Nationalgarden enden? Eine trübe Reflexion.

Am 7. wurden die Fremden und die unnützen Esser aufgefordert, die Festung zu verlassen, während die Bewohner der umliegenden Gegend massenhaft nach Strassburg einwanderten.

Am 8. schon erschienen die Spitzen der badischen Division Beyer, einige Hundert Cavalleristen vor Strassburg. Der Commandant derselben machte sich das Privatvergnügen, die Festung sofort unter Androhung des Bombardements zur Übergabe aufzufordern.

Der Schrecken, welchen die Versprengten der Armee Mac Mahons mitgebracht, konnte nur auf einen Moment einen freilich verschwindend kleinen Theil der wackern Strassburger übermannen, welche in der Befürchtung, es folge sofort die Beschiessung, von Capitulation munkelten. Wenigstens sah sich Uhrich veranlasst, an jene Bürger, die, als der blutige Ernst begann, sich so heroisch zeigten, am 10. folgende Proclamation zu erlassen:

"An die Bewohner Strassburgs!

„Beunruhigende, Schrecken erregende Gerüchte wurden dieser Tage „absichtlich oder unabsichtlich in unserer wackern Stadt verbreitet. Einige Individuen haben den Gedanken kund zu geben gewagt, dass der Platz sich ohne Schwertstreich ergeben soll.

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Wir protestiren nachdrücklich im Namen der muthvollen französischen Bevölkerung gegen diese feige und verbrecherische Zaghaftigkeit. Die Wälle sind mit 400 Kanonen bewaffnet. Die Besatzung besteht ,aus 11.000 Mann, die Nationalgarde nicht mitgerechnet.

Sollte Strassburg angegriffen werden, wird es sich vertheidigen, so ,lange ein Soldat, ein Zwieback, eine Patrone übrig bleibt!

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Die Guten können sich beruhigen! was die Andern betrifft, so mögen ,,sie sich entfernen!

,,Strassburg, den 10. August 1870.

Der Divisions-General, Oberbefehlshaber:

Uhrich.

Der Präfect des Nieder-Rheins:
Baron Pron."

Mit dieser Proclamation wurde ein schlechter Anfang gemacht. Sie wurde mit grosser Verwunderung gelesen; Niemand konnte sich erinnern, das Wort „Übergabe" im Munde geführt oder auch nur gehört zu haben.

Am 8. wurde das 1. und 2., am 9. das 3. und 4. Bataillon der Nationalgarde mit Waffen versehen, am 11. der Telegraph vom Münsterthurm herab eingerichtet.

Am 13. wurde die Stadt vollständig cernirt und jede Communication nach aussen abgeschnitten. Ohne Widerstand besetzten die Badenser die umliegenden Ortschaften, und es kam sogar der in früheren Belagerungen unerhörte Fall vor, dass man schon von den ersten Tagen an mit der Besatzung der Aussenwerke plänkelte. Nun erst wurden die Bäume längs den Strassen gefällt, und zeitweise sogar unter dem Feuer des Feindes das Rasirungswerk begonnen. Auf der Nordseite bemächtigten sich die Badenser des schon früher erwähnten, mit der Spitze nur 250 Schritte vom Glacis-Kamme abliegenden, unbegreiflicherweise nicht rasirten und nicht besetzten Friedhofes St. Helena, wobei sie von der Festung beschossen wurden und einige Leute verloren.

Dieser Friedhof hatte schon während der Blocade 1814 eine Rolle gespielt und war damals vom Festungs-Commandanten General Broussier in eine Schanze umgewandelt worden, deren Merkmale noch heute zu sehen sind. Die vorliegenden Ortschaften wurden so eilig aufgegeben, dass man aus dem grossen Schiltigheimer Bräuhause nicht einmal die Biervorräthe in die Festung bringen konnte und sonderbarer Weise später nahe daran war, einen Ausfall zu machen, um Menschenleben gegen Bier zu tauschen.

Am 14. wurde aus patriotischen und schiesskundigen Bürgern eine Franctireurs-, dann eine aus ausgedienten Soldaten bestehende VolonteursCompagnie errichtet.

Am selben Tage wurde der preussische General-Lieutenant v. Werder zum Commandanten des Belagerungs-Corps ernannt, und dieses selbst in vorerwähnter Weise zusammengesetzt.

Das Hauptquartier wurde nach Mundolsheim verlegt.

Man hatte sich zu dem Beschlusse geeinigt, die Festung durch ein Bombardement zur Übergabe zu zwingen.

Die schlechte Bauart der Civilhäuser der so volkreichen und wohlhabenden Stadt, welche ausser dem Gewölbe des Kellers keine andern aufzuweisen hatten, mit ihren dünnen (häufig Fachwerk-) Wänden, hölzernen

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