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Die Wohlthätigkeit der Strassburger Bürgerschaft gegen die Opfer des Bombardements, die Ergebung, mit der die so hart Getroffenen das Unglück trugen, ist wahrhaft erhebend.

Ferne lag es der Bevölkerung, je irgend einen nachtheiligen Druck auf den Ober-Commandanten auszuüben. „Uns bleibt in Strassburg nur Eines zu thun übrig" schrieb der „Courier" und wiederholte der „Impartial“ nämlich: zu warten und uns gut zu halten. Nicht bei uns entscheidet sich das Geschick Frankreich's. Die grossen Schläge erfolgen anderwärts. Unsere Pflicht ist, uns so lange zu halten als nur möglich."

Wenn nun auch die Beendigung des Bombardements und der schreckfichen Leiden von Jedermann ersehnt wurde, an Übergabe dachte gewiss nur eine verschwindende Minorität. Der Versuch, Unterschriften für die Übergabe zu sammeln, scheiterte völlig. Und dies geschah nach dem 12. September, nach den furchtbarsten Tagen.

Eine verfrühte Übergabe hätte man in der Gesammt-Bevölkerung für ehrlos gehalten, und noch in den letzten Tagen wurden vom Gemeinderathe jene Bürger für ehrlos erklärt, die bei Ankunft des Feindes die Stadt ohne Noth verliessen!

Bis zum 11. September, den Tag der Ankunft der Schweizer Deputation, durch welche man die Katastrophe von Sedan erfuhr, hoffte man auf Rettung, dann auf Frieden, der vor der Schmach der vorzeitigen Öffnung der Thore bewahrte.

Von einer directen Einwirkung der Bürgerschaft war noch weniger die Rede. Uhrich könnte höchstens insoferne die Bürgerschaft mit verantwortlich machen, als er sich auf eine geheime Sitzung der Commission municipale am 18. September berufen könnte, welche den General ersuchte, Angesichts der Leiden und Verluste der Stadt zu prüfen, ob nicht alles Mögliche geschehen sei, und es nicht auf's Äusserste ankommen zu lassen. Hierunter verstanden sie offenbar man möge die Stadt nicht den Gefahren einer Erstürmung aussetzen, indem man sich, wie aus verschiedenen Äusserungen der Bewohner hervorgeht, die Folgen derselben auf das Schrecklichste ausmalte und sogar von dem Kriegsgebrauche des „Über die Klinge Springens" und der Plünderung sprach. Eine solche Befürchtung war wohl ungerechtfertigt.

Bei der erwähnten Bitte blieb es auch, und nun sprach Niemand mehr davon. Die ärgsten Leiden waren ja überstanden, man zählte bei der Civilbevölkerung täglich nur mehr vier Sterbefälle in Folge Verwundung.

Hätte man die Bewohner über die wahre Sachlage aufgeklärt, und der Commandant die nöthige Energie und Beredsamkeit entwickelt, dieselben hätten ohne Murren fortgeduldet. Ich habe keinen Strassburger gefunden, der mir gegenüber die Capitulation gebilligt hätte.

Vielleicht geben folgende Zeilen, die wir dem bald nach der Belagerung erschienenen Buche „Die Belagerung und das Bombardement von Strassburg" von Gustav Fischbach, Redacteur des niederrheinischen Couriers, entnehmen, ein wahrheitsgetreues Bild der Stimmung der Bevölkerung

am Tage der Capitulation. Dort heisst es: Gegen 5 Uhr wurde es in den. Strassen plötzlich rege und belebt. Man läuft, man bestürmt einander mit Fragen, alle Blicke wenden sich auf einen einzigen Punkt: Eine weisse Fahne flattert am Münster! Man traut seinen Augen nicht; man blickt wieder und wieder hinauf. Nein, keine Täuschung ist es! Ungläubig sagt man, dies sei eine Fahne, welche andeute, dass Kranke, Verwundete sich im Münster befinden und dem Belagerer zur Mahnung dienen soll, das Gebäude zu schonen um Gottes Willen. Aber wenn die Fahne diese Bedeutung hätte, würde sie das rothe Kreuz in der Mitte tragen, doch dieses Kreuz fehlt. . . . . Man hört auch keine Schüsse mehr!

Wäre es denn ein Waffenstillstand? Man versammelt und drängt sich, die Bewegung in den Strassen ist ausserordentlich, eine heftige Gährung erfasst alle Herzen. Man will sichere, zuverlässige Nachrichten. Da wagt Jemand eine Vermuthung: Wäre es die Übergabe der Stadt? Man schreit, man schilt den Vermessenen. Niemals! Widerstand bis auf's Äusserste! Ein Artillerie-Capitän geht über den Guttenbergplatz, die Menge umringt ihn. Man hat die Stadt übergeben? ruft man ihm von allen Seiten zu. Warum nicht gar, antwortet der Officier, die Stadt überliefern, das will ich nicht erleben... Man drängt sich vor dem Handelshôtel, wo die Stadtbehörde tagt, man verlangt nach dem Maire und dem Adjuncten, man befragt die Officiere vom Posten der Nationalgarde. Niemand weiss die Wahrheit.

Da kommt der Maire, er scheint betrübt, er antwortet nicht den Hundert Stimmen, die ihn mit Fragen bedrängen; er durchdringt das Gewühl und tritt tief erschüttert hastig in das Handelshôtel.

Die Aufregung steigt mehr und mehr, die Menge wächst jeden Augenblick, man gewahrt Mitglieder der Municipal-Commission, höhere Officiere, man stürzt ihnen entgegen, und man erfährt, dass der Vertheidigungsrath die Unmöglichkeit eines fernern Widerstandes anerkannt hat, und dass man im Begriffe ist, mit dem General-Befehlshaber der Truppen zu capituliren. Diese Nachricht verursacht gewissermassen eine Revolution; Gruppen bilden sich, durchziehen die Strassen unter dem Sange der „Marseillaise", oder stürzen fort nach dem General - Quartier, Erklärungen begehrend und mit drohenden Geberden. Besonders die Franctireurs sind erbittert; man befürchtet eine dräuende Kundgebung und Unordnungen. Die Trommler der Nationalgarde schlagen Rappell; die Bataillone formiren sich und durchziehen die Strassen, um die Ruhe aufrecht zu erhalten.

Jedoch legt sich die Gährung nach und nach, und die Nacht vergeht ruhig, seit lange die erste Nacht ohne Brand, ohne Kanonade, ohne Unglück. Aber man schläft doch nicht, denn die Gemüther werden vom Fieber geschüttelt. Ein solches Ende nach solchen Leiden, nach so vieler Ausdauer und Geduld! Doch die Ehre war wenigstens unversehrt.

Die Garnison schickte sich schon zum Abzug an. Eine tiefe Gemüthserschütterung prägte sich auf allen Gesichtern aus, Thränen flossen, als man

zum letzten Mal die wackern Soldaten vorbeiziehen sah, welche so heldenmüthig gekämpft hatten. Ein so jämmerlicher Ausgang musste wohl ihre Herzen brechen.

Wenn man nur ihrem Eifer, ihrer Entschlossenheit nachgegeben hätte, würde man noch Widerstand geleistet haben. Aber Uhrich gab der Stimme der Menschlichkeit Gehör; er wusste, dass ein längerer Widerstand vergeblich, ein weiteres Blutvergiessen unnütz wäre...

Die Soldaten zerbrachen voll Ingrimm ihre Waffen, warfen sie ins Wasser.... Der Abschied war herzzerreissend!

Plötzlich setzt sich die lange Colonne der armen Gefangenen in Bewegung, ein letzter Händedruck, noch eine Thräne . . . lebt wohl!

Da hörte man plötzlich Trommler, Pfeifer und die tactmässigen Schritte eines Heeres. Dies waren die deutschen Truppen, welche in Strassburg einzogen!

Nach diesem unterliegt es keinem Zweifel, dass es auch die Haltung der Bevölkerung nicht war, welche zur Capitulation führte. Strassburg hat sich um das Vaterland verdient gemacht", decretirte die Regierung der nationalen Vertheidigung, und das Volk von Paris bekränzte die Statue dieser Stadt, und die Einwohner haben es verdient durch heroische Ausdauer, die selbst der Feind ehren muss.

Und wenn nun General Uhrich von den Gründen der Menschlichkeit spricht, wenn er behaupten wollte, eine längere Vertheidigung wäre ohne Einfluss auf den Krieg geblieben, hatte er hiezu das Recht?

Es wäre traurig um eine Armee, um einen Staat bestellt, wenn man dem weichen Herzen und der Ansicht des nächst besten Generals Rechnung tragen müsste. Der Krieg ist überhaupt unmenschlich, vielleicht aber verhüten grosse Opfer an einem Orte noch grössere am andern; die Bewohner einer Festung, einer grossen Stadt sind nicht weniger verpflichtet, im Falle der Noth für das Vaterland zu leiden, als der Dorfbewohner, dessen Haus man in der Schlacht sammt seiner Habe verbrennt, und dessen Saaten man zertritt!

Und wie kann der Einzelne mit seinem durch die Stellung begrenzten Horizonte ermessen, ob der Widerstand auf den Krieg von Einfluss sei oder nicht?

Für den Festungs-Commandanten gelten nur die Kriegsgesetze, und diese machen es jedem Commandanten zur Pflicht, den Platz bis auf das Äusserste zu halten und einen Sturm auf die gangbare Bresche des letzten Abschnittes auszuhalten.

Wir würden unvollständig sein, wenn wir von den schriftlichen Anklagen, die gegen Uhrich erhoben wurden, und die sich leider auch auf das Feld der Schmähungen und Persönlichkeiten verirrten, nicht wenigstens einen, u. z. den sachlichsten, dann die Rechtfertigung Uhrichs hier anführen wollten.

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Ersteres ist ein Brief eines gewissen Louis aus Strassburg, welcher also lautet:

Man öffne das erste beste Handbuch über die Vertheidigung von Festungen, und man wird sehen, dass Nichts oder fast Nichts von dem geschehen, was in ähnlichen Fällen befohlen ist. Die vorzüglich anempfohlenen Massregeln sind:

1. Besetzung des Vorterrains.

2. Rasiren der Häuser und Fällen der Bäume im Rayon der militärischen Gerechtsame.

3. Unterbringung des Materials, der Fourage und der Munition in feuerfesten Räumen.

4. Aussendung von Patrullen und Recognoscirungen, um sich über die Stärke und Absichten des Feindes zu vergewissern.

5. Zahlreiche Ausfälle gegen die Arbeiten des Belagerers, Beunruhigung desselben in jeder Weise, um sein Vorrücken gegen die Festung zu verzögern.

6. Sparsamer Verbrauch der Munition im Anfang der Belagerung, uni sie für die Zeit zu bewahren, wo der Schuss wirksamer wird.

7. Erbauung eines inneren Abschnittes in der Kehle der angegriffenen Bastionen.

Sehen wir jetzt zu, was geschehen ist:

Zuerst hat man seit dem Tage der Kriegserklärung an der Armirung der Festung gearbeitet. Die Armirung gegen den gewaltsamen Angriff war vor dem Abmarsch Mac Mahons beendigt. Nach Wörth war es sehr angezeigt, die Höhen von Hohenheim stark zu besetzen, welche die Festung dominiren und die Strassen von Wanzenau und Suffelweyersheim, sogar die Dörfer Königshofen, Neuhoff und Ruprechtsau beherrschen, was die Annäherung des Feindes wenigstens um 14 Tage verzögert und gestattet haben würde, in die Festung alle Lebensmittel der Umgegend zu schaffen, besonders das Vieh und die immensen Biervorräthe aus den Kellern von Schiltigheim. .... Der Einwurf, dass die Kräfte der Garnison für diese Aufgabe nicht genügt hätten, ist nicht ernstlich gemeint, da die Nationalgarde alle Festungswälle hätte besetzen können, und die vorgeschobenen Posten immer einen gesicherten Rückzug gehabt haben würden.

Diese Anordnungen hätten es noch gestattet, Bäume und Baulichkeiten innerhalb des Rayons zu beseitigen.

Statt dessen begnügte man sich, die Wälle zu besetzen, ohne die geringste Recognoscirung zu machen; indessen stimmten alle Berichte der Bauern während der ersten 14 Tage darin überein, dass der Feind nur schwach wäre, dass er in jedem Dorf nur einige Hundert Mann und weniger hätte.

Während dieser Zeit trieb der Feind, gedeckt durch Wälder und Häuser, seine Recognoscirungen bis unter die Mauern der Festung vor. Civilisten und Soldaten stellten sich unveränderlich dieselben Fragen: Warum beseitigt

man nicht jene Bäume, jene Häuser? Warum macht man keine Recognoseirungen? Es ist erstaunlich, dass man nicht weiss, was einen Kilometer von uns passirt.

Endlich fasste man wie man sagt, auf lebhaftes Drängen des Admirals Excelmans - einen Entschluss; Genietruppen machten sich an die Arbeit, und man sah die ersten Bäume vor dem Saverner, dem National- und SteinThor fallen.

Aber diese Arbeit wurde so zögernd unternommen, mit so schwachen Mitteln, dass sie kaum vorwärts gieng und man gezwungen war, nachdem sie kaum begonnen, sie wieder einzustellen. Das war nicht zum Verwundern, denn man gab den Arbeitern nur 2-2, Francs täglich; später, zu spät dann, bekam man sie nicht mehr für 10 Francs.

Was die im Rayon der Festung gelegenen Häuser betrifft, so war den Eigenthümern befohlen, sie in 48 Stunden zu rasiren, aber dieser Befehl ist niemals ausgeführt worden; man wusste, mit wem man es zu thun hatte.. . Mit einem Wort, es gab in ganz Strassburg nur Eine Stimme über die Sorglosigkeit der Behörde.

Die Ankunft des Artillerie-Generals Barral liess etwas Hoffnung entstehen. Unglücklicherweise verrieth sich seine Energie nur durch zwei Ausfälle, deren letzter besonders die ganze Unfähigkeit des Commandanten offenbarte; es war das der berüchtigte Ausfall von Illkirch ...

Ich weiss nicht, welche Massregeln zum Schutz des Materials und der Munition genommen waren; aber ich weiss, dass nach mehreren Bombardementstagen das Arsenal der Citadelle durch einen Brand zerstört wurde. Dieses Gebäude enthielt u. A. alle unsere Percussionszünder. Ich weiss auch, dass ein Waffen- und ein Holzmagazin dasselbe Schicksal wie das Arsenal hatten letzteres soll für 200.000 Francs Holz enthalten haben. Wie viel solide Blendungen hätten diese Balken von altem Eichenholz gegeben, und welchen Schutz hätten sie unseren tapferen Soldaten verliehen, die so oft aus Mangel an Schutzmitteln decimirt wurden.

Von dem Moment ab, wo der Feind die Angriffsrichtung (übrigens seit langer Zeit vorhergesehen) durch den Bau der ersten Parallele hatte erkennen lassen, bis zum Ende der Belagerung hat man nicht im Geringsten versucht, ihn durch grosse und kleine Ausfälle, noch durch unterirdischen Krieg zu beunruhigen. Die so vielfach und laut empfohlene Anlage eines interen Abschnitts hinter der angegriffenen Front ist nicht einmal angefangen,

Die gedeckten Mörserstände, so warm von Carnot empfohlen, sind wie alles Andere vernachlässigt. Man hat das Holz lieber vom feindlichen Feuer verzehren lassen, anstatt ihm eine so nützliche Verwendung zu geben.

Und man will behaupten, dass die Position auf den Wällen nicht mehr zu halten war, dass ein Sturm verderblich gewesen wäre, dass es keine genügenden Schutzmittel für die Unterstüzungstruppen gegeben hälle! War es: nicht die Sorglosigkeit des Commandanten, welche die Lage so verschlimmert hatte? ... Die Lage des Vertheidigers war freilich nicht angenehm, als die

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