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sche Politik zu schaffen. Dies Beispiel wirkte auf die Prinzen des königlichen Hauses dermassen bestimmend, dass sie die Politik bei Seite schoben und dafür der Armee ihre ganze Aufmerksamkeit schenkten. Selbst der Kronprinz von Preussen, dessen Natur und Erziehung das Soldatenhandwerk nicht ganz zusagte, bildete sich unter ausgezeichneter Leitung zu einem bedeutenden Heerführer aus. Es ist kein kleiner Stolz für Soldaten, sagen zu können, der Schild des Kriegers sei die Wiege des Fürsten gewesen. Ein jedes gebildete und dabei kräftige Volk wird es stets als eine besondere Gunst des Schicksals betrachten, wenn sein Herr und Fürst, wenn seine Prinzen zugleich Feldherren sind. Und dies war in Preussen der Fall, in Frankreich es nicht.

Preussen besteht aus einer kriegerischen oder Soldaten-Nation, in die das militärische Bewusstsein tief eingedrungen ist, weil es jedem Einzelnen anerzogen wurde; Frankreich dagegen wird von verweichlichten, ruhigen und friedliebenden Bürgern bewohnt, denen allgemeine Wehrpflicht und Militärleben gleich verhasst sind. Das Volk zahlte lieber ungeheuere Militärbudgets, um ein Söldnerheer zu unterhalten, als sich der ausnahmslosen Dienstpflicht zu unterziehen. Die Preussen besassen ein königliches Heer, welches befehligt wurde, die Franzosen ein kriegsministerielles oder parlamentarisches Heer, welches nur administrirt ward. So wurde in dem einen Staate die Militärisirung des Volkes, in dem anderen die Casernirung des Landes zum Grundsatz erhoben; in Preussen wurden die militärischen Interessen den bürgerlichen vorgesetzt, in Frankreich nahmen letztere die ersteren in's Schlepptau. Dennoch schlug sich die reguläre französische Armee bei jeder Gelegenheit mit einer ausserordentlichen Bravour und Ausdauer.

Ein bedeutender Theil der Mitschuld an den letzten Unglücksfällen, welche die französischen Waffen ereilt, trifft die von den Kammern unter dem Bürgerkönigthum eingeführten militärischen Institutionen. Obwohl die Feldzüge in der Krim, in Italien und Mexico die Unverträglichkeit mancher militärischen Einrichtungen mit der Natur des Krieges dargelegt und bis zur Evidenz nachgewiesen hatten, dass ein blos administrirtes Heer im Ernstfalle den Keim der Niederlage in sich trage, so vermochte Nichts diese widerspruchsvolle Lage zu verbessern und die Kammern zu bewegen, von ihrer alten Vertrauensseligkeit in etwas abzulassen. Man denke nur an die Debatten über die allgemeine Wehrpflicht, als zu der ursprünglichen Gesetzvorlage der Regierung über 100 Amendements ein- und durchgebracht wurden, bis endlich das einzig richtige Princip der ausschliesslichen Dienstpflicht fast gänzlich verwischt war, und auf das Heeresergänzungsgesetz von 1831 zurückgefallen wurde. Mit welcher Leidenschaft wurden nicht die auf die Recrutirung bezüglichen Vorschläge des Ministers bekämpft und in's Lächerliche gezogen? Das Institut der mobilen Nationalgarde zeigte sich bald als Fiction. Die Stellvertretung, diese offene Wunde der französischen Armee, wurde beibehalten, den besitzenden Classen zu Gefallen sogar erweitert, und Jedermann begriff, dass die französische Nation, entnervt durch das Wohl

leben, verweichlicht durch den Luxus, geschwächt durch politische Streitigkeiten, gelähmt durch eine mechanische Centralisation, eine Beute der Nachbarn werden würde. Der militärische Geist hatte sich verloren. Man rufe sich weiter in's Gedächtniss die in den letzten Jahren von Seite der republikanischen und anderer Oppositionsparteien gegen den Bestand der Armee gehaltenen Reden, eingefädelten Machinationen und erhobenen Einwürfe, das systematische Unterwühlen der Disciplin in den Journalen, das Untergraben des Gemeingeistes, die Abstimmungen des Heeres etc., und man wird Vieles begreiflich finden, was neuester Zeit vorfiel, was früher unmöglich schien und bisher unerhört blieb.

Alle militärischen Institutionen des ersten Kaiserreichs, welche den Ruhm und die Grösse Frankreichs begründeten, wurden in den folgenden Iwanzig Jahren bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt, um keine Spur in der Armee von dem grossen Corsen zu lassen.

Die Restauration und das Bürgerkönigthum fristeten ihr Dasein unter dem Schutze der Napoleon'schen Veteranen und wussten sich hiedurch vor den Anschlägen des kriegsmüden Europa sicher. Die St. Cyr's, Marmont's, Soult's, Bugeaud's etc. waren als Heerführer hinlänglich gekannt, als dass eine oder die andere Macht das Bedürfniss empfand, mit Frankreich ohne Weiteres anzubinden und sich in den Krieg zu stürzen. Dagegen blieb es dem zweiten Kaiserreich vorbehalten, seine Existenz der unter der Restaurationsund Juni-Regierung erzogenen und grossgewordenen militärischen Generation anzuvertrauen und seine Schlachten mit den aus dieser Schule hervorgegangenen Generalen zu schlagen.

Die meisten Heerführer, welche in dem kaum beendigten Kriege eine so verhängnissvolle Rolle spielten und eine so wenig beneidenswerthe Berühmtheit erlangten, thaten sich unter den Orleans in Africa zuerst hervor und legten dort das Fundament zu ihrem nachherigen Rang, wie die Prüfung für ihre Befähigung zur höhern Truppenführung ab. Changarnier, Mac Mahon, Bazaine, Trochu etc. repräsentirten die Coryphäen des in Africa gebildeten Heeres. Der französische Generalstab, der im Laufe des Krieges seinen Platz so schlecht ausfüllte 1), bei gar keiner Gelegenheit seine Bestimmung begriff und seiner Aufgabe entsprach, ist eine Schöpfung der Orleanistischen Regierungsepoche, welche die nachherigen Marschälle und DivisionsGenerale um keinen Preis verbessern wollten, weil sie dieser Institution ihre Carrière und Stellung verdankten, und weil sie in der eigenen Individualität den Massstab zur Beurtheilung derselben zu finden glaubten. Die militärische Generation Napoleon's III. wird erst in zwanzig Jahren zur Führung des Heeres berufen werden, und dann kann sich erst zeigen, wie sie entspricht, und was sie zu leisten vermag.

Das Avancementsgesetz, nach welchem die Rangsverhältnisse der bei

1) Siehe hierüber den Bericht des Obersten Stoffel, französischen MilitärAttaché's in Berlin, an seine Regierung.

Sedan und Metz untergegangenen Armeen geregelt wurden, ist ein Product der Orleanistischen Zeit, das nach den Anschauungen der Franzosen der Vollkommenheit sich näherte, und das nach unserem Erachten mancher Verbesserung fähig war.

In gleicher Weise trugen die giftspeienden Schriften und der Nihilismus der Herren Dumas, Hugo, Quinet, Charras etc. das Ihrige dazu bei, die Nation und Armee in hohem Grade zu corrumpiren, den Autoritätsglauben zu vernichten, den Ungehorsam und die Auflehnung gegen Gesetz und Obrigkeit zum Princip zu erheben und die Individualität derart in den Vordergrund zu schieben, dass Jeder befehlen und regieren, und Niemand gehorchen und sich unterordnen wollte. Welche Zweifel wurden nicht in die politischen und militärischen Fähigkeiten des grossen Soldatenkaisers, dieser Legende der französischen Nation gesetzt, wie oft ward nicht dessen Genie bestritten, welche monströse Anschauungen suchten nicht über seine Eigenschaften zur Geltung zu gelangen, lediglich um den Nimbus zu zerstören, welcher jenen Namen umgab! Während so Napoleon I. in Frankreich proscribirt, und an seinen militärischen Unternehmungen zersetzende Kritik geübt wurde, ward er in Preussen begriffen, bewundert, studirt und nachgeahmt, wie der Feldzug von 1870-71 beweist.

Die von Herrn Thiers und seiner Partei von der Tribune herab verkündeten Doctrinen über die innere und auswärtige Politik Frankreichs, welche stets in Widerspruch mit einander standen und die Duplicität dieses zweiten Talleyrand demaskirten, hatten auch einen bedeutenden Schuldantheil an dem grossen Unglücke des Landes und der Parteiung und Factorisirung der Nation und Armee. Durch Thiers' gewandte Reden bestochen und irregeführt, wusste das Volk nicht recht, was es eigentlich wollte. Der bejahrte Staatsmann predigte den Krieg gegen Deutschland, um ihn nachher bei der Abstimmung darüber zu desavouiren und aus den Ereignissen Vortheile ziehen zu können, ohne seine Popularität dabei einzubüssen.

Nicht minder trug die Charakterschwäche Napoleon's III. zu der letzten Niederlage Frankreichs bei. Dieser während zwanzig Jahren als das allein verantwortliche Staatsoberhaupt sich gerirende Fürst besass nicht den Muth, als oberster Kriegsherr das allerdings schwere Joch des Armee-Obercommandanten nach Wörth und Spicheren auch nur vierzehn Tage lang weiter zu tragen, sondern begab sich seiner souverainen Machtvollkommenheit zu Gunsten seiner Marschälle, welche nach eigenem Belieben Einer auf den Ruhm des Andern eifersüchtig ohne Plan und Übereinstimmung handelten und in Führung der ihnen anvertrauten Armeen die höchste Unfähigkeit an den Tag legten. Selbst die Belassung Leboeuf's und Lebrun's an der Spitze der Operationsleitung hätte, falls die Befehlgebung in der Person des Kaisers. concentrirt geblieben wäre, niemals jene unheilvollen Folgen nach sich ziehen können, welche die Theilung der Streitkräfte und des Commandos in der That herbeiführte. Die Marschälle unternahmen nämlich gerade das Ent

gegengesetzte von dem, was sie eigentlich hätten unternehmen sollen, und was die Verhältnisse gebieterisch erheischten.

Auch das schwer zu erklärende Benehmen des Militär-Gouverneurs von Paris, des Generals Trochu, beschleunigte die Katastrophe Frankreichs, wenn sie dieselbe nicht geradezu provocirt hatte. Trochu scheint Palikao hauptsächlich darum beeinflusst zu haben, um schliesslich die Regentschaft zu stürzen und dann die Gewalt an sich zu reissen. Dadurch gerieth aber die Staatsmaschine gerade in einem Momente, als sie am besten functioniren sollte, in Stillstand und richtete einen nicht mehr gut zu machenden Schaden an.

Es gewinnt fast den Anschein, als ob Frankreich aus einem Kriege nur dann siegreich hervorgehen könnte, wenn an der Spitze des Staates Männer von dem Genie Napoleon's I. stehen, oder wenn dessen Heere von Feldherren wie Turenne, Villars, der Marschall von Sachsen, Moreau etc. befehligt werden.

Die Triumphe Preussens sind der überdachten Staatsklugheit, einem unausgesetzt befolgten und mit aller Consequenz durchgeführten Vergrösserungssystem, der anerzogenen sittlichen, geistigen und militärischen Überlegenheit des deutschen Volkes, der Liebe zur Dynastie, zum Vaterlande und zur Thätigkeit, welche man in erster Kindheit den Deutschen einflösste, der ausgezeichneten Staatskunst, nie ohne Allianzen in grosse Kriege sich einzulassen (1864 mit Österreich, 1866 mit Italien, 1870 mit Russland) zu verdanken. Eine junge bewaffnete Nation, geführt von intelligenten Officieren, die von Eifer erfüllt und seit langer Zeit auf den Invasionskrieg vorbereitet war, ein glühender Patriotismus und eine von einem kühnen Genius geleitete Staatskunst erscheinen unüberwindlich.

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Frankreich mag den Taciteïschen Wahrspruch: „Prospera omnes sibi vindicant, adversa uni imputantur" (Glückliches eignet Jeder sich zu, Widriges wird Einem aufgebürdet) oft anwenden; Thatsache bleibt es aber, dass die Schuld für die Niederlagen von 1870–71 nicht Einzelnen, sondern der Gesammtheit zur Last fällt.

Organisation, Stärke und Aufstellung der Armeen.

So rasch Österreich 1866 geschlagen wurde, so vollständig ward Frankreich im letzten Kriege niedergeworfen.

Gleiche Ursachen erzeugen fast immer dieselben Wirkungen. Napoleon I. zog 1815 unvorbereitet in's Feld, um durch Überraschung den Sieg an die Fahnen Frankreichs zu heften, indem er mit 124.000 Combattants das weit überlegene Heer Blücher's und Wellington's von 220.000 Mann einzeln anzufallen und zu schlagen hoffte. Wäre Frankreich sechs Wochen später in den Kriegszustand übergegangen, so würden dessen Streitkräfte die Höhe von 400.000 Mann Linientruppen und von 200.000 Mann Nationalgarden

erreicht haben. Der Kaiser versprach sich aber von der Offensive Alles und setzte seinen Thron auf's Spiel, da er durch eine rasche Angriffsbewegung nach Belgien den Krieg eröffnete 1).

Napoleon III. besass nicht das militärische Genie seines grossen Ohms; er kam nicht wie dieser von der Insel Elba, um die Parteien zu beruhigen und aus einem Chaos ein Heer erst zu organisiren; er kannte nicht so genau die operative Stärke und die Stellungen der feindlichen Streitmassen, wie dieser die seiner Gegner in Belgien kannte, um Calcule und Combinationen darauf zu gründen, und dennoch versuchte er dasselbe gewagte Spiel und stürzte sich blindlings in einen der grössten und furchtbarsten Kriege des 19. Jahrhunderts mit einer um, schwächeren Streitmacht und ohne alle Vorbereitungen. Blieb dem Kaiser der Franzosen seit 1866 nicht die hinlängliche Zeit übrig, für den Feldzug von 1870-71 gehörig zu rüsten? ignorirte er etwa die Wunder der Eisenbahnen und der Telegraphen, welche die Aufstellung und Verschiebung von Massen so sehr begünstigen? erinnerte er sich nicht mehr daran, welchen umfassenden Gebrauch die Franzosen 1859 und die Österreicher und Preussen 1866 davon gemacht hatten? kannte er nicht genau die Organisation und Stärke der nord- und süddeutschen Streitkräfte, über welche Hunderte von Büchern und Nachweisen circulirten, wie anderseits die Militärkräfte Frankreichs, um Vergleiche anzustellen und die Chancen für den Ausgang des Riesenkampfes abzuwägen?

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Nein dem sonst klugen und bedächtigen Kaiser schienen alle diese Verhältnisse entgangen zu sein, denn sonst würde er nicht eine neue Auflage von Waterloo an Sedan und Metz erlebt haben. Beide Kaiser hatten einen glücklichen Tag: Napoleon I. bei Ligny, wo sein Genie den Sieg erstritt,

Napoleon III. bei Rezonville (16. August), wo er zwar nicht commandirte, da er einen Tag zuvor seine schöne und tapfere Armee im Stiche liess, um sich an eine andere, der von Metz in jeder Beziehung weit nachstehenden Armee (Châlons) als Volontär anzuschliessen und mit ihr nachher kriegsgefangen zu werden.

Wie Napoleon III. über den Krieg und den Feldzugsplan dachte, geht aus einer unter seinen Auspizien herausgegebenen Schrift ') hervor, der wir folgende Auszüge entlehnen:

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„Der Kaiser wusste, dass Preussen in kurzer Zeit 900.000 Mann mobil machen konnte und mit Beihilfe der Südstaaten 1,100.000 Mann, denen Frankreich nur 600.000 Mann entgegenstellen konnte. Und da die Zahl der Streitbaren niemals mehr als die Hälfte des Effectivstandes enthält, so war Deutschland bereit, 550.000 Mann auf das Schlachtfeld zu führen, während Frankreich nur ungefähr 300.000 Mann hatte, um dem Feinde entgegenzutreten."

1) Siehe: „L'histoire du Consulat et de l'Empire" par Thiers.

*) Campagne de 1870. Des causes qui ont amené la capitulation de Sedan. Par un officier attaché à l'état-major général.

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