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teutschen Schauspiele noch nicht vorgekommen, wohl aber steht die Sage ausführlich im Altfranzösischen bei Jubinal (mystères 2, 17 flg.), wo es uille de miséricorde genannt wird. In dem Frankfurter Spiele (Fichard 150) kommt auch noch ein französisches Wort im Terte vor: ey bele niftel.

Auf solche Spuren des Einflusses darf man Gewicht legen, denn der Zusammenhang des Hauptinhaltes dieser Spiele ist kein Beweis der Uebernahme, da die Beweggründe des religiösen Dramas allgemein bekannt waren, also z. B. aus dem Umstande, daß die Teufel im altfranzösischen Schauspiel von Neid und Haß gegen den Menschen erfüllt sind, weil er zur Seligkeit berufen ist, nicht geschlossen werden darf, die teutschen Schauspiele hätten diesen Beweggrund von den Franzosen entlehnt.

Mehr Hinweisungen könnte die äußere Form enthalten, wenn wir mehr alte Schauspiele hätten, um vergleichen zu können. Denn die Franzosen haben, um das Gedächtniß der Schauspieler zu erleichtern, die Abfassung auf zweifache Art eingerichtet: 1) die Rede jeder Person wurde mit einem halben Verse geschlossen, worauf der erste Vers der folgenden Person reimte, z. B.

qui aus âmes donra confort:

or ly va dire.

Raphael.

il est bien raison, trez doulz sire.

(Jubinal 2, 19).

In dem alten Drama über Robert den Teufel (Miracle de Nôtre-dame de Robert le diable. Rouen 1836) ist diese Einrichtung der Gespräche streng durchgeführt. Eben so im Leben des heiligen Fiacre bei Jubinal 1, 304 flg. Von dieser Anordnung kenne ich aber kein teutsches Beispiel.

2) Das legte Reimpaar einer Rede wurde zwischen zwei sprechenden Personen getheilt, wobei der legte Reim der vorher sprechenden Person der nachfolgenden zum Stichwort diente. 3. B.

faire le doy sans contredire.

Joseph.

Pilate, bien savez beau sire.

(Jubinal 2, 263)...

Diese Art ist sehr gewöhnlich, ich finde sie auch im Bretonischen (buhez s. Nonn S. 158, 160) und im Teutschen. Bei uns war es Regel, daß die Nede jeder Person durch ein Reimpaar geschlossen wurde, in den komischen Stücken, wo das Gespräch lebhafter wird, trifft man aber auch die französische Theilung des legten Reimpaars zwischen zwei sprechende Personen an. So in folgendem Spiele 41, 383, 433, 445, 545, 549, 605 u. s. w. Auch in den altteutschen Schauspielen S. 115, 123, 128, 130, 131 flg. und bei Hoffmann, Fundgruben 2, 311, 317, 320, überaḤl jedoch als Ausnahme von der Regel (vergl. Bd. 1, 48).

Einen weitern Vergleichpunkt bietet das erzählende Schauspiel, dessen Eigenthümlichkeit ich zuerst angeben muß. Es geht bei den Franzosen in das zwölfte Jahrhundert zurück, und grade über die Auferstehung haben sie ein Beispiel aufzuweisen, welches hier in Betracht kommt (la resurrection im Théatre français par Monmerqué et Michel p. 11 flg.). Der Prolog fängt an:

en ceste manere recitom

la seinte resureccion.

Das Wort reciter drückt die Sache richtig aus, der Herold nämlich, oder wer den Prolog sagte, übernahm die Rolle des Erzählers im Stücke, er trat an die Stelle des Evangelisten in der Passion, und solche Stücke waren eigentlich nur gereimte Passionen, deren Aufführung nicht im Handeln, sondern im Hersagen stillstehender Personen bestand. Kurz bezeichnet ist daher das erzählende Schauspiel eine gereimte Passion und der erste Versuch, den Kirchentert in der Volkssprache vorzutragen, darum interessant als erste Stufe der dramatischen Entwickelung. Die erzählenden Zwischen- oder

Verbindungsverse sind im vollendeten Schauspiele weggeblieben und dafür scenische Anmerkungen in Prosa beigegeben worden, die aber nicht mehr gesprochen werden, sondern nur den Schauspielern zur Anleitung dienen. Ein Beispiel wird dies erläutern. Théatre français p. 16.

Longinus.

De ceo sui jo joius e lez.

(Quant il vindrent al gaiole,

si lui distrent ceste parole:)
Miles.

Entre laenz; ja ne istras.

[graphic]

In einem jezigen Schauspiele würde diese Stelle so lauten:

Darüber freue ich mich.

Sie gehen zum Gefängniß.

Soldat.

Geh' herein! Hinaus darfst du nicht mehr.

Die Worte: sie gehen zum Gefängniß“ sind nur eine scenische Anleitung, die jest nicht mehr, aber wohl im Mittelalter von dem Herold gesprochen wurde. In solchen erzählenden Zwischenversen liegt das Wesen des recitirenden Schauspiels.

Es scheint nicht, daß man vom recitirenden Schauspiel unmittelbar zur jezigen Gesprächform übergegangen sey, weil der Abstand zwischen beiden sehr auffallend ist. Als Zwischenglieder betrachte ich jene Schauspiele, in welchen sich die redenden Personen selbst mit Angabe ihres Namens einführen (altt. Schausp. 145). Das Recitativ, oder der Herold, der es hersagte, hatte den Zweck, die einzelnen Auftritte durch kurze Angaben der Personen und Handlungen zu verbinden, und dadurch den Zuschauern den Zusammenhang des Stückes zu vermitteln. Blieben diese erzählenden Zwischenverse weg, so mußte eine andere Erklärung an ihre Stelle treten. Sie bestand darin, daß sich jede Person selbst einführte, weil der allgemeine Einführer (praecursor) wegblieb. In den fran

zösischen Stücken, die ich benugen konnte, finde ich keine Beispiele dieser Gesprächform, wohl aber in dem bretonischen Leben der h. Nonna (buhez santez Nonn.) S. 82. me so hep sy magician (ich bin ohne Zweifel ein Zauberer), S. 8. Runniter aman off hanuet (ich bin hier Runniter genannt), S. 52. me eo roe Trisin (ich bin der König Trisin), S. 50. me eo Gildas (ich bin Gildas), S. 144. me eo an ancquou (ich bin der Tod) und dergl. Es könnte wohl seyn, daß in Frankreich diese Form des Gesprächs schon aufhörte, während sie in Teutschland und Bretagne noch im Gebrauche war.

Das folgende Stück enthält nur einen erzählenden Zwischenvers 114, den man nicht verändern kann. Häufiger kommen sie im Theophilus vor (Bruns romant. Gedichte, Vers 268, 296, 312, 419) und im Gespräche der Sibylle (Bd. 1, 309 flg.). In blos dialogischen Gedichten mögen solche Zwischenverse Verderbnisse durch Abschreiber seyn, welche durch dergleichen Zusäße die Namen der redenden Personen in das Gedicht selbst einfügen wollten, in Schauspielen aber, besonders wenn die Zwischenverse mehr enthalten als den Gedanken: er sprach, können sie auch Ueberbleibsel einer erzählenden Abfassung seyn.

Eine zweite Art des erzählenden Schauspiels schließt sich an die Responsorien des Gottesdienstes an, während die erste der erzählenden Passion folgt. Das älteste französische Stück, die klugen und thörichten Jungfrauen, ist in der zweiten Art abgefaßt. Jede Person wird darin durch den Herold bei ihrem Namen aufgerufen und ihr gesagt, was sie zu thun habe; z. B. (théatre français v. Monmerqué S. 7).

Daniel, indica

voce prophetica

facta dominica!

Responsum.

Sanctus sanctorum veniet

et unctio deficiet.

Im Eingang teutscher Stücke kommt etwas ähnliches vor, wenn der Herold die Gruppen der handelnden Personen aufführt und sie namentlich angibt (altt. Schausp. 22 flg.)

Vollständig entspricht der französischen Art das Bruchstück eines niederteutschen Schauspiels von Christi Geburt (bei D. a Stade specimen lectionum antiquar. S. 34), worin Virgil aufgefordert wird, seine Prophezeiung von Christus zu sagen, denn ebenso wird er in dem erwähnten Schauspiele. bei Monmerqué (théatre français S. 9) eingeführt.

Dieses Anschließen an die Responsorien war für die dramatische Einrichtung besser als das Recitativ, weil die erzählenden Zwischenverse an der Handlung keinen Theil nehmen.

Noch deutlicher ist das französische Vorbild in der Anrede. Bei Jubinal 2, 187 redet Christus die Soldaten, die ihn gefangen nehmen, mit beauls seigneurs an, so spricht auch Annas zu ihnen (200) und Kayphas sagt zu den Juden seigneurs (204), Pilatus beaulz seigneurs (209). Ueberhaupt ist diese Anrede häufig zwischen Hohen und Niedern. In teutschen Stücken verstößt aber jene Anrede oft gegen unsre Sitten, wovon das Frankfurter Stück Beweise gibt. Da nennt Christus seine Apostel Herren (Fichard 139), Pilatus die Juden (149), die Engel die Apostel (158) u. dgl. So auch in dem Maestrichter Spiele (Haupt 2, 336). Diese Höflichkeit ist nicht nur gegen die Bibel, sondern auch wie gesagt, gegen die Sitte unserer Vorältern, welche nur dem Adel den Titel Herr gaben, in der französischen Sprache war jedoch diese Anrede allgemein gebräuchlich. Es gibt teutsche Stücke, welche sie streng vermeiden, wie Nr. 12, andere, welche sie zulassen und dadurch ihre französische Quelle verrathen. Die Vor- und Schlußreden sind in den teutschen und französischen Stücken gewöhnlich, bei diesen aber älter.

Die Aufführung der altteutschen Schauspiele hat mit der altfranzösischen manches gemein, was bei den Stücken Nr. 14 und 15 angegeben ist.

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