Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

liegt freilich schon in der Dogmatik, aber dem Dichter bleibt doch das Verdienst, diejenigen Punkte ausgewählt zu haben, welche für seinen dramatischen Zweck die bedeutsamste Darstellung erlaubten. Die Bedeutsamkeit war es ja, welche diesen Schauspielen den Namen Mysterien gab, daher muß auch der folgende Auftritt im Paradiese in den Zusammenhang des Ganzen passen. Diese Scene würde in einem heutigen. Schauspiele wegbleiben, die Altväter würden einfach von der Bühne abtreten. `Nicht so hier, denn ohne den Auftritt im Paradiese wäre der ganze zweite Theil des Stückes, das Teufelspiel, ohne Grund und Zusammenhang. Wen treffen die Altväter im Paradiese an? Den Enoch und Elias und den guten Schächer. Simeon aus dem neuen Testamente fragt, wer jene seyen, und David aus dem alten, wer dieser sey; wieder eine Parallele, wie sie so häufig vorkommen. Also Enoch und Elias, die den leiblichen Tod noch nicht erfahren, leben im Paradiese, sie werden erst sterben am Ende der Welt im Kampfe mit dem Antichrist, als die legten lebendigen Zeugen Gottes. So wissen denn die Altväter, daß mit der Erlösung das Reich des Teufels auf Erden noch nicht beendigt ist, sondern erst dann sein Ende naht, wenn Enoch und Elias sterben. Denn auch ihnen kann der Tod nicht erlassen werden, weil sie Menschen sind.

Mit diesem Auftritt ist die Nacht der Auferstehung vorbei, der Morgen des Ostertages bricht an und die Scene wird wieder örtlich. Der Thurmwächter bläst also den Tag an und singt ein Taglied (755). Das versegt uns in die Nitterdichtung und zeigt, daß im Sinne des Mittelalters die Grabwächter Ritter waren, wie sie auch regelmäßig genannt werden. Hier beginnt die Satire auf den Ritterstand, denn die Anwendung eines verliebten Tagliedes auf schlafende Wächter ist ein feiner Spott. Kläglich wird aber ihre frühere Prahlerei zu Schanden, als sie erwachen und das Grab leer finden, ja das Erdbeben und die Erscheinung der Engel nur im

Traume bemerkten *). In den Vorwürfen der Hohenpriester liegt Ingrimm und Verachtung, das beleidigt aber nicht nur den Stolz der Ritter, die dem Kaiphas Feigheit und dem Annas Dummheit vorwerfen, sondern treibt sie auch dazu, den Glauben an Christum zu bekennen, wodurch sie der Dichter dem Hauptmann bei dem Kreuze, wie jenem zu Capernaum an die Seite stellt. Diese Wendung scheint den Juden aber sehr gefährlich, denn treten die Wächter selbst als Zeugen der Auferstehung auf, so ist das ganze Judenthum geschändet. Schnell dreht sich nun ihr Benehmen, sie bieten abermal den Wächtern Geld, damit sie schweigen sollen, machen ihnen keinen Vorwurf mehr und versprechen ihnen sogar bei Pilatus ihre Fürbitte. Dieser läßt nämlich die Wächter vom Grabe rufen (denn es ist der dritte Tag nach dem Tode Christi) und fragt sie, wie es gegangen. Die Verlegenheit der Wächter ist auch dadurch gut ausgedrückt, daß sie nun den Pilatus König nennen (906, 910), was sie früher nicht gethan. Um so ärgerlicher wird dieser und hält dem einen Wächter ́die Widersprüche seines Traumgesichtes beißend vor. Wie er es bei der Verurtheilung Christi gemacht, so handelt er auch hier, in beiden Vorfällen schiebt er die Schuld auf Andere, durch die Auferstehung sind die Juden und die Wächter beschämt, er jagt also die Wächter aus seinem Dienste, um an ihrer Schande keinen Theil zu haben, d. h. er wascht auf andere Art wieder die Hände. Aus Furcht aber, daß die Geschichte bekannt werde, nehmen die Juden die Schuld der Wächter auf sich (ein Seitenstück zu ihrem Rufe: sein Blut komme über uns), und bestimmen den Pilatus, daß er die Nitter wieder zu Gnaden annimmt und ihnen ihre Lehen zurückgibt. Das thut er einestheils darum, weil er selbst an

[ocr errors]

*) In dem französischen Spiele bei Jubinal 2, 370 schlagen sich die Wächter einander herum, weil jeder dem andern die Schuld gibt, daß Christus entkommen sey. Das Stück geht also in die rohe Bauernkomödie über, während es hier viel edler gehalten ist.

die göttliche Sendung Christi und seine Auferstehung zu glauben anfängt, anderntheils, weil er sich damit tröstet, daß alle Schuld nur auf den Juden laste.

Hier schließt der erste Theil des Schauspiels. Da zuleht Pilatus wie ein König und Lehensherr auftritt und die Wächter ohnehin Ritter genannt werden, só liegt deutlich die Absicht vor, im ersten Theile des Stückes zu zeigen, wie die Mächtigen der Erde durch die Auferstehung zu Schanden geworden. Der zweite Theil kann also nach dem Parallelismus des religiösen Schauspiels nur die Darstellung enthalten, wie die Mächtigen der Hölle durch die Auferstehung besiegt und beschämt werden. Das ist auch wirklich der Inhalt des zweiten Theils, er ist ein Seitenstück, eine Gegenstellung des ersten.

Von der Art, wie im jezigen Schauspiele die Verwicklung und Auflösung gebildet wird, sind die religiösen Osterspiele des Mittelalters sehr verschieden. Es ist jedoch nothwendig, die Anlage der alten Stücke zu kennen, und weil das folgende vollkommen ausgebildet und erhalten ist, so habe ich seinen Zusammenhang dargestellt. Man muß es in seiner Art als ein Kunstwerk anerkennen, das so gut seinen Werth hat als ein altes Gemälde. Diesen Werth kann man aber nicht finden, wenn man nicht in die alten Vorstellungen sich hinein denkt. Deshalb muß ich auch über den zweiten Theil etwas umständlich seyn.

D. Das religiöse Lustspiel.

Nimmt man den heutigen Begriff des Lustspiels, so läßt sich damit das Merkmal religiös nicht vereinigen; was man also ein religiöses Lustspiel heißen kann, muß eine andere Grundlage und einen andern Charakter haben als die jeßige Comödie. Den Ursprung und die Natur der ernsten Komik lernt man fennen, wenn man untersucht, welcher komische Stoff zuerst im alten Schauspiel vorkommt und am frühesten

ausgebildet ist. Dieser Stoff ist die Darstellung des Teufels. Er gehört nothwendig zum religiösen Schauspiel, auch sind die Teufelsscenen die früheste komische Ausbildung desselben und in folgendem Stücke zu einem eigenen Spiel erweitert. Der Grund, warum der Teufel einen komischen Stoff liefert, ist sein Hochmuth, sein Stolz, der ihn zum Falle gebracht hat. Das ist der ernste Zug dieser Komik, die sich sehr gut mit dem religiösen Schauspiele verbinden läßt. Wie dem Teufel, geht es auch den Menschen, auch bei ihnen kommt der Fall nach dem Hochmuth, und der Stolz wird mit Beschämung (confusio) bestraft, was ganz im biblischen Sinne gedacht ist. Von dieser ernsten Komik enthält folgendes Stück schon im ersten Theile sprechende Beispiele, es sind die Teufelsscene in der Vorhölle, das Benehmen der Juden, des Pilatus und der Wächter, wie oben angegeben, und man sieht auch daran, wie der parallele Gang der Gegenstellungen in diesem Stücke eingehalten wird.

Die ernste Komik hat ihre Entwickelung in der Zeit und demgemäß ihre Abstufung. Ihr Ursprung liegt im Falle der bösen Engel. Darin empörte sich der Hochmuth unmittelbar gegen Gott und zwar in den höchsten Kreisen der geschaffenen Wesen. Es ist mir kein Schauspiel darüber bekannt, hat vielleicht auch keines gegeben, aus dem Grunde, weil der Fall der Engel außerhalb dem Menschen liegt. Die zweite Abstufung der ernsten Komik beginnt mit der Schöpfung des Menschen und verläuft daher in niederen Kreisen, in welchen der Mensch lebt, weshalb diese zweite Stufe oft dargestellt wurde. Gott schuf den Menschen unschuldig, nach seinem Ebenbild, der Teufel brachte die ersten Menschen durch Ungehorsam zum Sündenfall und verhöhnte damit die Schöpfung Gottes. Der Tod war damit in die Welt gebracht und das Wunder Gottes, der auch dem Leibe des Menschen Unsterblichkeit gegeben, war vereitelt. Welch' ein Triumph des Teufels, wenn er jede Schöpfung Gottes in niederen Kreisen,

d. h. in solchen, die unter den Engeln sind, zerstören könnte. Im Sündenfalle hat sich der Teufel mittelbar gegen Gott empört, nämlich durch die Menschen, und diese Empörung auf der zweiten Stufe seht er fort, so lang die gefallene Menschheit auf Erden lebt, d. h. bis zum jüngsten Tage, weil er sich unmittelbar auf der ersten Stufe nicht mehr empören kann, seitdem er aus dem Kreise der Engel verstoßen ist.

Gleich anfangs hat er den Kain zum Brudermord getrieben, um den himmlischen Heerscharen den boshaften Beweis zu liefern, daß er die leibliche Unsterblichkeit des Menschen zerstört habe. Darum sagt auch Christus von ihm: er ist ein Menschenmörder von Anbeginn. Hat ihm Gott den Mord zugelassen, so sind ihm auch andere Dualen gegen die Menschen erlaubt. Im Buch Job vermißt er sich, den Menschen von Gott abwendig zu machen, und Gott gibt ihm dazu die Erlaubniß. Aber der geduldige Job beschämt den Teufel, dieser muß die gehoffte Beute fahren lassen, und Gottes Allmacht auch im Kreise der gefallenen Menschheit anerkennen. Man hat das Buch Job in neuester Zeit mit Unrecht der Sage vom Faust zu Grunde legen wollen, aber Job verschreibt sich dem Teufel nicht und lebt auch nicht ein sündhaftes Leben. Der geduldige Mensch Job im alten Bunde, der den Versuchungen des Teufels widersteht, ist ein Vorbild des Gottmenschen Jesus im neuen Bunde, dem ebenfalls der Teufel nichts anhaben kann. Hat er den Menschen Job ins äußerste Unglück gebracht, so brachte er den Gottmenschen Christus bis zum Tode, wurde er durch Job beschämt, so noch viel mehr durch Christus, denn dieser hat sogar den Tod durch seine Auferstehung überwunden und gezeigt, daß der Teufel die leibliche Unsterblichkeit nicht zerstört habe *).

*) Es ist mir kein altes Schauspiel über den Job bekannt, das von Hans Sachs kam im Jahr 1547 heraus und steht bei Gottsched (Nöthiger Mone, Schauspiele. II. 2

« ZurückWeiter »