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C. Anlage des Schauspiels.

Schon aus der Uebersicht dieses Stückes ergibt sich, daß darin das ganze Zwischenspiel von den drei Marien und dem Salbenhändler fehlt; und doch gehen die Anfänge dieses Zwischenspiels in die lateinischen Kirchenterte zurück und kommen bei den meisten Osterspielen wieder vor. Das erfordert eine sorgfältige Untersuchung der Anlage dieses Schauspiels. Es hat einen andern Zweck als die übrigen Osterfeiern, daher auch eine verschiedene Abfassung. Die Auferstehung ist hierin dargestellt als der göttliche Sieg über die menschliche und teuflische Klugheit und Bosheit. Daher hat das Stück zwei Theile, der erste umfaßt die vier ersten Handlungen, worin die menschliche Klugheit zu Schanden wird, der zweite enthält die fünfte Handlung, worin die Hölle ihre Niederlage bekennen muß. Der erste Theil ist das ernste Spiel, der zweite das Lustspiel, aber in anderer Bedeutung, als es jeht verstanden wird, wie ich unten nachweise.

Hieraus, begreift sich die Anlage. Die Grabwächter mit allem, was dazu gehört, sind der durchziehende Faden des ersten Theils, damit fängt er an und hört er auf. In diesen Zusammenhang paßt das Zwischenspiel mit dem Salbenhändler nicht, darum blieb es weg. Der erste Theil geht aber beruhigend aus, den Wächtern wird verziehen, auch sie sollen der Erlösung theilhaftig werden, denn es sind Menschen, für die Christus gestorben ist. Der zweite Theil aber, das Teufelspiel, geht aus mit Verzweiflung, denn die Erlösung und Auferstehung hat den Teufeln bewiesen, daß sie nichts gegen Gott vermögen und die Weltordnung nicht zerstören können. Die Wächter haben das Grab Christi vergebens bewacht, die Teufel vergebens die seligen Altväter in der Vorhölle, siegreich gieng der gestorbene Christus aus dem geöffneten Grabe hervor, siegreich führte er die längst verstorbenen Altväter aus der zertrümmerten Vorhölle in sein himmlisches Paradies.

Das Grab Christi und die Vorhälle sind sich gegenüber gestellt, beide werden gesprengt, jenes zur Auferstehung, diese zur Einführung in die Seligkeit. Umsonst will der Mensch die Auferstehung und der Teufel die Seligkeit hindern, sie werden beide zu Schanden, sie sind mit der boshaftesten Klugheit dennoch schlafende Wächter und das folgende Stück ist in diesem Sinne ein Wächterspiel und als solches konsequent durchgeführt. Ich will das nachweisen.

Die Juden verlangen eine bewaffnete Grabwache. Beißend verhöhnt sie Pilatus (55), einen Todten bewachen? das könnten sie ja selbst thun. Allein da kommt die Furcht dazwischen, die Juden fürchten die Anhänger Christi und Pilatus sieht ein, daß er weiteres Acrgerniß verhüten müsse. Um Ruhe zu bekommen, bewilligt er die Wache, vier Mann, nach den vier Weltgegenden, eine Satire der allergrößten Art. Denn diese vier Wächter sind nicht undeutlich ein Gegenstück der vier Engel, welche am jüngsten Tage durch den Posaunenschall nach den vier Weltgegenden die Todten erwecken. Und wie treten diese Wächter auf? Als Prahlhansen, die es so zu sagen mit den vier Welttheilen aufnehmen, um die Auferstehung Christi zu hindern, blos für das Geld der Juden. Diese nehmen die Prahlerei für Wahrheit und ihr Geldversprechen bildet einen schneidenden Gegensag zu dem Ernste, womit Pilatus aus ganz andern Rücksichten die Wache anordnet.

Der strenge Zusammenhang dieser Einleitung ist klar. Nun kommt die Schlafscene (195), vortrefflich lokalisirt, was auf die Zuschauer einen großen Eindruck machen mußte. Die Scene ist auf einmal nach Wismar verlegt. Ist dieß ein Verstoß? Keineswegs. In jeder Kirche zu Wismar war ja ein heiliges Grab am Charfreitag, warum hätte man also die Grabfeier nicht lokalisiren dürfen? Also der Thurmwächter von Wismar ermahnt die Grabwächter zur Wachsamkeit, er sieht fern auf der Ostsee etwas herkommen, er hört die Hunde

bellen, also schon in der Nähe, es hilft nichts, die Wächter wollen schlafen und bitten ihn, sie zu wecken, wenn die Gefahr an der nächsten Insel ist. Mit dieser Schlafsucht wird die vorausgehende Prahlerei der Wächter verhöhnt und die Anordnung des Stückes festgehalten, denn während sie schlafen, geht Christus in die Vorhölle und erlöst die Altväter.

Da man die Seele Christi ohne Leib nicht darstellen konnte, so mußte im Schauspiele Christus zuerst auferstehen und sich darauf in die Vorhölle begeben, wie es auch in andern Stücken vorkommt (altt. Schausp. 109), was nur dramatische Anordnung ist. Dadurch aber, daß Christus mit der Antiphone Resurrexi aufersteht, feiert er gleichsam selbst das Hochamt am Ostersonntag, eine sinnvolle Beziehung des Schauspiels zum Gottesdienste, welche in dem Stücke Nr. 7, V. 605 (Bd. I, 97) deutlich ausgesprochen ist.

Die Erlösung aus der Vorhölle ist tief und innig gedacht. Der erste, dem die Annäherung Christi durch einen Schimmer fund wird, ist Abel; also der erste Mensch, der ermordet wurde, bekommt auch den ersten Trost der Erlösung (der geistigen Auferstehung) durch Christus, der ja auch unschuldig ermordet ward. Hierin liegt der Sag: wer zuerst den Tod gekostet hat, der soll auch zuerst erfahren, daß der Tod durch die Auferstehung Christi besiegt ist. Darauf wird in der Klage Adams die Sehnsucht und Hoffnung der ganzen Menschheit nach der Erlösung ausgesprochen, nach Christus dem Lichte der Welt. Isaias bestätigt diese Hoffnung durch seine Prophezeiung von dem großen Lichte, das den · Völkern erscheinen werde. Diese drei Personen stellen das alte Testament vor, sie sehnen sich nach dem Lichte der Welt, das entspricht sowohl der Bibel als auch der dramatischen Anordnung, denn die Auferstehung und die Vorhölle sind Nachtscenen *).

*) In einem Gebete des dreizehnten Jahrhunderts in einer Hs. des H. v. Radowiß heißt es Bl. 24, wir loben unt danken dir, daz du den patriarchen unt den propheten uzer so langer vinstere hulfe.

A

Nun kommen zwei Personen, die auf dem Uebergange des alten zum neuen Testamente stehen: Simeon, der Christum als Kind gesehen und aus dessen Prophezeiung dem vorausgehenden Terte gemäß die Worte entnommen sind: lumen ad revelationem gentium, und Johannes der Täufer, welcher den Anfang der Erlösung auf Erden erlebt hat. Da jedoch keiner der Altväter den Tod Christi auf Erden mit angesehen, so führt der Dichter den Seth auf, der den Zweig aus dem Paradies erhielt, welcher zum Kreuzesbaum heranwuchs. Und Isaias erinnert an seine Prophezeiung vom Sohne der Jungfrau. Bis hieher geht die Vorbereitung, es ist darin das Nöthigste und Bedeutsamste vereinigt.

Die Gegenseite gehört aber auch zur Vollständigkeit, deßhalb werden die Teufel aufgeführt (V. 371 flg.) Der Fürst der Hölle wird um so unruhiger, je größer die Hoffnung der Altväter auf ihre nahe Befreiung ist. Lucifer fühlt, daß ihm die Gefahr bevorsteht, die Seelen der Altväter zu verlieren und dadurch gestehen zu müssen, daß der Tod, den er durch die Sünde in die Welt gebracht hat, dennoch die Schöpfung Gottes nicht zerstören könne. Er beruft also die ganze Schaar der Teufel in die Vorhölle, um sie gegen den bevorstehenden Angriff zu vertheidigen. Dabei erfährt ̧ Lucifer vom Satan die Kreuzigung Chrifti und Satan benimmt sich wie ein dummer Teufel, der sich rühmt, den Heiland zum Tode gebracht zu haben, weil er sich für den Sohn Gottes erklärt hat. Das erregt schon Zweifel in Lucifer, weil er von den Wundern Christi gehört, und als Satan sich weiter rühmt, er habe zum vorläufigen Beweise die Seele des Judas erworben und Christus sey bereits todt, so fragt ihn Lucifer, wo er denn die Seele Christi habe? Darauf weiß Satan nur ausweichend zu antworten, und als er gar eingestehen muß, daß Christus derselbe sey, der den Lazarus erweckt hat, so wird dem Lucifer die Göttlichkeit Christi klar, denn Lazarus sey zur Hölle bestimmt gewesen und Christus habe

ihr denselben entrissen, wer aber eine Seele der Hölle nehmen könne, der sey auch im Stande die Altväter hinweg zu führen. Die Nachrichten der andern Teufel über die steigende Freude der Altväter bestätigen die Ahnung Lucifers.

Nun nähert sich Chriftus der Vorhölle, ihn ersieht zuerst David, sein mütterlicher Stammvater, dann Adam und Eva, die Stämmältern der Menschheit, eine zweckmäßige Gegenstellung. Die Teufel wehren ihm den Eingang, aber der stolze Lucifer muß den David fragen, wer denn der König der Ehren sey und wird über die Antwort trostlos. Auch Satan fragt, wer der Mann in dem rothen Kleide sey, und erfährt es von Christus selbst. Darauf zerbricht Christus das Höllenthor, ergreift und bindet den Lucifer und führt die Seelen heraus. Es ist rührend, daß dabei Eva, die erste Sünderin der Welt, noch einmal ihre Schuld bekennt, durch die ja das ganze Leiden Chrifti herbeigeführt wurde; consequent, daß der dumme Satan Johannes den Täufer in der Hölle zurückhalten will, weil er nicht glaubt, daß ein Mann in so rauhem Kleide ein Heiliger sey. Mit teuflischem Hohne wirft nun Puck dem Lucifer seine Ohnmacht vor und dieser muß eingestehen, daß ihm die Erlösung ein Geheimniß gewesen und er die Geburt des Heilandes von einer Jungfrau nicht beachtet und daher mit Recht die Seele der Altväter verloren habe *). Darauf übergibt Chriftus die Altväter dem Erzengel Michael, um sie in das Paradies zu führen, was dem Offertorium der Seelenmesse entspricht, wo es heißt: signifer sanctus Michael repraesentet animas in lucem sanctam.

Man wird nicht läugnen können, daß bis hieher das Schauspiel einen wohlgeordneten Zusammenhang hat. Dieser

*) Daß sich der Teufel an den Geheimnissen Gottes betrogen, steht auch in den Predigten bei Leyser, S. 133, denn daß Gott Mensch werden konnte, wußte der Teufel nicht und steht auch in andern Predigten.

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