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selben hindeutete, so blieb es doch seinem jüngeren Zeitgenossen Schubert vorbehalten, diesen Gedanken weiter auszuführen, eine neue Kunstform zu schaffen, und was sich eben noch be scheiden und anspruchslos im Hintergrunde gehalten hatte, durch sein Genie in kürzester Zeit zu ungeahnter Bedeutung zu erheben *).

Die Lieder: Memnon, Antigone und Oedip, die zürnende Diana, Nachtstück, aus Heliopolis, Iphigenie, Orest auf Tauris, Philoftet, der entsühnte Orest, freiwilliges Versinken, und Lied eines Wanderers an die Dioskuren, gehören dieser höheren Gattung an, und würden für sich allein hinreichen, ihrem Schöpfer einen Plaß unter den ersten seiner Kunst zu sichern.

Auch von seines Freundes, Schober, Gedichten hat Schubert beiläufig ein Dußend zu Compositionen benüßt, unter welchen das pax vobiscum aus den geistlichen Liedern, dann Jägers Liebeslied, Pilgerweise, Todtenmusik, Schahgräbers Begehr, das Terzett,,der Hochzeitsbraten" und das Quintett für Männerstimmen,,Mondenschein“ zu den schönsten und befanntesten gehören **).

*) Von Mayrhofer's Gedichten sind noch componirt: Sehnsucht, Erlaffee, am Strom, der Alpenjäger, Fahrt zum Hades, Atys, am See, Augenlied, Rückweg, Urania's Flucht, Geist der Liebe, der Hirt, Geheimniß, zum Punsch, der Abendstern, Liane, Trost, die Sternennacht, Auflösung und (das Männerquartett) der Gondelfahrer.

**) Nach dem, übrigens durchaus unvollständigen thematischen Kataloge ist weiters uoch Gabriel Seidl mit 12, die beiden Schlegel mit 17, W. Scott und Mathisson mit je 10, Leitner und Klopstock mit je 9, Ossian, Claudius, Bruchmann und Schulze mit je 8, Hölty mit 6, Rückert und Heine mit je 5, Kollin, Kenner, v. Schlechta und Kosegarten mit je 4, Körner, Schubart, Lappe, Craigher, Metastasio, Rochlih, Uz, Baumberg, Grillparzer, Schreiber, Stollberg und Shakespeare mit je 3, Hüttenbrenner

Viele von Schubert's Liedern, wie wohl kaum der sechste Theil aller von ihm componirten, sind dem größeren Publikum nach und nach bekannt geworden; auserlesene Kreise haben sich auch mit Vorliebe den minder eingänglichen zugewendet; in das Volk sind sie, mit Ausnahme eines verschwindend kleinen Theiles nicht gedrungen, wie es bei Liedern, die mehr oder weniger auf der Höhe von Kunstwerken stehen, wohl auch nicht anders sein konnte.

Der größten Popularität unter Schubert's Liedern erfreut sich wohl der unter dem Namen:,,Die schöne Müllerin" bekannte Cyclus von Gesängen, nach Gedichten von Wilhelm Müller *). Dieser Liederkranz umfaßt unter der Aufschrift :

de la Motte Fouqué, Platen, Szechenyi, Senn, L. Pyrker, Jakobi und Salis mit je 2, und endlich Schmidt von Lübeck, Werner, Bürger, Unger, Uhland, Friedrich Kind, Caroline Pichler, Kuffner, Reil, Castelli, Klein, Rittgräff, Seckendorf, Deinhartstein, Schopenhauer, Silbert, Pope, Fellinger, Ehrlich, Wannovius und Bauernfeld mit je einem Ge. dichte vertreten.

*) Wilhelm Müller, geboren zu Dessau am 7. October 1795, Sohn eines bemittelten Handwerkers, crhielt eine sehr sorgfältige, von jedem Zwange freie Erziehung, welcher er hauptsächlich die später bewiesene Geistesfreiheit und Vielseitigkeit seiner Bildung verdankt. Er studirte seit 1812 in Berlin Philologie und Geschichte, schlug im Jahre 1813 die Schlachten des Befreiungskrieges im preußischen Heere mit, kehrte 1814 nach Berlin zu den Studien zurück, in deren Kreis er nun auch die altdeutsche Sprache und Literatur zog. Im Jahre 1817 reiste er nach Italien, und 1819 nach Berlin zurückgekehrt, wurde er an die neuorganisirte. Gelehrtenschule in Dessau berufen und später zugleich Bibliothekar an der dortigen herzoglichen Bibliothek. Im Jahre 1827 eben von einer Erholungsreise an den Rhein zurückgekehrt, starb er plötzlich wenige Tage nach seiner Rückkehr zu Deffau am 1. October 1827. Müller galt als einer der edelsten und reinsten Menschen, als Gelehrter von gründlichen, umfassenden Kenntnissen und einer der be.

„Die schöne Müllerin" (im Winter zu lesen) mit Inbegriff des ersten,,,der Dichter als Prolog" und des leßten,,Der Dichter als Epilog“ überschriebenen Gedichtes, deren 25, von welchen Schubert 20 in Musik gesezt hat. Nicht componirt sind: Das Mühlenleben, erster Schmerz, lezter Scherz, und Blümlein Vergißmein; der Prolog und Epilog fallen selbstver. ständlich, als zur Composition nicht geeignet, hinweg.

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Jedes der Lieder ist für sich abgeschlossen, bildet aber zugleich den Theil eines Ganzen und gewinnt dadurch erst seine wahre Bedeutung. Auch zu dieser Art, eine sich nacheinander entwickelnde Reihe von Gefühlen musikalisch darzustellen, hatte Beethoven durch seinen Liederkreis" den ersten Anstoß gege. ben; der Gegensatz beider liegt, abgesehen von ihrem Inhalte und der verschiedenen Ausdehnung derselben darin, daß der lettere in unvermitteltem, rein classischem Style gehalten ist, wogegen in den Müllerliedern alle Zauber echter Romantik hervortreten. Der Lieder-Cyclus,,die schöne Müllerin" gehört in der That zu den herrlichsten Inspirationen, Schubert's, und das aufkeimende und allmälige Anschwellen einer Leidenschaft von der ersten ahnungsvollen Regung bis zum gewaltsamen Ausbruche,

deutendsten lyrischen Dichter. Er schrieb: Rom und Römerinnen (1820), Gedichte aus den hinterlassenen Papieren eines Waldhornisten (1821 -1824) und lyrische Spaziergänge (1827). Wahrheit der Empfindung, Frische und freie Beweglichkeit der Darstellung, ein reger Natursinn, zugleich aber auch die Neigung, sich innerhalb der Gränzen gewisser Lieblingsstoffe möglichst lange zu bewegen, und seine Gefühle auf an. dere wirkliche oder erdichtete Persönlichkeiten zu übertragen, gehören zu seinen Eigenthümlichkeiten. Auch im Gebiete der Kritik war er durch zahlreiche Beiträge in Zeitschriften thätig; eine Sammlung seiner ver mischten Schriften hat Gustav Schwah im Jahre 1830 in 5 Bänden herausgegeben.

von süßer Schwärmerei zu erschütterndem Schmerz und Gram, die Ungeduld des Liebenden, das berauschende Gefühl des Glückes, Eifersucht, Troß und Stolz sind wohl noch nie so herzergreifend in Tönen wiedergegeben worden. Dabei geht eine so einheitliche idyllische Stimmung durch das Ganze, daß man nur staunen, und diesem reizenden Tongemälde mit vollem Entzücken lauschen kann.

Unter dem allgemeinen Titel „Reiselieder“ hatte Wilhelm Müller ebenfalls einen Cyclus von Liedern gedichtet und zwar:

Reiselieder I.,,Große Wanderschaft," enthaltend die Wanderlieder eines rheinischen Handwerksburschen mit den Ueberschriften: 1. Auszug, 2. Auf der Landstraße, 3. Einsamkeit, 4. Brüderschaft, 5. Abendweihe, 6. Morgen, 7. Frühlingsgruß, 8. Entschuldigung, 9. Hier und dort, dann: Des Postillons Morgenlied bei der Bergschenke, der Prager Musikant, Ein anderer, Die Prager Musikantenbraut, Seefahrers Abschied, und Schiff und Vogel;

Reiselieder II.,,Die Winterreise," enthaltend die bekannten 24 Lieder, und

Reiselieder III. (Wanderlieder), bestehend aus den Gedich. ten: Der ewige Jude, Der Mondsüchtige, Der Apfelbaum, Die Bäume, Heimkehr, und Der Wanderer in Welschland.

Die in diesen drei Liederkränzen herrschende Stimmung ist, wenn sie auch alle das ruhelose Umherschweifen in der Welt, und das Sehnen nach einem geliebten Gegenstande zu ihrem gemeinsamen Inhalte haben, eine wesentlich verschiedene; denn während in der großen Wanderschaft, und den weiter dazu gehörigen Liedern, sowie auch in den Wanderliedern sich eine, nur selten und wie im Vorübergehen von einem Wehmuthshauche getrübte Heiterkeit ausspricht, geht durch die

düsteren Gesänge der Winterreise ein Zug tiefer Schwermuth und Trostlosigkeit; der Stern des Lebens scheint erbleicht, dunkle Schatten ziehen vorüber, ein falter, trauriger Winter starrt uns entgegen.

Die Composition der Winterreise fällt in die Jahre 1826 und 1827; die Correctur der zweiten Abtheilung beschäftigte Schubert noch in den letzten Tagen seines Lebens. Ueber den Werth dieser eigenthümlichen Lieder etwas zu sagen, erscheint überflüssig. Sie sind sehr bekannt und werden vielfach gesun. gen; die musikalische Welt aber hat schon lange über sie gerich tet, und zählt sie zu Schubert's bedeutendsten Schöpfungen.

Ein eigenthümliches Interesse beanspruchen seine Gesänge Ossian's. Hier galt es, den Nebeln und dem Froste des unwirthlichen Calcedoniens Wärme und Leben einzuhauchen, das Brausen des Waldstroms, die Oede der Heiden und Moore, das Huschen der Irrlichter und Luftgebilde und den stürmenden Ruf zur Jagd der Fantasie des Zuhörers zu lebendiger Anschauung zu bringen, zum Theil auch, wie in den Liedern: ,,Die Nacht" und Loda's Gespenst" lange, wesentlich beschreibende Gedichte, ohne monoton zu werden, musikalisch wiederzugeben. Die meisterhafte Lösung dieser Aufgabe durch den 19jährigen Jüngling zeugt ganz besonders für seine Gabe der Charakteristik, wie auch die Behandlung der darin vorherrschenden Recitative ein Beweis ist für die innige Vertrautheit Schubert's mit der Prosodie und musikalischen Declamation.

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Kaum läßt sich dem einen oder anderen dieser Lieder die Palme über die übrigen zuerkennen; sie sind alle Blüten eines und desselben herrlichen Geistes, und das kurze Lied „Kolma's Klage" nimmt das Interesse des Zuhörers ebenso

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