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Instrumente, wie der Masse des Orchesters gelangte, die oft wie Menschenstimmen und Chor durcheinander sprechen. Diese Aehnlichkeit mit dem Stimmorgan habe ich außer in vielen Beethoven'schen nirgend so täuschend und überraschend ange troffen. Diese völlige Unabhängigkeit, in der die Sinfonie zu denen Beethoven's steht, ist ein anderes Zeichen ihres männ lichen Ursprungs. Hier sehe man, wie richtig und weise Schu. bert's Genius sich offenbart. Die grotesken Formen, die küh. nen Verhältnisse nachzuahmen, wie wir sie in Beethoven's späteren Werken antreffen, vermeidet er im Bewußtsein seiner bescheidenen Kräfte; er gibt uns ein Werk in anmuthvollster Form, und troßdem in neuverschlungener Weise, nirgends zu weit vom Mittelpunkt wegführend, immer wieder zu ihm zurückkehrend. So muß es jedem erscheinen, der sich die Sinfonie öfter betrachtet. Im Anfange wohl wird das Glänzende, Neue der Instrumentation, die Weite und Breite der Form, der reizende Wechsel des Gefühllebens, die ganze neue Welt, in die wir versezt werden, den und jenen verwirren, wie ja jeder neue Anblick von Ungewohntem; aber auch dann bleibt noch immer das holde Gefühl etwa wie nach einem vorübergegangenen Märchen und Zauberspiel; man fühlt überall, der Componist war seiner Geschichte Meister und der Zusammenhang wird dir mit der Zeit wohl auch klar werden. Diesen Eindruck der Sicher. heit gibt gleich die prunkhafte romantische Einleitung, obwohl hier noch alles geheimnißvoll verhüllt erscheint. Gänzlich neu ist auch von da der Uebergang in das Allegro; das Tempo scheint sich gar nicht zu ändern, wir sind angelandet und wissen nicht wie. Die einzelnen Säge zu zergliedern, bringt weder uns, noch andern Freude; man müßte die ganze Sinfonie abschreiben, um von dem novel. listischen Charakter, der sie durchweht, einen Begriff zu geben.

,,Nur vom zweiten Sag, der mit so gar rührenden Stim. men zu uns spricht, mag ich nicht ohne ein Wort scheiden. In ihm findet sich auch eine Stelle, da wo ein Horn wie aus der Ferne rust, das scheint mir aus anderer Sphäre herabge. kommen zu sein. Hier lauscht auch Alles, als ob ein himm lischer Gast im Orchester herumschliche.“

Diese Sinfonie, welche Mendelssohn und Schumann für das bedeutendste Orchesterwerk nach den Beethoven'schen erklärten, hat es in der Vaterstadt des Componisten, wo sie im Jahre 1849 in einem Gesellschafts Concerte, dann im Jahre 1857 in einem philharmonischen und im Jahre 1859 abermals in einem Gesellschafts Concerte vorgeführt wurde, bis jezt zu keinem durchgreifenden Erfolge bringen können, wenngleich die Theilnahme des Publikums bei der leßten Aufführung unverkennbar eine größere geworden war. Der hauptsächliche Grund davon liegt in der großen Dehnung der Säße, namentlich des zweiten und dritten. Die Sinfonic ist lang, länger als irgend eine von Beethoven, die neunte ausgenommen, und diese von Schumann so gerühmte himmlische Länge" ist es, welche die Wirkung der so bedeutenden, an feinen, geistvollen Detailzügen überreichen Musik, auf ein Publikum abschwächt, welches an die zusammengehaltenere Form anderer Sinfonien gewöhnt ist. Diese Ausdehnung über Gebühr ist übrigens nur eine Folge der Mängel, an welchen das sinfonische Werk überhaupt leidet, und die zum Theil in Schubert's fünstlerischer Individualität ihren Grund haben. Seine reiche Erfindungsgabe und aufschäumende Fantasie ließen ihn nicht jene plastische Abrundung finden, welche durch öftere Anwendung der polyphonen Form und ein gewisses Maßhalten in der Wiederholung und Ausspinnung der Motive erzielt

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wird. Die Vornahme von Kürzungen aber bei einem derartigen Werke ist immer eine bedenkliche Sache; sie schadet dem geistigen Zusammenhange desselben, und erntet keinen Dank bei jenen, welche im Stande sind, auch den sogenannten Längen mit ungetheilter Aufmerksamkeit zu folgen.

Ungeachtet dieser Formmängel ist die Sinfonic doch wieder ein so herrliches Werk, daß man wohl jagen kann, Schubert sei von Natur aus berufen gewesen, auch auf diesem Gebiete das Höchste zu erreichen.

Das sicherste Mittel, der Sinfonie jene Anerkennung zu ver schaffen, welche sie verdient, bestünde darin, daß sie öfter, als dies bisher der Fall war, zur Aufführung gebracht würde; denn auch jezt noch ist sie in Wien ein fast unbekanntes Werk, während sie in den Gewandhaus-Concerten sich alsbald zu einem Lieblings. stück des Orchesters und des Publikums hinaufgeschwungen hat.

Von den übrigen Sinfonien ist nur noch die sechste in C-Dur (comp. im I. 1818), und zwar im März 1829 in einem Spirituel Concerte in Wien aufgeführt worden, ohne besonders gewürdiget zu werden. Da die übrigen Sinfonien in den Jah. ren 1812 bis 1818 entstanden sind, so wäre es schon zur Beurtheilung des Entwicklungsganges des Componisten von großem Interesse, sie ebenfalls zu Gehör zu bekommen *).

Auch mehrere Ouverturen hat Schubert componirt, nämlich jene zu den Opern und Melodramen:,,Die Freunde von Salamanca,“ „die Zauberharfe,“,,des Teufels Lustschloß,“ ,,Alfonso und Estrella," ,,Fierrabras," dann die Ouverture in B (1816) und in D (1817). Von diesen sind nur die Ouver

*) Die sechste Sinfonie componirte er (ohne Aufforderung) für den Wiener Musikverein.

turen zur Zauberharfe (im thematischen Cataloge unter opus 26 unrichtiger Weise als Ouverture zu,,Rosamunde“ bezeich net), dann jene zu „Alfonso und Estrella" (im thematischen Cataloge als opus 69 angegeben), endlich die Ouverture zu „Fierabras," lettere in einem Concerte des Männergesangvereines im Jahre 1858 zur Aufführung gelangt. Die Ouverture, welche dem Drama,,Rosamunde" bei der im Jahre 1823 stattgehabten Aufführung desselben vorausging, war die von Schubert zu der Oper,, Alfonso und Estrella“ componirte *). Von den zu den Opern und Melodramen geschriebenen wird noch bei Besprechung der letzteren die Rede sein.

Wir gelangen nun zu Schubert's Leistungen im Gebiete der Kammermusik.

Wie bereits erwähnt, hat er schon in früher Jugendzeit und namentlich auch während seines Aufenthaltes im Convicte Streichquartette componirt, von welchen der größte Theil bei den Quartett-Uebungen in seines Vaters Hause aufgeführt wurde. Diese Compositionen, von ihm selbst mehr als Uebungen und Versuche in dieser Musikgattung angesehen, würden derzeit nur mehr geringes künstlerisches Interesse erregen. Wenn von Schubert's Kammermusik die Rede ist, werden in erster Reihe immer nur seine beiden Clavier-Trio's in Es und B, die Streichquartette in D-Moll, A-Moll und in G, das StreichQuintett in C, das sogenannte Forellen-Clavier-Quintuor in C, und das Duo für Piano und Violon op. 159 zu nennen sein. Die eben genannten Werke sind durch häufige Aufführungen in öffentlichen und Privat-Concerten den Musikfreunden

*) Von der Ouverture in B besißt Dr. Schneider die Original. Handschrift; von jener in D eine Copie.

so bekannt geworden, und das Urtheil über Schubert's Leistun gen in dieser schwierigsten der Musikgattungen hat sich im All. gemeinen schon derart festgestellt, daß hierüber wenig mehr zu jagen ist. Diejenigen, welche über den Inhalt nicht die Form vergessen können, werden sich beim Anhören Schubert'scher Kammermusik eben so wenig vollkommen befriedigt fühlen, als die C-Sinfonie auf ihren unbedingten Beifall rechnen dürfte; diejenigen dagegen, welche unbefangen genug sind, die herrlichen Ergüsse einer feurigen, durch einen Anflug von Schwermuth gemilderten Fantasie in ihrer ganzen Fülle auf sich einwirken zu lassen, werden sich eines großen Genusses erfreuen; beide Theile aber werden dem nie versiegenden Strome origineller Melodien, den überraschenden Modulationen und allen jenen reizenden Einzelzügen, an welchen es in Schubert'scher Musik niemals zu fehlen pflegt, von Anfang bis zu Ende mit großem Interesse folgen.

Zu den bekanntesten und am meisten geschäßten der früher genannten Musikstücke gehören die beiden Clavier-Trio's, das D-Moll-Quartett und das Quintett in C. Von den Trio's ist jenes in B (op. 99) zwar später veröffentlichet worden, als das Trio in Es (op. 100); es ist aber früher als dieses ent standen. Die Composition beider fällt übrigens in Schubert's lehte Lebensjahre. Innerlich unterscheiden sie sich wesentlich in den einzelnen Säßen, im Ganzen genommen aber wird jenem in Es der Vorzug gegeben werden. Das Trio ist übrigens etwas gedehnt, und hat durch die in demselben vorgenommenen Abkürzungen nur gewonnen *).

*) Schumann nennt, und wohl mit Recht, das Trio in Es mehr handelnd männlich und dramatisch, gegenüber dem mehr leidenden weiblichen lyrischen in B. — In dem ersteren finden sich fremdartige volks.

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