Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

Preussen,

1866.

Kaiserlich Oesterreichischen Regierung sich in dem Maasse gesteigert, dass eine No. 2389. friedliche Lösung kaum noch zu hoffen war. ¶ Am 1. Juni d. J. übergab die 1. Septbr. Kaiserlich Oesterreichische Regierung gegen den Inhalt des Gasteiner Vertrages die Entscheidung in der Schleswig-Holsteinschen Frage dem Bundestag und berief zugleich die Holsteinschen Stände. Die Preussische Regierung verhinderte deren Zusammentritt. Die Oesterreichischen Behörden und Truppen verliessen Holstein. ¶ Die Oesterreichische Regierung stellte hierauf unter Bezugnahme auf Art. XIX der Wiener Schlussakte beim Bundestag den Antrag:

wegen der in dem Bundeslande Holstein Preussen zur Last fallenden Selbsthülfe die nicht Preussischen Bundeskorps mobil zu machen. Dieser Antrag wurde in der Sitzung vom 14. Juni d. J. unter Zustimmung von Hannover, Kurhessen, Nassau und Frankfurt trotz des Protestes des Preussischen Gesandten angenommen. In der hierauf abgegebenen Erklärung heisst es wörtlich: (vergleiche No. 2317. Seite 100.) Die vorgelegten Grundzüge eines neuen Deutschen Bundes verlangten bei schonendster Berücksichtigung des Souverainetätsrechts der Einzelstaaten im Art 1 den Ausschluss Oesterreichs, im Art. 4 die Mitwirkung einer Deutschen Nationalvertretung, gewählt nach den Bestimmungen des Reichswahl-Gesetzes von 1849. Bevor, der beschlossenen Mobilmachung gegenüber, Preussen zu kriegerischen Maassregeln schritt, wandte es sich an Kurhessen und Hannover, und bot denselben gegen Garantie ihres Gebiets und ihrer Souverainetät nach Maassgabe der Reformvorschläge vom 14. Juni ein Bündniss unter der Bedingung an dass die gedachten Staaten ihre Truppenstärken auf den Friedensstand vom 1. März zurückführten und die Wahlen für das Parlament anordneten sobald dies in Preussen geschehen würde. ¶ Die Antworten beider Regierungen lauteten ablehnend. Der Krieg begann; auch Nassau und Frankfurt a. M. standen auf der Seite der Feinde Preussens. Der rasche Siegeslauf des Preussischen Heeres gehört der Geschichte an. Im Laufe des Monats Juli war Hannover, Kurhessen, Nassau und Frankfurt in der Gewalt Preussens, die Fürsten von Hannover und Nassau landesflüchtig, der Kurfürst von Kurhessen auf Preussischem Gebiet in der Macht Preussens. ¶ Die entscheidenden Siege in Böhmen und Mähren führten zum Abschluss der Friedenspräliminarien von Nikolsburg vom 26. Juli, in deren Art. 5 es heisst: Se. Majestät der Kaiser von Oesterreich verspricht, die von Sr. Majestät dem Könige von Preussen in Norddeutschland herzustellenden neuen Einrichtungen einschliesslich der Territorial-Veränderungen anzuerkennen.“ ¶ Während des Monats August sind diesen Friedens-Präliminarien die Friedensschlüsse mit Bayern, Württemberg und Baden gefolgt, in welchen sich das gleiche Anerkenntniss von Seiten dieser Regierungen findet. ¶ Am 24. d. M. haben die Gesandten am früheren Bundestag die Auflösung desselben zu Augsburg förmlich ausgesprochen.

[ocr errors]

So viel zur Vergegenwärtigung des historischen Verlaufs, welchen die Deutschen Angelegenheiten in den letzten Monaten genommen haben. Am 16. August d. J. sind dieselben in eine weitere Phase getreten, welche die Mitwirkung der Preussischen Landesvertretung erforderlich gemacht hat. ¶ Des

Staatsarchiv XI. 1866.

16

No. 2389. Königs Majestät haben nämlich mittelst Allerhöchster Botschaft von demselben

Preussen,

1. Septbr. Tage einen Gesetz-Entwurf:

1866.

betreffend die Vereinigung des Königreichs Hannover, des Kurfürsten-
thums Hessen, des Herzogthums Nassau und der freien Stadt Frank-
furt mit der Preussischen Monarchie,

dem Abgeordnetenhause zugehen lassen. ¶ Dieser Entwurf ist durch Beschluss
desselben vom 17. d. M. einer besonderen Kommission zur Vorberathung über-
wiesen worden, welche ihn in einer Reihe von Sitzungen ihrer Prüfung unter-
zogen hat. Während dieser Berathung sind noch 6 Petitionen aus Hannover
und 2 Petitionen aus Nassau, welche sich sämmtlich gegen die sofortige Ver-
einigung dieser Staaten mit Preussen aussprechen, der Kommission zu gleichem
Zweck überwiesen. Die Königliche Staats-Regierung ist bei diesen Berathungen
grössten Theils durch den Herrn Minister-Präsidenten Grafen von Bismarck
selbst und ausserdem durch den Herrn Geheimen Regierungsrath Wagner und
den Herrn Geheimen Legationsrath König vertreten gewesen. Die König-

liche Botschaft und die Gesetzes-Vorlage verkündigt die Vereinigung der
Lande des Königreichs Hannover, des Kurfürstenthums
Hessen, des Herzogthums Nassau und der freien Stadt Frank.
furt mit der Preussischen Monarchie und spricht damit zugleich aus,
dass die bisherigen Dynastien in jenen Ländern zu regieren
aufgehört haben, diese selbst aber vor Zerreissung und Zerstückelung be-
wahrt sind. ¶ Die Kommission erkannte darin den Beginn
eines neuen Abschnitts nationaler Entwicklung, und nahm
die Königliche Botschaft und die Gesetzes-Vorlage mit hoher
Befriedigung auf. Vollstes Einverständniss über die Auf-
gaben, welche der Preussische Staat an der Hand dieses
Gesetzes zu lösen hat, begleitete die Verhandlungen zwischen
der Staats-Regierung und der Kommission von Anfang bis
zu Ende. Der Gesetz-Entwurf selbst besteht aus drei Paragraphen. Im
§. 1. erklären Se. Majestät auf Grund des Art. 55 der Verfassung-Urkunde für
Sich und Allerhöchst deren Nachfolger die Regierung der vorgenannten Länder
zu übernehmen. Der §. 2. verordnet, dass die definitive Regulirung der Be-
ziehungen dieser Länder auf Grund des Art. 2 der Verfassungs-Urkunde mittelst
besonderen Gesetzes erfolgen werde. ¶§. 3. beauftragt das Staats-Ministerium
mit der Ausführung dieses Gesetzes.

A. Die General-Diskussion verbreitete sich über folgende Punkte:

I. Ueber das Recht des Preussischen Staates auf die Vereinigung von
Hannover etc. mit der Preussischen Monarchie.

II. Ueber die politische Nothwendigkeit oder Nützlichkeit dieser
Vereinigung.

III. Ueber die Schonung der rechtlichen Eigenthümlichkeiten der mit
Preussen zu vereinigenden Länder.

IV. Ueber die Nothwendigkeit eines Uebergangszustandes bis zur voll-
ständigen Einverleibung, insbesondere

1) über die Nachtheile einer Personal-Union,

2) über die Bedenken gegen die sofortige Geltung der Preussi- No. 2389.
schen Verfassung.

V. Ueber etwaige Garantieen des Rechtszustandes in den zu annektiren-
den Ländern bis zu deren Einverleibung.

I. Schon die bereits erwähnten, dem Abgeordnetenhause eingereichten Petitionen machten die Prüfung der Frage nach dem Recht des Preussischen Staates auf Einverleibung jener Länder für die Kommission unvermeidlich. ¶ Der Herr Minister-Präsident nahm das seiner Ansicht nach völkerrechtlich anerkannte Recht der Eroberung mit vollster Wirkung für Preussen in Anspruch. Aus dem Schoosse der Kommission wurde entgegnet, dass der Preussische Staat sich nach einem anderen Rechtstitel als dem der Eroberung umsehen müsse. Das sei die nackte Gewalt, welche in der Gegenwart zur Rechts- und Staatsbildung nicht mehr ausreiche. Kein neuerer Völkerrechtslehrer vertrete diesen antiquirten Standpunkt. Die Friedens-Präliminarien von Nikolsburg gewährten doch der im Dänischen Kriege unterworfenen Bevölkerung der nördlichen Distrikte von Schleswig das Recht freier Abstimmung. Die Sanktion des Deutschen Volkes, zur Zeit allerdings nur repräsentirt in dem künftigen Reichstag des Norddeutschen Bundes, sei jenen Rechtstitel der Eroberung zu legitimiren im Stande. Der Herr Minister-Präsident verwahrte sich gegen den Vorwurf der nackten Gewalt und rechtfertigte die Eroberung mit dem Recht der Deutschen Nation zu existiren, zu athmen und sich zu einigen, zugleich aber mit dem Recht und der Pflicht Preussens, dieser Deutschen Nation die für ihre Existenz nöthige Basis zu liefern. Sodann hob er hervor, dass diese Angelegenheit nicht noch Wochen und Monate in der Schwebe bleiben dürfe und dass im Falle kriegerischer Verwickelungen der Parlamentsbeschluss von keinem Nutzen sein würde. Die Kommission in ihrer Mehrheit verkannte nicht, dass so lange der Krieg, auch das Recht der Eroberung bestehe. Solange Deutsche Staaten gegen einander mobil machten und die Entscheidung des Krieges anriefen, hätten sie die Folgen desselben zu tragen. Das Band des Friedens, mit welchem die Bundesakte bis zum 14. Juni d. J. die Deutschen Stämme verbunden, hätten die preussenfeindlichen Regierungen zerrissen; Preussen habe durch sein Eintreten für die nationale Reform dem Kriege eine höhere Weihe gegeben. Das moderne Völkerrecht zähle ebenso wie die ältere Doktrin die Eroberung zu den gültigen Rechtstiteln für den Erwerb fremden Staatsgebiets. *) ¶ Der Gedanke, diesen Rechtstitel durch eine allgemeine Abstimmung zu verstärken, fand in der Kommission keinen Anklang, weil man sich sagte, dass dieselbe mehr Schein als Wesen sei. Aber auch die Zustimmung des Reichstages des Norddeutschen Bundes hielt man weder für erforderlich, noch für angemessen, da derselbe zur Zeit noch nicht existire, dazu nicht kompetent, auch überdies wegen seiner überwiegend Preussischen Zusammensetzung zu einem derartigen Verdikt nicht geeignet sei. Die Kommission war endlich mit dem Herrn Minister-Präsidenten

*) Berner, in Bluntschli's Staatslexikon unter „Eroberung".
Heffter's Völkerrecht (Ausg. v. 1861) S. 317., 318.

Escher's Politik Band 2. 5630.

Bluntschli's Kriegsrecht S. 36.

Preussen, 1. Septbr 1866.

Preussen,

1866.

No. 2389. darin einverstanden, dass mit einem Vorbehalt der Nothwendigkeit der Zustim1. Septbr. mung dieses Reichstages nur eine Verschiebung der staatsrechtlichen Sanktion der Einverleibung jener Länder erreicht werde, welche man im Interesse der Machtstellung Preussens und Deutschlands dem Auslande gegenüber vermeiden müsse. Was die völkerrechtliche Wirkung der Eroberungen für die inneren Rechtszustände der eroberten Länder anbetrifft, so erklärte die Königliche Staats-Regierung sich dahin, dass sie die bisherigen Verfassungen und die durch sie begründeten staatlichen Einrichtungen in den eroberten Ländern als erloschen betrachte; Verfassung und Dynastie sei von einander untrennbar, in Hannover die Dynastie viel älter, als die Verfassung; mit jener sei auch diese beseitigt. Auch die neuere Doktrin des Völkerrechts hält nur das Privatrecht des Volkes und die damit zusammenhängenden Einrichtungen unbedingt aufrecht. (Vergl. die in der Anmerk. S. 239 citirten Stellen.) Die Kommission schloss sich in ihrer Mehrheit der Ansicht der Staats-Regierung an; für einzelne Mitglieder war die Erwägung mit maassgebend, dass eine jede Staats-Verfassung sich auf einen bestimmten Staat beziehe, dessen Existenz und Selbstständigkeit voraussetze, und mit dem Untergange des Staates von selbst zusammenfalle. ¶ Von den in der Minderheit der Kommission befindlichen Mitgliedern behauptete Eins, dass bis zur Einverleibung die alten Verfassungs-Gesetze wenigstens provisorische Geltung hätten. Zwei andere Mitglieder machten gegen jene Wirkung des Eroberungsrechtes geltend, dass die Preussische Regierung wiederholt erklärt habe, dass sie nur gegen die Regierungen und nicht gegen die Bevölkerungen Krieg führe. ¶Namentlich wurde auf die Proklamation des Kommandeurs der Preussischen Truppen, Generalmajors v. Beyer, an das Kurhessische Volk vom 21. Juni d. J. und die Bekanntmachung des Preussischen Militärgouverneurs v. Werder und des Administrators des Kurfürstenthums v. Möller, betreffend die einstweilige Uebernahme der Regierung vom 28. Juni desselben Jahres Bezug genommen. In der Proklamation des Generals

v. Beyer heisst es wörtlich:

„Ich ertheile die bestimmte Zusicherung, dass die Verfassung und die rechtmässigen Landesgesetze des Kurstaats beobachtet und aufrecht erhalten werden sollen, soweit der Kriegszustand es irgend zulässt, und auch die von der Landesvertretung Kurhessens beständig erstrebte bundesstaatliche Einigung Deutschlands nicht Aenderungen erfordern sollte. Ich werde die zu baldiger Beseitigung der noch bestehenden provisorischen Gesetze und verfassungswidrigen Verordnungen, sowie alle zu voller Herstellung des verfassungsmässigen Rechtszustandes erforderlichen Einleitungen treffen." Die Bekanntmachung des Generals v. Werder und des Civil-Kommissarius v. Möller enthält folgende Stelle:

Des Königs Majestät haben sich gezwungen gesehen, die Regierung Seiner Königlichen Hoheit des Kurfürsten zu suspendiren und dieselbe im Interesse des Landes einstweilen zu übernehmen. ¶ Indem wir etc. unsere Funktionen antreten, ertheilen wir dem Kurhessischen Volke die Zusicherung, dass die Landesverfassung

Preussen,

beobachtet und aufrecht erhalten und dass nach den rechtmässigen No. 2389. Landesgesetzen verwaltet werden soll, sofern nicht der Kriegs- 1. Septbr. zustand Ausnahmen erfordert." *)

Die Staats-Regierung erklärte hierauf, dass die Proklamation eines Generals in feindlichem Lande kein bindender Staatsakt sei, und dass dieselbe ebenso wie die Bekanntmachung des Militär- Gouverneurs und des Civil - Kommissarius sich auf die Dauer des Kriegszustandes beschränke, welchem durch die gegenwärtig angestrebte gesetzliche Regelung ein Ende gemacht werden solle. Die Kommission erblickte in den erwähnten Erklärungen der Königlichen Staats-Regierung und ihrer Organe, mindestens eine ernste ethische Verpflichtung, jenen Bevölkerungen einen verfassungsmässig gesicherten, sie befriedigenden Rechtszustand wiederzugeben. Ein Recht (jus quaesitum) der bisherigen Landesvertretung auf Mitwirkung bei der Entscheidung über die Einverleibung hielt die Kommission mit dem Untergange der staatsrechtlichen Selbständigkeit dieser Länder nicht vereinbar.

II. Die Vereinigung Hannovers etc. mit Preussen erschien der Komnfission politisch nothwendig und vortheilhaft. Man erkannte an, dass die Einverleibung ebenso sehr im Preussischen, als im Interesse der mit diesem zu vereinigenden Länder und im Interesse des Deutschen Vaterlandes sei. ¶Der Preussische Staat erwerbe mit den beabsichtigten Einverleibungen nicht nur ein Gebiet von beinahe 1000 Quadratmeilen und über 3 Millionen Einwohner, sondern er gewinne zugleich die für eine gesicherte Vertheidigung nothwendige zusammenhängende Lage und jene Deutschen Stämme, welche neben den Westphalen die natürliche Vermittelung zwischen den Rheinlanden und den sogenannten östlichen Provinzen desselben bildeten. Damit sei eine neue Bürgschaft für eine gesunde staatliche Entwickelung Preussens gegeben. Das Preussische Volk sehe in diesen Einverleibungen die echten Früchte seiner pflichtvollen und opferreichen Hingebung an den Staat in dem glücklich beendeten Kriege. Was die mit Preussen zu vereinigenden Staaten betreffe, so schien der Kommission nach den an das Abgeordnetenhaus gelangten Petitionen zu schliessen, hauptsächlich in Hannover und dort wieder vorzugsweise in einzelnen Adels- und Beamtenkreisen ein Widerwille gegen die Einverleibung zu herr

Der Herr Minister - Präsident erklärte inzwischen, dass ungleich mehr Petitionen für die Einverleibung in Preussen, namentlich aus Ostfriesland und Osnabrück, vereinzelter aus den alten Hannoverschen Stammlanden dem Kahlenbergschen, Lüneburgschen und Göttingenschen bei der Königlichen Staats- Regierung eingegangen seien. In Nassau wünscht man bekanntlich in vielen Kreisen lebhaft die Einverleibung, die Königliche Staats- Regierung befindet sich im Besitz mehrerer, von angesehenen Familien des Landes ausgegangener, hierauf gerichteter Petitionen. In Bezug auf eine, dem Abgeordnetenhause überreichte Petition, in welcher 11 Grafen bez. Freiherrn erklären, dass sie sich durch ihren Treueeid nach wie vor ihrem früheren Lan

und 145.

*) Staats-Archiv v. Aegidi und Klauhold, Juli- und Augustheft 1866 S. 142.

1866.

« ZurückWeiter »