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unsere Auffassung. Ebensowenig dass er überhaupt nach der That floh. Abgesehen davon, dass er seine Flucht in wenig zweck dienlicher Weise anstellte, schliesst der von uns als vorhanden angenommene Zustand der Verwirrung keineswegs aus, dass er gleich nach der That ein instinctives Gefühl von der Natur derselben empfand und durch dieses getrieben wurde, sich davon zu machen.

Hiernach geben wir im Anschluss an die uns vorgelegte Frage unser Gutachten dahin ab:

1) Es ist allerdings anzunehmen, dass der L. sich zur Zeit der That in trunkenem Zustande befand, und dass 2) die Trunkenheit bei dem L. mit besonderen abnormen psychischen Zuständen verbunden war, welche jedenfalls für die Zurechnungsfähigkeit des Angeschuldigten von erheblichem Einfluss sind.

Berlin, den 10. März 1869.

Königliche Wissenschaftliche Deputation für das

Medicinalwesen.

(Unterschriften.)

2.

Beiträge zur forensischen Casuistik der

Seelenstörungen*).

Von

Dr. R. v. Krafft-Ebing.

I. Ermordung einer Frau und eines Kindes in dämonomanischem Wahnsinn.

Am 6. Juni 18.. Morgens 9 Uhr erschlug der 42 Jahre alte, verheirathete Bauer J. B. von N. die mit ihrem kleinen Kinde allein im Hause gebliebene Frau seines Hausherrn, indem er sie mit einer Axt zu Boden hieb und mit steigender Wuth seine Hiebe fortsetzte, nachdem sie und das Kind längst todt waren. Er sagte nach begangener That: „da liegt der Strolch, ich habe ihn endlich erwischt und todtgeschlagen; sie ist mir schon lange nachgeschlichen, als Katz, als Hund, als Schwein Satan todtgeschlagen

nun hab' ich aber den sie ist mir nicht wie ein Mensch

vorgekommen, sondern wie eine schwarze Katze."

Er hatte nie irgend in feindlichen Beziehungen zu der Ermordeten gestanden und das erschlagene Kind sehr gern gehabt.

*) Werthvolle Notizen zu den hier veröffentlichten Fällen verdanke ich der Güte des Hrn. Geh. - Hofraths Dr. Hergt in Illenau, der mir dieselben freundlichst zur Verfügung stellte.

Nach vollbrachter That ging er ganz ruhig in seine Stube, legte seine blutigen Kleider ab, wusch seine blutige Axt und folgte, mittlerweile verhaftet, ganz ruhig vor Gericht. Dort erklärte er, er habe eine Gott wohlgefällige That vollbracht, die Dreieinigkeit selbst habe ihm eingegeben den Satan zu ermorden. Die Umstände vor, bei und nach der That erzählte er ganz genau. Der Satan, der ihn verfolgt habe, sei nun todt; es seien nicht die Frau und das Kind, die er erschlagen habe, sondern der Satan, der ihn so lange verfolgt. Die Anamnese und angeordnete Expertise seines Seelenzustandes ergab Folgendes:

J. B. stammt aus einer Familie, in der vielfach Erscheinungen von Seelenstörung sich gezeigt haben. Ein Bruder seines Vaters starb wahnsinnig, ein Geschwisterkind desselben litt an einer nicht näher zu bestimmenden Geistesstörung, eine Schwester des Inculpaten ist epileptisch. B. war in seiner Jugend gesund, kräftig, von mässiger geistiger Begabung und reizbarem, heftigem Temperament. Seine Erziehung ward vernachlässigt, der Knabe schon früh zum Viehhüter verwandt; früh zeigte sich bei ihm ein Hang zum Mystischen und Aberglauben, der durch seine Beschäftigung als Hirtenbube in einsamen Weidegegenden genährt wurde. In seinem 19. Jahre traten öfters wiederkehrende krampfhafte epilepsieartige Zufälle auf, die aber nach seiner im 22. Lebensjahre erfolgten Verheirathung sich verloren. Seine Ehe war eine glückliche und mit sieben Kindern gesegnete; Beschäftigung mit Ackerbau, Viehzucht und Handel gewährten ein gutes Auskommen.

Ein schwerer Schlag traf ihn, indem seine Frau nach etwa 12jähriger Ehe starb. B. heirathete zwar bald wieder, aber seine Wahl war keine glückliche. Mit seiner etwas zänkischen zweiten Frau lebte er im Unfrieden, er trieb sich nun mehr draussen herum, beschäftigte sich vorwiegend

mit Handel und fing an dem Branntwein zuzusprechen. Seine Handelsunternehmungen misslangen, er gerieth in Schulden und zuletzt in Gaut. Von da an änderte sich sein Wesen. Er ward mürrisch, verschlossen, arbeitsscheu, reizbar, streitsüchtig und liess oft merken, dass ihn der Rückgang in seinen Vermögensverhältnissen tief kränke.

"

.

Die ersten Zeichen eines offenbaren Irreseins zeigten sich, in fortlaufender Entwickelung aus diesem melancholischen Prodromalstadium, etwa ein Jahr vor seiner blutigen That. B. ward unruhiger, aufgeregter, äusserte, er werde von Freidenkern, die ihn in seiner Religion irremachen wollten, es aber nicht vermöchten, von bösen Geistern, vom Satan verfolgt; er behauptete überall den Satan zu sehen, bald in Gestalt einer Katze, bald eines Hundes oder Schweines; doch könne ihm dieser Nichts anhaben und keine Gewalt über ihn bekommen, weil er fleissig bete. Von den ihn verfolgenden Freidenkern wollte er einmal einen beinahe erhascht haben und wenn ihm dies wirklich gelungen wäre, so hätte er ihm die Axt auf dem Kopf zerschlagen." Dabei irrte er manchmal halbe Tage lang im Walde umher, angeblich um Laub für die Ziegen zu sammeln; doch brachte er immer nur wenig nach Hause, und wenn man ihm auf seinen Gängen nach dem Walde aufpasste, traf man ihn meist auf einem gefällten Baume sitzend und laut betend an. Man hielt seinen Zustand für eine Folge des Rückgangs seiner Vermögensverhältnisse und eines von ihm gemachten Miethvertrages wegen eines Gütchens, welcher nicht zu Stande kam, weil man ihm hierzu die Verwendung des Vermögens seiner Kinder verweigerte. Sein Vater und seine Brüder nahmen B. nun auf ihre Güter. Er blieb daselbst eine Zeitlang, beschäftigte sich mit Bauernarbeit, kehrte aber nach Hause zurück und blieb bis etwa einen Monat vor seiner That ganz ruhig, wurde jedoch immer tiefsinniger und

von der fixen Idee geplagt, dass seine Frau ihm Geld vorenthalte und er von den Freidenkern verfolgt und in seiner Religion irregemacht werde.

Im Mai ward er wieder unruhiger, irrte wieder zwecklos umher, äusserte sich, dass er nicht mehr in seiner Wohnung bleiben könne und um jeden Preis aus derselben gehen werde. Diese Verschlimmerung steigerte sich bis zum 1. Juni immer mehr. Von diesem Tage an hörte man ihn nur vom Satan sprechen, der ihn unter allen Gestalten verfolge, auf vier Füssen an ihn heranschleiche und ein kohlschwarzes Gesicht habe. Er war dabei in steter Aufregung, lief mit einer Axt in den Bergen umher, sah, auf diese gestützt, die ihm Nahenden mit rollenden Augen an, machte Miene und drohte sie zu erschlagen. An einem der folgenden Tage zerhackte er seinen Hut, lief dann in sein Haus zurück, auf der anderen Seite, mit einem neuen Hut bedeckt, wieder heraus und zum Pfarrer. Er theilte diesem seinen Wahn von den Freidenkern und dem Satan mit und fragte, ob wenn er den Satan träfe, er ihn zusammenhauen dürfe.

Am 5. Juni streifte er mit der Axt den ganzen Tag in den Bergen herum, kehrte erst Abends in seine Wohnung zurück, wo er Milch und Brod ass, das am folgenden Morgen ermordete Kind auf seinen Schooss nahm, es liebkoste und ihm zu essen gab. Bis 8 Uhr Abends blieb er in der unteren Wohnstube, betete mit seiner kleinsten Tochter und begab sich dann mit ihr zu Bett. Die Nacht brachte er mit lautem Beten zu, rief Gott um Hülfe gegen den Satan an, sah bald da, bald dort hin, beschwor den Satan, schlug, wenn er einen Schatten an der Wand sah, darnach und behauptete, es sei der Satan, nahm geweihtes Wasser, spritzte es in der Kammer herum, stand um Mitternacht auf, holte einen Prügel und stellte ihn neben sein Bett. Als am

!

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