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Hause kam und gerade im Branntweingenuss Befriedigung für seine Leidenschaft suchte, konnten jene Folgen bei ihm kaum ausbleiben. Er war, wenn auch keineswegs geisteskrank, doch ein körperlich und geistig heruntergekommener Säufer. Der Rausch eines solchen Menschen ist aber in vielen Beziehungen erheblich von einem einmaligen Rausch eines sonst nüchternen Menschen verschieden. Nicht nur, dass schon geringe Quantitäten von Alkohol ihn herbeiführen, auch der geistige Zustand ist häufig ein anderer, und während bei dem gewöhnlichen Rausche die mittleren Grade desselben sich mehr durch Exaltation und expansives Wesen zu charakterisiren pflegen, tritt bei dem Gewohnheitssäufer nicht selten mehr die Verworrenheit hervor. Dies war auch bei L. der Fall, wenn er angetrunken war. Er ging dann äusserlich seine Haltung ziemlich bewahrend - mit stierem Blick umher, zog sich von den Mitarbeitern zurück, sprach mit sich selbst und gab angeredet unverständliche verworrene Antworten. Er war in diesem Zustande oft jähzornig, heftig, und seine Frau behauptet mit Bestimmtheit, dass er oft, wenn er wieder nüchtern war, nichts von dem wusste, was er gesprochen und gethan hatte. Auch die letztere Angabe widerspricht nicht der Erfahrung, und giebt gerade eine solche Amnesie, wo sie vorhanden ist, einen guten Maassstab für den Grad der Alteration des Selbstbewusstseins während des Rausches, welche oft viel grösser ist, als sie dem Beobachter erscheint. In solchen Zuständen sind die Sinneswahrnehmungen oft unsicher, können durch wirkliche Sinnestäuschungen verfälscht werden, die Vorstellungen sind verworren, die Folgerichtigkeit des Urtheils demgemäss beeinträchtigt. Willensimpulse entstehen auf unverhältnissmässig geringen Anreiz und drängen mit Energie zu Handlungen, ohne dass die Ueberlegung sie zu

Vierteljahrsschr. f. ger. Med. N. F. XI. 1.

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moderiren im Stande wäre. Sogar wirkliche Wahnvorstellungen können auf solchem Boden sich vorübergehend entwickeln und das Handeln beeinflussen.

Ein solcher Zustand von geistiger Verwirrtheit kann sich bei einem chronischen Säufer allmälig entwickeln, ohne dass sein äusseres Benehmen anders wäre, als es bei dem L. zu Zeiten der Betrunkenheit zu sein pflegte, und jene fluxionaren Hyperämien, die bei solchen Säufern so leicht entstehen, können den Zustand plötzlich zu besonderer Höhe steigern.

Zu bedauern ist es, dass in Betreff der Kopfverletzung, welche der L. erlitten hat, nichts Genaueres festgestellt worden ist. Dr. G. schliesst zwar anscheinend mit Recht daraus, dass L. ambulant behandelt worden ist, dass dieselbe keine ernstliche gewesen sei, doch scheint festzustehen, dass er durch dieselbe auf einem Ohr plötzlich schwerhörig geworden ist, und wir wollen nicht unbemerkt lassen, dass vorangegangene Kopfverletzungen nachweislich mitunter die Folgen haben, dass solche Individuen besonders leicht durch Spirituosen ernstlicher afficirt werden und dass nach der Kopfverletzung bei L. erst die Trunksucht augenfällig geworden ist. In der letzten Woche vor der That hatte nun L. vorzugsweise viel getrunken, war eigentlich nie ganz nüchtern gewesen. Darauf folgte, worauf erfahrungsgemäss besonderes Gewicht zu legen ist, nun die Fahrt in brennender Sonnenhitze, und während dieser trank der Angeklagte allmälig die oben angeführten Mengen Apfelwein und Bier und dann zum Schluss am Schauplatz der That noch einen Schoppen Apfelwein. Wenn nun, wie wir oben auseinandersetzten, anzunehmen ist, dass L. zur Zeit der That im Rausche gewesen sei, so scheint uns auch zweifellos, dass bei ihm dieser Zustand sehr leicht einen anderen und viel bedeutenderen Einfluss auf sein geistiges

Verhalten haben konnte, als bei einem anderen Menschen und als man nach dem anscheinend vorhandenen mässigen Grad der Trunkenheit im Allgemeinen annehmen möchte. Dass dem wirklich so gewesen sei, dafür sprechen mannigfache Umstände, welche mit der That selbst zusammenhängen.

Mag der Angeklagte auch kein ganz so weichherziger und gutmüthiger Mensch gewesen sein, wie manche Zeugen bekunden, mag er gegen den T. einen Groll gehegt haben (was er jedoch in Abrede stellt), so hat er denselben jedenfalls schon viele Jahre mit sich umhergetragen, ohne ihm Ausdruck zu geben und ohne gegen den T. feindlich aufzutreten. Für ein wirklich tief wurzelndes und heftiges Rachegefühl lässt sich überdies irgend eine zureichende Veranlassung nicht finden. Jedenfalls war in neuerer Zeit nichts vorgefallen, was einen solchen Groll auf's Neue erregt hätte, und wenn L. Jahre lang sich darauf beschränkt hatte, den T. im Vorbeigehen einmal scheel anzusehen, so ist ein Grund nicht ersichtlich, weshalb er an jenem Abend mit dem Messer über ihn herfiel, ohne vorangegangenen Streit, ohne jede Provocation Seitens des T. Dass die That eine vorher überlegte gewesen sei, dass etwa L. vor der Thür bereits auf T. gelauert habe, nimmt auch die Königl. Staatsanwaltschaft nicht an. War aber L. nur hinausgegangen, um das Fuhrwerk zu besorgen, was er in einer gewissen betrunkenen Gemüthlichkeit mit dem Pferde plaudernd that, und war es lediglich der Anblick des aus der Thür tretenden T., der ihn veranlasste ohne Weiteres auf denselben loszugehen und ihn in Gegenwart mehrerer Zeugen niederzustechen, so trägt die That so sehr den Stempel des Unerwarteten und Unbegreiflichen, und ist ein vernünftiges, wenn auch verbrecherisches Motiv so schwer denkbar, dass sie durchaus in Parallele tritt mit ähnlichen Thaten, aus

geführt im Zustande zeitweiliger Geistesverwirrung oder unter dem Einfluss von Sinnestäuschungen und Wahnvorstellungen, und macht eine Störung der Geistesthätigkeit bei dem L. sehr wahrscheinlich. Dass das Auftreten von Sinnestäuschungen oder vorübergehenden Wahnvorstellungen bei dem Zustand, in welchem sich derselbe befand, nichts Auffallendes haben würde, ist schon oben erwähnt, aber selbst wenn wirklich der Groll, den er gegen T. gehegt haben soll, den Anstoss zu der That gegeben hätte, SO würde die Art, wie sie ausgeführt wurde, doch darauf deuten, dass diese Art der Reaction auf äussere oder innere Impulse eine abnorme war.

Am Bedeutendsten für die Beurtheilung des Zustandes des L. zur Zeit der That ist der Umstand, dass er angiebt von derselben nichts zu wissen.

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Es liegt nahe hierin eine Simulation zu sehen, doch spricht hiergegen sehr erheblich der Umstand, dass L. auch gleich nach der That dieselbe leugnete. Da er sie vor zahlreichen Zeugen ausgeführt hatte, unmittelbar darauf verfolgt und mit dem blutigen Messer in der Tasche ergriffen wurde, so musste ein solches Leugnen ganz widersinnig erscheinen, und wir werden zu der Annahme gedrängt, dass er nicht leugnete, sondern eine That zu gestehen sich weigerte, von der er wirklich nichts wusste. Eher könnte der Verdacht der Simulation einer solchen Amnesie durch das Benehmen des L. in den späteren Verhören erweckt werden. Er machte hier Angaben, welche seinen Gefährten G. zu belasten im Stande waren, und erregt den Anschein, eine ihm bewusste Schuld auf einen Anderen zu wälzen. - Wollte man dies annehmen, so müsste man hierin geradezu einen Beweis von Schwachsinn erkennen, denn von allen Angaben, die L. machte, musste er dann wissen, dass ihre gänzliche Unwahrheit jedem sofort in die Augen fallen musste. So wie

er die Sache darstellte, konnte sie absolut nicht gewesen. sein, und er musste einsehen, dass zahlreiche Zeugen dies bekunden würden.

Die Unrichtigkeit seiner Darstellung des Sachverhaltes bezieht sich überdies auch auf mancherlei ganz gleichgültige Dinge, und schliesslich kommt hinzu, dass er stets bestreitet betrunken gewesen zu sein, und damit die einzige Erklärung für seine allen thatsächlichen Feststellungen direct widersprechenden Behauptungen selbst beseitigt. Auch die Worte, die er in der Wachstube vor sich hin. murmelte: „Herr vergieb ihnen, denn sie wissen nicht, was sie thun", lassen sich kaum anders erklären, als dass er wirklich kein Bewusstsein von der That gehabt habe.

Hiernach scheint uns die Annahme durchaus gerechtfertigt, dass der L. nicht wissentlich lügt, sondern dass er von den Vorgängen seit seinem Aufenthalt in der Gaststube bis längere oder kürzere Zeit nach der That entweder gar keine oder eine ganz verworrene Erinnerung hat, die ihn bona fide Unrichtiges behaupten lässt, und dass er mit Wahrheit gleich in der ersten Vernehmung von sich sagt: Von dieser That ist mir nichts bewusst. Ich leugne sie nicht, kann aber auch nicht ja sagen.

Hat aber der L. wirklich nicht nur bei den späteren Vernehmungen, sondern auch gleich nach der That keine Erinnerung derselben gehabt, so geht daraus mit Sicherheit hervor, dass sein Selbstbewusstsein zur Zeit derselben im höchsten Grade getrübt und der Zusammenhang desselben mit der Willensbestimmung aufgehoben gewesen sein muss, so dass die Freiheit der Willensbestimmung in Bezug auf die That als ausgeschlossen angesehen werden kann. Dass L. während derselben Zeit so weit Herr über seinen Körper war, dass er vom Wagen steigen, ohne zu taumeln gehen und laufen konnte, spricht natürlich keineswegs gegen

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