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ihn geschlagen, und deshalb sei er auf der Chaussee fortgelaufen, worauf man ihn verfolgt und ergriffen habe. Die Blutflecken an dem Messer, welches er als das seine anerkannt, sowie die an seinen Kleidern, seien dadurch entstanden, dass ihm in Folge der Schläge die Nase geblutet habe. Bei einer nochmaligen Vorführung in demselben Termine gab er an, er habe allerdings an dem Tage etwa 11 Schoppen Apfelwein und 2 Gläser Bier getrunken, jedoch sei er keineswegs so betrunken gewesen, dass er von sich gar nichts gewusst hätte. Trotzdem aber behauptet er von der That nichts zu wissen, er leugne sie nicht, könne aber auch nicht ja sagen. Bei seiner Vernehmung am 8. Sept. pr. blieb er bei seinen früheren Behauptungen stehen, obgleich er auf die Unglaubwürdigkeit derselben aufmerksam gemacht wurde, suchte sogar den G. noch weiter zu verdächtigen. Derselbe habe, als sie zusammen im Wirthshause gewesen seien, „sich mit dem T. disputirt" und habe nachher zu ihm, dem L., mit Bezug auf T. gesagt: „das ist auch ein feiner". Er habe darauf erwiedert: „der beste Bruder ist es auch nicht", aber er habe sonst nicht über ihn zu klagen, da er ihn nie angezeigt habe. - Im Uebrigen bleibt er dabei stehen, dass er nicht betrunken gewesen sei und giebt jetzt die Menge der Getränke, welche er genossen, ebenso an, wie es G. gethan, nur bestreitet er, dass er in dem Gasthaus St. noch etwas getrunken habe. Es sei Apfelwein bestellt gewesen, er habe aber nichts getrunken. Dass er jemals gegen T. einen Groll gehabt habe, stellt er in Abrede.

Gutachten.

Für einen geisteskranken Menschen hat den L. Niemand unter seinen Bekannten gehalten und auch die beiden Sachverständigen, durch welche der L. explorirt worden ist, haben das Bestehen einer Geisteskrankheit bei ihm nicht

nachweisen können. Zu einem entgegengesetzten Urtheil giebt auch uns der Inhalt der Acten keine Veranlassung. Ebensowenig lässt sich ein Anhalt für die Annahme finden, dass L. die incriminirte Handlung in einem Anfalle acut entstandener und zur Zeit der Untersuchung durch die Sachverständigen bereits wieder abgelaufenen Geisteskrankheit vollführt habe, vielmehr kommt von den für Beurtheilung der Zurechnungsfähigkeit wichtigen psychischen Zuständen lediglich der der Trunkenheit hier in Betracht.

L. war ein notorischer Säufer und hatte am Nachmittage des 18. Juli 6 Schoppen Apfelwein und 2 Gläser Bier zu sich genommen, denen dann zum Schluss noch eiu Schoppen Apfelwein gefolgt war, welchen er kurz vor der That hastig hinuntergetrunken hatte. Er selbst behauptet zwar, dass er viel mehr vertragen könne, doch ist einerseits die Einwirkung der Spirituosen zu verschiedenen Zeiten bei demselben Menschen eine verschiedene, andererseits haben sämmtliche Zeugen, die darüber gehört sind, bekundet, dass L. in letzterer Zeit nur noch sehr wenig trinken konnte, ohne berauscht zu werden, und schliesslich mag die auffallende Hitze, welche an jenem Tage herrschte (Nachmittags 3 Uhr betrug dieselbe noch fast 25°R.) die Wirkung der genossenen Getränke unterstützt haben. Dass L. zur Zeit der That berauscht gewesen sein könne, ist somit ohne Bedenken zuzugestehen.

Obgleich sein Reisegenosse G. bekundet, er habe nicht bemerkt, dass L. betrunken gewesen sei, so schildert er dessen Verhalten auf der Rückfahrt doch so, dass dies sehr wahrscheinlich wird. L. sprach sehr viel unverständliches Zeug vor sich hin, schlief dann und fing, wieder erwacht, laut an zu singen. Auch dem Zeugen H. machte die Art und Weise, wie L. später, kurz vor der That, mit seinem Pferde sprach und auf ihn ohne Veranlassung schimpfte, den

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Eindruck, dass derselbe betrunken sei. Auffällig war sein Benehmen zu derselben Zeit auch den Zeugen E. und F. geworden und noch mehr den Zeugen B. und P., welche den L. in der Wachtstube beobachteten, wo er nach seiner Arretirung gleichfalls viel vor sich hin sprach. Die übrigen Zeugen, welche über den Zustand des L. an jenem Abend Auskunft ertheilen konnten, hatten sämmtlich Spuren von Trunkenheit an ihm nicht bemerkt und heben besonders hervor, dass er deutlich sprach, ohne zu schwanken ging und sogar, als er verfolgt wurde, schnell davonzulaufen im Stande war. Hiergegen ist zu bemerken, dass der L. nur kurze Zeit in der Gaststube sich aufgehalten hat und während derselben still da sass, ohne sich mit Jemandem in ein Gespräch einzulassen, so dass seine Betrunkenheit zu dieser Zeit wohl übersehen werden konnte; aus den übrigen Beobachtungen der Zeugen aber geht nur hervor, dass die Betrunkenheit des L. einen gewissen, Jedem in die Augen fallenden Grad nicht erreicht hatte. Die näheren Bekannten des L. schildern es jedoch gerade als eine Eigenthümlichkeit desselben, dass er bis zu einem gewissen Grade betrunken sich so benehme, dass einem Fremden sein Zustand nicht auffällig werde. Er gehe dann noch gerade, arbeite auch fort, sei aber schweigsam, murmele und spreche vor sich hin, und wer ihn kenne, könne dann schon an seinem stieren Blick sehen, dass er betrunken sei. In diesen Zustand „lepperte er sich“, wie der Zeuge D. berichtet, so ganz allmälig hinein, bis derselbe mit dem letzten Glase da war. Diese Schilderung entspricht ganz dem, was über das Benehmen des L. am Abend der incriminirten Handlung von den Zeugen ausgesagt worden ist.

Hiernach ist wohl anzunehmen, dass der L. damals

betrunken gewesen sei.

Der Zustand der Trunkenheit wird jedoch von den Strafgesetzbüchern allgemein nur dann als Grund für Annahme der Unzurechnungsfähigkeit anerkannt, wenn derselbe einen gewissen hohen Grad erreicht hat, und wenn zahlreiche Zeugen die Trunkenheit des L. gar nicht bemerkten, oder doch nur zu der Vermuthung kamen, dass er möglicherweise betrunken sein könne, so ist hieraus zu schliessen, dass derselbe zu jenen äussersten Stadien des Rausches, welche sich in unzweideutigster Weise kund zu geben pflegen, nicht gelangt war. Das Königl. Kreisgericht hat daher die Frage angeregt, ob mit der Trunkenheit, falls solche anzunehmen wäre, noch besondere abnorme psychische Zustände verbunden gewesen seien. In Beziehung hierauf ist zunächst hervorzuheben, dass die Aufstellung verschiedener Stadien des Rausches resp. verschiedener Grade der Trunkenheit nur einen sehr bedingten Werth hat und dass unter Umständen ein anscheinend mässiger Grad von Trunkenheit mit sehr bedeutender psychischer Alteration verbunden sein kann. Wir dürfen uns somit nicht damit begnügen nachgewiesen zu haben, dass der L. nicht den Eindruck eines sinnlos betrunkenen Menschen gemacht habe.

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Obgleich die beiden Sachverständigen eine Geisteskrankheit, bei dem Angeklagten nicht gefunden haben, liegt doch Grund genug zu der Annahme vor, dass er keineswegs in psychischer Beziehung völlig intact war. Dr. X., der einzige Arzt, der über den Geisteszustand des L. ausführlicher berichtet, fand zwar, dass sein Gedächtniss gut war, dass er die gestellten Fragen vernünftig beantwortete, dass sein Ideengang ein geordneter, sein Auffassungs-, Denk- und Urtheilsvermögen in keiner Weise gestört sei, doch hat er nicht mitgetheilt, auf welche Gründe und Beobachtungen sich dieses Urtheil stütze, in welcher Art er die Unterredungen mit dem L. geführt, welche Fragen er demselben

vorgelegt habe. Möglich ist es, dass die 6-8 wöchentliche Haft, die Abstinenz von spirituösen Getränken, die Disciplin des Gefängnisses bereits günstig auf den Angeklagten gewirkt hatten, jedenfalls aber steht das Urtheil des Dr. X. über den allgemeinen psychischen und intellectuellen Zustand desselben im Widerspruch mit den fast gleichlautenden Angaben der näheren Bekannten des L. Diesen zufolge ist es zweifellos, dass der Jahre hindurch fortgesetzte Alkoholmissbrauch nicht ohne Einfluss auf den Zustand desselben geblieben ist und dass er sich als „Gewohnheitssäufer" bereits deutlich in seinem Wesen kundgab. Er war körperlich zurückgekommen (Zeuge R.), nicht mehr so kräftig als früher und im Allgemeinen stumpfer geworden (Zeuge 0.). Die geringere Widerstandskraft des Organismus gegen das täglich demselben gebotene Gift zeigte sich deutlich darin, dass schon geringe Mengen von Spirituosen ihn in letzter Zeit berauschten. Dem Zeugen M. kam er, namentlich wenn er etwas getrunken hatte, in letzter Zeit so vor, als wenn er nicht vollständig bei Verstande wäre; der Zeuge A. bezeichnet ihn als „simpel" und spricht die Ueberzeugung aus, dass das Schnapstrinken störend auf die Verstandeskräfte des L. eingewirkt habe. Die übrigen Zeugen sprechen mehr von seinem Verhalten während er angetrunken war, wo er dann nicht recht bei sich", wie im Taumel" sei etc. Doch trank derselbe in letzterer Zeit eigentlich stets und war nie ganz nüchtern. Obgleich dieses Laien - Urtheile sind, so sind sie doch von Werth, weil sie von Menschen herrühren, die den L. in seinem gewöhnlichen Thun und Treiben beobachtet hatten und weil sie in vollständigem Einklang stehen mit der Erfahrung über die fast unausbleiblichen Folgen, welche die Trunksucht nach sich zieht. Da der Angeklagte seit 5 Jahren dem Trunk ergeben war, eigentlich regelmässig Mittags und Abends betrunken nach

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