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Welt ihre zwei Seiten und waren den einen ein Behagen und den anderen ein Ärgernis. Die weibliche Einwohnerschaft der Stadt gehörte, wie schon angedeutet wurde, zu den anderen.

Es war eine ganz ideale Bierstube, Daemels Ece! Alles Zuviel und alles Zuwenig deutschen Kneipenkomforts darin vermieden. Nicht zu hoch und nicht zu niedrig zog sich die gebräunte Balkendecke über den Häuptern der guten, besseren und besten Männer des Gemeinwesens hin. Die richtige germanische Gemütlichkeitsatmosphäre konnte sich unter ihr entwickeln, ohne daß es zum Ersticken kam. Die richtige Mitte zwischen hell und dunkel mangelte ebenfalls nicht, sowohl bei Tage wie am Abend, wenn die Gasflammen trübe in den Qualm hineinleuchteten. Was der Schein der letzteren aus den zwei Eckfenstern so in einen stürmi schen Frühlingsabend oder eine kalte weiße Winternacht hinein ihm und der Stadt wert war, wußte Herr Moriz Daemel ganz genau. Fensterläden vermied er des halb und begnügte sich dafür mit warm anlockenden Vorhängen, welche seinen Namen in großen dunklen Buchstaben weithin über den Stadtmarkt zeigten.

Auch an diesem Abend ging es recht lebendig bei Daemel zu. Troß der an sein Töchterlein gerichteten Ermahnungen und Warnungen warf der Herr Baumei ster Hamelmann einen Seitenblick auf die berühmte Ecke, der keineswegs bloß Mißfallen ausdrückte; und als auch er, schräg gegen den Wind gelehnt, sie umsteuerte, gedachte er nicht ohne einen wohlwollenden Seufzer einer Sofaecke und eines runden Stammtisches, welche heute leider vergeblich auf ihn hatten warten müssen.

Und dazu rannte ihn jezt der brave Ritter der Tafelrunde, der an seiner Statt diesmal den Plat occupiert hatte, bei nahe über den Haufen und stürmte mit tief in die Stirn gezogenem Hut und dem Wort Saferment!" auf den Lippen vorüber, ohne sich weiter danach umzujehen, wem er eben mit dickwanstiger Flegelhaftigkeit den Ellbogen in die Seite ge

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stoßen und wen er mit breitschulterigem Ingrimm vom Bürgersteig gestoßen hatte.

„Na, hat sich der mal selber wieder aus der Gesellschaft geärgert oder haben. ihm die anderen nach ihrer schlechten Gewohnheit das Lokal verleidet?" murmelte Vater Hamelmann. „Das war doch Liebelotte, Wittchen ?"

„Es schien mir auch so, Papa," er= widerte Fräulein Hroswitha, die gleichfalls einen kleinen Puff von dem vor dem Wind an ihr vorbeisegelnden Vollschiff und Vollbürger abgekriegt hatte.

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Wollen uns nicht bei ihm aufhalten, Kind," meinte der Herr Baumeister, traf damit das einzig Richtige in diesem Falle, aber hielt bei dem nächsten Schritt doch wieder an und rief: „Das ist ja selbst= verständlich Schönow da bei Daemel!... Der scheint ja jezt merkwürdig hoch zu sein!... Na, na, nana!"

Ein weithin hallend, lebhaft Stimmendurcheinander drang hinter den warm durchleuchteten Vorhängen von Daemels Ecke hervor, aber Vater Hamelmann erreichte diesmal mit seinem Kinde glücklich Hof und Haus. Er widerstand der Verlockung, sein Wittchen allein weiterzuschicken und bei Daemel noch auf einen Moment einzutreten. Wir nicht; — es ist sogar unsere Pflicht und Schuldigkeit, noch ein bißchen hineinzugehen und unser Kind mit hineinzunehmen.

Der alte Krokodil! dieser Schönow!... Nachdem er sich in der Stube seines Freundes Hamelmann die naturhistorische Bezeichnung von einer der jungen Horcherinnen an der Wand verdient hatte, war er selbstverständlich noch nicht nach Hause gegangen. O nein! er hatte erst noch verschiedene Eier an einer möglichst warmen und gemütlichen Stelle abzulegen, und ein besserer Brütplaz als Daemels Ecke war selbst kaum in seiner großen Stadt Berlin für diesen alten, schlauen, nichtsnußigen, in jedwedem Element gerechten. Lurch zu finden. Gerecht im Trockenen wie im Nassen, auf jeder Violine gerecht; mit breitmäuligem, behaglichem Grinsen saß er, die Ellbogen auf dem Tische, ein infam

Kraut aus Kuba dampfend, an Daemels Ecke in einer von Taemels bequemsten Ecken und weinte durchaus nicht.

Es weinte auch sonst niemand um ihn her um den umfangreichen runden Tisch, nicht zu nah und nicht zu fern dem Ofen. Nur allerlei gnurrende, doch meistens zu stimmende Laute gingen umber in der Tafelrunde der solidesten Bürger der Stadt, und sie rauchten alle heftiger denn sonst: Herr Schönow aus Berlin hatte noch immer das Wort; Herr Particulier T. A. Liebelotte aber hatte seinetwegen den Stammtisch ein wenig früher als gewöhnlich verlassen, und auch er war einer der solidesten Leute des Gemeinwesens, und es war keine Kleinigkeit, auf einen festen Mann wie er einen Trumpf zu sezen. Der Mensch mußte wahrlich schon einen ausgiebigen Schieferbruch und das zur Ausbeutung desselben notwendige Kapital hinter sich haben und aus Berlin sein, um in der Hinsicht an Daemels Ecke kühl Farbe ausspielen zu können.

Die Äcker jrenzen nachbarlich zusammen,
Die Herzen stimmen überein

und et stimmt hier ausnehmend in die Hundstwete, sagt eenem der janz jewöhn liche Menschenverstand, und bei Philippi, det heißt ufs Stadtjericht, sehen wir uns demnächst wieder, sagt der, der's jrößte Portmonnä hat, im jejenwärtigen Falle also unser ebent in det schlechte Wetter draußen verflossener Freund und Mitbruder, was ich ihm denn voch jar nich übel nehme, nämlich det lettere, det Verfließen. Also, Daemel, ooch mich noch eenen Droppen uf den Schrecken!“

Daß die meisten der diese Rede rundum begleitenden Gnurr- und Brummlaute zustimmender Art waren, haben wir bereits mitgeteilt; allein wo gab es und giebt es ein Parlament und einen Biertisch, wo alle über eine das wichtigste Interesse der Menschheit anrührende Frage je ein Herz und eine Seele oder vielmehr ein Kassenschrank und ein Geldbeutel waren?!

Es war doch einer der alteingesessenen

Der alte Krokodil hatte es besorgt und besten Männer der Stadt, der da eben dabei nur gesagt:

„Kellner, noch eene Thräne!"

Und er hatte noch immer das Wort: „Bloß uf den Schrecken," meinte er grinsend, „trocknet nich Thränen der ewi gen Liebe. Aber meine Herren, wenn ick mir in diesem Momang nich jänzlich vorkomme wie der Prophete Elias, als er jänzlich vergeblich vorm König Ahab von wejen Nabobben, Nathanen oder Nabothen seinen Weinberge gepredigt hatte, so will ich mir ooch von die Hunde fressen Lassen und nich Schanze Numero zwee bei Düppel im siebten brandenburgschen Infanterieregiment Numero sechzig mit jestürmt haben. Nich, daß ick nich wüßte, daß manch eener seine Frau Lowise rust, wo sie schonst lange unterm janz andern Namen in die Heilige Schrift notiert ist und ihr Einjebrachtes an jutem Rat zu det solide Jeschäft jern herjejeben hat. Jck hab et ja immer jefunden: mit eener Kapitalkündijung im richtigen Dogenblick kann der Mensch unmenschlich weit reichen. Wie sagt Schiller?

wütend und mit dem Wort „hergelaufener, großschnauziger Berliner Haselante" den runden Tisch im Ofenwinkel an Daemels Ecke verlassen hatte, und mehrere waren vorhanden, die, nachdem sie sich gefragt hatten, wie ihnen selber so was gefallen werde, ihre Stühle einen Fuß vom Tisch abrückten, mehr denn je der Gefahr einer Nikotinvergiftung nahe kamen und aus deren bester Kenntnis der Sachlage das rechte Wort entsproß:

„Na, Herr Schönow, ich will Ihnen mal was sagen: Was dem einen billig scheint, braucht darum noch lange nicht. dem anderen recht zu sein! Geld aufnehmen auf Grundstücke ist eine Sache, und gekündigte Kapitalien rückzahlen die andere. Wie so hat denn auch das noch mit dem Kriege von siebzig zu schaffen? Da könnten am Ende doch noch zu viele kommen, die damals mitgewesen sind und ein Monopol drauf haben wollen. Wie ein jeder mit seinen Verhältnissen steht, muß jeder am besten wissen, ich so gut wie Liebelotte und wie Sie selber auch

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vielleicht, Herr Schönow, obgleich ich mir | se mir den Nassauer, den Potsdamer, den gewiß nicht anmaßen will, hier so öffent- Weltstädter, den Jardelieutenant und den lich in irgend jemanden seine hereinzuvigilieren. Kameradschaft hin, Kamerad schaft her! Daß einer auch einmal dabei gewesen ist, zum Beispiel Sie Anno sechs undsechzig, thut gar nichts zu diesen Verbindlichkeiten. Im Gegenteil, wer weiß, wenn Sie uns damals hier nicht annek tiert hätten, ob nicht Ihr Kamerad Amelung heute noch auf gesunden Beinen herumliefe, sein Geschäft verrichtete und keines anderen Menschen pekuniäre Unterstüßung nötig gehabt hätte. Ich will gewiß nicht behaupten, daß ich die großen Resultate von siebzig nicht anerkennte, aber daß wir viel Gewinn von den Milliarden haben, soll mir auch keiner sagen. Und ohne sechsundsechzig wäre siebzig wahrscheinlich doch nicht gewesen; wenn Sie aber, Herr Schönow, wirklich noch einen Überschuß aus dem Gewinn- und Verlustkonto zwischen Königgräß und Sedan in der Tasche haben, nun, so treten Sie doch gefälligst in Liebelottes Hypothek und machen Sie Ihrem guten Kameraden, dem Amelung - gegen den ich, weiß Gott, die besten Gesinnungen habe seine leg ten Stunden so sanft als möglich. Meine Herren, da kann doch niemand dazu, daß unter den gegebenen Umständen niemand das Anwesen in der Hundstwete so gut brauchen kann zur Arrondierung seines eigenen Grundstückes wie Herr Liebelotte, und daß jeder, der hierüber sein Urteil abgeben will, die Dinge doch kennen muß, wie sie seit lange bei uns liegen und nicht bloß aus einem temporären Aufenthalt bei uns wie, mit gütiger Erlaubnis, Sie, Herr Schönow. Herr Oberkellner, noch einen Schoppen!"

„Mir ooch, junger Einjeborener! Im mer verkannt! det war von Kindsbeenen an meine Devije," meinte, gemütlich im Kreise umschauend, Herr Schönow aus Berlin. „O Fräulein Julie!“ seufzte er sodann wehmütig, um sofort eine wackere, schwere Faust auf dem Tische des Hauses kräftig niederzulegen mit den Worten: „Hab ick et mich doch jleich jedacht, dat

alljemeenen deutschen Reiseonkel in eener Persönlichkeit ufmußen werden! Wollen Sie jütigst auch was anderes nich dabei. verjessen, wenn Sie mal vater- und mutterlos uf die Grenze zwischen Moabit und Martinikenfelde aus die Taufe jehoben werden sollten, meine Herren; nämlich dat wenn auch jroßartige, so doch merkwürdige Jefühl, als eejentliche Wiege man bloß den janzen Ersaßbezirk des siebten brandenburgschen Infanterieregiments Numero sechzig Ober- und Niederbarnim, Teltow und beiläufig ooch det bißchen Städteken Berlin zu haben! ... Wer hat da ebent dat jroße Wort fallen lassen, Kameradschaft hin, Kameradschaft her?! Meine Herren, der vormalige Unteroffizier im siebten brandenburgschen Infanterieregiment und jezige Landsturm und Berliner Hausbesißer Schönow bemerkt Ihnen doch, daß Sie in diesem Falle ihn mit Ihre bekannte verdeckte Anspielungen uf die bekannte Ansiedelung am Strand der Spree doch nur bis an die Pelle kommen. Det süße Innerste triejen Sie damit noch lange nich raus. Jezt haben se im vorigen Jahr die Sechziger nach Düsseldorf verlegt und die Rheinländer und nich mehr die Teltower, die Treptower, die Lüßower, die Tempelhöfer, die Rixdorfer, die Schmargendorfer, die Plößenseer, die Weißenseer, die Stralauer, die Rummelsburger und det übrige unzählige Gänsekleen liefern mehr den Bedarf an Füsilierfleesch und Irenadierknochen für't sechzijste. Aber Schönown seinem Heimatsjefühl haben sie damit nich 'n Ende jemacht, und seine Kameradschaftsjefühle hält er ufrecht, soweit sie abends Punkte neune von Memel bis Meß det Volk und die Brüderschaft in Waffen mit dieselbe Trommel- und Hornmelodie ärgern und in die Kommißflaumfedern locken. Und in diesem Sinne, wie Jöthe jesagt haben soll, trete ick immer als richtijer Berliner in jede Provinz, wo et sich um eenen Kameraden in Schwulibus handelt, möglichst feste uf, und wenn et sich ooch um

die höchsten sittlichen Fragen in Hinsichtlichkeit hier am Tische zwar een Verlust; uf die Hosentasche handelt, wie Rothschild, aber da könnte doch jeder kommen und Bamberger und die übrigen Klassiker in jleich seine Jeige untern Arm nehmen, det Fach sagen. Und wenn jemand mich wenn zufällig 'ne neue Variation von die jar noch mit olle Anspielungen uf die schöne Melodie: Seid umschlungen Milollen verjährten Annexionen von Anno lionen, ufs Pult jelegt wird. Dat ick bis ans Ende von die Dinge, Dietrich jezt meen Instrument darniederleje, hat von die Wilhelmshöhe und sonstige wirk einen andern Frund. Garçon, ankore liche dämliche Nassauereien uf den Pelz eenen! Wat unser soeben leider hinjerücken sollte, so verkündije ich hier an gangener Freund, wie ich vernahm, noch Daemels Ecke jezt nichts weiter als: in die Thür Berliner Wind in mir nannte, jrade darum!... Nicht, daß mir mein habe ick vollkommen ausjeflötet die Jewissen bisse; denn bei Königgräß reene Nachtijall nach Johanni. Wilhelm haben wir persönlich im sechzigsten ruhig Schönow is meen Name, und — Daemels Jewehr bei Fuß jestanden und still die Ecke hat das Wort!" andern uns mit die historischen Franaten beschmeißen lassen; aber Noblesse obligiert immer, und irade weil ick mir doch ooch meinen juten Kameraden Amelung mit annektiert habe, fühle ich mir bewogen, die Bitte auszusprechen: Kinder, jeht mal so anständig als möglich mit ihm und seine mögliche Hinterlassenschaft um. Welt jeschichte bleibt doch nun mal Weltjeschichte, und im Privatfall ändert manchmal leider niemand det Jeringste dran, sagt Fräulein Ju sage ich hier bei Daemel; denn freilich konnte een königlich dänisch Wachtschiff vor Altona jedem königlich dänischen Steueroffizianten und manchem eijentüm lichberechtigten Hamburger Markbanko mannen viel besser jefallen als een een faches reichsdeutsches Seebad uf Sylt, wenn ooch mit Berliner Hotels, so doch mit eene Markrechnung von Tondern bis übern Wagmann naus. Womit ick bloß sagen will, daß man ja jedem seine persönlichen Jefühle jerne hochachten und doch bei außerjewöhnliche Jelegenheiten von ihm verlangen kann, daß er in einem speciellen jegebenen Fall einmal jroß und nich bloß an seine angeborene Privatranküne oder wie jesagt sein innigstes Port monnä denkt. Ick hätte zum Exempel in Liebelottes Stelle jezt nich det Kap'tal in die Hundstwete jekündigt; und wat hab ick denn anderes verböst, meine Herren, als daß ick dat offen ausjesprochen habe? Det er daruf sofort hinjing und nich mehr jang, is mich für die alljemeene Jemüt

Sie hatte es und behielt es über das Thema noch bis ziemlich tief in die Nacht hinein; aber wir müssen ihr — Daemels Ecke das Zeugnis ausstellen, daß sie sich im ganzen ungemein brav und anständig dabei gehabte. Es dauert immer etwas länger als zehn Jahre, ehe der Nachklang eines weltgeschichtlichen Faktums auszittert; und es hatten zu viele der späteren jüngeren Abendgäste bei Daemel selber persönlichen Anteil an der Thatsache, daß Deutschland im Jahre siebzig in Frankreich gewesen war, um nicht die Gesellschaft in der zwischen Phantasie und Verstand, zwischen Schönow und Liebelotte zum Verdruß gekommenen Erörterung nach der ersteren Seite hinüberzudrücken.

Im großen und ganzen nahm Daemels Ecke für den Knochensplitter aus der Schlacht bei Beaune la Rolande Partei, und daß es nur ein armer Maurergesell war, dessen Wohl und Wehe, Leben und Tod dabei in Frage stand, that nichts zur Sache. Wohl aber half viel zur Erhebung und Vertiefung der Stimmung und öffentlichen Meinung, daß man den an der Franzosenkugelwunde zunächst beteiligten Stadtgenossen, nicht ohne Berechtigung leider, jezt endlich als von seinen Leiden erlöst besprechen konnte.

Doktor Langleben, der natürlich jezt

gleichfalls noch bei Daemel saß, gab keine Recht, und am Frabe noch pflanzt er die Hoffnung mehr, und -- „Donnerwetter, Hoffnung uf! Persönlich bin ick ja nur das muß aber ein anständiges Begräbnis werden!" sagte jedermann, gerade als wenn jedermann vorhin bei Wittchen Hamelmann mit Glocke und Hammer gespielt hätte und jezt an Daemels Ecke in einer anderen Tafelrunde seinen Gefühlen gleicherweise, nur etwas gröblicher Ausdruck geben müsse.

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Turner, Schüßen, Sangesbrüder, Kriegervereinler kurz alles von der Art, was augenblicklich bei Daemel saß, war darüber einverstanden, daß das Gemeinwesen in diesem Falle eine Pflicht zu er füllen habe und daß es derselben gegen jede, wenn auch noch so respektable Privatgegenmeinung nachkommen müsse. Ja, das jüngere Volk und vor allem die jungen Veteranen waren sogar der Ansicht, daß „der Berliner eine volle Etappe hinter ihrem eigenen Gefühl in der Verhandlung Liebelotte contra Amelung zurückgeblieben sei.“

Gegen mitternacht stieg der dekorative Enthusiasmus so hoch, daß der Berliner, nämlich Herr Schönow aus Berlin, sich bewogen fühlte, zu bemerken:

„Na, Kinnerkens, det ist ja wirklich, als wie wenn er man erst bloß dod wäre!... Da ich diese Bejeisterung doch jelber een bißken mit ufs Seil jebracht habe, so billije id und begreife ick ihr natürlich; aber zum Sammeln möchte ick doch jest fürs erste mal blasen. Nur nich alle Patronen verplaten so eenzeln hinter Busch und Baum un hier so bei Daemel, der eene hinterm Schoppen und der andere hinterm Jlase Jrock. Een elejantes, richtiges Rottenfeuer im richtijen Moment bleibt doch det Wirksamste, wo et im menschlichen Leben uf 'n alljemeenen Ausdruck von die speciellen Privatjefühle ankommen soll, und dieses wollen wir jewiß besorgen, wenn es leider Jottes eenmal Zeit dazu jeworden sein wird, und ick verlasse mir da janz uf die verehrliche Schüßenjilde und den Landwehr- und Kriejerverein. Aber wie sagt der Dich ter? Doch der Lebendige hat 'n jewisses

als alter Königgräger aus alljemeine Veteranenliebe und juter Kriegskameradschaft zum Kameraden Amelung hinjeleitet; aber die Familie besteht doch aus mehreren, die alte Tante jar nich einjerechnet. Da is det jüngere Wurm, der ufjejebene Kandidat sämtlicher Wissenschaften

Onkel Liebelotte hat uns

schonst seine Meinung über ihn mitjeteilt ick habe ihn die meinige denn ooch nich vorenthalten; aber wie wäre et nu, wenn sich hier an Daemels Ecke sich so bei kleinem eene doch noch etwas jenauere über ihm bildete?!“

Dazu kam es freilich an diesem Abend oder vielmehr in dieser Nacht nicht mehr. Sie kannten zwar den jungen Menschen alle ganz genau, hatten teilweise ihn aufwachsen sehen und waren teilweise sogar mit ihm in die Schule gegangen, aber was er hierzu sagen sollte, wußte doch im Grunde niemand recht. Daß das Gespräch bei Daemel „auch dieser kuriosen Geschichte wegen" noch einmal einen neuen. Aufschwung nahm, that wenig zur Sache, und daß jedermann den „ufjejebenen Kandidaten" für einen braven Jungen erklärte gar nichts.

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„Na ja!“ sagte gegen ein Uhr morgens Herr Schönow aus Berlin, mit einiger Mühe und unter Beihilfe von zwei Kellnern sich in seinen Überrock findend. Er war selbstverständlich einer der lezten, die das Lokal verließen, und die kleine Corona von Provinzialnachteulen, die nach ihm noch drin blieb, erklärte ihn gleichfalls für einen braven Kerl, wenngleich sie ihn noch lieber bloß als „echt", das heißt zur Schärfung dessen, was sie ihren Wit nannten, verwendet haben würde, sowohl in seiner Eigenschaft als Berliner wie als Mensch überhaupt.

*

Ein paar Tage später hatte sich das Wetter gebessert, aber sonst wenig in der Welt. Herr Schönow war einige Tage

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