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Aus dem Häuschen der Gebrüder Ame- | ten geistig vollkommen und körperlich ziemlich wohlbehalten die Hausthür der Gebrüder Amelung, nämlich nachdem Wittchen dicht vor der Pforte beinahe noch einmal ihren Schuh hätte stecken lassen, ohne sich das Geringste daraus zu machen.

lung erreichte der Lichtschimmer den Pfad nicht. Ein Stück des dazu gehörigen Gartenlandes schied es von der Twete; aber die Lampe am Krankenbett leuchtete doch von weitem durch noch kahles Gebüsch und zwischen den Stämmen einiger gleichfalls noch ganz besenhaft aussehender Obst bäume durch, und der Vater Hamelmann, seine Laterne erhebend, rief mit einem erleichternden Seufzer:

Es ist eine alte Wahrheit, daß jeder, der zu den Höhen steigen will, erst die allernächste Nähe zu überwinden hat. Dem kann sich niemand entziehen und am wenigsten die Gelehrten, die Poeten, die Da sind wir so ziemlich! Bist du Helden auf jeglichem Felde; | ob unser auch noch vorhanden, Wittchen?"

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„Ach Gott, ja!" erklang es aus einiger Ferne hinter ihm, und der Vater, sich wendend, beleuchtete sein durch die legten Sümpfe heranwatendes Töchterlein und meinte lächelnd:

„Schneewittchen, Schneewittchen!... Ei, ei, ob sie im Märchenlande wohl auch schon große Wäsche und alles, was dazu gehört, gekannt haben? Dich sehe ich in der schlimmen Gegenwartswelt so ziemlich vollständig, was deine Appendiye anbetrifft, auf der Leine zum Trocknen hängen."

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"Ja, es ist arg!" seufzte die junge Dame, inmitten der Beschwerlichkeiten des Weges ihrerseits Atem schöpfend. Ach, wenn es nur das Schlimmste wäre! Aber es ist doch recht nett von Herrn Schönow, daß er ein so guter Soldat und Kamerad ist und sich so gut zu einem armen Mann hält, weil der auch Soldat gewesen ist und so lange nachher doch noch wie in einer Schlacht sterben muß."

„Freilich ist das nett von ihm," seufzte Vater Hamelmann. „Beiläufig, hast es auch nur ihm und dem guten Beispiel, was er uns heute abend gegeben hat, zu danken, daß du jezt, bis über die Ohren mit der alten Mutter Erde im wässerigen Zustande besprit, daherkeuchst. Ich für mein Teil hätte dich sicherlich ohne das brave Exempel zu Hause gelassen. Nun nur noch die paar Schritte durch den aufgeweichten Garten und dann — fest die Zähne aufeinander, Kind; wie du es versprochen hast."

Fräulein Witha biß schon jezt die Zähne aufeinander. Vater und Tochter erreich

gegenwärtiger kleiner Held einmal sehr hoch vom Berge ins Thal hinabsehen wird, können wir durchaus nicht sagen; aber was seine nächste Umgebung anbetrifft, so steckt er tief darin und ist mit seinen geistigen und körperlichen Kräften augenblicklich so ziemlich zu Ende. Wir finden ihn deshalb auch eingeschlafen mit der Stirn im Arme auf der Stuhllehne zu Häupten des Bettes des kranken Bruders, und er erwacht auch nicht sogleich von dem schweren und dem leichten Schritt im Hausflur und dem leisen Gruß in der Stubenthür, die ihm eben zu Hilfe kommen wollen.

Aber der Kranke, dem wenig Hilfe mehr zu bringen ist, wacht. Der arme Maurergesell erkennt seinen hohen Vorgeseßten sofort, richtet sich mit einem leisen Stöhnen ein wenig in die Höhe, legt militärisch grüßend zwei Finger mühsam an die Stirn und sagt: „Herr Baumeister!“

Er ist aber doch nicht so recht bei sich. Das Fieber spricht mit aus seinen weitgeöffneten Augen. Er weiß eigentlich gar nicht genau, wo er sich gegenwärtig befindet, ob mitten im winterlichen Franzosenlande auf dem Schlachtfelde von Beaune la Rolande oder zu Hause in seinem eigenen Hause (bloß mit einer Hypothek darauf) im sicheren deutschen. Vaterlande. Deshalb auch wohl ruft er im nächsten Moment, wo sein Krankenwärter erwacht, aufspringt und, mühsam sich besinnend, auf den späten Abendbesuch starrt:

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Aurelles haben und ihn geschickter am Ohr nehmen können. ...!"

Seine Stimme ging wieder in einem Schmerzeslaut und einem leisen Wimmern ihm aus, und der junge Wächter an seinem Bett legte ihm seine eine kalte Hand auf die heiße Stirn, während er mit der anderen seinen Stuhl zurückschob und da bei ebenfalls einen leisen Ausruf hervor stieß, aber gottlob einen der freudigen Überraschung und der Erleichterung.

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„Wir sind es, Gerhard, bleib ruhig," sagte der Baumeister. Schönow kam noch einen Augenblick vor und erzählte uns ja leider und das Kind hat denn lieber gleich einen Korb voll Verbandstücke gepackt und dergleichen und wollte es sich nicht nehmen lassen, den Korb selber zu tragen. Wie geht es denn jezt? Guck, da ist ja auch noch die Tante Fiesold auf den Beinen!"

Ein altes vertrocknetes Weibchen troch hinterm Ofen hervor mit einem Napf voll geschälter Kartoffeln unter dem Arm und einem Messer in der Hand und mummelte:

„Schlecht, schlecht, Herr Baumeister! Aber sonst thun wir unser Bestes, um ihn auf seinem Wege aufzuhalten. Ob es recht ist, muß der Herrgott am besten wissen; die Schmerzen sind gar zu schlimm, und ich habe auch bei dem naßkalten Wetter wieder die Gicht in den Füßen und, sehen Sie, auch in der Hand, und mit mir hat doch keiner zu hoch hinausgewollt wie mit dem da, und dann wieder der mit diesem hier. Immer auf Schulen! Der Große nach Holzminden aufs Baugewerk und der Kleine hier, der gar ins Lateinische. Und jezt mir, ihrer Mutter Schwester, in meinem hohen Alter alle Verantwortung und den Haushalt von den Jungen allein in die Schürze! Ach, der liebe Gott bewahre Sie mal, liebes Fräulein, daß Sie mal zu müde auf Ihrem Bege werden. Der alten Fiesold sehen Sie es gewiß nicht mehr an, daß sie auch mal sechzehn alt war und nichts von Marodigkeit, Kummernot und Gichtknoten um die Knöcheln wissen wollte. Einen Korb haben Sie uns wieder in Ihrer

Herzensgüte zugetragen, Herzensfräulein? Ei, nehmen Sie doch Plaz. Laß den Herrn Baumeister auf deinen Stuhl, Kleiner. Seßen Sie sich, Fräulein, wenn Sie den Spittelgeruch bei uns wirklich ein bißchen. aushalten wollen."

Während sie den Inhalt des Korbes mit begehrlich altershaftiger Neugier durchstöberte, die Leinwand auf das Bett des Kranken legte und mit glimmernden Augen die beiden Weinflaschen, das gebratene Huhn und die Flaschen mit den Fruchtsäften in einem Wandschrank dicht neben ihrem Ofenwinkel verbarg, sprach der Vater Hamelmann leise fragende und tröstende Worte zu dem jüngeren Amelung, und das Töchterchen saß auf dem Schemel bang und wortlos, und man sah es ihr wahrlich jezt nicht an, wie hell und lustig sie noch vor kaum einer Stunde bei dem fröhlichen Spiel Glocke und Hammer hatte lachen können.

Es ist sehr gütig von Ihnen, Herr Baumeister und Fräulein," sagte der junge Mann. „Wir machen so vielen fast zu viele Last! Herr Schönow hat uns den ganzen Nachmittag Gesellschaft ge= leistet. Die ganze Stadt nimmt jezt so großen Anteil —“

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machst dich zum Ackerknecht auf deinem Fleck Kartoffelland und Gartengrundstück, zum Kopierschreiber die ganze Nacht durch und würdest dich auf jedem Bau von mir sofort zum Handlanger melden, wenn ich dir den leisesten Wink gäbe. Und alles bloß, um deinen Bruder in seinem innerlichsten Stolz gegen die Welt mit verpallisadieren zu helfen. Es ist im Grunde doch nur eine andere Art von Eitelkeit."

Das kleine Mädchen sah verstohlen, doch mit wunderlich schimmernden Augen auf den jungen Mann; aber Gerhard Amelung ließ nur den Kopf ein wenig tiefer sinken und sagte leise, auf den Kranken deutend:

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Es ist nur, weil ich mir gegen ihn sägt worden! Wie kam der wieder von nicht anders zu helfen weiß. Er hat mich der Wanderschaft und wie hatte er sich in auf seinem jungen, guten, starken Arm in der Welt umgesehen! Bloß mit seinen das Leben so sanft hineingetragen, daß ich Sprachkenntnissen hätte ein anderer sich jezt an seinem Schmerzensbette erst er aus allem herausgeholfen. Ein Bildhauer fahre, wie schwer ich ihm gewesen bin. steckte in ihm, und als ein bankrotter SteinIch habe durch seine Arbeit auf der bruchbesizer ist er zu Grunde gegangen auf Schule hingelebt und nur gemeint, das dieser Stelle. Nun liegt dieser Ludolf müsse so sein. Er ist meinetwegen sein hier auf demselben Bette. Wenn ich sage, tapferes Leben durch wirklich ein Hand- es steckte was in ihm und es ist schade langer, ein armer Maurergesell geblieben, um ihn, so will das leider Gottes nicht und ich habe mir das gefallen lassen, weil viel bedeuten. Du hast recht, Gerhard, ich in meinem unbewußten Egoismus noch ich habe ihn besser gekannt und zu würdinicht darüber nachdenken konnte, was er gen gewußt als sonst jemand hier bei uns, für mich aufgab. Für mich! Die Götter aber viel zu helfen, daß er an seine richtige wissen es, wieviel er mit seinem klaren Stelle in der Welt kam, war ihm nicht. Kopf und seiner Hand mehr wert war als Der steife Nacken und das Schicksalspech ich. Sie haben es so gewollt, daß die der Familie Amelung eurer Familie Welt nichts davon erfuhr; sie verlassen sich darauf, daß sie jederzeit einen anderen schicken können; aber meine Pflicht gegen ihn haben sie mir auch vorgeschrieben. Herr Baumeister, Sie, der Sie meinen Bruder besser als irgend sonst jemand kannten und verstehen konnten, Sie wissen auch vor allen anderen, wie wenig ich jetzt noch von meiner Schuld gegen ihn abzahlen kann.“

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„Ihr seid eine sonderbare Familie, das ist richtig," sagte Herr Hamelmann kopf schüttelnd. Seid ihr wahrscheinlich von Uranfang an gewesen! Was der Herrgott eigentlich mit euch im Sinn gehabt hat, mag der Teufel wissen. Keiner an seinem rechten Plaz! Durch alle guten Gaben und Begabungen immer einen dicken Strich, sowie es sich mal mit einem von euch ins gewöhnliche Menschenglück wenden wollte! Bald kein Geld, bald keine Gesundheit, bald der Krieg, bald dies, bald das! Von eurem Urgroßvater weiß ich nichts, aber der Großvater reicht noch in meine eigenen Schuljahre mit seinem kuriosen Ruf als Kunstdrechsler, Vieh- und Men schendoktor in der Stadt, und das Resul tat von seinem Dasein war freilich, daß sein Junge, euer Papa, ganz von vorn und vom Waisenhause an anfangen mußte. Und wie mancher grüne Zweig ist unter dem gebrochen oder von anderen abge

kam immer dazwischen. Wie alle seine Vorfahren war er mit sechs Fingern in die Welt gekommen, und der sechste ist einem in der gewöhnlichen bürgerlichen Gesellschaft auf jedem Fleck und Bauplah zu viel und zum Schaden. Und nur in seltenen Ausnahmefällen und gewöhnlich auch 'n bißchen nachher nennt man solch eine Abnormität ein großes Talent oder gar ein Genie und rechnet ihm wohl gar zum Verdienst an, wenn er kein Vermögen hinterlassen hat. Wovon redet er denn jezt?"

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„Er meint heute den ganzen Tag, daß er mich neben sich auf dem Marsche in Frankreich habe," sagte Gerhard Amelung. „Er hat Sie nur einen Augenblick gekannt, Herr Baumeister; er liegt in seinen Schmerzen so hin und ist mitten im Feldzuge, und ich bin wieder ein unmündig Kind in seinen Phantasien und eine schwere Sorge für ihn, wie ich das denn auch in Wirklichkeit von Jugend auf gewesen bin. Er ist der Unteroffizier Amelung und mein Vormund, Bruder und bester Freund zugleich. Hören Sie ihn nur! O, ich kann es ihm ja nie vergelten! Hätte ich es nie. gewußt und geahnt, was er mir gewesen ist und für mich gethan hat, so müßte es mir jetzt jedes seiner irrenden Worte für alle Zeit ins Gedächtnis prägen!"

Aus dem Ofenwinkel kamen allerlei

gurgelnde und schmaßende Laute. Da saß die Tante Jakobine über dem Inhalt von Fräulein Wittchens Samariterkorbe. Fräu lein Wittchen suchte hinter ihrem weißen Taschentuch ihre Thränen zu verbergen und ihr Schluchzen zu ersticken, und der Kranke lachte plößlich ganz laut:

„Halt dich fest auf dem Affen, Junge! Haben die Racker wiederum die Brücke ruiniert! Halt feste, Gerhardchen, und verlier mir das Latein nicht; das Eis trägt nicht und es geht 'n bißchen tief durch den Bach. He, he, so schleppt man sich im zehnten Armeecorps! und die schwarzen afrikanischen Schlingel wollten uns zu Anfang des Vergnügens mit ihrem Kater auf dem Tornister imponieren! Kerls, nicht die teure Munition verplempert! Sichste, Kleiner, bis Orleans hinein muß sie noch reichen, daß wir Schiller und seine Jungfrau auch einmal an der Quelle kennen lernen. Seine Werke möchtest du haben? Na, wollen mal sehen, was unser Studierfonds zu Weihnachten abwirft; wollen den Herrn Baumeister Hamelmann fragen, wie unsere Aussichten im hiesigen Baugewerbe fürs nächste Frühjahr stehen." Es fährt wohl jeder auf, der seinen Namen in den Träumen eines SchwerFieberkranken vorkommen hört, wenn er ihm einen mitleidigen Abendbesuch abstattet. Auch der Herr Baumeister that es, aber mit einem doch außergewöhnlichen Erschrecken und Zusammenfahren wegen des Anrufs, und er griff auch dabei hastig und mit einigem Zittern die Hand des jüngeren der Gebrüder Amelung und stotterte:

„Es ist richtig; aber ich wollte, Gerhard, ich könnte euch doch mehr sagen, als daß ihr wißt, wo ich wohne!"

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Nicht so spät in die Nacht hinein sitzen.... rückt zusammen, Leute, im Schnee! Das alte nasse französische Buschholz hält es auch mehr mit seinen Landsmännern als mit uns. Pfui Deubel, der Qualm! Guck, die Halunken, die Zimmerer; haben sie richtig noch eine Stubenthür und ein paar trockene Pfosten aufgetrieben. Und da läuft gar einer mit einem Bund Stroh dem löblichen Maurergewerk im Regiment vor der blauen Nase! Hast recht, Gerhardchen, schön klingt es, das Griechische, wenn wir nur die Moneten dazu hätten! Aber morgen am Sonntag liest du mir doch mal wieder ein Stück von dem Homerus aus der deutschen Übersetzung vor: Singe den Zorn oder Melde mir, Muse, den Mann. An die Gewehre! Alle auf! da ist das verdammte Signalhorn! Krack, krack, krack! In Kolonnen formiert, marsch, marsch! Na, denn man zu; wenn's denn nicht anders sein kann, denn, Deutschland, noch 'n Stück weiter hinein in unserm Herrgott sein lieblich Franzosenland! Der arme Junge. Kein Mensch von uns im

Zuge hier mit gesunden Beinen ist wieder zu Hause zu Weihnachten, und die Tante Fiesold kenne ich, und den Christbaum, den sie dem Kinde anpuzen wird, kenne ich auch...“

Wir haben es eben gesagt: wer seinen: Namen so von einem solchen Bette her nennen hört, der guckt auf. Auch die Tante Fiesold kam aus ihrem warmen Winkel wieder in den Dämmerschein der verdeckten Lampe gekrochen und fragte weinerlich:

„Nicht wahr, es ist schrecklich anzu= hören? Und so geht das jezt Tag und Nacht. Ach, Fräulein und Herr Baumeister, ich thue ja gern alles für die beiden Jungen, aber mehr, als man tragen. kann, sollte einem der liebe Gott doch nicht auferlegen. Bloß die Wäsche von die Verbandstücke und noch dazu so lange Jahre nach die Geschichte mit dem dummen Kriege ach Gott, die Herrschaften sind so lieb und gütig, aber wenn Sie doch nur bloß Herrn Schönow sagen. wollten, daß er nicht so sehr schlimm und

Keinen Schritt kommt man voran ohne die Pioniere!" stöhnte der ältere Amelung angsthaft. Wieder die bloßen Mauerpfeiler im Wasser. Vorwärts, rasch, Zimmerlinge Holz her! Der ganze Bau steht noch still, wenn erst Regenwetter eintritt! Wie kriege ich das arme Wurm, den Jungen, weiter?... aus dem Latein in das Griechische... Monatshefte, LVI. 331. April 1884. Fünfte Felge. Bd. VI. 31.

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gröblich sein Pläsir mit mir haben möchte. Ich weiß ja meintwegen, daß er es vom Herzen gut meinen mag; aber es ist doch immer ein Unterschied in der Behandlung, und wie er heute mit mir spricht, so hat in meinen jüngeren Jahren keiner mit mir geredet."

„Sie, Doktor Philosophiä Einjäh riger — Einjähriger Weichenberg, kommen Sie, friechen Sie hier mit unter," murmelte der Kranke. „Ein bißchen Schuß gegen den französischen Winterwind giebt doch das Gemäuer hier. Das Strohbund hat selbstverständlich die löbliche Zimmer gesellenherbergsgesellschaft in der ersten Compagnie. Grüßen Sie auch die Mama auf Ihrer nächsten Postkarte vom Unter offizier Amelung; und wenn Sie —“

Menschen zu gute käme; aber die Jungfer Fiesold thut doch ein bißchen zu sehr, als ob sie zuerst auf alles Mitleiden und jeden Trost Anspruch hätte. Ich habe mich recht über sie geärgert das heißt jezt hier im Regen und Wind. Herr Schönow hat doch eigentlich ganz recht, wenn er auf berlinisch allerlei Namen für sie weiß. Die armen Leute! In ihrer Stube habe ich auf nichts geachtet. Glaubst du wirklich auch, daß er sterben wird?"

„Der Berliner, der auch ein alter Soldat ist, sagt es leider ja. Und Doktor Langleben meint es auch. Aber halt doch an Daemels Ecke ein bißchen den Mund zu. Ich glaube in der ganzen Stadt ist kein zweiter Fleck, wo sich alle Winde so gern ein Convivium geben. Bei trocke. nem Wehen ist es eine wahre Lächerlichkeit, wie sie alles unnüze Papier aus allen Gassen hier bei Daemel zusammentragen und einen Küsel draus machen. Halt die Herr Röcke zusammen, Kind, bei feuchtem Wetter treiben sie's noch toller. Nun, 's ist der schlimmste Übergang; aber einen Thaler gäb ich doch drum, wenn ich dich jezt schon im Bette wüßte. Na, hab ich es nicht gedacht?!"

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Seine Worte gingen wieder in ein leises Wimmern über, und Fräulein Witha Hamelmann reichte plötzlich ganz mutig, aber mit lautem Schluchzen ihre Hand hin und rief: „O Gerhard Amelung!" und der Herr Baumeister Hamelmann wußte nicht mehr ganz sicher, ob es für die Nerven seines Töchterleins wie auch seine eigenen das Richtige gewesen sei, als er dem Mädchen die Erlaubnis gab, den Korb mit der abgelegten Leinwand, den Weinflaschen, dem gebratenen Huhn und so weiter ihm nachzutragen nach der Hundstwete.

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Da schlägt es wahrhaftig schon elf Uhr!" rief der Vater Hamelmann. „Es ist ganz gewiß unrecht, Wittchen, daß ich dich so spät in der Nacht und bei dieser Witterung mit mir herumziehe.“

„Dafür stamme ich ja auch aus dem sechzehnten Jahrhundert, und unseres Urvaters Bild hängt auch für mich mit über deinem Sofa."

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Es war in der That eine scharfe Ecke Daemels Ecke und in der Stadt wegen mannigfacher Untugenden beim weiblichen Geschlecht sehr verrufen. Nicht nur alle Papierschnigel und sonstigen Abfall und Kehricht zog sie an, sondern noch manches andere, was sich dann nachher gleichfalls ziemlich häufig, wie sich Vater Hamelmann eben ausdrückte, im Küsel, das heißt Kreise, drehte.

Wenn es überall in der Stadt recht mißlich mit dem Getränke aussah, so war's bei Daemel noch am besten; aber meistens war's da sogar ausgezeichnet. Berühmt weit übers Weichbild hinaus war die Küche der Madam Daemel. Die

Bis über die Kniee mußt du naß sein, Gemütlichkeit der Tische und Size, der Mädchen."

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Winkel und Ecken ließ nichts zu wünschen übrig; und die beiden großen, tief in die Wand gelassenen runden Eckfenster, die den Markt und die Hauptstraße vollkom= men beherrschten, hatten wie alles in der

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