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wollte es Betty nicht gelingen, in ihrem ersten Anlauf sämtliche Treppen zu neh men. Auf dem zweiten Absah verminderte sich ihre Anfangsgeschwindigkeit, und als sie in der ersten Etage angekommen war, blieb sie sogar einen Augenblick stehen und heftete einen mißbilligenden Blick auf das Schild, auf welchem die Worte „Physikalisches Auditorium" zu lesen waren. Sie hörte eine bekannte Stimme hinter der Thür. Ein Blick auf die Uhr belehrte sie, daß die Vorlesung in wenigen Minuten zu Ende sein müsse. Infolge dessen beeilte sie sich weiterzugehen, prallte aber vor einer Gestalt zurück, welche, auf den untersten Stufen der nächsten Treppe sizend, in die Lektüre eines Briefes vertieft war.

„Guten Tag, Herr Sand," sagte Betty. Die Gestalt sprang auf und nahm eine militärische Haltung an, wobei sie sich als die hohe, stattliche Figur des Institutsdieners Sand auswies.

„Guten Morgen, Fräulein Eibeling," sagte Sand mit Würde, indem er seinen Brief zu verstecken suchte.

Betty war einige Stufen hinaufgestie gen. Dann verharrte fie, an das Geländer gelehnt, in einer Stellung, welche ihr den Vorteil bot, ein wenig von oben herab auf Sand sehen zu können.

„Was lesen Sie denn so eifrig?" fragte sie. Von Fräulein Gröhle?"

"Zu Befehl, Fräulein Eibeling," erwiderte Sand. Aber seine Miene verdüsterte sich.

Bertha Gröhle war dem Hause nicht fremd. Zwar führte sie fern in der Vorstadt ihrem Onkel die Wirtschaft. Aber jede zweite Woche des Dienstags erschien sie bei Eibelings. Der Professor hielt sich dann noch vorsichtiger als sonst in seinem Studierzimmer, und seine Begriffskombinationen wurden besonders kühn. In Bettys Zimmern aber zeigte sich der Fußboden mit Zeugschnißeln und Fäden bedeckt, auf dem Sofa lagen Garderoben teile, man sah Modejournale, Muster und Stoffstücke von unerklärlicher Form, und das Klappern der Nähmaschine veranlaßte

den Professor zu manchem Seufzer. Wenn von der physikalischen Seite des Hauses durch Sand eine Bestellung an die philosophische auszurichten war, so geschah es gewöhnlich an diesem Tage; ein Zusammentreffen, von welchem es noch nicht völlig aufgehellt war, ob demselben ein Kausalnexus zu Grunde liege. Die philosophische Seite nahm einen solchen an, die physikalische, welche in allen Hypothesen vorsichtiger war, schien ihn leugnen zu wollen. Sicher war es jedoch, daß in der Dunkelstunde, wenn die schmucke Blondine nach Hause ging, Herr Sand jedesmal an der Hausthür stand und, seine Müße ziehend, um Erlaubnis bat, das Fräulein begleiten zu dürfen; eine Vergünstigung, welche ihm auch jedesmal gewährt wurde.

Da nun die Nähmaschinen, insbesondere die patentiert geräuschlosen, die Eigentümlichkeit besigen, daß die in der Nähe befindlichen Personen nur in den Ruhepausen sich verständigen können, so ist es natürlich, daß bei der Beschränkung der Zeit der Mitteilungsdrang im quadratischen Verhältnis steigen muß. Und so kam es, daß Betty durch Bertha Gröhle über die zarte Neigung des civilversorgten Sergeanten und königlichen Institutsdieners Sand unterrichtet war.

Betty merkte aus Sand's Zurückhaltung und getrübter Miene wohl, daß etwas nicht in Ordnung sei.

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Nun, haben Sie keine guten Nachrichten?" fragte sie.

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„Ach, Fräulein," sagte Sand, wenn Sie's nicht übel nehmen, so hab ich schlechte."

„Von Bertha; wie so denn?" Und Betty erniedrigte ihren Standpunkt auf der Treppe um eine Stufe, was ihrem guten Herzen Ehre machte.

„Ja, Sie wissen doch, sie hat es nicht gut bei ihrem Onkel, und auf mich war er schon immer schlecht zu sprechen. Aber nun ist es ganz vorbei: die Stadt hat sein Projekt abgelehnt. Und auf uns schiebt er die Schuld."

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Betty schüttelte den Kopf.

daß wir uns heiraten.“

„Ja, was soll sie machen? Wohin soll sie gehen? Er hat gedroht, er wolle sie überhaupt nicht länger im Hause behalten, wenn sie uns nicht aufgiebt.“

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Eigenschaft, alle theoretische Wissenschaft „Und er hat gesagt, er giebt es nie zu, war ihm ein Greuel. Eine kräftige und lebendige Empirie," so pflegte er im „Aber Bertha ist doch selbständig und Verein für freie Forschung", der ihn braucht ihn nicht zu fragen." zum Vorsitzenden gewählt, auszurufen, ein vorurteilsloses Probieren allein vermag uns über den traditionellen Schlendrian der Professorenwirtschaft zur Höhe der Naturbeherrschung emporzuführen!" Sein Geschäft zwar ging bei Gröhles höheren Bestrebungen leider zurück, aber eine kleine Erbschaft und eine publicistische Thätigkeit, der es in gewissen Kreisen nicht an Unterstützung fehlte, gaben ihm die Mittel, sich zu halten. Von einer neuen Entdeckung, Turmuhren mit Hilfe des Erdmagnetismus zu treiben, versprach er sich einen großartigen Erfolg. Leider lehnte der Magistrat seiner Vaterstadt, den er zuerst mit seiner Entdeckung beglücken wollte, dieselbe ab, und es hieß,

In diesem Augenblicke schlug es elf Uhr. Sand rief die Pflicht in das Auditorium; sein Eintritt mußte den Professor an den Schluß erinnern, falls er den Schlag der Uhr im Eifer des Vortrags überhören sollte.

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Sand machte eine stramme Wendung. Geben Sie nur nicht gleich die Hoffnung auf, Sand!" rief ihm Betty nach. „Wir wollen noch einmal über die Sache reden, vielleicht auch noch über anderes. Ich rufe Sie nächstens. Adieu!" Damit stieg sie selbst nachdenklich die daß ein ebenso begründetes als abfälliges Treppe hinauf.

Mit Onkel Gröhle und seinem Zorn hatte es aber die folgende Bewandtnis. Gröhle war nämlich auch Physiker und zwar hauptsächlich Entdecker. Ursprünglich zum Photographen ausgebildet, be= gnügte er sich nicht mit der Ausübung oder der technischen Vervollkommnung seiner Kunst, sondern er hielt sich für verpflichtet, bahnbrechend in die verschieden sten Zweige der physikalischen Wissen schaften einzugreifen. Wiederholt trat er mit Erfindungen auf, die allerdings Natur geseze zur Voraussetzung ihrer Bewährbarkeit hatten, welche mit den gemeinhin als geltend angesehenen in unversöhnlichem Streite lagen; wenn er aber mit seinen neuen Plänen keinen Erfolg hatte und abgewiesen wurde, so schob er die Schuld allein auf die Mißgunst und Indolenz der Fachmänner, die in hergebrachten Theorien stumpfsinnig befangen seien. So verachtete er grundsäßlich alle „zünftigen Gelehrten", welche ihr ganzes Leben nichts weiter thun als studieren und lernen. Er hatte seine Weisheit erworben, auch ohne etwas gelernt zu haben. Daher hielt er Gelehrsamkeit für eine überflüssige

Gutachten Zädlers bei diesem Beschlusse eine Rolle gespielt habe. Seitdem war alles, was aus dem großen Hause am Universitätsplaße kam, Gröhle vollends ein Dorn im Auge.

Arme Bertha! Warum mußtest du, die Nichte dieses Opfers der Wissenschaft, auch gerade den Helfershelfer und Handlanger derselben lieben?

Sand war ebenso, wie Zädler selbst, erst seit zwei Jahren in seiner jezigen. Stellung. Nach dem Tode des Vorgängers von Zädler, eines berühmten Physikers, dessen hohes Alter aber bereits sehr hindernd auf die Ausfüllung seiner Stellung gewirkt hatte, blieb das Amt des Direktors des Instituts über ein halbes Jahr lang unbeseßt, bis die rüstige Kraft des noch jungen Professors Zädler dahin berufen wurde. Dieses Interregnum. hatte der alte Institutsdiener, welcher sich vom Tode seines Chefs nicht erholen konnte, ebenfalls benußt, um in den ihm gebührenden Ruhestand zu treten. Es war aber in dieser Zeit der Aufsichtslosigkeit auch manche Unregelmäßigkeit in der Benutzung der Institutsräume eingetreten, und Zädler mußte ein neues

Regiment einführen. Sand, der infolge einer im Kriege erlittenen Verwundung aus dem aktiven Dienst im Heere vor der Zeit hatte ausscheiden müssen, zeigte sich hierbei als ein praktischer Mensch von rascher Auffassungsgabe, großem Diensteifer und unbeirrbarer Zuverlässig feit, einer jener nicht immer zarten, aber brauchbaren Männer, wie sie der preuBische Militärdienst in den subalternen Chargen erzieht. Groß war seine Freude, als er in dem zum Landwehrlieutenant avancierten Professor einen alten Bekann ten wiedertraf, welchem er als hoffnungsvollem Einjährigen einst selbst die Geheimnisse des langsamen Schrittes beigebracht hatte. Er fand sich dadurch mit einem besonderen Gefühl respektvoller Zu neigung zu Zädler hingezogen, wie es der Meister dem Jünger gegenüber empfindet, von welchem er gern anerkennt, daß er ihn bereits weit überholt habe. Denn neben aller pflichtschuldigen Subordination war doch in einer Falte seines Inneren die Überzeugung verborgen, daß die verschiedenen energischen Donnerwetter, welche der Einjährige Zädler vom Unteroffizier Sand erfahren hatte, auch auf die wissen schaftlichen Fortschritte desselben von bahnbrechendem Einfluß gewesen seien.

Die Vorlesung war zu Ende, die Studenten hatten sich entfernt, und Sand half Zädler bei dem Ordnen und Aufheben der während der Vorlesung gebrauchten Apparate. Als er von Zädler entlassen wurde, blieb er an der Thür stehen.

„Was wollen Sie noch, Sand?" fragte der Professor.

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Den sollen Sie jedenfalls haben, auch wenn wir beobachten. Oder wollen Sie lieber bis morgen warten?"

„Herr Professor, es geht nicht. Morgen ist sie vielleicht nicht mehr da, und ich muß es auch bald wissen, ob ich abends werde ausgehen dürfen."

Zädler sah verständnisvoll auf seinen Famulus. „So rufen Sie mir nur sogleich Herrn Dr. Scherbing," sagte er, „und von sechs Uhr an sind Sie dienstfrei."

Das Resultat der Beratung Zädlers mit seinem Assistenten war, daß die Ursache der magnetischen Störung zweifellos in der Nähe zu suchen sei und vermutlich in einer größeren Eisenmasse bestehen müsse. Lezteres ergab sich daraus, daß die Kurve der Deklinationsschwankung mit derjenigen der Veränderung der Intensität übereinstimmte, das heißt die ungewohnte Ablenkung war um so größer, je stärker der Erdmagnetismus wirkte; das war aber nur erklärbar, wenn die Zunahme des Erdmagnetismus auch den Magnetismus jenes unbekannten ablenkenden Körpers verstärkte. Und daß dieser nicht natürlichen Ursprungs oder in der Konstruktion des Hauses begründet sei, folgte daraus, daß vor fünf Jahren unter Zädlers Vorgänger die Versuche ganz normal verlaufen waren. „Da wir nun einmal wissen," meinte Zädler, „daß wir die Störung in der Nähe zu suchen haben, so ist die Hauptsache erledigt. Eine sorgfäl= tige Durchsuchung aller Räume des Kellers muß den Störenfried bald genug ans Licht bringen."

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Es wurde beschlossen, diese Untersuchung „Ich wollte fragen, ob heute abend sofort in Angriff zu nehmen. Auch zu wieder beobachtet wird." Betty Eibeling wurde geschickt und um die Auslieferung ihres Kellerschlüssels gebeten.

„Das wird sich erst entscheiden, wenn ich die bisherigen Resultate vollständig verglichen und die Berechnungen von Herrn Scherbing so hieß der Assistentin Händen haben werde. Warum interessiert Sie das besonders ?" fuhr Zädler fort, als er Sands enttäuschtes Gesicht bemerkte.

„Herr Professor," sagte Sand, „ich hätte gern heute abend Urlaub gehabt,"

Sand brauchte zu diesem Auftrage ausnahmsweise viel Zeit und kehrte in sichtlich gehobener Stimmung und mit neuem Mute zu der Untersuchung zurück. Er hatte nämlich bei dieser Gelegenheit Betty einen kurzen Bericht über den Stand der Sache abzustatten gehabt, und Betty war in der Lage, ihm dafür Mitteilungen

zu machen, durch welche sie sich seine Dank frau, wie ihre schöne Ordnung zerstört und barkeit in hohem Grade erwarb. Bertha die Kohle an eine andere Stelle geräumt Gröhle war in ihrer Not zu ihr gekommen wurde. Dies geschah ohne jeden Erfolg, und hatte ihr geklagt, daß sie mit ihrem von Eisen fand sich keine Spur. Betty Onkel nunmehr vollständig zerfallen und sagte kein Wort, aber als Sand darangezwungen sei, sein Haus zu verlassen. ging, ihre Holzstöße umzuwerfen, konnte Knall und Fall, wie sich Gröhle ausge- sie den Anblick nicht ertragen und schlich drückt hatte. Aber was nun? Andere sich fort. Zädler hatte ihren Fortgang Verwandte besaß sie nicht in der Stadt. und ihren stummen Schmerz bemerkt; er Da faßte Betty den Entschluß, selbst für würdigte denselben, denn er befahl, die sie einzutreten. Raum genug hatte die weitere Untersuchung einzustellen. große Amtswohnung, und von dem guten Papa war die Einwilligung schnell geholt. So wurde beschlossen, daß Bertha bis auf weiteres in das Haus Eibelings einziehe. Allen Sorgen war damit vorläufig ein Ende gemacht. Sand aber sah in Betty den rettenden Engel.

Die Kellererforschungs-Expedition, be stehend aus Zädler, Scherbing, Sand und einem Arbeiter, ging energisch vor. Man stieg von Raum zu Raum, kroch in alle dunklen Ecken, leuchtete in die Schornsteinöffnungen und betrachtete mißtrauisch den gestampften Fußboden. Nirgends zeigte sich etwas Verdächtiges. In einem Winkel fand man einige alte eiserne Tonnenreifen, welche von Zädler für unschädlich erklärt, von Sand aber in die entfernteste Ecke des Hofes geräumt wurden. Zuletzt kam man an Eibelings Keller. Es wurde ersichtlich, daß derselbe einen sehr erfreulichen Reichtum an guten Bordeaux und Rheinweinen aufwies. Zädler lächelte, und Sand fragte, ob es sich nicht empfehle, den Wein zu kosten, da derselbe vielleicht eisenhaltig sein könne. Er behauptete, daß Rotweine eisenhaltig seien und magnetisch wirkten. Sein Vorschlag drang leider nicht durch.

Lassen Sie's stehen," sagte er zu Sand. „Dahinter steckt jedenfalls nichts, die Scheite liegen ganz regelmäßig bis unmittelbar an die Wand. Wir machen Fräulein Eibeling unnötige Störung in ihrer Wirtschaft. Es war nichts! Kommen Sie, wir wollen gehen. Heute abend wird nicht beobachtet," sagte Zädler auf der Treppe. „Ich werde morgen noch einen Kontrollversuch machen, und dann können wir ja immer noch einmal im Nebenhause nachsehen, obgleich ich es für höchst unwahrscheinlich halte, daß die Störung in so großer Ferne zu suchen ist."

Zädler stieg langsam die Treppen zum zweiten Stockwerk empor und ließ sich bei Betty melden, um ihr selbst den Kellerschlüssel mit seinem Dank und seiner Entschuldigung zu überbringen. Eibeling war noch in der Bibliothek, von wo er vor zwei Uhr nicht zurückkehrte. Das gab Betty das angenehme Bewußtsein, vor einem Meinungsaustausche der Herren sicher zu sein, und ließ ihren Empfang unwillkürlich lebhafter und fröhlicher erscheinen. Zädler selbst war durch das Vergebliche der Nachsuchung enttäuscht und machte kein Hehl daraus. Er erstattete Betty einen genaueren Bericht, als er es unter anderen Umständen gethan hätte, aber ihn veranlaßte dazu die Dankbarkeit für ihr bereitwilliges Entgegenkommen und ein gewisses Bedürfnis, selbst noch einmal alle Möglichkeiten, gleichsam in Der Vorrat an Kohlen war nicht sehr einem lauten Selbstgespräch, dem Geiste bedeutend, aber an der einen Wand lagen vorzuführen und durchzugehen. Betty hohe Stöße von Brennholz aufgeschichtet. | merkte zuleßt wohl, daß manches, was Betty sah mit dem Schmerze der Haus- Zädler sagte, mehr für ihn selbst als zu

Inzwischen war auch Betty in der Sorge um ihre Kellerordnung zu der Gesellschaft gestoßen. Es blieb nur noch der Eibelingsche Kohlenkeller übrig, wel cher ganz in der Nähe des magnetischen Beobachtungszimmers lag.

ihr gesprochen war, und sie wollte schon mit einer übermütigen Bemerkung das Gespräch unterbrechen. Dann aber sah sie wieder auf Zädlers ehrliches Gesicht; sie merkte ihm an, wie nahe ihm der Ernst der Sache ging, und ihr Mitgefühl trat in den Vordergrund. Als Zädler geendet hatte, schwieg sie noch eine Weile still. Dann sagte sie auf einmal, ihre dunklen Augen voll auf ihn richtend:

„Ich wünschte, ich könnte Ihnen helfen!" Zädler mußte über ihren Eifer lächeln.

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„Es thut mir leid, daß dies nicht möglich ist," sagte er. „Übrigens hätte ich mich nicht wundern dürfen, wenn ich bei Ihnen eher Schadenfreude als Mitleid gefunden hätte."

„Und warum?" fuhr Betty auf. „Sie kennen mich noch gar nicht," sezte sie fast traurig hinzu.

„Ich denke, der Grund liegt nahe," antwortete Zädler. „Sie wissen doch, wie viel für die Philosophie Ihres Herrn Vaters daran liegt, daß sich die Störung meiner Beobachtungen ich halte mich noch für berechtigt, nur von einer Störung zu sprechen nicht durch äußere Umstände erklären läßt.“

„Ich bin darin anderer Ansicht wie mein Vater," sagte Betty ernst. „Ich verstehe ja wenig von der Sache selbst, aber ich meine, Papa und Sie sind beide Vertreter der Wissenschaft. Es kann Ihnen doch nur darauf ankommen, die Wahrheit zu erkennen, und nicht darauf, recht zu behalten. Ich sollte meinen, wenn das Richtige nur gefunden wird, so ist es gleich gültig, wer es entdeckt.“

Zädler blickte auf.

„Diese Ansicht macht Ihnen alle Ehre," sagte er, warm und offen ihr ins Auge sehend. „Aber bei dem, was das ganze Leben eines Menschen ausfüllt, ist auch immer das Gemüt beteiligt. Das Herz glaubt gern, und der Verstand findet nur zu leicht, was jenes wünscht. Wir, denen in der Erfahrung eine unbestechliche Schiedsrichterin bestellt ist, wissen uns noch eher zu wahren; aber bei Ihrem Bater hängt die ganze Zufriedenheit seines

Selbst an dem Siege seiner Theorie. Und so ist es doch natürlich, daß Sie lieber wünschen müßten, die Ansicht Ihres Vaters bestätigte sich und nicht die meine." Betty errötete über Zädlers Lob. Er war doch wirklich recht verständig. „Freilich," sagte sie, ist mir der Gedanke schrecklich, den Vater vielleicht leiden sehen zu müssen. Doch was soll ich thun? Wenn ich nun vielleicht Ihrer Ansicht wäre?"

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Zädler lächelte. Es war wieder sein. herablassendes, unartiges Lächeln, dieses Lächeln, welches in Worte übersezt ge= lautet hätte: Was verstehst du davon, du gutes Mädchen? - Zädler war doch schlecht! Betty aber hatte sich vorgenom= men, sich nicht mehr so behandeln zu lassen. Sie mögen von mir denken, was Sie wollen, Herr Professor," sagte sie. „Es ist mir sehr gleichgültig. Aber das Recht lasse ich mir nicht nehmen, mir ein Urteil über diese Dinge zu bilden, und Ihnen bestreite ich das Recht, mich deshalb mit mitleidigem Lächeln von oben herab zu betrachten. Das dürfen Sie nicht“ Zädlers abwehrende Bewegung wurde nicht beachtet „durchaus nicht. Denn weshalb Sie glauben, in der Sache selbst auf den Sieg Ihrer Ansicht rechnen zu können, das wissen auch Sie nicht besser als ich. Gar nicht besser! Denn Sie können vorläufig nicht beweisen, daß und inwiefern Ihre Beobachtungen durch fremde Einflüsse gestört sind. Auch Sie können dies nur vermuten. Das kann ich aber ebensogut. Es ist dazu nicht nötig, ein so genauer und gelehrter Kenner der Physik zu sein wie Sie; auch das Wenige, was ich von der Naturwissenschaft weiß, genügt hier, wenn es auch erst aus zweiter und dritter Quelle stammt, um mir ein Urteil zu bilden. Und wenn eine Anzahl gelehrter und gewissenhafter Forscher ein Gesetz durch die Beobachtung von Jahren für viele Orte der Erde fest= gestellt hat, so wird es nicht auf einmal an diesem Orte den Wünschen meines Vaters zuliebe keine Geltung besizen. Das sagt mir mein gesunder Verstand, und es

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