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„Das nicht, aber ich will doch ver- grüßung, „und Zädler noch nicht da? Es stehen, um was es sich handelt." nimmt mich wunder. Zädler ist soust unser zeitliches Gewissen.“

„Und dazu hat dir Zädler hier - wie heißt doch das Buch? Experimentalphysik

vierter Band! Ja, das sieht ihm ähnlich. Er hat dir natürlich ein Buch herausgesucht, das du nicht verstehen fannst."

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„Nicht wahr? Und ich versichere dich, Kollege, meine Betty! Ich wohne nun ich blamiere ihn heute."

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schon manches Jahr in diesem physikalischen Hause, aber so arg wie in der lezten Zeit habe ich seine empirischen Einflüsse noch nie gefühlt. Und zulegt schwärmt noch gar meine kleine Betty für Magnetismus. Jedenfalls verbitte ich mir alle magnetischen Experimente, ich habe schon deutlich gesehen, daß gegenseitige Pole sich anziehen. Bin ich doch selbst mit Zädler in täglicher polarer Berührung. Aber was weißt du von Deklination, wenn es nicht die französische ist, und was weißt du von Minimum, du minima filia!“

„O Papa, das weiß ich sehr gut," sagte Betty mit weiser Miene und doch

„Sieh nur, Laura, diese reizende Thee mit einer gewissen schelmischen Selbstirobüchse!"

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nie. „Die Deklination, das ist die Abweichung der Magnetnadel von der Richtung nach dem Nordpol."

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Monatshefte, LVI. 336.

September 1884. - Fünfte Folge, Bd. VI. 36.

51

„Von diesem Herrn Professor Zädler," schaltete Laura ein.

Sondern und Betty fuhr im | meine Herrschaften, da habt ihr euch in Lehrton mit bewundernswerter Geläufig- mir verrechnet. Ich habe mir ein Buch feit fort, fast in ganz Europa ist die geborgt -" Deklination des Morgens um acht Uhr am kleinsten, sie nimmt ziemlich rasch zu bis furz nach Mittag zwischen ein und zwei Uhr, wo sie am größten ist, und sinkt darauf erst rasch, dann langsamer bis gegen acht Uhr. Die Differenz „Genug, genug!" unterbrach sie Eibeling. Das Examen ist bestanden. Aber wo hast du das her?“

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„Ja,“ fuhr Betty fort, „der übrigens unten auf dem Korridor viel liebenswürdiger ist als hier oben und aus diesem | · Buche habe ich gelernt —"

„Nun, das lernt man so," sagte Betty wegwerfend. „Übrigens kennt man diese Schwankungen erst genauer, seit die Uniund Bifilarmagnetometer -"

„Nehmen Sie Play, meine Herrschaften!" rief Eibeling. „Wir verzichten auf das, was du so vorzüglich vorträgst, und schäßen vorzüglicher, was du aufträgst."

Wie ich höre," sagte Frau Laura Krisas zu Eibeling, ihm eine Tasse über- | reichend, sind aber Sie, Herr Professor“ ein Seitenblick fiel auf Betty „ganz allein daran schuld, daß Betty in diese physikalischen Studien geraten ist."

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Nur nichts von Physik!" rief Eibeling wieder.

„Aus diesem Buche habe ich gelernt," fuhr die unverbesserliche Betty fort, „daß Papa unrecht hat!"

„I der Tausend!" rief Eibeling lachend. „Und wieso denn, du kluge Tochter?"

„Ich habe es ja vorhin schon vorge= tragen. Des Abends nimmt die Deklination ab, du aber hast behauptet, daß sie zunehme."

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Daß sie des Abends ein zweites Maximum habe; das behaupte ich auch.“

„Aber Zädler sagt doch -" „Was auch Zädler sagen mag, das verstehst du nicht, Betty."

Betty nahm eine beleidigte Miene an. „Ja, allerdings, Papa!" rief Betty „Zädler," fuhr Eibeling fort, „urteilt mit neckischer Auffässigkeit. „Du darfst nur nach dem Sinnenschein. Ich aber dich nicht beklagen. Du hast die ganze kann meine Behauptung a priori erweisen. Woche hindurch jeden Abend mit Zädler | Die Schwankungen des Erdmagnetismus gestritten. Erst über die Sonnendrehung und dann über den Erdmagnetismus."

„Nur nichts von Physik!“ rief Eibeling abwehrend. „Was geht das meine kleine Haussorge an, wenn die Männer über ihre Wissenschaft disputieren?"

sind nur die rhythmischen Atemzüge, mit denen gleichsam der Erdball den Äther schlürft. Und nach der ewigen Parallelität der Erscheinungsformen des in seinem Außersichsein zur Natur werdenden Gedankens muß auch

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„Ich habe auch nichts mit deiner Physik zu thun. Meine spekulative Physik zieht ihre deduktiven Schlüsse aus unwandelbaren Principien. Ich behaupte nämlich und nun wandte sich Eibeling zu Krisas, um ihm seine Theorie aus

"So? Das ginge mich nichts an? „Aber Papa, es soll ja nicht von Physik Und du meinst, ich solle mit meinem gesprochen werden," half sich Betty nun Strickstrumpf dabei sizen und Maschen | ihrerseits. zählen? Ich soll den ganzen Abend kein Wort zu hören bekommen, das ich ver stehe? Da ist dieser Herr Professor Zädler; er sigt in diesem Lehnstuhl, raucht seine Cigarre und dreht mir den Rücken zu. Und da ist dieser alte Herr Papa, der zwar die gute Eigenschaft hat, | einanderzuseßen. nicht zu rauchen, sich aber auch nicht um mich kümmert. Und dann ist hier Betty Eibeling, hört den ganzen Abend reden und soll sich nicht darum kümmern? Nein,

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„Da haben wir's wieder!" sagte Betty zu Laura.

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Und noch dazu Metaphysik. Nun wirst du auch die studieren müssen.“

geffen, und deinem guten Manne sezt er arg zu. Wie erhißt er aussieht! Papa! Denkst du nicht daran, daß du dich schonen sollst? Er hört gar nicht. Papa! Nimmst du denn heute keinen Salat?"

Eibeling empfing die Schüssel mechanisch, sprach aber weiter. Endlich fiel sein Blick zufällig auf seiner Tochter ängstlich ihm zugewandtes Gesicht, er legte sich vor und fing an, mit großem Appetit zu essen.

„Ach, Laura, du glaubst gar nicht, wie | er weiß kaum, was um ihn her vor sich abscheulich Papa sein kann; und Zädler geht. Ich glaube, er hat uns ganz vertreibt es nicht besser. Du bist in der leg ten Zeit zu selten herübergekommen, da durch bin ich völlig unterdrückt worden. Jeden Abend geht nun dieser Streit. Papa behauptet etwas, was er aus seinen Spekulationen, ich weiß nicht wie, geschlossen hat. Wenn es nicht wahr wäre, sich nicht bestätigte, so würde dies, sagt er, auf sein ganzes System zurückwirken und es bedenklich erschüttern. Aber das sei gar nicht möglich, eher glaube er, daß die Natur gefälscht sei. Nun beschäftigt sich aber Zädler gerade mit den Unter | suchungen, welche hier in Betracht kommen. Unten im Keller, in dem großen Laboratorium, sigt er den ganzen Tag und beobachtet die Schwingungen eines Magnetstabes, an dem ist ein Spiegel, und in dem Spiegel sieht man durch ein Fernrohr eine Skala, und das Ganze

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„Ausgezeichnet," sagte er. Dann legte er auf einmal Messer und Gabel fort und rief:

„Und sehen Sie, Kollege, meine Theorie wird durch die Erfahrung bestätigt. Ich muß gestehen, ich lege darauf principiell keinen so großen Wert, aber man muß auch mit den Umständen rechnen, und alle Welt schreit jest nach empirischen Resultaten. Hier war nun mein lieber Hausgenosse Zädler meiner Theorie ein steter Widerkampfer, der sich aber jezt in seiner eigenen Schlinge gefangen hat. In den lezten Tagen beobachtet er fast fortwährend, selbst in der Nacht löst er sich mit seinem Assistenten ab, aber er kann die gewohnte Theorie der Physiker nicht bestätigen. Alle seine Versuche sprechen gegen ihn. Er will die Störung auf lokale oder vorübergehende Einflüsse zurückführen, kann aber durchaus nichts Bestimmtes darüber angeben. Und so habe ich mich entschlossen, meine Erklärung dieser Erscheinung als Nachtrag zu meiner Theorie

Nein! Denke dir, Zädler findet etwas ganz anderes, als was man erwarten muß, so abweichend, daß irgend etwas an der Sache nicht in Ordnung zu sein scheint. Er kann aber nicht herausbekommen, wo ran die Schuld liegt. Und darum ist er für verständige Menschen so unbrauchbar und gegen Papa so aufsässig. „Und darum kommt er wohl auch so des Erdmagnetismus zu veröffentlichen.“ spät?" „Herr Professor," fiel ihm Krisas hier „Gewiß, wenn er überhaupt noch ein, wollen Sie nicht lieber damit noch tommt."

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,Das ist freilich recht ärgerlich, der arme Zädler thut mir leid."

einige Wochen warten? Es ist ja doch und leicht möglich, daß hier wirklich zufällige

„Ach, Laura, das ist noch nicht das Schlimmste. Zädler hilft sich schon, um ihn ängstige dich nicht. Es ist noch etwas anderes dabei, das mir wirklich das Herz schwer macht. Sieh nur, wie eifrig Papa wieder geworden ist. Wenn er auf seine Theorie des Erdmagnetismus kommt, so ist mit ihm gar nicht mehr zu reden und

Störungen vorhanden sind, daß genauere Versuche schließlich gegen Sie sprechen. Wenn Sie dann das, was Sie triumphierend zur Stüße Ihres Systems ausriesen, selbst widerrufen müßten, wie unangenehm —“

„Lieber Kollege, davon kann gar nicht. die Rede sein. Meine Theorie ist unzweifelhaft richtig, und wenn die Empiri

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fer zehnmal das Gegenteil zu beweisen | nis momentan verfälscht und Sie mit meinen, sie können doch immer nur äußer einer Hoffnung erfüllt, welche nur zu liche Wahrnehmungen häufen, aber den leicht bitter enttäuscht werden kann." Grund der Sache können sie nicht aufzeigen. Ja, wenn einer käme und sagte: Hier ist das Ding, das die Erscheinung erzeugt nehmt es weg, so fällt sie fort! Aber das können sie eben nicht! Wenn es nun der spekulativen Physik gelingt, die empirische an der Empirie selbst | zu schanden zu machen, so darf sie, die jezt überall verachtete und gescholtene, sich den Triumph nicht entgehen lassen. Darum muß ich unverweilt mit der Publikation vorgehen."

„Wir werden uns in unseren Ansichten nicht einigen, Herr Professor. Sie wissen, daß die meinigen ganz entgegengesezter Art sind. Doch sollten Sie gerade in diesem Falle bedenken, daß die Antwort auf die Fragen, welche uns bedrängen, immer nur gegeben werden kann von dort, woher sie stammen, aus der Erfahrung. Passiert Ihnen das Unglück, daß Sie mit unumstößlichen Beobachtungen in unlöslichen Widerspruch geraten, so behalten die Thatsachen der Erfahrung recht. Mögen Sie selbst, wie das naive Bewußt sein an den Umschwung der Sonne, an Ihre Theorie glauben, der wissenschaftliche Wert Ihrer Arbeit ist unwiederbringlich verloren. Sie ist dann einfach bei-| seite gelegt, ein mißlungener Versuch, den niemand beachtet. Und vor dieser Gefahr sollten Sie sich unter allen Umständen bewahren."

„Was diese zulezt ausgesprochene Be sorgnis anbetrifft, so muß ich Ihnen allerdings materiell recht geben. Aber das gerade spricht ja für mich, da hier die Erfahrung sich selbst widerlegt und ich mich mit der neuesten Erfahrung in Übereinstimmung befinde."

„So warten Sie doch wenigstens noch einige Tage, bis das lettere ganz unzweifelhaft festgestellt ist. Denn ich kann mir nicht verhehlen - und Sie mögen mir verzeihen, wenn ich es ausspreche ich bin sest überzeugt, daß hier ein ganz zufälliger Umstand das erwartete Ergeb

Ach ja, lieber Papa," mischte sich jetzt Betty, die mit ängstlicher Erwartung zugehört hatte, wieder ins Gespräch, „warte doch noch! Professor Zädler sagt ja selbst, daß seine Beobachtungsreihen noch nicht abgeschlossen sind.“ Und sich zur Freundin wendend, fuhr sie fort: „Siehst du, Laura, das ist es, was mir so viel Sorgen macht. Papa ist so siegesgewiß, er triumphiert, und ich — ach! Nur darum habe ich mich mit dem dummen Magnetismus gequält.“

„Nun, Kinder,“ sagte Eibeling, „lassen wir die Sache vorläufig auf sich beruhen. Jezt nichts mehr von Physik! Ein paar Tage kann ich ja noch warten. Aber passen Sie auf

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„Guten Abend, meine Herrschaften, und Verzeihung für meine Verspätung,“ sagte der eintretende Professor Zädler.

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Nun aber kein Wort mehr über die Sache," flüsterte Betty nochmals ihrem Bater zu.

„Lieber Kollege," rief dieser, Zädler die Hand entgegenstreckend, wir sind sehr erfreut, daß Sie auch einmal die Zeit versäumen! Es ist ein wahrer Genuß, diese Herren vom Sekundenpendel unpünktlich zu sehen.“

Meine Beobachtungen," begann Zädler seine weitere Entschuldigung, zwangen mich leider -"

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Aber Betty unterbrach ihn: „Es ist streng verboten, heute abend von Physik zu sprechen.“

Zädler verbeugte sich gehorsam, und es gelang den vereinten Bemühungen der beiden Damen wirklich, nicht nur wäh rend der Mahlzeit, sondern auch den größten Teil des Abends das Gespräch von dem bedenklichen Thema entfernt zu halten, indem sie schließlich die Musik zu Hilfe zogen. Freilich war es nicht ganz zu vermeiden, daß nicht einzelne der verpönten physikalischen Anklänge vorkamen, und Betty hatte gerade nur noch Zeit, ihre Auszüge aus dem Lehrbuch vor

Zädlers Blicken zu verstecken. Bald darauf kam sie sogar hinzu, wie Zädler im Gespräch mit Eibeling das verderbliche Wort „Erdmagnetismus“ aussprach. Betty aber trat ungeniert dazwischen, hielt dem Vater schmeichelnd den Mund zu und sagte zu Zädler:

„Bitte, Herr Professor, beantworten Sie mir eine Frage: Gleich wie viel einpfündigen Magnetstäben ist die magnetische Kraft der Erde?"

„Gleich 8646 Trillionen,“ sagte Zädler. „Falsch, falsch!" jubelte Betty. „8464 Trillionen sind es. Und zur Strafe für diese Unwissenheit hat der Herr Physiker heute gar nicht mehr mitzureden."

Zädler lachte. „Ich sehe wohl ein, daß ich besiegt bin und die Waffen strek fen muß."

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Damit war auch die letzte Klippe glück- an? lich umsegelt.

Lege es fort, das umfangreiche Buch!

Aber noch beim Abschied flüsterte Betty Verdirb nicht deine hellen Augen mit den der Freundin zu:

„Du siehst mich lachen und scherzen, Laura, und es ist mir, ach, so traurig zu Mute. Denn ich weiß, ich fühle es: Papa hat unrecht! Zädler hat recht. Und wenn nun alles zu Tage kommt! Ach, Laura, ich weiß nicht, wie das werden soll. Der arme Vater!"

Buchstaben, welche dir keine Entscheidung bringen können. Schlafe ruhig! Unter dir, in der hohen Wölbung des Kellers, hängt der schwebende Stahlstab, und davor am Fernrohr sißt unverwandt der Mann, vor dessen klarem Blicke die Zweifel zerrinnen müssen. Unablässig laufen die Striche der Skala am Fadenkreuz des

Und auf der Treppe rief Eibeling Zäd- Fernrohrs vorüber, eintönig klingt der

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