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Briefen gemacht hat, ganz und gar keinen | keit des Galileischen Gedankens zu überpolemischen Sinn haben kann.

Wie aber ist es möglich gewesen, daß Galileis schöner Gedanke so lange un beachtet blieb und nach Kenntnisnahme desselben durch Huygens wieder der Vergessenheit überliefert wurde, während kurze Zeit nach des letteren Erfindung wohl kaum noch Uhren ohne sie gelassen oder verfertigt wurden?

zeugen im stande waren, aber ehe er noch den Apparat hatte vollenden können, raffte ihn am 16. Mai 1649 ein hißiges Fieber weg, und die Uhr wurde 1668 von seiner Witwe Sextilia Bocchineri in einer Auktion mit anderen verkauft, ohne daß anzugeben. wäre, wohin sie gekommen. Viviani aber scheint die ganze Angelegenheit dann vollständig vergessen zu haben, da er sie nicht. einmal in der Lebensbeschreibung seines Lehrers, die er 1654 verfaßte, erwähnt hat, durch Huygens' Erfindung aber scheint er erst wieder daran erinnert zu sein, so daß sein Bericht von 1659 die älteste Nachricht von der Uhr wurde.

Den ersten Teil dieser Frage beant wortet Vivianis Bericht. Im Jahre 1641, erzählt derselbe, als der greise Forscher bereits erblindet war und nur sein Sohn Vincenzio und sein den Bericht erstattender Lieblingsschüler zu ihm Zutritt hatten, kam er auf den Einfall, „daß, wenn er Aber auch dieser wurde ja nicht einmal das Pendel an die Uhr mit Gewichten Huygens, geschweige denn allgemeiner beoder an die Uhr mit der Feder anbringen kannt, und damit ist die Beantwortung könne, um sich dieser statt des gewohnten des zweiten Teiles der obigen Frage geZeitregulators zu bedienen, die gleich geben. Freilich, wenn auch Galileis Entmäßige und natürliche Bewegung seines wurf früher bekannt geworden wäre, er Pendels alle künstlichen Mängel in seinen hätte Huygens' Erfindung keineswegs überUhren korrigieren würde.“ Er entwarf dem flüssig machen können. War sie doch an gemäß in Gedanken einen Apparat, der die jeder bereits vorhandenen Uhr älterer Einrichtung verwirklichen sollte, und dik- Konstruktion anzubringen und dieselbe tierte die Zeichnung desselben seinem Sohne dadurch von einem höchst ungenauen in und Schüler, die danach das in Fig. 4 einen äußerst zuverlässigen Zeitmesser zu reproduzierte Modell entwarfen. Nach verwandeln. Nicht wenige solcher Uhren des Vaters Tode beabsichtigte Vincenzio sind später Veranlassung geworden, die dessen hinterlassene lezte Idee auszufüh- Erfindung der Pendeluhr für Männer in ren, kam aber erst 1649 dazu, damit den Anspruch zu nehmen, die damit nichts zu Anfang zu machen. Bis dahin war sie sorg- thun gehabt haben. So sind alle wirklich fältig geheim gehalten, und auch jezt ließ zur Anwendung gekommenen Pendeluhren er sich nur die einzelnen Teile von einem auf Huygens' Genie zurückzuführen, und es Schlosser, Namens Domenico Ballestri, wird ihm stets zur höchsten Ehre gereichen, anfertigen und seßte diese dann selbst zu daß er troßdem so uneigennützig bereit sammen. Er war so weit damit gekommen, war, die Priorität Galileis hinsichtlich der daß er und Viviani sich von der Richtig= | eigentlichen Erfindung anzuerkennen.

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In der lezten römischen Kunstaus- Doch nicht ohne Zögern sprechen wir dies Urstellung war der Eindruck, den teil aus. Unstreitig ist viel manuelle Geschickdie neuen Werke der italienischen lichkeit, eine große Beherrschung der Technik Plastik hervorbrachten, ein wahr aus allen diesen Gebilden zu ersehen. Nirgends haft betrübender. Zwar herrschte weisen dieselben grobe Verstöße gegen die ersten fein Mangel an Skulpturen, der Zahl nach Geseße der Kunst, nirgends eine nachlässige war die Plastik nicht geringer vertreten als oder rohe Ausführung auf; indessen fast möchihre Schwesterkunst, die Malerci; aber es machte ten wir wünschen, es wäre dies der Fall, denn sich eine künstlerische Armut bemerkbar, welche oft steckt hinter solchen Mängeln Kraft und selbst die Italiener erschreckte, und wiederholt | Originalität, welche beiden Eigenschaften uns hörte man im Publikum und seitens der Presse jene tadellos sauberen Arbeiten leider vermissen den Ausruf „décadence“. Lassen.

Ist nun in der That eine solche décadence vorhanden? Und wenn ein Verfall eingetreten ist, woher kommt er und in welcher Weise befundet sich derselbe ?

Nie und zu keiner Zeit hat eine solche Vorliebe, fast möchte man sagen: eine solche Manie, auf dem europäischen Festlande geherrscht, Standbilder zu errichten, als eben jeßt. Und Italien hat sich hierin nicht unthätiger gezeigt als Deutschland und Frankreich. Jede Stadt und jedes Städtchen hat irgend ein Monument | aufzuweisen: von Viktor Emanuel, Garibaldi, Mazzini, Cavour, je nachdem für einen oder den anderen der nationalen Helden besondere Sympathien in den betreffenden Ortschaften herrschen. Und diese Statuen, welche uns im reinsten Weiß des karrarischen Marmors unter Italiens Sonne entgegenleuchten, was sind sie, als Kunstwerke betrachtet? Die gleiche Frage schwebt uns auf den Lippen, wenn wir die riesigen Gruppenbildwerke betrachten, mit denen, wie die Campi Santi überall und in hervor ragendem Maße diejenigen von Genua und Bologna zeigen, die Italiener die Grabstätten ihrer Angehörigen zu schmücken lieben. Hier wie dort können wir nur die Antwort finden, daß der künstlerische Wert ein sehr geringer ist.

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Wenden wir uns nun von der rein monumentalen Skulptur dem mehr dekorativen Zweig der Plastik zu, welcher besonders im vorigen Jahrhundert mit Vorliebe kultiviert wurde -was zeigt sich dort unserem Blick? Viel Gutes leider wahrlich nicht. Wir sehen Arbeiten, die eine Verleugnung jedes künstlerischen Gefühls bekunden, Arbeiten, die nur für den Verkauf hergestellt sind und das triviale Gepräge des Fabrikmäßigen tragen. Ich will hier nicht gegen die in der italienischen Kunst vorherrschende realistische Richtung auftreten; denn obwohl meines Erachtens der auf die Spize getriebene Realismus nicht dem Zweck der Kunst entspricht, der eben in der Förderung des geistigen, idealen Lebens besteht, so gebe ich andererseits gern zu, daß jeder Gegenstand gut und erlaubt ist, falls die dem Kunstwerke zu Grunde liegende Idee vom echten fünstlerischen Geiste getragen wird und Gedanke und Ausführung harmonieren. Finden wir aber diese Bedingungen erfüllt? Was bietet eine Ausstellung jener modernen plastischen Salonzierden? Elegante, nach der neuesten Pariser Mode gekleidete Frauen, deren Juwelen und Spigen mit der peinlichsten Sorgfalt modelliert, deren Frisuren mit einer Genauigkeit kopiert

Vor zwanzig Jahren hatten die Einwohner der meisten europäischen Hauptstädte Gelegenheit, eine Statue zu betrachten, die als erstes Werk dieser beklagenswerten Richtung der italienischen Skulptur Aufsehen erregte. Ganz Europa bewunderte ein Marmorbild, das eine schmächtige, ärmliche junge Person in nachlässiger Kleidung und mit reizlosem Antliz darstellte, die, auf einem Rohrstuhl sizend, in einem Buche las, welches den Titel zeigte:

Dies war's, was das Neue Italien bildende

sind, die für eines Haarkünstlers Modellkopf genügen würde, deren Schleifen und Blumen schmuck, ja selbst Schminke und Puder auf das gewissenhafteste zur Anschauung gebracht sind, von deren Seelen jedoch, wenn sie solche befigen, die Künstler uns keine Andeutung geben. Und wenn die Künstler dies deshalb nicht vermochten, weil die Seelen den schönen Geschöpfen eben fehlten, sind diese dann wohl würdig, für die vornehme und überwiegend intellektuelle Kunst, die edle Plastik, zum Gegen-,,Verse von Aleardo Aleardi.“ stand der Darstellung gewählt zu werden? Außer diesen Damen in Pariser Kostümen Kunst nannte, dies das Resultat jenes hißigen gewahren wir noch andere weibliche Gestalten, denen die Pariser Herkunft deutlich anzusehen ist und die gar kein Kostüm tragen oder nur verschleierte Gesichter haben abscheuliche Proben von Künstelei, die von dem großen Publikum angestaunt werden, dem wahren Kunstfreund jedoch ein Dorn im Auge sind. Auch Kinder sind da, die in Haltung und Mienen den petit maître machen. Die Sta- | tuen und Büsten, welche wir sehen, können den Geschmack nur verderben und irreleiten, denn anstatt eines reinen, einfachen, edlen Stils zeigen sie nur eine falsche Majestät und gezierte Grazie; und mit Widerwillen erfüllen uns die unnatürlichen Attitüden, die flattern den Gewänder, die affektiert zurückgewandten Köpfe oder leidenschaftlich verzerrten Züge. Eine beliebte Specialität sind die Kindergestal ten; zu Dußenden sehen wir sie — Kinder in allen nur möglich und unmöglichen Stellungen, lachende, weinende, betende, küssende Bambini. | Schließlich seien noch jene Gruppen und Figuren erwähnt, die mit einer abschreckenden Treue die Lumpen, die Unsauberkeit und Häßlichkeit aufweisen, welche das sociale Elend unseres Jahrhunderts kennzeichnen.

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Wortkampfes, der Florenz in den Tagen des Bildhauers Bartolini durchtobte. An den Ruf „Hie Welf, hie Waiblingen!" erinnerte der Eifer der Parteien, welche darüber stritten, ob die Kunst das Wahre oder das Schöne darstellen solle, und ob, wenn ihre Aufgabe die Schilderung des absolut Wahren sei, dies nicht zugleich auch schön sein müsse, und schließlich, ob die Kunst ihre Stoffe, anstatt sie der Vergangenheit zu entlehnen, nicht aus dem heutigen Leben herausgreifen solle. Diese lezte Proposition ist an und für sich nicht falsch, doch ihre moderne Auffassung ist eine irrige. Die Kunst braucht nicht deshalb in Verfall zu geraten, weil ihre Jünger aus dem gesunden blühenden Leben der Gegenwart schöpfen; aber sie verfällt, wenn sie sich herabläßt, den Geschmack der rohen Massen in Betracht zu ziehen. Es geziemt der Kunst, die Massen in eine höhere Sphäre zu erheben, sie soll nicht zu ihnen hinabsteigen. Auch vergißt diese neue Schule der Plastik nur allzu leicht, daß die Skulptur gleich der Poesie ihren Stoffen erst aus einer gewissen Perspektive künstlerische Form geben kann, was mit der greifbaren Nähe eines Gegenstandes nicht vereinbar ist. Wagnis „Lesendes Mädchen“ mochte damals noch gut zu heißen sein, aber als dasselbe zur Nachahmung inspiriert hatte, da wurde ein Genre, welches für einmal und ausnahmsweise erlaubt war, im höchsten Grade tadelnswert.

Wie weit sind die Schöpfer solcher Werke von dem Verständnis ihrer Kunst entfernt, die den Marmor nur für die Wiedergabe der menschlichen Form ohne jede auf Effekt zielende Zuthat verwenden soll. Nicht bedeutungslos scheint mir der Umstand, daß der Mäcen dieser Was wir jegt in der neuen italienischen neuen Richtung in der italienischen Plastik ein | Bildhauerkunst und in ganz außerordentlicher Seifensieder ist nämlich der englische Sei- | fenfabrikant Pears, ein Meister in der Kunst der Reklame, welcher hierin selbst Sarah Bernhardt nichts nachgiebt. Die von Pears protegierte Statue, Focardis „Schmußiger Knabe", ist heutigentags aller Welt und besonders den Bewohnern Londons durch Vervielfältigungen in Terrakotta und photographische Abbildun= | gen zum Überdruß bekannt; man sieht leg tere nicht allein auf allen Pearsschen Annon- In Bezug auf die Technik steht die heutige cen reproduziert und in dieser Weise an jeder | Kunst nicht hinter der von vor zwanzig bis Mauerecke kleben, sondern auch die genannten dreißig Jahren zurück. Aber die ernsteste der Nachbildungen in fast sämtlichen englischen | Künste leidet am meisten unter der widrigen Läden paradieren, wo die von Pears fabrizier- | Strömung in der geistigen Atmosphäre Jungten Seifen verkauft werden. italiens. Realismus, Pessimismus und Mate

Weise auf dem Campo Santo von Genua wahrnehmen und bedauern, ist keine bloße décadence. Ein Italiener, welcher sehr verständig über das Thema geschrieben hat, bezeichnete es mit dem Wort esaurimento (Absterben), und er hat damit das Richtige getroffen. Die Ursache des Übels liegt tief und weit ab von dem eigentlichen Gebiet der Kunst; es wurzelt in politischen und volkswirtschaftlichen Zuständen.

Monatshefte, LVI. 335. — August 1884. — Fünfte Folge, Bd. VI. 35.

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rialismus haben in Litteratur und Kunst einen | raten, die Skizze ist ihnen lieber als das Vollrohen, naturalistischen Zug gebracht. Eine endete. Man kann aber in Marmor und Thon Nation, die Raphael spöttisch einen „veralteten weder andeuten noch skizzieren. Das ist der Madonnenmaler“ nennen kann, die von Michel- Irrtum, in welchem diese Künstler befangen angelos erhabenem Moses als einem „kraus- sind. Und hierzu kommt, daß sie durch Überbärtigen Juden" zu sprechen vermag eine treibungen dem extravagantesten Geschmack entsolche Nation darf sich nicht wundern, wenn gegenzukommen suchen. Oft jedoch verbergen sich der Geist jener gottbegnadeten Künstler in Gedankenarmut und dürftige Erfindung hinter Zorn und Trauer aus ihrer Mitte entflohen Kunststückchen und Absonderlichkeiten, welche den ist. Wohl dürfen die Freunde Italiens und Beschauer anfänglich täuschen, deren er aber der italienischen Kunst wehklagen wie einst bald müde wird, um sich nach Werken jener Christus über Jerusalem. Was ist aus der alten verachteten Kunst zurückzusehnen, die Heimat der Kunst, der Quelle unserer besten einen „Moses“ und „Apoll von Belvedere" geund höchsten Ideale geworden? schaffen hat.

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Ein Realismus der gröbsten und armselig- Und giebt es denn in Italien gar keine sten Art hat die Künstler von der Schönheit | Bildhauer mehr, die in den Fußstapfen der losgetrennt. Oder sagen dieselben vielleicht Alten wandeln? So höre ich meine Leser fragen. Ja, es giebt deren noch, aber ihre Kunst ist zu einer bloßen akademischen Technik

rein auf Nachahmung gestüßten Erzeugnissen dieser Pedanten fehlt es an Geist und an Ge müt. Von ihnen zu sprechen, lohnt nicht der Mühe, obgleich auch sie zahlreich vertreten sind. Mit unseren Hoffnungen und Befürchtungen für die Zukunft haben sie nichts zu schaffen; keinerlei Einfluß kann von ihren unglaublich steifen, sowohl in Faltenwurf wie Attitüde jeder Würde entbehrenden Statuen zu erwarten sein. Nur die neuere Schule können wir in Betracht ziehen, weil sie bei allen ihren Untugenden so viel Tüchtigkeit und Intelligenz in der Ausführung, eine so große Korrektheit im Modellieren entwickelt, daß ihre Virtuosität cben irreführt.

mit Viktor Hugos Nadir: „J'ai tant cherché le beau que j'ai trouvé le laid!?" Vor allem scheinen die modernen italienischen Bildhauer | heravgesunken. Den zahmen, konventionellen, vergessen zu haben, welche strengen Grenzen ihr Material ihnen anweist, daß Ruhe und Würde notwendige Erfordernisse für Werke der Skulptur sind. Statt dessen bestreben sie sich, mit dem Meißel zu malen und dem geduldigen Stein Effekte abzuringen, die der Plastik ganz fern liegen. Diese Art Kunst streift das Ge- | biet der Dekorateure und Modisten. Sie ist ungesund, weil sie sich in überraschenden Capricen gefällt, und bringt sie es auch mitunter zu recht hübschen Erfolgen, so wird dadurch doch nur eine weichliche Richtung gefördert, die jeder plastischen Würde und Vornehmheit | entbehrt. Kurz, diese neuere Kunst ist so vom modernen Geist und Empfinden durchseßt, so frivol und affektiert, daß sie selbst die scharf ausgeprägte Abneigung widerspiegelt, welche in der Jehtzeit gegen alles herrscht, was das Gemüt bewegt.

Um diesem Hang noch besser frönen zu können, hat das moderne Italien sich mit der Wiederbelebung der alten Terrakottaplastik beschäftigt, zwar in einer Hinsicht auf den Vorbildern von Tanagra fußzend, im übrigen jedoch sehr von denselben abweichend. Denn die phantastischen Gebilde, welche die heutigen Künstler aus dieser Masse formen, überschreiten selbst für dieses geschmeidige Material alle Grenzen des Erlaubten. Auch hier können wir wiederum vielen der Gruppen und Statuetten, darunter besonders den neapolitanischen, eine gewisse Frische und Lebendigkeit, ja einen ganz eigenartigen Charakter nicht absprechen. Die von Leben und Originalität stroßende Richtung der modernen Malerschule Neapels, welche sogar unter den Impressionisten als sui generis gilt, hat sich mit ihrer kühn allen traditionellen Gesezen Troz bietenden Phantasie auch auf die Plastik erstreckt. Hier ist eine solche Ungebundenheit indessen nicht am Plaße. Die Impressionisten lassen absichtlich manches er

Die vollendete Technik, die Italien von jeher besessen, ist den dortigen Künstlern keineswegs abhanden gekommen, obwohl der Bildhauer Dupré, welcher 1873 im Auftrage der italienischen Regierung als Berichterstatter die Wiener Ausstellung besucht hat, und der zu dem gleichen Zweck 1878 nach Paris gesandte Monteverde sich beide dahin geäußert haben, daß die Franzosen den Italienern in dieser Hinsicht hart auf den Fersen seien, während sie dieselben in plastischer Sicherheit und Würde wie in verständnisvollem Streben nach Adel der Form und an künstlerischem Feingefühl weit überträfen.

Kurz, das Übel, an welchem die italienische Plastik leidet, hat darin seinen Grund, daß die moderne Neubelebung, welche mit Dupré begann und gleichzeitig mit der politischen Emancipation des Landes fortschritt, vom rechten Wege abgeirrt ist und sich in falsche Seitenpfade und Sackgassen verloren hat. Es ist vergessen worden, daß Ruhe eine Hauptbedingung der Bildhauerkunst ist, daß, wie schon Lessing uns gesagt hat, ihre Aufgabe in der Darstellung des ruhenden Lebens besteht, daß die Antike allein ihre eigentliche Quelle der Inspi

ration sein soll und weder Genre noch pittoreste Effekte in ihr Fach schlagen. So macht sich denn selbst bei den besseren dieser moder nen Leistungen eine Kluft zwischen Intention und Ausführung bemerkbar, da der Naturalis mus nun einmal nicht mit den Gesezen der Plastik in Einklang gebracht werden kann. Und noch eines haben die Italiener vergessen: Obwohl in der Skulptur das Nackte passend und recht ist, so doch keineswegs das Negligé. Und hierdurch haben sie in die keuscheste aller Künste ein unlauteres Element eingeführt, das dieselbe in häßlicher Weise erniedrigt.

Wie schade! klagen wir unwillkürlich beim Anblick der vielen Kunsterzeugnisse, die uns zwar erkennen lassen, daß die alte Kraft nicht von dem auserwählten Lande der Kunst gewichen ist, aber uns zugleich die gefährlichen Jrrwege zeigen, auf denen die Künstler wandeln. Wollten sie sich doch wieder der Via Sacra zuwenden! Das geistige Vermögen ist vorhanden, desgleichen das leblose Material in den Marmorbrüchen von Carrara. Es ist nur nötig, daß sie wagen, sich wieder zu Poesie und idealen Anschauungen zu erheben, durch das Studium der klassischen Kunst ihren Naturalismus zu zügeln, und wenn sie sich unter den Werken ihrer Vorfahren umschauen, so werden sie einsehen, daß eine treue, künstlerische Darstellung unseres modernen individuellen Lebens selbst mit den strengsten Geseßen der Plastik vereint werden kann, und daß es zur Schöpfung einer modernen Bildhauerkunst nicht nötig ist, die Lehren der Alten beiseite zu werfen. Sie werden erkennen, wie gefahrvoll

ein Beginnen ist, welches solche beklagenswerte Resultate hervorbringt, wie uns Rom kürzlich gezeigt hat, Turin eben jezt aufweist und wie man sie in jeder italienischen Stadt sehen kann.

In unserer Besprechung haben wir absichtlich keine Namen erwähnt, da wir leider nur Veranlassung zu Tadel fanden. Und diesem haben wir einen um so stärkeren Ausdruck verliehen, als wir ein Übel bekämpfen, das noch zu heilen ist und dessen Heilung nur vom Willen der Künstler abhängt. Sobald sie Werke schaffen, die dazu dienen können, Sinn und Geschmack des Publikums zu veredeln, wird Italien wieder in der Plastik auf der Höhe stehen, die es so viele Jahrhunderte hindurch zu behaupten wußte und die es stets erstreben sollte, denn ,,noblesse oblige". In dieser Hinsicht hat Italien freilich durch seine Vergangenheit einen schweren Stand, aber diese Vergangenheit ist auch die beste Führerin. Möge Italien nur zu ihr emporschauen und sich nicht durch pathologische Kunsttheorien beirren lassen, so wird das Wort renascimento (Wiedergeburt) an die Stelle des trostlosen esaurimento (Absterben) treten.

Die Italiener sollten nicht mit Deutschland im Erziehen von Soldaten und kriegerischen Übungen wetteifern und statt dessen lieber den Lorbeer pflegen, der ihnen gleichsam in die Hand wächst, der so leicht zu kultivieren ist in einem Lande, dem sich die Natur wahrhaft freigebig bezeigt hat. Sein Sieg wird dann ein um so schönerer sein und desto bleibender sein Ruhm.

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