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Tage fördern sollte. Der Strom der Erfindung trocknete zwar nie ganz aus, aber er war doch zu gewissen Zeiten so flach, daß man auf den Grund sehen konnte, während er allerdings auch wieder mäch tig anschwoll und durch Breite und Fülle jedem Zuschauer imponierte. Sich genau zu beobachten, ob der schöpferische Geist sich zur höchsten Kraft konzentriert habe, und dann erst an die Arbeit zu gehen, war aber nicht Schückings Sache. Er

werden sollte. Das Talent der Frau war in Schöpfungen wie dem Roman „Gegen den Strom" gerade zur Reife gekommen und zeigte sich besonders in Bildern des häuslichen Lebens von der anmutigsten Seite, als ein Fieber und eine hinzutretende Lungenlähmung sie (1856) unerwartet dahinrafften. Der Verlust der Lebens gefährtin war für Schücking um so er schütternder, als sie in Augsburg und Köln, auf den Reisen nach der Schweiz und Italien und überall, wohin beide | glaubte an seinen guten Genius und durch Beruf oder Neigung geführt wur- ließ sich von dem Reize seines Süjets den, der Sammelpunkt geistiger und künstlerischer Interessen war. Der Dichter lebte seitdem mit Ausnahme der Zeit, die er auf Reisen nach Italien und England zubrachte, fast ausschließlich auf seinem bei Münster gelegenen Familiengut Sas senberg. Gegen große Städte hatte er eine unverhohlene Abneigung, wohl in der richtigen Erkenntnis der Wahrheit, daß nicht immer diejenigen am meisten schaffen und schöpfen, die an der Quelle sizen. In einem der lezten Romane „Seltsame Brüder" (1881), der übrigens in dem Aufbau der Handlung viel zu sehr in der Luft hängt, als daß wir ihn zu den gelungenen Würfen zählen dürften, stößt der Dichter gleich zu Anfang im Namen eines Reichstagsmitgliedes, das nach aufregender parlamentarischer Arbeit zu den Fleischtöpfen seiner Heimat zurückkehrt, einen ihm gewiß aus innerstem Herzen gekom menen Stoßseufzer über die Geselligkeit, Unterhaltung und Bildung der Berliner aus. Doch hatte er gerade in der Reichshauptstadt viele treue Verehrer und warme Freunde. Sein Tod erfolgte am 31. August 1883 in Pyrmont, wo sein jüngster Sohn als Arzt lebt.

Sucht man die litterarische Physiognomie Schückings in ihren charakteristischen Zügen zu erfassen, so ist es keineswegs notwendig, sämtliche Romane des Dich ters im einzelnen durchzugehen. Bei seiner Arbeitsfreudigkeit und Beweglich keit der Phantasie war es nicht zu verlangen, daß sein Talent stets gleichmäßig ausgereifte und schmackhafte Früchte zu

und der Bilderfülle, welche es in seiner Phantasie erzeugte, oft gänzlich gefangen nehmen. In solchen Momenten vertraute er dann wohl dem Stoff an sich mehr, als es die künstlerische Ausführung des Ganzen gestatten konnte. Zuweilen brach unter dem Reichtum von Vorstellungen, die sich in dem Kopfe des Dichters ge= sammelt hatten, das von Hause aus wohl konstruierte Gerüst des Romans zusam= men, so daß dem lezteren in aller Eile ein Notdach aufgesezt werden mußte; nicht selten gingen auch die Abschweifungen in das Gebiet des Unwahrscheinlichen über das erlaubte Maß hinaus, so daß man sich fragen mochte, auf welchem Teile der Erde es denn eigentlich so bunt hergehe, wie der Autor es schilderte. Beide Fehler sind als Kehrseite jenes Vorzugs anzusehen, der Schücking zu einem Meister im Fabulieren machte und etwas von Walther Scottscher Behaglichkeit in seine Werke hineinträgt.

,,Der Grundgedanke meiner Schriften," sagt Schücking einmal, ist Emancipation des Menschen im allgemeinen und der Frau im besonderen von den Fesseln jener Anschauungen und Lebensverhältnisse, die das Individuum in seinem Selbstbestimmungsrecht beschränken und es hindern, sich seiner Natur gemäß zu echtem Menschentum zu entwickeln. Es hängt das zusammen mit jenem angeborenen Unabhängigkeitsbedürfnis des Westfalen, der bei einer in sich gekehrten Natur wenig von der Welt verlangt, dafür aber auch sich zornig aufbäumt, wenn die Welt in

sein Wesen eingreifen will." Damit hat und Moorwelt seiner Heimat ist ihm nicht der Autor die Hauptmomente seines tot, sie ist ihm auch nicht Gegenstand litterarischen Wirkens und Schaffens klar flüchtigen Interesses, sondern er geht hervorgehoben. Er ist zunächst Westfale darin auf mit scharfem Auge für das und deshalb ein guter Deutscher, aber er charakteristische Detail in Wald und Flur, ist auch ein aufgeklärter, freidenkender mit seinem Ohr für das Rauschen der urMann, der die Vergangenheit kennt und alten Haine und die noch vernehmlicheren. daher ganz genau weiß, was die Zukunft Geisterstimmen, die in ihnen für jeden nötig hat. Diese ideelle Grundlage seiner nachdenklichen Menschen laut werden. Wie Romane wird indessen niemals aufdring von selbst zieht diese Äußerlichkeit den

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familien, an deren Schwelle sich die aus dem Kreise dessen, was sich ziemt, Wogen des modernen Lebens gebrochen nicht herausgetreten, sondern im Besiße haben und die neben vielem Schrullen- weiblicher Holdseligkeit geblieben waren. haften und Veralteten doch auch manches So klingt auch dieses Motiv in den Büchern gute Element in sich schlossen. So waren des Dichters, besonders in seinem treffhier zahllose Stoffe aufgespeichert, welche lichen Romane Schloß Dornegge oder die interessanteste Ausbeute versprachen Der Weg zum Glück“, vernehmlich durch. und in die ein berufener Dichter nur hineinzugreifen brauchte, wenn ihm ein Wurf gelingen sollte.

Für einen Mann wie Schücking, der aus gründlichen Studien hervorgegangen war und dem der Aufenthalt in den Bibliotheken nicht weniger Genuß bereitete wie die Beobachtung von Natur und Menschen, lag es nahe, dieses Stoffgebiet aus dem Gegenwärtigen in das Vergangene noch mannigfach zu erweitern.

Er mußte hierbei namentlich auf einen Gegensatz stoßen und ihn in der verschieden artigsten Beleuchtung erblicken, den zwischen Franzosen und Deutschen. Der Einfluß des Franzosentums ist in Westfalen auf die mannigfaltigste Weise empfunden worden, bald als unerhörte Bedrückung und Beleidigung des Nationalgefühls, bald als Träger des modernen Geistes, bei dessen Wehen die alten verrosteten Gebräuche ins Schwanken geraten. Die tiefen Furchen, welche in Schückings Vaterland die Fremdherrschaft gezogen hat, sind wesentlich bestimmend gewesen für die Richtung seines Talentes. Eine ganze Reihe seiner Romane baut sich in der glücklichsten Weise um diesen Kontrast und die dadurch bewirkten Folgen auf.

Endlich erwähnt Schücking in seinem vorher citierten dichterischen Bekenntnis, daß er jene Emancipation des Menschen, die er als den Grundgedanken seiner Schriften bezeichnet, besonders auch auf die Frauen ausgedehnt wissen wollte. Vorbilder für diese durch geistige Arbeit errungene Selbständigkeit des weiblichen Geschlechts brauchte der Dichter nicht lange zu suchen. Ihm standen in seiner Freundin Annette v. Droste-Hülshoff und seiner Gattin Luise v. Gall zwei Frauen nahe, die sich weit über die Sphäre philiströser Beschränktheit erhoben hatten und dabei doch

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Die ersten Romane Schückings wurden zu Beginn der vierziger Jahre veröffentlicht. Den Anfang machte 1843 „Ein Schloß am Meere", es folgten dann 1846 die Ritterbürtigen" und „Eine dunkle That". Die jugendliche Romantik des Autors schäumt hier noch in allerlei gewagten Erfindungen über, während sich andererseits die Spuren eines echten Talentes nachweisen lassen. Am wunder= lichsten geht es wohl im „Schloß am Meere" mit seinen aus Nacht und Nebel halb auftauchenden und dann wieder verschwindenden Figuren zu, die aus einer ganz anderen Sphäre auf die Erde gefallen zu sein scheinen. Die edle Tochter eines Gutsherrn, der durch falsche Leuchtsignale die Schiffe zum Scheitern bringt und sie dann ausraubt, kommt mit der Gräfin Albany und deren Geliebten, dem italienischen Dramatiker Alfieri, zusammen, flieht nach Italien und vermählt sich hier mit einem Deutschen. Durch Figuren wie den atheistischen Mönch und die geheimnisvolle

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Dame mit der Sammetmaske“ ist dieser Roman über das künstlerisch zulässige Maß phantastisch aufgebläht worden. Die beiden anderen Erzählungen gehören einer anderen Gruppe an, in der das Sittenleben Westfalens seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts in verschiedenen Zeitabschnitten geschildert wird. In den vierundzwanzig Bänden seiner 1864 bis 1876 erschienenen Ausgewählten Romane" hat der Autor diese Erzählungen in bestimmter Reihenfolge geordnet, je nach der Zeit, in welcher dieselben spielen. Die innere Verbindung wird dadurch eine noch engere, daß einzelne Personen in diesen Romanen wiederholt auftreten. So enthält, wie der Dichter in der Vorrede selbst ausführt, die „Marketenderin von Köln“ die Zeichnung der Gestalt voll gewaltthätiger Lei

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denschaftlichkeit, welche in der folgenden den, aus denen der Geist jener Zeit heraus

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blickt. Denselben Gegensaß behandelt auch der ein Jahr später erschienene Roman ,Die Rheider Burg" mit seiner interessant geführten Handlung. In einem bereits 1849 erschienenen Roman „Ein Sohn des Volkes" kehrt der westfälische Bauernsohn als französischer Offizier in seine Heimat zurück, um von seinem Vater von der Schwelle des Hauses an demselben Tage zurückgewiesen zu werden, an dem gerade das Schwingfest als Ausdruck der reinen nationalen Sitte gefeiert wird. Ein ähn= licher Konflikt ist der Gegenstand des Romans „Der Bauernfürst" (1855), in welchem ein Reichsfürst von Lindau die freiheitlichen Ideen der modernen Zeit vertritt und sich dadurch der Acht aussezt, welche das Reichskammergericht von Wezlar über ihn verhängt. Der Gedanke des Revolutionszeitalters schimmert hier als Hoffnungsstern durch die Risse einer in sich zerfallenden Kulturperiode hindurch.

Nach der Vollendung dieses Romans betrat Schücking mit der Erzählung „Ein Staatsgeheimnis" (1854) insofern ein neues Gebiet, als er die Geschichte jenes Uhrmachers Naundorf zu behandeln versuchte, der von einer Partei als Sohn Ludwigs XVI. auf den Schild gehoben und für den Thron Frankreichs bestimmt wurde. Doch kann man nicht behaupten, daß es dem Dichter gelungen sei, mit dieser Figur einen tieferen Eindruck auf den Leser auszuüben. Viel zu schwächlich und planlos erscheint dieser angebliche Ludwig XVII.,

Diesen zuletzt erwähnten Roman, wel cher der Entstehung nach in den Anfang von Schückings litterarischer Laufbahn fällt, nennt Gottschall in seiner „Nationallitteratur" mit Recht die Iliade der westfälischen Autonomen, deren Göttermaschinerie die feudalen Ideen bilden. Es ist eine sich in verrosteten Angeln drehende Welt, die uns hier geschildert wird; man meint, sie müsse jeden Augenblick zu Staub zerbröckeln, und doch hält sie sich noch mit ihren verschnörkelten Figuren, zwischen denen eine herrschsüchtige Frau die Intriguen geschäftig hin und her spinnt. Durch glückliche Anlage und künstlerische Ausführung zeichnet sich in dieser Gruppe von Romanen besonders „Paul Bronckhorst oder die Neuen Herren“ (1858) aus, der auch deshalb beachtenswert ist, weil sich in ihm der für die Denkart unseres Dich ters charakteristische Gegensatz von Deutsch und Französisch deutlich ausprägt. Er knüpft an den Luneviller Frieden und die dadurch hervorgerufenen Umgestaltungen im deutschen Besigtum, namentlich in Mün- | als daß wir ihm die Berechtigung zu der ster, an, jenes Bistum, das damals zur von ihm verfolgten Mission zuerkennen Entschädigung deutscher Fürsten zerstückelt oder überhaupt ein wirkliches Interesse wurde. Der Dichter hat aus der Gegen an seinem Thun nehmen könnten. Menüberstellung der beiden Nationalitäten die schen, die eine Forderung an das Leben besten Vorteile gezogen; Figuren wie der zu haben glauben und sich um dieselbe gutmütige Herzog von Anglure nebst sei- betrogen sehen, können uns nur dann nem Vetter, seiner Gemahlin und seiner sympathisch werden, wenn sie ein unbeTochter, der Prinzessin Leonie, auf der dingter Glaube an sich selbst als Impuls einen Seite, die beiden Freunde Paul des Handelns erfüllt, wenn sie nicht haltBronckhorst und Richard Tondern hin- los hin und her schwanken, sondern fest unter bis zu den westfälischen Bauern und und gerade auf ihr Ziel losgehen. Mit preußischen Soldaten auf der anderen Seite | diesem Maßstabe gemessen, muß man die müssen als treffliche Porträts geschäßt wer- Figur des Prätendenten, den Schücking

übrigens nur im Jünglingsalter vorführt, als verfehlt bezeichnen. Doch ist der Roman im episodischen Beiwerk wieder sehr glücklich, und das Interesse an den fesselnd erzählten Nebendingen muß dafür entschädigen, daß der Hauptfaden nicht fest und sicher genug gesponnen ist.

Daß Schücking die Prätendentenfrage als Thema dieses Romans behandelt, ist keine zufällige Erscheinung. Die Betrach tung dessen, was das Leben verspricht und was es hält, hat ihn dichterisch ebenso lebhaft beschäftigt, wie sie ihm menschlich nahe trat. Auch ihm schien nach seinen ersten Romanen die Welt offen zu stehen, und er ist doch kein Welteroberer gewor den, sondern nur einer von den vielen Tüchtigen, die zur Ehre des deutschen Namens in Reih und Glied marschierten und unsere Litteraturschäße zu mehren suchten. Schücking gehört zu den Schriftstellern, denen man im allgemeinen nur Gutes nachsagen kann und die doch niemals eine besonders auffallende äußere Wirkung auf das Publikum ausgeübt haben. So viel Gehaltvolles und Ehrliches sein Talent enthält, so wenig Blendendes und Überraschendes war ihm zu eigen; es hat unzähligen Menschen wohl gethan und doch niemanden hingerissen. Das lag daran, daß der Dichter eine her gebrachte und von einem genialen Meister wie Walter Scott um glänzende Erfindungen bereicherte Form mit Geschick und Geschmack sich aneignete, ohne aber eigentlich den Weg zu etwas Neuem zu finden, das bezeichnend für die Entwickelung unseres Romans gewesen wäre. So gingen schließlich doch die Wogen der neueren erzählenden Litteratur über den Autor hin weg, der sich sagen mußte, mit seinem Pfunde treu gewuchert zu haben. Er wuchs, möchte man sagen, durch das eigene Schicksal in das Verständnis jener Wahrheit hinein, das nur den Männern, die eine im Schoß der Zeit keimende Idee zur Reife bringen und durch die Kraft der Persönlichkeit auf die Phantasie wirken, tiefe und unmittelbare Erfolge zu teil werden. Er suchte sich in den verschiedensten Epochen der neueren

Geschichte Erscheinungen auf, die ihm als Illustrationen zu dieser Erkenntnis dienen konnten, und wenn er in dem Roman „Ein Staatsgeheimnis" die französische Geschichte zur Folie genommen hatte, ließ er in dem „Sohn eines berühmten Mannes“ (1856) den Sohn des tapferen Reitergenerals Johann von Werth von dem Hintergrunde des seinem Ende entgegeneilenden Dreißigjährigen Krieges und den Verhandlungen des Westfälischen Friedens sich wirkungsvoll abheben. Adolf von Werth versteht nicht wie sein Vater das Schicksal sich unterthänig zu machen und auch noch das Unglück durch seelische Größe zu verklären, er geht vielmehr auf den Irrgängen, in die er gerät, frühzeitig unter. In dem Roman Frauen und Rätsel" (1865) erscheint das Prätendententum in weiblicher Gestalt, indem zwei Schwestern, die charakteristisch sein unterschieden sind, sich für die Verwandten eines Fürsten halten und durch das herbeigeholte Beweismaterial der Aufmerksamkeit des Lesers immer neue Nahrung bieten.

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Der Erbe von Hornegg" (1878) ist ein Prinz, der von seiner Geburt nichts weiß, als Musiker auferzogen wird und erst nach der Beseitigung eines wilden, dämonischen Gegners zu seinem Rechte gelangt. So suchte der Dichter seinem Thema von den verschiedensten Seiten beizukommen und es in der wechselnden Beleuchtung der Zeit und der Charaktereigentümlichkeit erscheinen zu lassen.

Wir erwähnten bereits des Einflusses, den Karl Guzkow frühzeitig auf Levin Schücking gewonnen hatte. Es entstand daraus eine Freundschaft, die nur vorübergehende Störungen erfahren, sich im übrigen aber als festes Band in gegenseitiger Anregung und Förderung erwiesen hat. In seiner Stellung als Redacteur der Allgemeinen und der Kölnischen Zeitung konnte Schücking dem älteren Kollegen Worte echter Anerkennung für seine vielseitige litterarische Thätigkeit zollen, namentlich erklang sein Lob voll und rückhaltslos dem Uriel Acosta" gegenüber. Gußkow erwies sich hierfür

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