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m März des vorigen Jahres lich, aufbrausend und rechthaberisch; jede Kleinigkeit, die mir gegen den Strich ging, ärgerte mich. Mit einem Worte: ich hatte das Heimweh.

Da durfte ich denn nicht lange mehr verweilen, wo ich war; bei meinem deprimierten Zustande würde ich in der nächsten Fiebersaison draufgegangen sein. Los und ledig war ich; vor den Augen der gelblichen Señoritas hatte ich mich

traf ich, von Portorico kommend, in St. Thomas ein. Fünfzehn Jahre lang hatte ich mich als Apotheker in einer Hafenstadt der ersteren Insel aufgehalten und mich redlich bemüht, aus dem Verdienste an Pillen und Mixturen, Kräutern, Pulvern und kosmetischen Mitteln ein Kapital für meine alten Tage zurückzulegen. Auch wies mein Guthaben bei der Bank schon in acht genommen wie vor brennenden eine recht hübsche Ziffer auf, und wenn ich noch etwa fünf Jahre mit gleichem Erfolg weiter arbeitete, so war ich ein gemachter Mann, konnte im lieben Vater lande leben, wo ich wollte, und brauchte niemandem gute Worte zu geben.

Von diesen lezten fünf Jahren aber hatte ich mich dispensieren müssen. Denn im Laufe der Zeit hatte sich unter meiner frühen Glaze die Schrulle eingenistet, es sei für einen rechtschaffenen Deutschen unter dem leichtfertigen, oberflächlichen spanischen Mischvolt nicht zum Aushalten. Mein Appetit verlor sich; ich wurde verdrieß

Kohlen, hinter denen ein Fäßchen Pulver versteckt liegt. Glücklicherweise erbot sich mein Gehilfe, ein treuer, fleißiger Arbeiter, mein Geschäft käuflich zu übernehmen. Zwar hatte derselbe eben keinen Überfluß an barem Gelde, und ich mußte mit allmählicher Abzahlung des Kaufschillings zufrieden sein; indessen war ich froh, loszukommen, und durfte auch erwarten, daß mein Nachfolger bei seinem soliden Charakter so lange das Leben behalten werde, bis er mich befriedigt hatte.

Ich begab mich also, ein nunmehr rasch Genesender, auf die Reise nach Deutsch

land. Freilich mußte ich darauf verzich ten, unter meinen werten Landsleuten den hochmögenden Rentier zu spielen; dazu reichten meine Mittel nicht. Aber ich fand plößlich wieder, daß ich noch jung sei und Thätigkeit ungleich ersprießlicher für mich sein würde als Müßiggang, und so ließ ich mich von Gedanken an die Zukunft nicht weiter anfechten.

In St. Thomas war ich, wie gesagt, glücklich angekommen. Der Dampfer, auf dem ich einen Plaz nach Hamburg belegt hatte, die „Hessia", lag bereits auf der Reede; noch aber hatte ich vierundzwanzig Stunden Zeit bis zur Einschiffung. Ich schlenderte in der Stadt umher, bis ich müde war, sezte mich dann in ein Kaffeehaus und betrachtete die vorübergehenden Menschen. Diese Beschäftigung wurde recht langweilig mit der Zeit; ich besann mich, ob denn in St. Thomas_nie- | mand wohne, mit dem ich bekannt sei, dem ich einen Besuch abstatten könne, niemand, der ein Stündchen oder zwei mit sich plaudern ließe. Da fiel mir Ludwig Werning ein, der so manche Kiste mit Droguerien an mich spediert hatte, der sogar einmal bei mir gewesen war in meiner Junggesellenwirtschaft auf Portorico. Wie kam ich nur dazu, erst jezt an ihn zu denken?

Ich erfragte sein Geschäftslokal und ließ mich hinweisen. Unterwegs fiel mir wieder ein, daß ich Werning damals, als er mein Gast war, mit einer Bowle aus Waldmeisterextrakt hatte ehren wollen. Das Gebräu war abscheulich; ich indessen als Wirt hütete mich wohl, meine eigene Ware schlecht zu machen, und Werning war so höflich, schweigend zu trinken, was mir zu schmecken schien. Als wir mit den lezten beiden Gläsern aufgeräumt hatten und während uns noch Nasenflügel und Mundwinkel von dem Nachgeschmack zitterten, sahen wir uns gegenseitig verstohlen an und brachen gleichzeitig in ein schallendes Gelächter aus. Diese Bowle hatte mir Werning sicher nicht vergessen!

Mit großer Liebenswürdigkeit empfing mich der vielgeschäftige Kaufmann; doch

mußte ich eine Weile warten, ehe er sich zu meiner Verfügung stellte.

„Natürlich gehen Sie mit zu meinem Hause und bleiben den Abend bei uns,“ sagte er. „Ich schulde Ihnen noch eine Bowle, wie Sie wissen. Und meine Frau müssen Sie kennen lernen eine Jugendflamme von mir, die ich mir im vorigen Jahre herübergeholt habe. Wenn es hiesiges Gewächs wäre, Herr Dill, so würde ich bei Ihnen um Entschuldigung bitten müssen ich weiß noch recht gut, wie abfällig Sie sich über die Mädchen hier zu Lande aussprachen —“

Darüber waren wir auf der Straße angekommen und spazierten nebeneinander hin.

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Aber was fällt mir da ein!" unterbrach er sich und sah mich von der Seite an. Bei uns logiert die reizendste kleine Kreolin, die ich in meinem Leben gesehen habe; eine junge Witwe ohne Kinder. Und — merkwürdiges Zusammentreffen!

sie reist morgen nach Hamburg, mit demselben Dampfer wie Sie. Ich spediere sie. Alles Geschäft, Herr Dill. Jezt kann ich sie Ihnen rekommandieren vortrefflich! O, erschrecken Sie nicht; sie ist nicht ganz hohl inwendig; sie hat einen deutschen Mann gehabt, freilich nicht sehr lange; der arme Teufel ist vor kurzem am Fieber gestorben. Hinterlassen hat er ihr so gut wie nichts, und Verwandte hat sie nicht. Nun lassen die Eltern ihres Mannes die hilflose junge Witwe zu sich kommen. Ich habe die Angelegenheit vermittelt. Es ging mir nahe, daß ich die arme Kleine so ganz allein auf die weite Reise schicken mußte in ein fremdes Land. Gern behielten wir sie erst eine Weile bei uns, um sie etwas aufzumuntern

das hübsche Ding läßt den Kopf hängen und macht sich dumme Gedanken.

aber ich mußte meine Instruktionen befolgen. Nun wird wenigstens auf dem Schiff für sie gesorgt sein. Auch meine. Frau wird sich freuen, deren Mitleid mit Frau Kraushaar natürlich noch größer ist als das meinige."

Das war mir eine schöne Überrum

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Weiter kam ich nicht. Werning nämlich begann Kußhände in die Luft zu werfen und schenkte mir gar keine Aufmerksamkeit. Seinen Blicken folgend, gewahrte ich auf dem Balkon eines der nächstliegenden Häuser zwei Damen. Die eine, blonde, winkte mit dem Taschentuche Wernings Frau, ich konnte mir's denken; die beiden waren ja nicht einmal ein Jahr verheiratet und folglich noch verliebt wie ein Paar Turteltauben. Die andere, zartere, dunklere wer konnte sie anders sein als das mir zugedachte Mündel, Frau Kraushaar, die junge Witwe?

Es war zu spät zur Flucht; schon hat ten die beiden Damen mein Signalement aufgenommen und tauschten ihre Vermutungen darüber aus, wer ich wohl sein könne. Ich lüftete also artig den Hut und schritt ergeben über die Schwelle von Wernings Wohnung.

Hübsch genug war Frau Melissa Kraus haar, so hübsch, daß ich welterfahrener

alter Junggesell etwas befangen wurde, als sie mich mit ihren melancholischen Augen ansah und das Bedürfnis spürte, nach einem Spiegel zu laufen, um mich zu vergewissern, daß mein Backenbart wohlfrisiert sei. Sie hieß indessen den Reisebegleiter durchaus nicht mit der freudigen Überraschung willkommen, die sie billigerweise hätte an den Tag legen müssen. Gleichgültig wandte sie sich nach wenigen Worten von mir ab. Wenn ich ihre Miene richtig las, so dachte sie: Da es einmal nicht anders ist, so muß ich mir die Bekanntschaft gefallen lassen; intim aber werden wir beide nicht miteinander werden. Das hätte mir recht sein sollen, da es vortrefflich mit meinen eigenen Vorsägen harmonierte, aber es ärgerte mich; paßig drehte ich ihr den Rücken zu und begann eine lebhafte Unterhaltung mit Wernings munterer Frau.

Leugnen will ich nicht, daß ich von Zeit zu Zeit verstohlen zur Seite schielte, dahin, wo Frau Kraushaar saß. Aber Frau Kraushaar hatte meine Existenz allem Anschein nach längst vergessen. Sie bewegte langsam einen großen schwarzen Fächer hin und her und sah träumerisch hinaus in die rasch zunehmende Dunkelheit. Wunderschöne Augen hatte sie; nicht die gewöhnlichen spanischen Augen, die alle in der nämlichen Porzellanmanufaktur gebacken sein könnten, sondern mandelförmige Guckkästchen mit opalisierenden kastanienbraunen Linsen: etwas ganz Apartes. Wenn sie nur nicht die rosigen Lippen so troßig zusammengekniffen hätte, als ob sie mit der ganzen Welt in bitterster Feindschaft lebte!

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Gedankengang so schwer zu erraten ge- Gedanken so sehr überwältigt, daß sie wesen wäre!

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gänzlich vergaß, wo sie sich befand. Dann erinnerte sie sich wieder der Gegenwart; sie schrak zusammen, ließ die Arme sinken und sah sich rasch nach uns Sängern um. Ihr Blick traf auf das Spiegelbild meiner erstaunten Augen; verächtlich verzog sie das Mündchen und drohte mir mit der allerliebsten Faust, als ob sie sagen wollte: Warte nur, du neugieriges Subjekt, ich will dir dein Spionieren schon eintränken!

Mit dieser Grimasse wirbelte sie hinaus. Mir blieb das lezte Juvivallera in der Kehle stecken, so betreten war ich über das Benehmen der rätselhaften Schönen. Herr und Frau Werning hatten nichts bemerkt; erst nach dem nächsten Liede vermißten sie ihren Gast. Wann Frau Kraushaar

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Das Ehepaar lachte. Werning füllte die Gläser, stieß mit mir an, rief aufgeräumt: „Auf das Wohl der künftigen Frau Dill!" und intonierte: Hoch soll sie leben! Hell fiel die Stimme seines lustigen Weibchens ein. Mir war bänglich zu Mute bei diesem gutgemeinten Toast; ungeschickt fuhr ich mit meinem Glase an dasjenige von Frau Werning, so daß aus beiden ein Teil des Jnhalts verschüttet wurde.

Ich ließ mir's gesagt sein und trank ihr nicht wieder zu. Ich glaube, sie hat überhaupt nichts getrunken, oder doch nur so wenig, wie ein Vögelchen nippt. Desto mehr wahrscheinlich wir anderen. Wollte sich entfernt habe? fragte mich Frau Wersie nicht auftauen, so thaten wir's. Frau ning. Ich konnte mich nicht entschließen, Werning sprang ans Piano, und ihr Mann zu verraten, was ich gesehen hatte. „Ist sang zu ihrer Begleitung deutsche Volks sie denn fort?" fragte ich so unschuldig lieder, eins nach dem anderen. Ich brummte wie möglich und sah im Zimmer umher, mit, soweit ich den Text auswendig wußte. vom einen Stuhl zum anderen. Zuleßt, Nun: schön mag das Konzert gerade in meiner Verlegenheit, blieb mein Blick nicht gewesen sein, aber für eine Kreolin, an der Bowle haften. die noch niemals über ihre Heimatliche Insel hinausgekommen, war es immer gut genug. Frau Kraushaar indessen schien von unseren musikalischen Produk tionen geradezu unangenehm berührt zu werden. War sie vorher einsilbig gewesen und hatte nicht ein einziges Mal auch nur gelächelt, wenn wir über einen Scherz Wernings laut lachten obgleich sie, wie ich ihren Augen anmerkte, gut genug verstand, was gesprochen wurde, so verhielt sie sich jezt mäuschenstill und zog ein bitterböses Gesicht. Es dauerte nicht lange, da nahm sie die Gelegenheit wahr, als sie unsere Aufmerksamkeit durch ein kräftiges Juvivallera in Anspruch genom men glaubte, erhob sich ganz sachte und huschte davon. In dem Spiegel vor mir bemerkte ich das Manöver ganz gut. Ich verfolgte mit großen Augen die zier liche Gestalt, wie sie durch das Zimmer schwebte. Plöglich, vor der Thür, preßte sie beide Hände auf die Brust und erhob sie dann über sich, wie von tief schmerzlichen

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„O wch!" sagte die muntere Frau bedenklich; „das ist eine schlimme Vorbedeutung!"

Was ich denn zu fürchten habe? ver langte ich zu wissen.

Aber Frau Werning weigerte sich, mir Aufklärung zu geben.

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„Es ist ein alter Aberglaube," erwiderte sie endlich auf mein Drängen. „Niemand bekennt heutzutage mehr, daß er an dergleichen Dinge glaubt, und doch hört jeder ungern, wenn sich Zeichen am Himmel und auf der Erde gegen ihn deuten

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Am Vormittag des nächsten Tages fuhr ich mit Frau Kraushaar und Werning auf die Reede hinaus zu unserem Dampfer. Die junge Witwe hatte ihr Köpfchen der artig mit einem großen schwarzen Schleier umwickelt, daß ich durch die Maschen kaum ihre Augen finden konnte. Kein Sterbenswörtchen sprach sie unterwegs. Als wir aber unter der Schiffstreppe angekommen waren, reichte sie Werning beide Hände hin und sagte in deutscher Sprache: „Ich danke Ihnen herzlich für alle Ihre Güte, Ihnen und Ihrer lieben Frau. Leben Sie wohl!" Sie war bewegt, das arme, verlassene Geschöpf; rasch wandte sie sich hinweg; ein Matrose hob sie aus dem Boot, und im Nu war sie oben verschwun den.

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Werning sah mich von der Seite an. ,Sie nehmen sich ihrer an, nicht wahr, Herr Dill?" sagte er. ‚Doch, was frage ich, da Sie doch jedenfalls ein Herz haben? Ich habe Sie übrigens durch die Agentur dem Kapitän empfehlen und ihm mitteilen lassen, daß Frau Kraushaar unter Ihrem Schuße stehe. Reijen Sie glücklich! Ich muß eilen, daß ich wieder an Land komme. Lassen Sie von sich hören; in zwei Jahren besuche ich Sie!"

Da fuhr er hin, und ich kletterte lang sam empor zu meinem schönen Mündel. Wenn sie sich nur meine Bevormun dung gefallen ließ! Ich konnte schon froh sein, wenn sie mich überhaupt beachtete. Freilich beachten mußte sie mich wohl; der Kapitän hatte mir den Plaß bei Tafel neben dem ihrigen angewiesen. Bist du schon wieder da? sagten ihre Augen, als ich mich neben ihr niederließ. Und nach der Suppe: Wenn du mich doch mit dei nem Geschwätz in Ruhe lassen wolltest! Natürlich hatte ich versucht, sie zu unter

halten; ich hatte mich sogar bemüht, wißig zu sein, und ihr einige alte Schnurren aufgetischt. Es ging mir darum, sie einmal zum Lachen zu bringen. Und wenn sie auch nur gelächelt hätte, ich wäre zufrieden gewesen. Ich dachte mir nämlich, daß sie lächelnd noch weit, weit hübscher sein müßte, als sie in ihrem stillen Ernst war. Aber nicht die Spur eines Lächelns kräuselte ihre Lippen. Wie glücklich mußte sie mit ihrem Kraushaar gewesen sein!

Sehr lieb war mir's, daß sie nicht seekrank wurde. Die übrigen Passagiere verloren sich fast alle ziemlich rasch in die Stickluft ihrer Kabinen. Kurioses Volk war darunter: farbige Jünglinge von Haiti in buntkarrierten Anzügen, häßliche Söhne häßlicherer Väter, von diesen ausgesandt, um eine Zeit lang den Schaum von Paris zu schlürfen; alt und welk gewordene Bonnen, meist französischer Nationalität, mit einigen Sparpfennigen heimkehrend, um in einem Provinzialstädtchen einen kleinen Handel anzufangen; deutsche und englische Kaufleute mit Ledergesich tern, die mit einem mühsam erworbenen Leberleiden nach Karlsbad pilgerten u. s. w. Mit geheimer Freude hatte ich sie Revue passieren lassen; für Frau Kraushaar war kein Umgang darunter, urteilte ich; sie blieb auf mich angewiesen.

Indessen hatte ich zu früh triumphiert. Am nächsten Tage erschien bei dem Frühstück ein Mensch wie aus einem Modejournal. Alter etwa fünfundzwanzig Jahre, Wuchs schlank, Gesicht regelmäßig, mit einem allerliebsten schwarzen Schnurrbärtchen unter einer schmalen, wohlgeformten Nase, Augen braun und lebhaft, im Kinn ein Grübchen. Sein Anzug war elegant und saß musterhaft, viel besser als der meinige. Die Anwesenheit dieses Fremden genierte mich vom ersten Augenblicke an. Ich fragte den Kapitän nach ihm. Der Herr sei als John Cavendish aus Neu - Orleans eingeschrieben, erfuhr ich. Wie es denn zugehe, daß uns erst heute der Anblick seines Schnurrbartes zu teil werde? frug ich weiter. Der Herr sei gestern gleich nach Tagesanbruch auf

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