Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

gaste Fürstentum darbietet! In demselben Jahre 1856, wo er die Genehmigung zur Errichtung einer Spielbank giebt, stiftet der souveräne Herr von zwei und einem halben Quadratkilometer Land einen eige nen Ritterorden. Die Bank selbst hat neuerdings ein prachtvolles Gotteshaus zu Ehren des heiligen Karl errichtet, und der vom Spielpächter appanagierte Fürst steht zum päpstlichen Hofe in intimem diploma tischen Verkehr. Die reich entwickelte offizielle und offiziöse Litteratur fließt über von Byzantinismus; man staunt, wenn man von all den Verdiensten des regierenden Hauses liest, z. B. von dem „ruhmvollen Feldzug", welchen der Erbprinz Albert im Jahre 1870 mit der französi schen Flotte in den deutschen Gewässern unternommen. Und dem gegenüber erblüht zugleich eine jährlich wachsende Pamphletensammlung, welche die verhängnisvol len Wirkungen der fürstlich approbierten Spielbank, die Familiendramen, welche sie veranlaßt, mit moralischer Entrüstung darlegt.

In ihrem wohlverstandenen Interesse hat die Bank jährlich sehr erhebliche Sum men für die Verschönerung des Ortes ausgegeben; belaufen sich doch auch angeblich ihre jährlichen Reinerträgnisse auf 14 Millionen, die jährlichen Unkosten auf etwa 20 Millionen Franken. Das Kasino selbst, welchem der Erbauer der Pariser Oper, Garnier, jüngst ein phantastisch überreiches Äußere verliehen, ist zwar mit Ausnahme des Theater saales keine hervorragende architektonische Schöpfung; aber die gärtnerischen Anlagen, welche es umgeben, sind von geradezu märchenhaftem Reiz. Natur und Kunst haben auf dem Gebiet der Landschaftsgärtnerei hier vielleicht den schönsten Bund auf Erden geschlossen. Wenn je, so darf man hier von paradiesischer Schönheit reden: dort neben den dichten Gruppen von Palmen geht der Blick hinaus auf das leuchtend blaue Meer und den herrlichen Linienzug der Küste bis Ventimiglia und Bordighera; da blickt man zwischen hohen Bananen und dem

prächtigen, auch am heißesten Tage undurchdringlichen Schatten gebenden Gummibaum hinüber auf die malerisch am Bergeshang ansteigenden, gärtenumschlossenen Villen, und in der Ferne über Ölbäume und duftende Orangenhaine auf das pittoresk am hohen Felsen klebende Roccabruna. Schweift aber das Auge über das palmenbestandene prachtvolle Garten - Parterre vor dem Kasino hinauf zum Saume des Hochgebirges, so grüßen dort oben, sich scharf vom blauen Äther lösend, die mächtigen Trümmer des Augustusdenkmals. Dies alles im zauberhaften Glanz der südlichen Sonne! und fast noch schöner, berauschender, wenn im Vollmond das Meer wie in flüssigem Silber erzittert. und das weiche blaue Licht des Nachtgestirnes die scharfen Gegensäße der Tagesbeleuchtung mildert! Wahrlich ein Ort wie wenige seinesgleichen in der Welt! Nur im Golf von Neapel habe ich wieder einen gleichen Reichtum der Beleuchtungstöne gefunden! — Wenn hier einmal Roulette und Karten ihr unheimlich Spiel beendet, die zweifelhafte Gesellschaft, welche deren Gefolgschaft bildet, sich zerstreut haben wird, dann erst wird MonacoMonte Carlo zu verdientem Rufe gelangen. Kein Ort der Riviera kann sich mit ihm an eleganter Schönheit messen seien wir gerecht! nur die Millionen, welche der Spielbank zur Verfügung standen, konnten den öden Felsen in das heutige Paradies umwandeln. Schwer genug wird dereinst schon die bloße Erhaltung des Vorhandenen sein; sind doch Beispiels halber in den Parkanlagen allein täglich einhundertachtzig Arbeiter beschäftigt, deren Zahl gelegentlich bis zu dreihundert wächst.

und,

Aber Monaco wird niemals ein em= pfehlenswerter Aufenthalt für Brustkranke sein; ihm fehlt, was Mentone in reichem Maße besißt: Spaziergänge in der Ebene und im Walde oder wenigstens in baumreicher Campagna. Es ist das ein in der medizinischen Litteratur meines Wissens noch nicht hinreichend betonter Vorzug Mentones vor seinen Konkurren

ten. Ich habe mir das Vergnügen gemacht, meine Nachmittagsexkursionen von ein bis zwei und einer halben Stunde Ausdehnung hier sechsundfünfzig Tage hintereinander zu notieren; sie führten jedesmal auf anderen Pfaden und gewährten jedesmal neuen landschaftlichen Genuß.

Erinnerung; jezt suchte er es seiner Ruhe und Einsamkeit wegen auf, da fast hoffnungsloses Lungenleiden ihn zum Süden trieb. In zwei hintereinander folgenden Wintern fand er hier Genesung und wurde. nun in Wort und Schrift der begeisterte Prophet Mentones. Schnell stieg jezt die Zahl der Wintergäste: 1861 bis 1862 Die Entwickelung Mentones als Kur wurden 93, im folgenden Jahre bereits

[graphic][ocr errors][merged small][merged small][merged small][merged small][merged small]

der geschüßten, aber durch das steiler abfallende Gebirge weniger Promenaden bietenden Ostbucht gelangte allmählich die Westbucht mit ihrem ausgedehnten Vorland mehr in Aufnahme. Bis tief in die Thäler hinein erwuchsen nach und nach Villen, und schon steigen hier und da mächtige Terrassenbauten die Hügel hinan, um auch ihre aussichtsreichen Höhen mit einzubeziehen in die Fremdenstadt. Ganz neuerdings aber kommt doch auch die eine Zeit lang in ungerechtfertigter Weise ver nachlässigte Ostbucht wieder mehr zur Geltung. In den hier besonders üppigen Oliven- und Orangenhainen der Vorberge entstand in den lezten Jahren eine Reihe herrlich, wenn auch etwas abseits vom Wege gelegener Villen reicher Engländer.

Während die ungefähr 5000 Einwohner zählende Altstadt, wie alle Küstenorte der Riviera, eng auf ihren Felsgrat zusammengedrängt ist, hat sich die moderne Stadt über ein weit ausgedehntes Areal verbreitet; galt es doch, jeder Villa, jedem Hotel einen möglichst großen Garten zu erhalten. Durch das stets weiter grei fende Vordringen der Häuser aber verschwinden immer mehr die Citronen, Orangen- und Ölbaumwälder, welche einst die Altstadt in weitem Gürtel umschlossen; immer mehr auch verlieren die Erträg nisse dieser Bäume an Bedeutung im wirt schaftlichen Leben Mentones.

Nirgends an der Riviera gedieh früher die Citrone so gut wie auf der Campagna von Mentone; ihr Ruf reichte bis über den Ocean. Alljährlich erschienen im Hafen zwei amerikanische Schiffe, um hier Citronen zu laden. Da kam eines Tages Klage von drüben: die Frucht, die bisher stets so gut angekommen, sei diesmal beim Löschen der Ladung bereits viel fach durch Fäulnis verdorben gewesen. Und dieselbe Klage erneuerte sich im näch sten, im dritten Jahre. Seitdem sind die überseeischen Verbindungen abgebrochen! -Der Citronenhandel wirst reichen Gewinn ab, doch er verlangt sorgfältige Behandlung der Frucht. Viererlei Art von

"

"

Citronen unterscheidet der hiesige Landmann: die Graneti" im Frühjahr, die Verdami" im Sommer, die Prime-Fiou und Segunde-Fiou im Winter; aber nur die Verdami vertragen im Zustand der Reife weite Reisen. Doch darf auch bei ihnen nie Fallobst untergemischt werden; sorgfältig müssen die einzelnen Stücke allseitig getrocknet werden, damit keine Feuchtigkeit auf der Oberfläche bleibe, dann werden sie einzeln in Papier gewickelt und in Kisten verpackt. Das verlangt natürlich viele Hände. Diese aber begannen in Mentone zu fehlen, seit der vermehrte Fremdenzufluß eine Fülle von neuen Arbeitsquellen schuf. Schlechte Auswahl und schlechte Verpackung hatten die Ware verdorben und das Geschäft vernichtet.

Und Ähnliches vollzog sich in der Kultur der Olive. Vortrefflich gedeiht sie auf den trockenen Felsenküsten des Mittelmeeres, und hoch ist der Ertrag, den ein geschickter Landwirt aus ihr zu ziehen versteht; wenn auch bei der sorgfältigsten Pflege die Ernten ungleich ausfallen. Höchstens jedes zweite Jahr giebt eine gute, so daß bei statistischen Berechnungen über die Erträgnisse des Ölbaums stets als Durchschnittsmittel eine Periode von zwei Ernten zusammengefaßt wird. Ein alter, gut ge= pflegter Ölbaum soll im Durchschnitt 130 bis 150 Liter Oliven, in einzelnen Fällen selbst bis zu 600 Liter geben; und die Mühle preßt aus der Frucht ein Achtel ihres Volumens reines Öl. Man berechnet den Bruttoertrag von einem Hektar Ölbaumkulturen auf 2000, den Reingewinn auf 1000 Franken für die zweijährige Periode. Aber noch ungleich mühseliger als die Behandlung der Citrone ist die Ernte der Olive. Die kleinen Früchte fallen reif vom Baum und müssen von dem vorher sorgfältig gesäuberten Boden einzeln aufgelesen werden. Diese Ernte geht durch mehrere Monate ununterbrochen fort, eine Arbeit, die wieder viele Personen und noch dazu während des Winters auf der Höhe der Saison beschäftigt. Seit nun seine Frau und Töchter für die Fremden arbeiten, fehlt

es dem kleinen Bürger, der fast stets sein Stückchen „Campagna“ besißt, welches er mit seiner Familie oft allein bestellt, zu sorgfältiger Ernte an geeigneter Arbeits kraft. Da legt er denn auf die Erhaltung eines Besizes, der seit Jahrhunderten seinen Vorfahren eine gesicherte Existenz gewährte, jest weniger Wert. Neue Olivenkulturen sind wohl schon seit lange nicht mehr angelegt; für unsere raschlebige Zeit entwickelt sich der Baum zu langsam; ziehen doch im Durchschnitt erst die Söhne oder gar die Enkel den Gewinn aus der Arbeit ihrer Vorfahren. Aber die ein mal erträgnisreiche Kultur bleibt es auf lange Zeit hinaus. Wenn die wunderlich verwitterte und zerfeßte, knorrige Gestalt eines alten Ölbaumes auf tausendjähriges Alter zu deuten scheint, so täuscht hier das Äußere in der That nicht. Will man doch bei einzelnen Exemplaren, ähnlich dem australischen Eukalyptus und der amerikanischen Sequoia, bis zu dreitausend Jahrringe gezählt haben. Jahrhunderte vergehen, bis der Baum erhebliche Stärke erreicht; dann verrottet der Kern, es bil den sich erst Löcher, dann größere Risse in der Rinde, endlich spaltet sich der Stamm in seiner ganzen Länge in mehrere Teile, und um jeden derselben schließt sich im Lauf der Jahre wieder die Rinde, so neue selbständige Stämme bildend. Aus dem abgestorbenen Herzen aber schießt wieder ein Trieb, allmählich das Innere ausfüllend. Und aus den weit sich streckenden, all gemach mehr und mehr zu Tage tretenden Wurzeln wachsen endlich neue Schößlinge auf, mit der Zeit selbst wieder kräftige Stämme bildend. Das alles zusammen aber doch nur ein Baum, dessen einzelne Teile sich freilich oft kraus und wunderlich genug ineinander verschränken, ein seltsam knorrig und altertümlich Wesen zur Schau tragend. Prachtexemplare der Art bietet der Wald auf dem Cap Martin. Man glaubt es diesen ehrwürdigen, an ihrem Fuße mitunter mehr als fünf Meter im Umfang messenden Baumpatriarchen gern, daß sie vieler Menschen Geschlechter, viel Wandel der Zeiten" gesehen. Aber auch

ihre Stunde hat geschlagen; alljährlich legt sich die Axt des Holzfällers an ganze Reihen von ihnen, Platz für Villenbauten zu schaffen und für Weinbergsanlagen. Seit die Phylloxera in den alten Weinlanden Frankreichs ihr Vernichtungswerk treibt, ist die Kultur der Rebe hier in ganz anderer Weise nußbringend geworden als früher. Sie verdrängt längs der ganzen Riviera mehr und mehr den Ölbaum.

sehr zum Nachteil der Landschaft. Im ganzen haben die Eingeborenen Mentones von den Quellen des Reichtums, die der Zufluß der Fremden hier eröffnet, nur sehr einseitig Vorteil zu ziehen gewußt. Um nahezu 5000 Köpfe ist die Einwohnerzahl durch Zuzug gewachsen, und diese Landfremden, nicht die Eingeborenen, sind es, welche den Hauptgewinn von den Wintergästen ziehen. Nur sehr wenige Hotels sind in den. Händen von Mentonesen, ebenso gehören die meisten und zwar gerade die besten Geschäfte Fremden; fast alle Kutscher sind Italiener, das gesamte Hotelpersonal Ausländer, und so geht es fort. Zäh am Alten festhaltend, trotz der Umwälzungen, die sich um ihn vollzogen haben, sich möglichst eng abschließend, wenig unternehmungsluftig und anstellig, alles Fremde beargwöhnend, ohne rechte Vorstellung vom Wert der Zeit und von den Errungenschaften moderner Technik, lebt der Mentonese in den. Tag hinein. Noch immer, wie vor Jahrtausenden, malen Wassermühlen einfachster Konstruktion das Öl, und niemand bekümmert sich um die dabei verloren gehenden Stoffe; noch immer werden Orangen und Citronen mit der Hand geschält, um aus der Schale die flüchtigen Öle zu gewinnen; noch immer arbeiten die Parfümdestillationen im Handbetrieb; noch immer steht die Gartenbaukunst auf niedrigster Stufe. Muß doch heute schon ein großer Teil der im Orte selbst während der Saison täglich gebrauchten Blumen aus Cannes und Bordighera geholt werden, während bei verständiger Kultur der Boden hier ein einziges großes Blumenbeet sein und dadurch der Handel mit frischen Blumen so

wohl als mit den Extrakten einen ganz anderen Aufschwung nehmen könnte, als er ihn heute besißt. Statt dessen ist von den beiden hier früher vorhandenen groBen Parfümfabriken eine eingegangen; die Existenz der anderen sichert vornehmlich Deutschland: sie ist der Hauptlieferant des Rohstoffes für die Eau de Cologne.

Viel ist auch gesündigt worden bei dem allmählichen Anbau der Fremdenstadt. Es fehlte an einem festen Bebauungsplan; in willkürlicher Verteilung entstanden die Gebäude auf den Äckern, gelegentlich wich tige, auf die Dauer unentbehrliche Kommunikationen verstopfend. Dem so entstandenen Übel abzuhelfen, ist es ganz neuerdings einem thatkräftigen Maire gelungen, vom Staate eine Anleihe von 212 Millionen Franken zu erlangen. Die Anlage eines neuen, die beiden Buchten

verbindenden Boulevard ist geplant, zum Teil schon in Ausführung; ebenso soll der Quai längs des Meeres um die Altstadt herumgeführt werden, um so eine Promenade hart am Meeresstrand von über fünf Kilometer Ausdehnung herzustellen. Darüber hinaus liegt eine ganze Reihe anderer mehr oder weniger wichtiger, sämt lich wünschenswerter Pläne vor, die zum Teil freilich noch auf heftigen Widerstand in der alten Bevölkerung stoßen. Aber schon gehen die Mittel zur Neige: die unerhörten Grundstückpreise haben große Summen verschlungen. Gelingt es jedoch einer hoffentlich nicht fernen Zukunft, das heute auf dem Papier Geplante ins Leben zu rufen, dann darf Mentone auch als Stadt auf das Prädikat Anspruch erheben, welches es landschaftlich schon immer verdiente: die Perle der Riviera.

[graphic][merged small]
« ZurückWeiter »