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geborenen Fräuleins Gibert de Lames. In der Regierung des Landes ändert er wenig: dem dringenden Verlangen der Bevölkerung weichend, ermäßigt er zwar die Exportzölle und hebt das Monopol auf die Bäckerei auf; andere Steuern aber müssen den Ausfall decken, so daß die Summe der Auflagen sich nach wie vor auf 300 000 Franfen beläuft.

Doch die Zeiten waren andere geworden. Honorius, dem eine Reihe persönlicher Eigenschaften zur Seite stand, hatte sich die Bevölkerung in schweigendem Gehor sam gefügt; mit Bestimmtheit aber er wartete sie einen Systemwechsel von sei nem Nachfolger. Als dieser ausblieb, fing es an unruhig zu werden im Lande: zunächst gelangten Vorstellungen und Proteste an den Fürsten, denen gegenüber dieser anfänglich eine sehr entschiedene Sprache redete. So kam das Jahr 1846, und mit ihm das Unerhörte in Rom. Auf den Stuhl Petri gelangte ein Papst, der die Hoffnung erweckte, sich an die Spize der Freiheits- und Einigungsbestrebungen des italienischen Volkes stellen zu wollen! Wie schnell auch dieser Traum als Trugs bild zerrann, seine Wirkung war bis in

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die fernste Grenzstadt Italiens gedrungen, überall das politische Selbstbewußtsein der Bevölkerung weckend. Und gerade der Staat, der in der einmal ins Rollen gekommenen Bewegung bald genug als „die Zukunft Italiens" hervortrat, Sardinien, war der völkerrechtlich gesezte Schußherr Monacos; seine Truppen bildeten die Garnison im Lande. Nach Turin richteten sich deshalb naturgemäß die Augen der hilfesuchenden Monegasken, von Karl Albert Erlösung von der Bedrückung erhoffend. Am 4. November 1847 feierte man seinen Geburtstag in Mentone in demonstrativer Weise. Es war dies das erste bedeutungsschwere Zeichen von dem, was in der Bevölkerung bereits erwogen wurde. Noch schien es aber eine Zeit

lang, als ob die Gegensäße sich aussöhnen kehr unter das Scepter des Fürsten war ließen; doch die Dinge drängten vorwärts, allein das, was man fürchtete. mit hingerissen durch die Ereignisse in Nicht leichten Herzens konnte man indes ganz Europa. Mit Versprechungen, denen in Monaco den Verlust von vier Fünfer doch keine rechte Folge giebt, sucht der teln des ehemaligen Gebietes verschmerzen. Fürst das Stürzende zu retten: die Schar Von den Fenstern des alten Schlosses der der Unzufriedenen wird so nur vermehrt. Grimaldi schaut man hinüber auf das Die beiden Orte Mentone und Rocca- Felsennest Roccabruna; kaum vier Kilobruna, die See- und die Bergstadt, ver- meter beträgt die Entfernung in der einigen sich endlich zu gemeinsamem Bunde, Luftlinie. Manches der alten Geschüße, während die kleine Residenz Monaco mit die auf dem Plaze vor dem Schlosse ihrer Einwohnerschaft von Beamten und als Schaustücke einstiger Monegasker vom Hofe abhängigen Personen treu Kriegsherrlichkeit liegen, hätte seine Kuzum Fürsten hält. Am 2. März 1848 geln von dort aus hinübergetragen bis wird in Mentone die italienische Flagge in das Gebiet der rebellischen Städte. entrollt: die Lösung vom bisherigen Und in unmittelbarer Nähe, am HerkulesStaatsverband ist vollzogen, der An- hafen vorüber, segelten die wohlbekannten schluß an Sardinien wird offiziell nach Schiffe Mentones, mit ihren trikoloren. gesucht. Wimpeln das Andenken an den schmerzvollen Verlust jener Stadt erneuernd.

Aber der häusliche Zwist des Fürsten tumes greift damit in die Interessensphäre der europäischen Großmächte über. Wohl möchte Sardinien, dem Gesuch willfah rend, die Annexion vollziehen; doch an der Seine ist man eifersüchtig, und die dortigen Bedenken schrecken Karl Albert. Vergeblich müht sich Mentones wackerer Patriot Carlo Trenca in jahrelangen Verhandlungen in Turin und Paris; er erreicht allein die stillschweigende Anerkennung der Freien Stadt Mentone", wie die beiden zu einer politischen Gemeinde vereinigten Orte sich nennen, unter sardinischem Protektorat.

Freilich fühlte alle Welt, daß dies nur ein Provisorium, welches das nächste größere politische Ereignis in Europa beseitigen mußte. So fand schließlich die Bedingung des Friedens von Villafranca, welche mit der Grafschaft Nizza auch den kleinen Freistaat Frankreich zusprach, die Mentonesen kaum mehr widerwillig. Durfte man nun einmal nicht italienisch werden, worauf Interessen- und Stammesgemeinschaft die Bevölkerung wies, so war man mit dem Aufgehen in Frankreich zufrieden, denn der Anschluß an den Großstaat versprach wenigstens wirtschaftliche Vorteile mancherlei Art. Die Selbständigkeit hatte sich als ein Unding erwiesen; die Rück

Aber das Zerrbild des Großen im Kleinen hat stets etwas Lächerliches. So fehlt es auch dem unblutigen Kampf zwischen dem Fürsten und den abtrünnigen Städten nicht an komischen Scenen. Der Freistaat verbietet seinem ehemaligen Landesherrn, sein Gebiet zu betreten, ihm so den Landweg nach Italien verlegend, da er auf demselben die Republik in ihrer ganzen Ausdehnung etwa fünfzig Minuten lang -hätte durchfahren müssen. In Mentone aber schreckt von Zeit zu Zeit der Ruf „Sie kommen!" die Bevölkerung hinaus auf die Gasse, um nötigenfalls mit den Waffen in der Hand einem Gewaltstreich zu wehren. In der That kam es am 6. April 1854 zu einer Art von tragikomischem Staatsstreich: In großer Galauniform in sechsspänniger Staatskutsche fuhr der Erbprinz Karl von Monaco in Mentone ein, hoffend, daß bei seinem Erscheinen die Bevölkerung ihm zufallen werde; unter dem Hohn der Einwohner aber wurde er genötigt, sein Gefährt zu verlassen, und darauf von dem Gendarmenwachtmeister verhaftet. Man sandte ihn als Gefange nen nach Nizza an die fardinische Regierung.

Die längst eingetretene Duldung zwi schen den feindlichen Parteien erhielt end

lich im Frieden von Villafranca ihre offizielle Bestätigung, indem Frankreich dem Fürsten Karl III., der im Jahre 1856 seinem Vater gefolgt war, für den Ver zicht auf seine Ansprüche bei der Annexion der beiden Städte eine Entschädigung von vier Millionen Franken zahlte. Seitdem bildet Mentone zusammen mit Roccabruna, Gorbio, St. Agnes und Castellar einen Kanton im Arondissement Nizza des französischen Département des Alpes maritimes.

Schon im vorigen Jahrhundert wurde die milde Luft Italiens und des südlichen Frankreichs den Nordländern vielfach als Heilmittel für die Krankheiten der Respira tionsorgane empfohlen. Zum Aufenthalt der Leidenden aber waren damals bei dem mangelnden Komfort auf dem Lande nur die größeren Städte geeignet. Unter ihnen erfreute sich Montpellier in der Provence eines besonderen Rufes, der freilich nach der heutigen Anschauung höchstens im Bestehen der dortigen altberühmten Medizinerschule, nicht aber in den klimatischen Bedingungen des windigen und relativ falten Ortes seine Berechtigung hatte. Neben Montpellier war an der eigent lichen Riviera Nizza schon damals viel empfohlen. Welche Widerstandsfähigkeit aber mußte ein Patient besigen, um die Beschwerden jener langen und müh seligen Fahrt die wir aus Thümmels „Reise in das mittägliche Frankreich" ja kennen ohne Nachteil für seine Gesundheit zu überwinden! Erst mit der Erleichterung des Reisens, welche der allmähliche Ausbau des europäischen Eisen*bahnnezes heraufführte, konnte deshalb der Süden für größere Mengen von Kranken vorteilhaft verwertet werden. Neben Nizza erblühte zunächst, durch Lord Brougham in Mode gebracht, Cannes, ferner Hyères und eine Anzahl anderer Orte auf der Straße von Nizza nach Marseille. Mit dem wachsenden Fremdenstrom aber konnte nicht ausbleiben, daß allmählich die ganze Küste meteorologisch und physikalisch ge

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nauer durchforscht wurde. Dies ergab, daß gerade die in den bisher bevorzugten Gegenden herrschenden Winde, namentlich der gelegentlich mit einer Gewalt, die Häuser abdeckt und Bäume entwurzelt, daherbrausende Mistral, einen verhängnisvollen Gegensatz zu den Segnungen der wärmenden Sonne bilden; und ferner, daß, je weiter man längs der Riviera nach Genua hin fortschreitet, der Mistral desto mehr an Kraft verliert, bis allmählich, im Gegensatz zu diesem Winde von vorherrschend westlicher Richtung, die östlichen Luftströmungen an Gewalt und schädlicher Wirkung zunehmen. Zwischen dem Machtgebiete beider liegt eine Art neutraler Zone, der relativ windstillste und zugleich durch die Formation des Hinterlandes der geschüßteste und wärmste Teil der Riviera. Westwärts bildet ziemlich jäh, unmittelbar vor Nizza, die Landzunge von Villafranca die Grenze; ostwärts schließt dieser Strich etwa mit der Gegend von Taggia.

Im landschaftlich schönsten Teile dieses bevorzugten Gebietes nun liegt Mentone. Die Natur hat es in verschwenderischer Weise mit allen Bedingungen für einen klimatischen Kurort ausgestattet, und troß der Judolenz seiner Bewohner und der geringen Fürsorge der französischen Regierung wird Mentone dank diesen natürlichen Bedingungen stets den Vorrang vor dem rein klimatisch etwa gleich begünstigten Rivalen San Remo behalten, so sehr auch dort die verständige Energie der italienischen Staats- und Kommunalbehörden vereint für die Hebung des Ortes wirken.

Abgesehen von diesen beiden Hauptstationen ist das ganze etwa fünfzig Kilometer messende Gebiet im Begriff, sich in seiner vollen Ausdehnung in eine Villenkolonie zu verwandeln. Eine Anzahl von Aktiengesellschaften, in erster Linie der Crédit foncier de Lyon und die Société ligurienne, haben weite Strecken der Küste aufgekauft und parzelliert; und ihr Beispiel lockt natürlich die Privaten zur Nachfolge. So sieht man denn heute allerwegen längs der Bahn die wiederkehren

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erworben worden; - und der Erfolg des Nachbars lockt immer wieder den Nach barn. Mit geschäftiger Hand arbeiten die kleinen Grundbesizer daran, ihre bisherigen Nährquellen, die Oliven- und Agrumenkulturen, zu vernichten, um das Ter rain als Baugrund für Villen und Hotels momentan höher zu verwerten. Aber der Rückschlag kann nicht ausbleiben, ja steht wohl schon vor der Thür: immer neue Centren des Fremdenverkehrs entstehen; die Wintergäste werden sich deshalb mehr und mehr über die ganze Riviera aus breiten, zumal das Zusammendrängen der Brustkranken zu größeren Mengen medizi nisch nicht gerade wünschenswert erscheint.

in lebhaftem Aufschwung begriffen; Eza, Beaulieu, Villefranche sind gewissermaßen. Vororte für Nizza und Monte Carlo geworden. In Ospedaletti hat über dem. kleinen armseligen Flecken eine Aktiengesellschaft ein Kurhaus und mehrere Hotels errichtet, in denen jezt die durch Brehmer und Dettweiler in Deutschland in Aufnahme gebrachte und mit so viel Erfolg betriebene Anstaltsbehandlung der Phthise eingeführt ist. Freilich versichert man, daß zu dieser Einkehr in das sanitäre Gebiet aus Not gegriffen wurde, nachdem die italienische Regierung der geplanten Errichtung einer Spielbank ihre Genehmigung versagte. Das Beispiel vor.

Monaco fonnte in der That verlockend wirken! Von

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allen

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Villenkolonie entstanden, die ostwärts
von der Altstadt ziemlich das ganze
bebaubare Areal des Fürstentumes
überzieht. Im Jahre 1856 hatte der
Fürst einer Aktiengesellschaft die Geneh-
migung zur Errichtung einer Spiel-
bank in Monaco selbst gegeben. Drei
Jahre später wurde die Gesellschaft
unter Eintritt des bekannten Hombur
ger Spielpächters Blanc neu konsti-
tuiert und ihr zur Erbauung eines Ka-
sinos die Felsenflippe „les Spelugues"
überwiesen, welche, als Gegenstück
zum Stadtfelsen, den Hafen auf der
Ostseite begrenzt. Der Kontrakt wurde
auf sechzig Jahre abgeschlossen, der
jährliche Pachtzins auf 50000 Fran-
ken festgeseßt. Zugleich verwandelte
sich der ominöse Name des Gebietes
zu Ehren des Fürsten in den klang=
volleren Monte Carlo". Die schnelle
Entwickelung des Ortes aber datiert erst
von der Zeit an, wo Blanc die Privi-
legien der Gesellschaft für eigene Rechnung
erwarb (1868). Damals drohte ein zwi-
schen dem Fürsten und dem bisher treu
gebliebenen Rest seiner Unterthanen aus
gebrochener Konflikt der staatlichen Selbst
herrlichkeit Monacos überhaupt ein Ende
zu machen, denn der Anschluß an Frank
reich, von dessen Gnaden der kleine Staat
ja überhaupt nur lebt, wurde ernstlich in
der Bevölkerung erwogen. Da trat der
- August 1884. Fünfte Folge, Bd. VI. 35.

"

Monatshefte, LVI. 335.

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Die Altstadt Monaco und der Hafen
von Monte Carlo aus gesehen.

Spielpächter, um dessen Geschäft es bei dent Aufgehen in Frankreich geschehen wäre, vermittelnd zwischen Fürst und Volk; dem letteren wurde völlige Abgabenfreiheit, dem ersteren das gewünschte Einkommen durch Erhöhung des Pachtzinses der Bank gewährt und dieser letteren endlich dafür einige weitere Privilegien verliehen. So war allen Ansprüchen und Wünschen genügt und das bedenkliche Geschäft konnte fröhlich weiter betrieben werden! Es ist ein wunderliches Gemisch von Naivetät und Unmoral, welches dies mone

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