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In nicht minder überraschender und fesselnder Weise als dem Sänger von Sabinum hat unser Künstler dem buko lischen Poeten von Syrakus sein geheim stes Wesen abgelauscht und dasselbe frisch und triebkräftig zu neuem Leben emporblühen lassen. Das dritte Idyll des Theokrit, in welchem wir den jungen Daphnis liebesfrank der entflohenen schönen Nymphe Amaryllis nachseufzen hören, ist es, durch das Böcklin zu seinem reizvollen Gemälde „Des Hirten Liebesklage" angeregt wurde. Aber hier so wenig wie dort hat sich der Maler in ein vom Dichter abhängiges Verhältnis begeben. Die Gesänge der Poeten sind für ihn der tönende Hauch, auf dessen Luftwellen der in Lieder umgesezte Geist der alten Griechen- und Römerzeiten fortschwingend nach hallt bis in unsere Tage. Den innersten Gehalt dieses Geistes hat der neuzeitliche Künstler in sich aufgenommen und aus ihm heraus Bilder geschaffen, die mit voller Beredsamkeit zu jedem für künst lerische Eindrücke Empfänglichen sprechen, sollte derselbe auch nie eine Ode des Horaz oder ein Idyll des Theokrit gelesen haben. Oder bedarf er eines Kommentars, der kaum ans Jünglingsalter heranreichende Knabe, den wir da an einem grün über wachsenen Erdabhang lehnen sehen? Nur mit einem kleinen Schürzchen aus Ziegenfell bekleidet steht er vor uns, den schwarzlockigen Kopf ein wenig seitwärts und in den Nacken zurückgeworfen, die dunklen, schwärmerisch glänzenden Augen nach oben gerichtet, ein schmerzliches Zucken um die Lippen, die geöffnet sind, um den Ton seiner sehnsüchtigen Gesänge an die spröde Schöne in die Luft hinaushallen zu lassen. Das angeborene lebhafte Gebärdenspiel des Südländers läßt ihn unbewußt seine Liebesklage durch eine gewissermaßen die unsichtbare Schöne beschwörende Bewegung der Linken begleiten, während seine Rechte die Hirtenflöte faßt, die er bis nahe zur Mundgegend emporgehoben hält, um durch melancholisch getragene Zwischenspiele den Ton seiner Gesänge fortzuspinnen.

Die unsichtbare Schöne?

Sie ist es für ihn. Die Ephen- und Rosengewinde, die den Eingang der hinter ihm gelegenen Grotte phantastisch umranken, würden ihm, auch wenn er den Kopf wendete, verhüllen, was im Inneren der Grotte ist. Deutlich genug sagt uns zugleich der ins Blaue gerichtete Blick seiner feucht schimmernden Augen, daß der Jüngling nicht weiß, wo er die geliebte Nymphe zu suchen habe. Würde er sonst einen Augenblick zögern, die glühenden Blicke voll auf sie zu heften? Nur ganz insgeheim scheint dem aus seinen Zügen sprechenden heißen Verlangen, daß sie ihn hören möge, die leise bebende Ahnung beigesellt, sie höre ihn in der That. Daß diese Ahnung ihn. nicht täuscht — uns ist es kundgegeben. Heimlich sacht ist die schlanke Nymphe aus dem Grund ihrer Grotte emporgetaucht und hat sich innerhalb derselben, in ihre zarten, silberweiß schimmernden Schleier gehüllt, unfern dem Eingang niedergelassen. Da sizt sie, das feine Kinn mit dem weichen Grübchen anmutig durch zwei Finger der Linken gestüßt; das Köpfchen lauschend zurückgeworfen, wobei das tadellose Oval des Antliges reizend zur Geltung kommt; die Lippen halb geöffnet, als wolle der Mund dem Ohre beistehen, die schmeichelnden Klänge aufzusaugen. Innig befriedigte Mädcheneitelkeit leuchtet aus den klaren, weitgeöffneten Augen, deren große Sterne der Richtung folgen, aus der die Klänge zu ihr gelangen. Jeder Zug, jede Bewegung ist von berückender Grazie bis hinaus auf die wohl nicht ganz unbewußte Eleganz, mit welcher die Rechte die Schleier zusammenrafft. Man begreift, wie der soeben erst zum Jüngling reifende Hirtenknabe, der diese ätherische Gestalt einmal flüchtig an sich vorüberhuschen, ihm holdselig nicken und kokett zulächeln sah, nun von brennendem Liebesweh um die ihm spurlos Entschwundene verzehrt. werden kann. Und mit welcher Meisterschaft bringt der Künstler uns zur Empfindung, wie die beiden Wesen, die auf seiner Bildfläche so nghe aneinander gerückt erscheinen, gleichwohl zwei völlig voneinander geschiedenen Welten ange

hören! In den blühenden Farben eines | hat auch an diesem Gemälde Böcklins

keine anderen Beziehungen herausfinden wollen als eine feine humorvolle Satire des Künstlers auf die süßliche“ Idylle Theokrits. Es ist das so ziemlich genau dieselbe Erscheinung, die Heinrich Heine erleben mußte, und die, einen in ihm schlummernden Funken zur züngelnden Flamme anfachend, ihn zum jähen Überspringen auf den Ton zersetzender Selbstpersiflage reizte; — dieselbe Erscheinung, die einem Musset die tiefen Seufzer erpreßte über „ce siècle où nous sommes".

Glücklicher Maler, der einfach seine phantasievollen Gestalten künstlerisch durchgebildet den Beschauern vor Augen führt und es ihnen anheimgestellt läßt, was jeder von ihnen für seine persönliche Auffassung herauszulesen für gut findet!

heiteren Sommertages schimmernd, um geben die anziehend aufgebauten Vordergrundpartien den Knaben, dessen nackter Körper in seiner vollendeten Durchbildung eine kräftige, ein wenig sonnengebräunte Färbung zeigt. In der Grotte dagegen waltet der blaue Flimmer eines wasserumflossenen Geisterreichs. Innig verwoben in den kühlen wenig körperhaften Gesamtton ihrer Umgebung, erscheint die Nymphe durch die koloristische Wirkung dem Auge des Beschauers viel ferner gerückt, als sie es den perspektivischen Verhältnissen nach ist. Es bemächtigt sich unserer die Empfindung, als gähne zwischen den beiden Gestalten, die augenblicklich nicht nur räumlich einander immerhin ziemlich nahe gestellt, sondern zugleich in tiefe seelische Beziehungen zueinander getreten erscheinen, In welchem Sinne aber auch dieser gleichwohl eine unübersteigliche Kluft. und jener des Hirten Liebesklage" verHier warm pulsierendes Leben da standen wissen will, einen entschiedenen schattenhafte Phantasmagorie. So wird Gegensaz dazu bildet auf alle Fälle der des „Hirten Liebesklage" zu einem Aus- fanatische „Anachoret“, der in der Münchedruck der Sehnsucht nach dem Unerreich- ner internationalen Kunstausstellung von baren; jener Sehnsucht, die in das zu 1863 zum erstenmal sich zeigte. Statt den ersten Ahnungen höchsten Erdenglücks an sanft rieselnde Quellen, deren üppig erwachende Jünglingsgemüt so gern ihren umgrünte und umblühte Fluten dort bis Einzug hält. Das Bild gemahnt uns dicht an den Jüngling heranspülen und wie eine ins Altklassische zurück überseßte ihm den nackten Fuß neßen“, führt uns Interpretation jenes Gefühls, dem Heine der Künstler hier an den senkrecht zur einen echt romantischen Ausdruck leiht in Tiefe abfallenden Hang eines starrenden dem wunderbaren Liede: Mir träumte Felsens, an dem nur hart gewöhnte Nadelvon einem Königskind mit nassen blassen hölzer, Zwergbäume und Dorngestrüppe Wangen sich mit klammernden Wurzeln festgekrallt haben und nun das nackte Gestein stellenweise verkleiden und dicht umschatten. Zur Seite eines schmalen steilen Kletterpfades, der durch eine wenig vorspringende Steinschicht gebildet wird, ist aus ein paar Stücken unbehauenen Baumstammes ein primitives Kreuz errichtet, dessen senkrechter Balken von der Natur selbst dort hingepflanzt und in etwa Manneshöhe durch den Sturm abgeknickt worden zu sein scheint. Vor diesem Kreuze kniet auf Seltsam! Die moderne Welt, die sich dem scharfkantigen Gestein ein alter Einnachgerade fast zu schämen scheint bei dem siedler mit kahlem Schädel und struppigem Gedanken, sie könnte über einer poetisch Barte. Zu dem Andachtszeichen aufanklingenden Empfindung ertappt werden, | blickend, schwingt er die Geißel, um ihre

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„Es kann nicht sein," sprach sie zu mir,
"Ich liege ja tief im Grabe,

Und nur des Nachts komm ich zu dir,
Weil ich jo lieb dich habe."

An Stelle schaurigen Grabesduftes, die dem hellenischen Sinne fremd ist, kennt dieser lettere nur die naiv geglaubte menschenähnliche Verkörperung geheimnis voll webender Naturkräfte. Im übrigen wird die Stimmungsverwandtschaft leicht nachempfunden werden.

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verknoteten Riemen mit wuchtigen Strei innerhalb der bedeutsamen Landschaft, die chen seinen entblößten Rücken bearbeiten dem Gegenstand entsprechend in schmalem zu lassen. Hoch über ihm kreisen die Hochformat ausgeführt ist; aber er ist

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Raben, als witterten sie baldigen Raub. | für den Charakter des Ganzen so sehr Den Maßen nach bildet jener Selbst mitbestimmend, daß nicht aus äußerer peiniger nur eine kleine Staffagefigur Zufälligkeit - durch welche namentlich

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für Landschaften älterer Meister neben sächliche Dinge vielfach zu Namengebern erhoben werden, sondern mit guter Berechtigung das Gemälde sich nach ihm betitelt.

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Das Spiel gegensäglicher Stimmungen verfolgte Böcklin mit solcher Vorliebe, daß er es gelegentlich auch an ein und dem selben Gegenstand erprobt hat. So stellte er namentlich die herrliche Villa am Meere" das eine Mal von dem klaren Licht eines heiteren Sommertages um= flossen, ein andermal aber bei dunkel umzogenem Himmel und gewaltig in den Wipfeln der hohen Cypressen und der schwanken Ölbäume wühlendem Sturme dar. Beide Auffassungen zählen zu den schönsten Früchten seiner Beobachtung der italienischen Landschaft, namentlich in ihren groteskesten Scenerien, innerhalb deren seine historisch geschulte und dabei doch blühend und frisch gebliebene Phantasie die Säulenhallen und Marmorbilder einer glänzenden Vorzeit neu erstehen ließ.

Nicht allzulange jedoch sollte der Künstler im unmittelbaren Genuß italienischer Natureindrücke schwelgen. Der Auftrag, das Treppenhaus des Museums in Basel mit Fresken zu schmücken, führte ihn um das Jahr 1866 nach der alten Heimat zurück. In den Wandmalereien, die er nunmehr an genannter Stelle ausführte, versinnbildlichte er durch ein schönes Weib, das auf einer von Tritonen gelei teten Muschel über den Flutenspiegel da hingleitet, die belebte und belebende Kraft des Meeres, der er in Flora und ihren Kindern das blühende Treiben des Festlandes gegenüberstellte, während das Sonnenlicht als Erwecker und Förderer des hier wie dort sich regenden Keimens und Lebens durch Apollon auf seinem Viergespann zur malerischen Geltung gebracht wurde. Des weiteren sah sich der Künstler durch den Bajeler Ratsherrn Sarrasin in Anspruch genommen, in dessen Hause er ebenfalls eine Reihe von Fresken aus führte. Eine derselben, den „Gang nach Emmaus", wiederholte er später in Öl für den Grafen Schack. Es ist eine gran

dios aufgebaute Landschaft in jenem Charakter, den Böcklin der italienischen Natur in den Augenblicken ihrer großartigsten Stimmungen abgelauscht hat. Die bildeinwärts wandernden Gestalten Christi und der beiden Jünger an seinen Seiten verleihen der feierlichen Haltung des Ganzen den genauer bestimmenden Ton. Auf ähnliche Weise ist auch bei dem „Ritt des Todes" das Hauptgewicht auf den Stimmungsnachhall in der Landschaft verlegt.

Solchen Gemälden von tief ernster Färbung gegenüber entstanden unter der Hand des Künstlers gelegentlich auch Schöpfungen der tollsten Laune. Dahin gehörte jenes Bild von bescheidenem Umfang, das auf der Münchener Ausstellung von 1869 einen schrofferen Zwiespalt der Meinungen hervorrief als selbst Courbets viel umstrittene Einsendungen. Diesmal handelte es sich in der That um eine Persiflage. „Nymphe und Satyrknabe" verkörperten ein scharf zugespiztes Gegenbild zu „Daphnis und Amaryllis“. Am Fuße eines giftig grünen Rasenabhanges sah man die Quellnymphe in ein durchscheinendes - wenn mich die Erinnerung nicht trügt -violettes Schleiergewand gehüllt, aber verführerisch wohl nur dem garstigen Burschen in den Flegeljahren erscheinend, der höher oben an dem schräg abfallenden Hang seinen Siz aufgeschla= gen hat. Die Vertreter eines erstarrten Herkommens, die nur auf ihre abgestumpfte und verdünnte Farbenskala schwuren, gerieten außer sich über das Unterfangen, den Rasen grasgrün zu malen. Aber auch andere schüttelten angesichts der beiden unschönen Gestalten bedenklich den Kopf, und wieder andere. wußten nicht recht, sollten sie mit dem Künstler oder über den Künstler lachen. Nur eine kleine Gemeinde, die sich hauptsächlich aus kühn anstrebenden Künstlern der jüngeren Schule zusammenseßte und an deren Spize Viktor Müller, der bald darauf viel zu früh gestorbene begabte Maler, stand, jauchzte dem Bilde zu als einem Triumphe der ungeschminkten Wahrheit über die schönfärberische Lüge.

Im folgenden Jahre schuf Böcklin in einander annähernd das Gleichgewicht seinem von den Furien erwarteten Mör- halten. Glauben wir doch in diesem

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der eine seiner dämonischsten Darstellun- Schilfrohr und diesen Weidenbäumen das gen, in der wiederum der geschilderte unheimliche Brausen des Gewittersturmes Vorgang und die landschaftliche Umgebung zu vernehmen, der sie durchfegt und

Villa am Meere.

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