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fand an dem, was die Welt der Gegen wart ihm vor Augen zu führen vermochte, nicht sein Genügen. Er strebte darüber hinaus nach dem Außerordentlichen, das seiner kühn beschwingten Einbildungskraft reiche Nahrung, hinlängliche Gelegenheit zu freier Entfaltung biete. Wo aber konnte er dafür zahlreichere und dankbarere Anknüpfungspunkte finden als in der klassischen Mythologie, deren Sagen schatz ihm, wie wir gesehen haben, schon zur Zeit seiner eifrig betriebenen Gymnasialstudien eines der liebsten Geistesgebiete geworden war? Freilich wollte die typisch erstarrte Gestaltungsweise, mit der er nachgerade die griechischen Mythen in der akademischen Historienmalerei unseres Jahrhunderts behandelt sah, wenig zu den von ungebändigter Kraftfülle über schäumenden Vorstellungen stimmen, die in seiner eigenen Seele durch die gewal tigen und phantasievollen Schilderungen und Andeutungen der Alten wachgerufen worden waren. Diese Vorstellungen zur anschaulichen, eindringlich vor die Sinne tretenden Erscheinung zu verdichten, war sein Bestreben, als er nun mit schaffender Künstlerhand Gestalt um Gestalt aus jenem unerschöpflichen Born hervortauchen ließ. Auf diese Weise entwickelte sich sein künstlerisches Wirken von selbst zu einem thatsächlichen Protest gegen den herkömm lichen Schulschlendrian.

Wie der altgriechische Mythos hervor gewachsen ist aus einer sinnigen Betrach tung des geheimnisvollen Lebens und Webens der Naturkräfte, deren schönes, sich unablässig verjüngendes Spiel dazu anregte, sie selbst als beseelte, mit über irdischer Macht und unvergänglicher Jugend begabte Wesen zu denken, so drängte auch die bildliche Verkörperung dieser Mythen den ihren tiefsten Gehalt sinnig Belauschenden dahin, die gottmenschlichen Gestalten in ihrem innigen Zusammenhang mit der landschaftlichen Natur zur Darstellung zu bringen. Auf diese Weise waren die bei den Hauptteile der Böcklinschen Kunstübung vorgezeichnet; seine vielseitigen Studien gaben ihm die Mittel an die Hand, beiden

gerecht zu werden. So entwickelte er denn nun eine schaffensfreudige Regsamkeit, die auch durch seinen mehrfachen. Ortswechsel während der nächsten Folgezeit wenig berührt wurde. Den ersten Anlaß zu einem solchen gab die Gründung der neuen Kunstschule in Weimar. Der Großherzog hatte den Grafen Kalckreuth zum künstlerisch und geschäftlich leitenden Vorstand der ins Leben zu rufenden Anstalt ernannt und ihn beauftragt, die geeignet scheinenden Lehrkräfte um sich zu sammeln. Da wurden denn von München. Arthur v. Ramberg, Arnold Böcklin und Franz Lenbach als Lehrer der Malerei, von Berlin Reinhold Begas als Leiter der Bildhauerschule berufen. Es war zu Anfang des Jahres 1860, als die vier neu ernannten Professoren in ihre Stellungen eintraten. Aber ach! sie fanden es in der kleinen Residenz an der Ilm ganz anders, als sie sich's gedacht. In ihren Phantasien wie in denen aller Welt hatte sich ein poetischer Nimbus um die Stätte gebreitet, an welcher noch vor wenigen Jahrzehnten Goethe gelebt und gewirkt, abermals einige Decennien früher auch Schiller seine unsterblichen Werke ge= schrieben, Herder und Wieland gedichtet hatten. Die Stadt, die idyllisch-romantischen Anlagen waren im wesentlichen noch dieselben wie zu den Zeiten, da die Blüte der klassischen deutschen Litteratur sich dort entfaltet hatte, abgesehen etwa von einigen sogenannten Verschönerungen, die da und dort inzwischen angebracht. worden waren. Der Geist aber, der neuerdings in Weimar herrschte, ließ gar viel zu wünschen übrig, namentlich im Sinne der neuen Ankömmlinge. Ein Cliquenwesen mit halb höfisch intrigantem, halb philisterhaft prüdem Anstrich hatte mehr und mehr Platz gegriffen. Innerhalb desselben befand sich eine weder dem Umfang noch dem vielfach tonangebenden Einfluß auf die öffentliche Meinung nach zu unterschäßende Partei, der die neue Kunstschule ein Dorn im Auge war und die daher alles, was zu derselben gehörte oder in Beziehung stand, mit scheelen Blik

fen betrachtete. Diese Partei bildete sich ruf erklärten. Schlimmer noch als die in erster Linie aus der Anhängerschaft offenen Hasser waren die heimlichen Zwider beiden Altmeister Preller und Genelli, schenträger, die in jedem der beiden Lager die bei der Bildung der jungen Kunst- die üble Gesinnung der Gegenpartei nicht anstalt umgangen worden waren. Genelli schwarz genug zu schildern wußten und so war erst vor kurzem nach Weimar be die ohnehin scharfe Spannung künstlich rufen worden unter der, wie es scheint, noch mehr verschärften. Freilich konnte mit seinen eigenen Wünschen in unmittel das entgegentretende Übelwollen weder die barem Zusammenhange stehenden Ab- kraftbewußten jungen Talente schrecken, machung, daß er dort lediglich seiner noch eine Erschütterung ihrer amtlich ge= persönlichen Kunstthätigkeit frei und ver- festeten Stellungen herbeiführen. Entantwortungslos zu walten haben solle. schiedener Widerstand würde wohl eher Anders verhielt es sich mit Preller. Als zu um so lebhafterer Entfaltung angeLandeskind im engsten Sinne des Wortes stachelt haben, wie denn die neu ernannund besonderer Schüßling Goethes seine ten Professoren von Anfang an entschlossen. Ausbildung bekanntlich der besonderen schienen, über alle etwaigen Hindernisse Fürsorge des Großherzogs Karl August hinweg mit voller Energie ihren Weg zu dankend, leitete er seit dem im Oktober gehen. Wenn troß alledem binnen kurzem 1832 erfolgten Tode des Hofrats Meyer ein gewaltiger Riß in das junge Lehrerals Nachfolger desselben und mit dem kollegium kam, so geschah dies, weil die Titel eines Professors die Zeichenschule, Beteiligten ihre Kunst- und Lehrthätigkeit deren Schüler er selbst gewesen war in zu Weimar nicht sowohl von einem Scheijenen Zeiten, da er die ersten schüchternen tern an gefährlichen Klippen als vielmehr Schritte zur Erreichung einstiger Künstler- von einem Versinken im flachen Sande in schaft versucht hatte. Als nun der Sohn erschreckender Weise bedroht sahen. Unund Nachfolger seines früheren Gönners, leidlicher als der Haß der einen mußte Großherzog Karl Friedrich, in den acht die Gleichgültigkeit der anderen empfunzehnhundertfünfziger Jahren den Plan zur den werden. Durch ein behäbig ausgeGründung einer vollgültigen Kunstschule breitetes Spießbürgertum, das allem gefaßt, hatte er sich darüber zunächst mit Neuen gegenüber sich unempfänglich, abPreller besprochen, der jedoch diesen Ge- lehnend verhielt, sahen die künstlerischen danken als einen wenig glücklichen ansah Bestrebungen das weite Feld beherrscht, und ihn seinem Fürsten eher auszureden sich selbst mehr und mehr in die Enge als denselben darin zu bekräftigen suchte. getrieben. Nicht genug, daß sie auf alle Da hatte denn Karl Friedrich, dem es und jede Anregung von vornherein verohnehin darum zu thun schien, die junge zichten mußten die kleinbürgerliche Be| Anstalt auch mit jugendlichen Kräften zu schränktheit der waltenden Verhältnisse eröffnen, hinter Prellers Rücken, wenn verkümmerte ihnen auch die nötigsten Beder Ausdruck hier gestattet ist, die Kunst- dingungen ihrer Entfaltung. War doch schule ins Leben gerufen. Als der Mei- kaum ein brauchbares Modell aufzutreiben. ster der Odyssee von seiner im Herbst Kein Wunder, daß sich der Männer, die mit 1859 angetretenen zweiten Künstlerfahrt | fröhlicher Zuversicht gekommen waren, um nach Italien im folgenden Frühjahr nach ihre Kunst weiter zu entfalten, in deren der Heimat zurückkehrte, fand er die neue gedeihlicher Pflege ihr ganzes Glück, ihr Kunstschule bereits im Gange. Unter sol- ganzes Sein begründet lag, bald eine tiefe chen Umständen war es allerdings nicht Verstimmung bemächtigte. Weimar wurde zu verwundern, wenn seine Freunde - in ihren Augen mehr und mehr zu einem und es gab deren, die weit prellerischer verhaßten Aufenthalt, wo jede gesunde gesinnt waren als Preller selbst -die Regung und Bewegung erstickt schien, wo Kunstschule unter sich zum voraus in Ver- man sich in selbstgefälliger Weise gegen

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seitig mit schön-geistigen Phrasen, den matten Nachtlängen einer geistig bedeutenden Zeit, abspeiste, im übrigen aber sich in steif leinenes altfränkisches Wesen einschnürte bis an den Hals herauf. Unter solchen Umständen die von einer jungen Anstalt unzertrennliche Unannehmlichkeit des zu wartens auf einen erklecklichen Zuzug von Schülern, namentlich von jungen Talenten, an denen ein Lehrer seine Freude haben kann, überdauern zu sollen, erschien den thatendurstigen Feuergeistern nach gerade als ein Ding der Unmöglichkeit.

Es mag um die Mitte des Jahres 1861 gewesen sein, als Böcklin und Begas, die schon von Rom her miteinander befreundet waren, und Lenbach, der jüngste unter den Weimaraner Professoren, der sich an jene beiden Gesinnungsverwandten rasch und eng angeschlossen hatte, miteinander bei einer Flasche Wein auf Augenblicke ihren Unmut zu vergessen suchten. „Am 1. Oktober in Rom!" lautete ein Trinkspruch, der mit einer Art von Galgenhumor hingeworfen und durch helles Gläserklingen gefeiert wurde, obschon der Gedanke an eine Verwirklichung dieser Losung, in der die innigsten Herzenswünsche der drei Freunde gipfelten, zum mindesten noch so manches Wenn und Aber zu überwinden hatte. Bald darauf fügte sich's, daß Begas als Mitbewerber um das Denkmal Friedrich Wilhelms III. für Köln den ersten Preis, bestehend in drei tausend Thalern, davontrug. Dadurch in den Stand gesezt, eine Zeit lang auf gut Glück einer uneingeschränkten Kunstübung zu leben, ließ sich Begas keinen Tag länger halten. Knall und Fall brach er auf und war somit der erste von den dreien, der an der Stätte ihrer Sehnsucht, in der Siebenhügelstadt, ankam. Nun aber litt es auch die beiden Genossen erst recht nicht mehr in Weimar. Es währte nicht allzulange, so hatten auch sie ihre Zelte ab gebrochen, ihre Schiffe hinter sich verbrannt und waren dem Freunde gen Süden nachgeeilt. Unter die kurze Episode ihrer Weimaraner Professur hatten die drei Künstler einen dicken Schlußstrich gesezt.

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Nun wieder frei, wieder in Rom! Hier endlich lenkte das Leben Böcklins, nachdem es von so mancherlei Stürmen und Fluten kreuz und quer verschlagen worden war, in eine gleichmäßiger dahingleitende Strömung ein. Ganz der Schaffensfreude anheimgegeben, vollendete der Künstler in raschem Zug eine stattliche Reihe von Gemälden. So wird es denn auch für uns Zeit, einer ruhigeren Betrachtung dessen uns hinzugeben, was er seit seinem Großen Pan" teils in München und Weimar geschaffen, teils jest in Rom vollbrachte. Die namhafte= ren Werke, um die es sich dabei handelt, finden sich, wie bereits oben angedeutet, mit wenigen Ausnahmen, die im Nachstehenden besonders bezeichnet werden, in der Galerie Schack. Da ist, um gleich mit einer der charakteristischsten Kompositionen zu beginnen, zunächst der köstlich zum Ausdruck gebrachte „Panische Schreck“. Wir sehen uns an einem_romantisch zerklüfteten Felsabhang. Übereinander geschichtet liegen die mächtigen Steinblöcke umher, wie sie durch einen vorzeitlichen Bergsturz hingestreut worden sind. Dazwischen drängt sich aus jeder Spalte, in welcher das zu Tage liegende Erdreich einige wenn auch noch so karge Pflanzennahrung bietet, Gras- und Staudenwuchs hervor, und zur Seite breitet sogar ein laubreicher Baum seine schattigen Wipfel aus. Hierher hatte der Ziegenhirt seine angorahaarige Herde zur Weide geführt. Da ließ sich jener seltsame, lang gedehnte Schreckenslaut vernehmen, der -man weiß nicht wie und warum—alles Blut zum Herzen schießen macht. In hirnlosem Entseßen stürzt nunmehr der stämmige, schwarzbärtige Gesell, den diese kindische Angst doppelt seltsam kleidet, geradeswegs dem Beschauer entgegen. Der leichte Mantel, in den er sich notdürftig gehüllt hatte, flattert, den Rumpf und die muskulösen Glieder nackt lassend, nur noch lose um die Lenden des wettergebräunten Gebirgssohnes. Ein Glück, daß derselbe sich aus ein paar Stücken derben Leders eine Art primitiver Schlappschuhe zusammen

gestoppelt und damit seine Füße bekleidet sich sträuben sehen. Halb um diese Müze hat, die sonst bei diesem sich überstürzen- festzufassen, damit sie nicht während seines den Lauf über scharfkantiges Gestein übel Laufes herabgeweht werde, halb wohl zugerichtet werden würden, trog aller auch, um sich dem dämonischen Gestöhn natürlichen Sohlenhärte, die wir bei die- gegenüber die Ohren zuzuhalten, hat der

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Kopf des hämischen Waldgottes aufgetaucht. Sein Antlig zeigt eine merk würdige Verwandtschaft mit der Physiognomie des Geisbockes, der, von dem Entseßen seines Hüters mit ergriffen, Schritt haltend zur Seite desselben bergab galoppiert, gefolgt von der ganzen Schar der weißvließigen Ziegen. Selbst gefällig grinst der alte Pan auf den aus giebigen Erfolg seines Schelmenstückchens herab, und heiter gleich ihm schaut, an ihren Wirkungen wahrnehmbar, die nahezu in Scheitelhöhe stehende Sonne, an den senkrecht emporragenden Felsenzacken nur die Oberkanten streifend, um so voller aber auf das am Boden verstreute Gestein auf prallend, dem tollen Vorgang zu. Kein Wunder, wenn es dabei dem atemlosen Läufer heiß geworden ist!

Im Gegensatz zu dieser dramatischen Bewegung atmet ein stiller Friede, ein seliges Genügen in der Darstellung der „Jungen Hirtin“, die, im Profil gesehen, zwischen Lorbeergesträuchen an einem saftig grünenden Abhange sigt. Unter ihren Füßen rieselt, beschattet vom dichten Gebüsch, das lauschige Bächlein dahin; neben ihr erschließt sich ein Blick auf die höher gelegene sonnige Wiese, auf der die Lämmer weiden. Sie selbst hat, während ein sanftes Lüftchen mit ihren ungebunden herniederwallenden Haaren spielt, den Blick ein wenig nach oben gerichtet. Es ist, als singe dort im Gezweig ein munteres Vöglein sein Lied, dessen fröhliche Weise in den sanft verklärten Zügen des Mädchens eine liebliche Verkörperung zu finden scheint. Darüber lagert ein klarer lichtumslossener Äther.

Die groß entfaltete Dianajagd, eines der meistgerühmten Werke Böcklins, das ich leider nicht aus eigener Anschauung kenne, hat ihren Platz im Museum zu Basel gefunden. Gleich diesem Gemälde fällt auch das romantische „Schloß am Meere" in seiner ersten, bei späterer Wiederholung koloristisch umgebildeten Gestalt noch in die Zeit vor Böcklins Rückkehr nach Rom. Eines der frühesten Ergebnisse der prächtigen Anregungen aber, die der Künstler

durch den erneuten Verkehr mit der italienischen Natur und insonderheit mit den an klassischen Erinnerungen reichen Umgebungen Roms empfing, ist die köstliche „Altrömische Taverne". Auf dem Gipfel einer terrassenförmig sich aufbauenden freund= lichen Anhöhe erhebt sich das leichte kleine Gebäude, in dessen behaglicher, nach vorn offener Loggia, die eben nur für einige wenige Gäste Raum bietet, ein fröhlich zechendes Paar sich niedergelassen hat. Über das flache Dach und die luftige Veranda vor dem Häuschen hängen dicht belaubte Weinranken hernieder; ringsum wuchern die Oliven- und Orangenbäume; auf dem sanft ansteigenden Hügel im Hintergrunde aber ragt eine Cypressengruppe empor. In der Niederung ist, von grünem Gebüsch umgeben, ein runder Säulentempel erbaut, vermutlich dem schalkhaften kleinen Gott mit Bogen und Pfeil gewidmet, dem das übermütig dahinhüpfende jugendliche Paar unfern des Tempels zu huldigen scheint. Im Vordergrunde aber schwanken zwei junge Männer heran, die dem „vinum novum", den der Wirt durch derbgeführte Aufschrift an dem weißen Seitenpfeiler seines Gartenzugangs empfiehlt, in wenig zurückhaltender Weise zugesprochen haben. Doch nicht diese übermütige Weinlaune rebenbekränzter Jugend allein ist es, die uns voll und ganz in die Stimmung eines kecken Horazischen Trinkliedes versezt der gesamte Aufbau dieser fein abgewogenen und doch so natürlich selbstgeworden. erscheinenden Linien und Flächen, das heitere und mannigfaltige Spiel der kühlen und warmen, lichten und schattigen Farbentöne, die mit all ihren frischen. Gegensäßen harmonisch zusammenklingen und wiederum sich rhythmisch gliedern, endlich die in ihrer Schlichtheit mit überaus künstlerischer Anmut geschaffene Architektur dieser gartenumgrünten Taverne selbst alles das trägt so sehr das Gepräge klassischer Lebensfreude, daß wir die Zeiten, in denen die köstlichen Strophen Ad Thaliarchum zum erstenmal erklan= gen, leibhaftig vor uns erstehen zu sehen meinen.

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