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mut. Denn ihre Bewegung drang aus | Herr Balduin in höchsteigener Person innerstem Herzen, in dem die Gefühle darüber gekommen, um die zweifelhafte rein und unangetastet liegen und, wenn sie aus ihrer Tiefe auftauchen, jeden Zug, die ganze vom Leben erniedrigte Erscheinung mit einer Überstrahlung hei ligen.

Die Frau verstand das Wesen ihres Mannes fast unbewußt. Die gutmütige Selbstzufriedenheit, die muntere Überhebung berührte sie wie ein lieber Scherz, den sie voll durchschaute, der ihr wohl bekannt war und gegen den sie in ihrer Liebe nichts einzuwenden hatte. Herr Balduin fand, daß er ein nettes Weibchen habe, als die Frau in dem dämmeri gen Ladenstübchen vor lauter guten, innigen Gefühlen wie mit Rosen überschüttet vor ihm stand.

So und ähnlich lebten die beiden Leut chen in gutem Behagen miteinander. Sie war mit ihrem Herrn wohl zufrieden und er mit ihr. Dem guten, etwas trockenen Balduin Häberlein aber fiel es nicht bei, daß neben ihm ein wunderschönes Leben wie ein eingeengter Quell leise, aber mit verhaltener Heftigkeit drängte und, wo in der Einengung ein Spalt entstand, in einem scharfen Strahl hervor sprudelte zu seinem außerordentlichen Er staunen, denn von einem zum anderen Male vergaß er die unvermutete über sprudelung, hatte aber doch bei jedes maliger Wiederkehr, und als er sah, daß das Ding keinen Schaden anrichtete, eine versteckte Freude an solch unberechenbaren Zwischenfällen.

In der Einnistung in dem erbärmlichen Hof hatte sie sich damals durch nichts irre machen lassen und nicht Ruhe gehalten, bis Herr Balduin ihr eine Bank von Tannenholz, die sie vom Lehrjungen grün streichen ließ, schenkte, hatte sich eine Harke gekauft, um ein paar Pflastersteine damit zu lockern; und da sie mit dieser 'Arbeit nicht zu stande kam, war, ohne daß man recht wußte, wie sich das gemacht,

Idee seiner Frau auszuführen, in dem schwerschattigen Hofe ein Beet zu schaffen, ächzte und stöhnte dabei und räfonnierte über das sinnlose Frauenvolk. Aber die Frau hatte mit den Verhältnissen klug gerechnet und ihr Beet an dem bestmöglichsten Plaze angelegt. Der Thür gegenüber, die in den Hausflur führte, schien durch ein Fenster, welches zur Straße hinausschaute, und durch die Hausthür, wenn dieselbe offen stand, ein Stündchen des Tages die Sonne hinein. Da bekam der Hof auch ein Teil Licht, und wenige Augenblicke, wenn alle Thüren weit offen standen, trafen ein paar Sonnenstrahlen auf das Fleckchen, auf dem die Frau hoffnungsvoll und freudig ihr Beet angelegt hatte. Das war von ihr wohl bedacht worden. Auf das Beet pflanzte sie einen Strauß Petersilie, steckte ein paar Weizenkörner in das Erdreich, welche bleiche, ährenlose Halme aufgehen ließen, säete Kresse und ließ sich von einem Gärtner einige geduldige Tausendschönchen und Stiefmütterchen geben und noch ein unbestimmbares Schattenkraut. Vor die grüne Bank seßte sie ein wackeliges Tischchen und stellte, so oft es sich thun ließ, einen frischen Blumenstrauß darauf. So war für ihre liebevollen Augen ein schönes Gärtlein zu stande gekommen, das für sie wirklich eine Quelle von Annehmlichkeiten wurde. Durch sorgliche Pflege und starken Willen brachte das kleine leidenschaftliche Weib es dahin, daß troß Schatten und jeder Ungunst in Jahren ein festgewurzeltes Allerlei um die grüne Bank her den feuchten Boden bedeckte. Zu einer Blüte brachte es keine der Pflanzen, aber zu einem guten Blätterwerk, und gerade der Thür gegenüber auf dem Flecke, der durch glückliche Zufälligkeiten von ein paar Sonnenstrahlen gestreift wurde, hatte sie den Gedanken gehabt, einen Fliederstrauch zu pflanzen, und damit das Richtige getroffen. Er gedieh und war mit der Zeit ein ganz stattlicher Busch geworden,

der durch die offene Hausthür grün und feucht zur Straße hinausschimmerte.

Nachdem mittlerweile Jahr um Jahr vergangen war und das Geschäft durch unermüdliche Vorsorge des Ehepaares ein Erkleckliches abgeworfen hatte, sollte auch das Gärtchen, das bisher nur stille, be schauliche Stunden geschaffen hatte, der Frau zu guter Lezt auch eine Freundschaft eintragen. Oben in die Dachwohnung war eine neue Mieterin gezogen. Eine Person ungefähr in dem Alter der Delikateßhändlerin, eine Frau Salome Thorspeck, die immer, ehe sie zu ihrer Stiege hinauf ging, ein Weilchen durch die Thür auf den grünen, frischen Fleck im Hofe lugte. Die beiden Frauen waren einmal, als die Häberlein im Höschen gewirtschaftet hatte und wohlzufrieden in der Thür lehnte, um ihr Werk zu betrachten, und Frau Salome gerade die Treppe herabstieg, miteinander in ein längeres Gespräch über das Gärtchen gekommen. Sie hatten sich schon immer freundlich begrüßt, aber es wollte sich kein näheres Verhältnis zwi schen ihnen anspinnen. Das lag an der Häberlein, die durch ihren Mann nicht gerade die beste Meinung von ihrer Mieterin hegte. Der war gegen Frau Salome stark eingenommen, und als seine Anna ihm jezt ganz erfreut mitteilte, daß die Frau, die oben eingezogen, eine artige und verständige Person zu sein scheine, da fuhr er auf und sagte: „Laß mich mit der Närrin in Ruh! Schwaz du mit ihr, soviel du willst, und warte ab, bis sie dir ein Loch in den Magen geredet hat, denn das thut sie, da kannst du dich heilig darauf verlassen. Wer solche Briefe schreibt wie das Frauenzimmer oben, vor der muß unsereins sich hüten. Das sage ich dir: die hat einen Sparren im Kopfe, denn solche Briefe schreibt unsereins nicht!"

Herr Balduin hatte Gelegenheit gehabt, die Salome Thorspeck als Briefstellerin kennen zu lernen, und hatte sich sein Urteil über sie an ihren Produkten gebildet.

Übrigens war er der Bevorzugte nicht allein, sondern außer ihm ein gut Teil wohlsituierter Handels- und Gewerbetreibender, die mit ihm in demselben Stadtviertel wohnten, kannten die Eigentümlichkeit der guten Salome, in wohlgeseßten Phrasen ihr Elend und ihre Übelstände denjenigen schriftlich ans Herz zu legen, von denen sie eine kleine Aushilfe zu erlangen hoffte. Sie lebte in armseligen Verhältnissen, stand ganz allein, war früh Witwe geworden und hatte drei Söhne zu erziehen gehabt, die zur Zeit, als sie in das Dachstübchen zu Häberleins einzog, schon in alle Welt verstreut waren und in entlegenen Erdwinkeln ihr knapp= stes Unterkommen gefunden hatten. Sie war eine gute, rechtliche Frau, vor der man alle Achtung haben konnte, denn sie hatte ein schweres Leben standhaft ausgehalten. Durch eine verhängnisvolle Begabung aber, den Ausdruck für ihre etwas undurchbildeten, etwas überschwenglichen Gefühle leicht zu finden, hatte sie sich geschadet und war um all die sauer verdiente Achtung gekommen, die ihr das Leben hätte einbringen sollen, und war statt dessen zur komischen Figur geworden, die ihre Mühsal und ihren Kummer wie ihr Wohlbefinden zur Unterhaltung und Belustigung ihrer Nebenmenschen tragen mußte. Die Welt ist grausam in der Beurteilung derer, die das Spärliche mit ihrer Begabung überschreiten, und höhnisch, wenn das Überflüssige an einer Person unzulänglich erscheint. Man hat das, was uns auferlegt ist, unwiderruflich zu tragen; wollte man es nicht, so bliebe kein Ausweg als der Tod also aushalten. Da ist jede Betrachtung unnötig. Man soll schweigen und niemand belästigen, und spricht man doch, hält die Leute auf und jammert ihnen entgegen und spricht im Pathos mit halb geschickten, halb ungeschickten Redewendungen, läßt hin und wieder etwas wie einen Gedanken durchschauen, oder braucht, um die Lage klar zu legen, ein gutgefühltes Gleichnis, das man ungelenk und ungeübt nicht recht zu Ende führen kann, schimmert in den Reden das auf,

was von dem harten Leben längst schon ertötet sein müßte, das sollte wohl mit Erbarmen erfüllen. Statt dessen aber dient es zum Gaudium, und man ist übel daran. Und Salome hatte gar das Unglück, nicht nur zu reden, sondern ihre guten Gefühle, die ihr unter den Händen, wenn sie irgend einen hilfesuchenden Brief verfaßte, zu abenteuerlichen Säßen und verschrobenen Gedanken wurden, schriftlich niederzulegen. Was Wunder, daß es ihr schlecht erging.

Von dem Tage an, als sich die beiden Frauen auf dem Hausflur begegnet waren, hielten sie fest zueinander, saßen, so oft es sich thun ließ, zusammen auf der grü nen Bank im Hof und gaben in dem großen Weltschauspiel eine Gruppe rüh rendster Unvollkommenheit ab. Eine jener Gruppen, wie sie sich zu tausend und aber tausend Malen bilden: der armselige Hof, der einen Aufenthalt der Lebensfreude darstellen sollte, die spießbürgerlich zierliche Delikateßhändlerin, die in anderer Atmosphäre in ununterbrochener Anmut ihr Leben geführt hätte, und Salome, deren reich empfindender Geist unter günstigerem Sterne zu einer schönen Ausbildung gekommen wäre. Es hat etwas Erschreckendes, zu denken, welch eine un endliche Macht edler Kraft verkümmert; für unsere beschränkte Einsicht wenigstens scheint es so. Doch wer ahut, was in uns dazu bestimmt ist, das Ewige in sich zu tragen? Das, was wir als groß und schön, als errungen uns vorstellen, ist vielleicht vor dem Reichtum des Ungeahnten so verschwindend klein, daß es von dem, was wir unvollkommen nennen, nicht zu unterscheiden ist, und das eine dem Höchsten so nah und fern ist wie das andere.

Die beiden Frauen in ihrer Unvollkommenheit befanden sich recht wohl, wenn sie miteinander im Hof mit ihren Arbeiten zusammensaßen und plauderten. Anna ließ sich von den drei Söhnen der Freundin vorerzählen. Sie berieten miteinander den Küchenzettel. Herrn Balduins Eigentümlichkeiten und Vor

züge wurden zum öfteren durchgesprochen. Herr Balduin selbst war mit der Zeit. dem Umgange Annas mit der Freundin geneigter geworden, ließ sich sogar herbei, den Sonntagskaffee und Kuchen, den seine Frau mit sicherster Regelmäßigkeit bereitete, in Frau Salomes Gesellschaft einzunehmen.

Frau Salome trug jahraus, jahrein eine ausgezackte schwarze Pellerine und um die Taille einen alten Ledergürtel nachlässig geschnallt; an dem hing an einem perlengestickten Bande, das noch aus ihrer Mädchenzeit stammte, eine Schere. Sie war Flickschneiderin und nähte, so oft es sich traf, tagsüber bei den Leuten. Sie wußte allerlei aus den Familien ihrer Kunden mitzuteilen und that es mit einem für fremdes Leben offenen Herzen. Für ihre Söhne hatte sie Frau Häberleins Gemüt sehr erweicht und war nach nicht allzu langer Bekanntschaft mit ihrer Gönnerin dabei, den Jüngsten in das Geschäft einzuschmuggeln. Der stand bei einem Kolonialwarenhändler in einem kleinen Städtchen in der Lehre und hatte es dort nicht zum Besten. und Anna trug sich nun zu allen Stunden mit dem Gedanken, ihren Mann dazu zu bestimmen, den Sohn der Freundin in das Haus und ins Geschäft zu nehmen. Das wurde eine jener Ideen, denen sie mit wahrer Glut nachhing, in die sie sich versenkte, an denen sie ihre Hoffnung und ihre überflüssigen Lebenskräfte sich austoben ließ.

Salome hatte für diesen Jüngsten eine ganz besondere Zuneigung, ließ durchfühlen, daß dieser Sohn ihr geistig vor allen anderen am nächsten stände, daß sie mit Rührung und Erbauung sich selbst in ihm von neuem leben sehe. Um die feine und zierliche Denkungsart des hoffnungsvollen Jüngsten darzulegen, erzählte sie, daß er im Gegensatz zu den anderen Söhnen von frühester Jugend an einer Vorliebe zum Zarten, Gefühlvollen nachgegeben habe.

Als sie das mit einer zu Herzen gehenden Rührung besprach, stand sie in der

Küche der Frau Häberlein und schaute zu, wie diese eine feste, schöne Schweinskeule, die am Feuer schmorte, gewandt und sicher in der Pfanne hob, um sich von deren allseitigen Vorzüglichkeiten zu unterrichten. Salome ließ sich nicht dadurch stören, daß die Delikateßhändlerin im Gefühle der Verantwortlichkeit, die ihr der Augenblick auferlegt hatte, ihre ganze Aufmerksamkeit auf die Keule gerichtet zu haben schien. Sie gab ihrem Drang, sich auszusprechen, vollkommen nach und erzählte, wie der Jüngste schon als kleines Bürschchen ihr zur Erlustigung, wie ein Herrlein so fein, mit spißen Lippen, einen Vers aufgesagt habe, der zu ihrer Jugendzeit alt und jung bekannt gewesen sei. Den habe sie dem Kinde beigebracht. Und nun begann sie, unbekümmert um das Schmoren und Zischen neben ihr, das die kleine Frau Häberlein mit ernste ster Aufmerksamkeit erfüllte, den Vers mit einer wehmütig bewegten Stimme, die sie oft annahm, vorzutragen:

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„Ei, so laßt das jezt, Frau Thorspeck!" unterbrach sie Frau Häberlein, als Salome weiter fortfahren wollte. Für dergleichen ist jezt keine Zeit. Gebt mir die lange Zinnschüssel herunter, daß sie mir gleich parat steht.“

Salome that, ohne sich über die Unterbrechung ihres Gefühlsausbruches gekränkt zu zeigen, was die Händlerin von ihr verlangte. Sie mochte vom Leben hart gewöhnt sein, und da sie bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit bei der Hand war, ihre Empfindungen zu äußern, so war es ihr nichts Neues, zurückgewiesen zu werden und unbeachtet zu bleiben. Sie hatte die glückliche Eigenschaft der Taftlosen, die mit einer kindlichen Harmlosigkeit das in Empfang nehmen, was ihre Ungehörigkeiten ihnen eingebracht haben. |

Die herzensgute, kluge Frau Häberlein hatte es bald durchschaut, wo die Freundin kurz gehalten werden mußte. Sie war eine sich selbst fast unbewußte,

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aber starke Feindin jedes Unzarten und jeder Zudringlichkeit und fühlte sich deshalb oft von dem Benehmen ihrer Mieterin nicht angenehm berührt. Doch in ihrer Güte und ihrem Verlangen, etwas zu finden, das die stille Sehnsucht nach Unbestimmtem in ihrem Herzen wohlthuend beschwichtigen sollte, nahm sie solche Unannehmlichkeiten und Fehler an jemandem, dem sie ihr Herz geschenkt hatte, wie eine Erkrankung dieser Person hin und hatte alles Mitleiden.

So kam sie einmal herauf zu ihrer Mieterin in das Dachstübchen und fand diese, wie sie auf ein Blatt schrieb, das mit einer Schere dürftig gerade geschnitten war. „An wen schreibt Ihr?“ frug das Frauchen schon beängstigt, als sie kaum die Thür hinter sich geschlossen hatte, da sie der Anblick der schreibenden Salome beunruhigte. Es war ihr, als sähe sie dieselbe mit allem Fleiße an ihrem bösen Verhängnis arbeiten.

„Ich habe an die Kanzleirätin eine Antwort zu bringen."

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Nun, weshalb bringt Ihr die nicht?" „Es ist sicherer," sagte Salome, „ich gebe sie ab."

Die Kanzleirätin gehörte zu den Kunden der Schneiderin, und in dem Hause der Rätin hatte sie so mancherlei erfahren, was ihr zu denken gab. Die Leute waren ihre vornehmsten Gönner, hatten gut zu leben, eine angenehme Stellung und waren doch alle Nasenlang vor Unannehmlichkeiten und allerlei Not nicht sicher. Salome in ihrer Klugheit und Welterfahrung schien in diesem Hause Übelstände wahrgenom= men zu haben. Die Söhne waren ohne glückliche Begabung, machten von Kindheit an Sorgen, weil sie mit ihrem notwendigen Bildungsgange nicht zu stande kommen konnten. Die Rätin steckte ununterbrochen in Geld- und Mägdenot. Der Rat war durch fast pflichtmäßige Angewöhnung den größten Teil des Tages übellaunig und versah unter seinen Angehörigen ein für alle ermüdendes, schwerfälliges Richteramt. Und außer all diesen fest eingenisteten Unzuträglichkeiten war

Jeder Tag steht Ihnen zu Dienst, Frau
Salome Thorspeck.

Rat.

Die jetzige Zeit bis Oktober nennt man die Gurkenzeit. Die Sachlagen stehen säumig. Es giebt über der Arbeit keinen Rommel. Seien Sie alle in Achtung gegrüßt "

ihnen in lezter Zeit noch eine Erbschaft | deshalb mich in jeder Menschen Lage zu entgangen, auf die sie hoffnungsvoll ge- schicken in Zufriedenheit. rechnet. Das gab böse Zeit im Hause, die Salome vollkommen durchschaute. Sie hatte der Delikateßhändlerin alle ihre Beobachtungen mitgeteilt, und deshalb war es dieser aus Gründen gar nicht recht, daß Salome die Ausrichtung an diese Familie schriftlich verfaßte. Sie hatte ihr auch von einer Funzel, die bei Rats im Hause lebte, erzählt und gesagt, daß das ein prächtiges junges Frauenzimmer sei, die der Frau Rat zur Hand gehe und bei den Kindern und in der Küche alles in aller Lustigkeit zu stande brächte, und auch erzählt, daß diese Funzel einen anderen Namen führe, aber von allen Seiten Jungfer Funzel und von den Kindern Funzelchen gerufen werde. Sie glaube, daß das rötliche Haar des Mädchens, das ihr bei jedem Windhauch um den Kopf flattere, schuld daran sei, daß man sie Funzel rufe.

Der Brief war gerade beendet bis zur Unterschrift, als Frau Anna eintrat, und gleich im Augenblick darauf mußte Salome in die kleine Küche springen, weil auf dem Herdfeuer ihre Abendsuppe kochte und für einen so schmalen, spärlichen Bissen einen ganz ungehörigen Lärm vollführte, zischte und überwallte, weil Salome in ihrem Eifer sie über Gebühr dem Feuer überlassen hatte. Diese Zeit benußte Anna und schaute in den Brief. Es war, wie sie befürchtete: Salome hatte ihrer Feder alle Freiheit gegönnt.

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Dies war Salomes Brief, und Frau Häberlein stand in einem verlegenen Staunen und blickte, nachdem sie ihn schon zu Ende gelesen, noch darauf hin. Er gefiel ihr nicht, und sie fühlte sich in der Seele der Freundin gekränkt. Sie konnte sich nicht in sie hineindenken, wie sie es anstellen möge, so an die vornehmen Leute zu schreiben, und empfand einen tiefen Schmerz, der ihr die Thränen in die Augen trieb, als ihr die Freundschaft mit ihrer Mieterin durch den Eindruck, den sie eben empfangen, mit einemmal so wenig schön und herzerquickend vor der Seele stand. Das ganze Leben zog in diesem Augenblicke an der Frau vorüber, und von keinem Ereignis fühlte sie, daß es den Grund ihres Herzens berührt hätte. Sie atmete tief auf, denn das alte dumpfe Haus, das Gewölbe mit seiner dick durchtränkten Luft, die Anhäufung öliger Fässer und Büchsen, die hunderterlei Gerüche, das unausgesezte Berühren von Eßwaren, die sie ihr Lebtag hatte zwischen den Fingern herumzerren müssen, alle diese Bilder brachten ihr ein beängstigendes Gefühl, und nichts, was mit ihr zusammenhing, erschien ihr wünschenswert. Als Salome wieder aus ihrer kleinen Küche heraustrat, da blickte die Gute sie ganz verschüchtert an, als sei die Eintretende für sie eine fremde, nicht ganz vertrauenerweckende Person, und sagte zu ihr: sie habe nur einmal nach ihr sehen. wollen und müsse gleich wieder hinunter ins Gewölbe.

"Frau Rat!" so begann der Brief. Nach unserer heutigen Rücksprache wegen zu Ihnen kommen, wie Sie mir sagten, ginge es nicht gut mit dem zu mir schicken? Den kürzesten Weg schlage ich Ihnen vor durch einen Stadtpostbrief an mich. Die sen Betrag rechne ich Ihnen nach gethaner Arbeit zurück. Gern! ganz gern komme ich rauf zu Ihnen und zur lieben Familie. Glauben Sie mir, Schickungen, die mir vielmal nicht gefielen, sind mir in meinem Leben in meiner Ehe bekannt geworden, daß ich sagen kann: Mein Herz ist durchs | art zu knüpfen.

„Habt Ihr vielleicht etwas zu helfen ?" fragte Salome. „Man hilft ja gern einander." Ihre Manier war es, an die einfachste Antwort eine allgemeine Redens

Feuer der Trübsal geläutert, und weiß „Nein," sagte das Frauchen, „heute

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