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zu Frommanns. Alle Morgen um elf Uhr fuhr Er vor und machte Seinen Morgenbesuch. Wobei ich auch das Unglück hatte, Göhte mit einer Butte Wasser zu überschütten. Göhte wollte mich die Thür halten und bekam die Wasserbutte auf den Hals; ich war zum Tode erschrocken. Madame und Fräulein Frommann kamen mit Tüchern und beseitigten das nasse Element. Göhte fuhr nach Haus, um sich umzukleiden. Deshalb gab es keine Feindschaft. Den anderen Morgen war er wieder da und lachte. Er war nachher in den botanischen Garten gezogen, wollte aber nicht mehr in Jena bleiben, weil ihm das Essen aus dem Speisehause nicht schmeckte. From manns wollten Ihn gern für sich und Jena erhalten, der Grund war das Essen. Wie anfangen? Madame Frommann, eine sehr kluge Dame, sann hin und her. End lich kam sie auf ihre Köchin, das war ich. Sie ließ mich in ihr Zimmer kommen und sagte: Ich habe ein großes Anliegen an dich, was Göhte betrifft und du die Hauptperson bist. Willst du für Göhte kochen, den Mittagstisch übernehmen? Meine Speisekammer steht dir offen, thue es, ich werde dir's niemals vergessen. Nach langem Zureden gab ich mein Wort. An Göhte wurde geschrieben, daß Frommanns Köchin für ihn den Mittagstisch übernehmen wollte, und die Rückantwort war: Mit Freuden nehme ich das an. So tochte ich ein halbes Jahr für den großen Mann zu Danke. Göhte nahm sich gegen mich nicht, als wäre ich eine Köchin, sondern als wäre ich mehr. Wenn ich mit meinem Zettel kam, lag schon was Schönes da, anzusehen für mich. Kurz, ich kam mich vor, als gehörte ich der gelehrten Welt mit an. Gelegenheit hatte ich ja genug, große Männer zu sehen, ich sagte oft, das Frommannsche Haus ist der Siz der gelehrten Wissenschaft. Denn alle großen Männer schienen sich in dem Hause wohl zu fühlen. Nachdem verheiratete ich mich und konnte den Tisch für Göhte nicht mehr besorgen, weil die gefüllte Speisekammer nicht mit ging. Frommanns gingen ins Bad und Göhte nach Dornburg."

Ziemlich eine Stunde von der Stadt entfernt, trägt der Jenenser, wie es in einem Liede heißt, sein Dornburg gar mächtig im Herzen. Dieses Schloß war schon eine „Stätte Goethescher Jugendlust“, und auch der Greis, das ergrauende Haar noch kräftig emporgerichtet und das braune, forschende Auge sinnig aufgethan, schritt dort in den belaubten Gängen gern einher. Auf dem linken Ufer der Saale erhebt sich das Schloß. Epheu und Rosen verhüllen die Mauern, Blumen und Obst füllen die Terrassen. Der Fels steigt schroff in das Thal hinab, vom Flusse durchrauscht, und weit über Dörfer, Wälder, Weinberge und Kornfelder schweift der Blick.

Wie oft, ehe Goethe mit den fürstlichen Kindern im Prinzessinnen-Garten zu Jena war, hatte er trauliche Stunden mit ihnen in Dornburg verlebt! Dort sah er Augusta im Arm der Mutter und wohnte. ihren ersten Versuchen im Gehen bei. Dort in der Laube erzählte sie ihm von dem weißen Schäfchen, das ihr der Großpapa geschenkt; dann plöglich, ihr herziges Plaudern unterbrechend, hob er sie empor, trug sie nach der Obstterrasse und ergößte sich, wenn sie jauchzend nach einer Birne griff. Auf dem Rasen vor dem Portal blickte er ihr in die Augen, die vor Erstaunen größer und größer wurden. Die fürstliche Familie sah einem indischen Gaukler zu, der ein rotes Gewand und ein Barett mit Federn trug. Augusta, an der Hand der Mutter, staunte ihn wie ein Wunder an. Goldene Kugeln ließ er in der Luft, sechs Flaschen auf einem Finger tanzen. Messer und Teller warf er wie ein Rad um sich her, fing einen Degen mit den Lippen auf, verschluckte ihn sogar und nahm seinen Fuß in den Mund. Die kleinen Prinzessinnen waren ganz starr und sahen ihn ungern scheiden; aber ein anderer Künstler", der etwas später nach Dornburg kam, war schwerlich nach ihrem Geschmack. Ein dürres Männlein, mit Namen Pittschaft, ein Deflamator, trat auf. Er war in einen blauen Mantel gehüllt, hatte einen mächtigen Säbel an der

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In jenen schmerzlichen Tagen sind einige seiner schönsten Lieder entstanden, auch nahm er, um möglichst ganz in die Natur zu flüchten", botanische Betrachtungen wieder auf. Schon um die sechste Stunde erhob er sich dort vom Lager und genoß sofort Kaffee. Dann kam der Sekretär, dem er bis neun diktierte, und nach einem Gange auf den Terrassen oder im Garten wurden Freunde aus Weimar oder Jena empfangen. Die Tafel währte bis vier. Die Gäste verließen ihn dann, und wenn er am Abend eine Franzsemmel nebst einem Glase Moselwein genossen, etwas gelesen und Briefe unterschrieben hatte, ging er zu Bett. Da es dem Hofgärtner gestattet war, jederzeit sein Zim mer zu betreten, ohne gemeldet zu sein, so war es ihm vergönnt, ihn im Schlummer betrachten zu können. „Er legte sich auf den Rücken, die Hände außerhalb der Bettdecke auf der Brust wie zum Gebet gefaltet, den Blick nach oben gerichtet. Früh waren die Hände noch in ihrer ursprünglichen Lage, und sein Schlaf mußte tief und süß sein, denn das Lager zeigte keine Spur von Unruhe."

Der Hofgärtner wußte im Alter auch noch genau, wer Goethe in jenem Sommer auf Dornburg besuchte. Seine Schwiegertochter und die Enkel brachten ihm Spargel, Himbeeren in Gelee und Provenceröl zum Salat. Der Kanzler von Müller kam mit neuen Büchern, Heinrich Meyer mit Kupferstichen, die Hofdamen mit gehäkelten Sofadecken, die Goethe übrigens nicht leiden konnte, und die Herzöge Arthur Richard und Charles Wellesley v. Wellington mit indischen Waffen. Das waren die Gäste aus Weimar, während Frommann und Knebel aus Jena kamen.

Der Nestor des Weimarer Musenhofes,

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Ludwig v. Knebel, gehörte zu denen, die ihm durch lebendige Anteilnahme und Mitwirkung regen Aufschwung verliehen. Des geräuschvollen Hoftreibens müde, begab er sich früh in die Einsamkeit, doch blieb er durch Briefwechsel und Besuche ein vollgültiger Genosse jener Kreise. Nach mehrjährigem Aufenthalt in Jlme nau traf Knebel 1805 in Jena ein, wo ihm, nachdem er am Markt und am Neuthor gewohnt, der Kauf eines passenden Grundstücks Freude gewährte. Das zweistöckige, im Hintergrunde des Gartens gelegene Haus, das er mit Hilfe des Herzogs er warb, steht im Paradiese, jener beliebten, im Süden der Stadt zwischen Häusern, Gärten und der Saale gelegenen Prome nade, die jezt von der Eisenbahn durch schnitten wird. Eine längliche, von Buchen hecken, Linden und wilden Kastanien eingefaßte Wiese, von großen Alleen durch kreuzt: das ist im Grunde das Paradies, wo sich die Jenenser gern nach vollbrach tem Tagewerk ergehen.

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Außer Jenenser Professoren, wie Griesbach, Loder, Thibaut, Luden, Batsch und Büttner, traten der Herzog mit seiner Fast dreißig Jahre hat Timon-Knebel, ganzen Familie, Wieland, Matthisson,

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Fernow, Passow, Hufeland, Reinhard, in einem geheimnisvollen Duft. Wer kann Sulpiz Boisserée, Kosegarten, Walch, Rie- die Mannigfaltigkeit in der Übereinstim= mer, Goethes Schatten", Eckermann, mung malen? Die wechselnden Gestalten „Goethes Evangelist", und viele andere und Erhebungen der Berge, die breiten bei ihm ein. Oft war seine Stube mit Senkungen und Rücken derselben in grünDamenköpfen ausgeschmückt". Johanna lich goldener Schattierung der Weinberge, Schopenhauer bossierte ihn in Wachs, die Büsche und Hölzer, unter den nackten. redselige Schillern" erzählte ihm rüh purpurstrahlenden Flecken und Felsen, rende Geschichten, Frau Herder viel Mitten durch die noch grünende Flur Schönes von ihrem Mann", und Frau schlängelte sich der himmelblaue Fluß, v. Stein wußte Dinge über Goethe zu und an seinen Ufern lebten Gestalten der berichten, welche er lieber nicht hören Menschen und ihrer Wohnungen. Alles wollte". war Leben, und dem empfänglichen Gemüte war nichts ohne Bedeutung und Sprache. Leicht flogen die Wolken über den reinen Himmel hin und schienen der beseelten Natur noch mehr Bewegung und Sprache zu geben. Himmel und Erde waren fröhlich, und die Geschäfte der Menschen deuteten unter Liedern und Gesängen den Überfluß des reichen Jahres an."

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Seine Gemütsart neigte zur Beschaulichkeit, und die Briefe, die er in diesem Hause schrieb, enthalten viele Naturschilderungen, in denen sich das bescheidene Genügen eines Friedfertigen und das tiefe Verständnis eines Naturfreundes ausspricht. Noch nie hat mir eine Wohnung mehr Ruhe gegeben," schrieb er im Früh ling 1810, und dies macht der schöne grüne Teppich, den ich vor mir habe, und der daran hinstreichende Fluß. Auch die Berge nehmen sich nicht schlecht aus, und ich bin ihnen etwas näher." Seiner Schwester beschrieb er die Pfingsttage und den Genuß eines Herbstabends: „Möchte ich doch des schönen Nachmittags und Herbstabends nie ver= gessen, wo ich gestern an den Ufern der Saale, jenseits meiner Wohnung, von der Schneidemühle aus bis zu den Hügeln. über Wenigen-Jena hin spazieren ging. Die Stimmung meines Gemüts antwortete den Erscheinungen, die mir Himmel und Erde vorhielt, und die Natur stand im holdesten Reize vor mir. Selbst die Schatten der Berge wurden zu lieblichen Gestalten und stimmten ein in das hohe Konzert. Himmel und Erde, durch den herrlichen Son= nenstrahl erweckt, schienen in leichter Bewegung, als wenn sie sich in Liebe einander nähern wollten, und das Ganze zerfloß

Diese Gemütsruhe konnte sogar die Kriegsfurie nicht erschüttern. Als Augenzeuge und Leidensgenosse erlebte Knebel 1806 die Plünderung der Stadt. Unter

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Die neue Universität in Jena.

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Durch die Frau eines Generals mußte er dem Kaiser Napoleon Speisen und Wein schicken, und nur mit großer Mühe und Überredung konnte er sein Haus vor Brand und Plünderung retten. Nach wiederholten Durchzügen der Preußen näherten sich am 12. Oktober die Scharmügel der Stadt. Marschall Lannes, be richtet Johanna Frommann, führte die ersten regulären Truppen herein. Eine halbe Stunde vorher waren die Straßen von Chasseurs und Voltigeurs in weißen Kitteln überschwemmt. Einige von ihnen packten gleich einen Professor an, forderten ihm Geld und Uhr ab und wollten ihm auch den Hut nehmen; auf die Vorstellung, daß er ihn jest notwendig brauche, ließen sie ihm denselben. Bald darauf war in Frommanns Nähe arg geplündert; eine Schreckenspost jagte die andere, man hörte von nichts als Raub und Grausamkeit.

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Unter Feuersbrünsten, Lärm und Verzweiflung währte die Plünderung drei volle Tage. Etwa dreißig Häuser wurden in Asche gelegt, doch war der Brand wohl zufällig entstanden. „So dumm," sagte ein französischer Offizier, „sind die Franzosen nicht, daß sie eine Stadt anzünden sollten, die in ihrem Besiz ist und deren Hilfsquellen ihnen zu Gebote stehen." Ein anderer Augenzeuge, Professor Luden, sagte gleich nach der Plünde rung, daß er die Stadt kaum wieder und die Menschen gar nicht erkenne. „In manchen Häusern waren Thüren, Fenster und Fensterläden noch zerbrochen; in an deren hatte man ausgebessert; hin und wieder war man mit der Ausbesserung beschäftigt. Die Straßen waren ausein ander getrieben; hier und dort fanden sich Haufen von Unrat. Die Menschen, deren ich ansichtig wurde, schienen freilich jämt lich zu den geringen Klassen zu gehören,

aber ich erblickte auch nicht eine einzige nette, behagliche und reinliche Gestalt. Alle Gesichter waren eingefallen und lang geworden; keine rote Wange zeigte sich, ja keine Wange, in der ein Blutstropfen zu entdecken. Das Auge sah scheu vor sich hin, und nirgends ward ein freudiger Laut gehört, nirgends eine Spur von Heiterkeit entdeckt. Selbst die Kinder waren eingeschüchtert und blickten mit Ängstlichkeit seitwärts auf die Franzosen, die einzeln durch die Straßen gingen. Vor der Kirchthür hielt ein großer Leiterwagen, der schon ziemlich mit Leichen, ohne alle Bedeckung aufeinander gepackt, angefüllt war, und man trug noch andere Leichen, gleichfalls ganz nackt, aus der Kirche heraus, um sie mit demselben Wagen zur ewigen Ruhe zu bringen. Alle diese unglücklichen Menschen, zum Teil sehr verstümmelt, waren in der lezten Nacht gestorben, und wahrscheinlich war dieser Wagen nicht der erste, der diesen Morgen mit der traurigen Last beladen war. Auf den breiten Stufen vor der Kirche saßen mehrere französische Soldaten, die ohne Zweifel leichter verwundet waren, und sahen mit ernsten und düsteren Mienen schweigend zu. Ich aber wendete die Augen ab und eilte vorüber."

Schlimmer aber als Knebel, „der sich die Horde glücklich vom Halse hielt“, erging es Frommann, bei dem die ungebetenen Gäste in drei Tagen vierhundert Flaschen Wein leerten, neun Gänse, eine Menge Enten und Hühner, einen großen Vorrat Salzfleisch und vier Schock Eier verzehrten. Goethe sandte Lebensmittel aus Weimar und wiederholte diese Sendung 1813, wenige Monate vor der Leipziger Völkerschlacht. Damals sah Knebel vor seiner Wohnung im Paradiese italienische Truppen, die alle Hecken und Thüren in der Nähe zerstörten, um sich Schuß gegen das anhaltende Regenwetter zu schaffen. So haben sie sich," schrieb er an seine Schwester, „in kurzem eine kleine hölzerne Vorstadt erbaut, deren Nähe uns zwar einige Besorgnis erregte, ihnen aber bei der regnichten Nacht sehr wohl bekam,“

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