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erhoben und versuchte, indem es mit Augen und Mienen das todkündende Zeichen wiederholte, den Flehenden an den Schultern niederzudrücken. Dabei rief er: Ihr waret es, Signor Orlando, der kein Erbar men mit seinem Kinde gezeigt!" Daniello und Andrea stürzten sich, aus halber Betäubung erwachend, auf den Unglücklichen und ergriffen ihn. Sein Wehruf: „Chiara -meine Chiara!" gellte noch einmal über das stille Wasser, dann schäumte das selbe hoch auf, und Orlando Cornaro verstummte für immer. Signor Alvise Morosini, der Senator, schüttelte seinen in Unordnung geratenen Sammetmantel zurecht, setzte sich scheinbar ruhig wieder nieder und prüfte mit scharfen Blicken die Gesichter der beiden Gondoliere. Was er auf denselben las, schien ihn nicht zu befriedigen; er gönnte ihnen ein Wort über den Verurteilten, der natürlich so wenig schuldlos gewesen sei als einer von allen, die diesen feuchten Weg gegangen. Orlando Cornaro habe als junger Witwer, unbekümmert um Schicksal und Zukunft seiner einzigen Tochter, in sinnloser, unedler Verschwendung das Vermögen des edlen Hauses herabgebracht, drei Warnungen des Rates der Zehn keck in den Wind geschlagen und auf den väterlich erteilten Rat, einen Statthalterposten auf Kandia anzunehmen, mit Hohn geantwortet. Um das goldene Buch vor einem Schmug flecken, den Wahnsinnigen vor einem schimpflichen Ende und sein Kind vor Bettlerarmut zu bewahren, habe die Staatsbehörde eingreifen und den unverbesserlich Ruchlosen der Barmherzigkeit Gottes befehlen müssen. Andrea und Daniello hatten dem Berichte stumm gelauscht und das Zittern, welches sie nachträglich befiel, so gut verborgen, als sie vermochten. Sie waren beim Morgengrauen heimgekehrt wie sonst auch, sie hatten wie sonst in der Kirche Santa Maria dei Gesuiti ein Gebet für die arme Seele gesprochen und wie sonst Signor Alvise vor einer Schwelle und Thür abgesezt, welche nicht die seines Palastes waren. Danach freilich hatten sie nicht so ruhig geschlum

mert wie sonst und den ganzen folgenden. Tag einander mit scheuen Blicken angesehen. Aber die Zeit war auch darüber hingegangen - sie hatten jener Nacht zwischen San Andrea dell' Lido und San Erasmo nur gedacht, wenn sie auf ihren gemeinsamen Fahrten stillschweigend den Palazzo zu vermeiden suchten, der Orlando Cornaro gehört hatte.

Und heute, zwischen Mitternacht und Morgen, vermochte der starke Daniello an nichts anderes zu denken als an die breite, von der hereinschwellenden See bewegte Flut, an das angsterfüllte, flehende Gesicht des jungen Edelmannes. Er atmete schwer in der raucherfüllten schwülen Luft, und es fuhr ihm wohl durch den Sinn, seine Gondel weit in die Lagune hinauszulenken, wo es kühler sein müsse. Dann war's ihm wieder, als ob Hand und Fuß den Dienst versagen würden, und er blieb am Boden seiner Gondel liegen und fühlte, wie die Last, die ihm sein Genosse im Sterben auf die Seele gewälzt, immer gewichtiger, immer niederdrückender ward. Die lezten Tage hatten jedes Dasein verändert, auf jedermann lag die dumpfe Sorge, nicht wie man wohl leben, sondern wie man gut sterben möge. Der rauhe Mann, der in Not und Gefahren keine Furcht ge= kannt, schauderte jezt vor einer letzten Stunde wie die seines Freundes Andrea. Umsonst wiederholte er die trozigen Worte: ‚Wie konnte jener Narr von uns sein Leben fordern, wer sind wir?" Vor seinem inneren Blick stand mit furchtbarer Deutlichkeit der andere Verlauf jener Nacht, wenn Erbarmen und ein Gefühl für das Rechte in Andreas und in seiner eigenen Seele gewesen wären. Ez hätte nicht mehr bedurft, als daß sie beide dem unglücklichen Cornaro beigesprungen wären und ihr Fahrzeug entschlossen nach der friaulischen Küste gelenkt hätten. Der Staatsinquisitor war ja einer gegen drei gewesen, Daniello allein hätte ihn mit einem Griff seines starken Armes über Bord schleudern können, falls er Widerstand versucht hätte. Von der Nähe der Tre Porti aus aber wäre es so leicht ge

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wesen, in einigen Tagen kaiserliches Gebiet und volle Sicherheit zu gewinnen. Immer wilder wogte es in Daniello auf: Er war unschuldig, er war in Todesnot, wir hätten ihm helfen müssen! Venedig?! Was kümmern mich heute die Republik und alle ihre Erlauchten? Die Pest rafft uns alle dahin am Ende braucht jeder nur den Plah, wo er in Frieden mit sich und mit Gott sterben kann. Verflucht, daß dem Menschen die Einsicht erst mit der Not kommt! Signor Orlando wird uns als seine Mörder anklagen, und wir werden nicht antworten können: Herr, wir wußten nichts von diesem!"

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So lag Daniello Barozzi, finster vor sich hinbrütend, in seinem schwarzen Fahr- | zeug und ließ die Nacht verrinnen. Die Flut trat in den Kanal und schaukelte die Gondel stärker — er merkte es so wenig, als er den falten Hauch verspürte, wel cher in den ersten Morgenstunden statt des Rauches der völlig erloschenen Pestfeuer die weißen Dünste, die vom Wasser aufstiegen, vor sich her kräuselte. Der zerknirschte Mann, der sich in diesen Stunden elend fühlte wie nie zuvor, ließ sein müdes Haupt auf die Brust sinken und heftete die Augen, in die kein Schlaf gekommen war, an das Deckbrett der Gondel, auf dem Andrea sonst gestanden hatte und nie mehr stehen würde. Wie endlich das erste Morgengrau sich zwischen den hohen Dächern hereinstahl und ein paar Käuzchen, die ihre Kluft hinter den dunklen Brandmauern des Rio hatten, zu Nest flogen, sprang Daniello mit einem so jähen Ruck empor, daß das trübe Kanalwasser über die Planken seiner Gondel hereinsprißte. Ein Entschluß hatte ihn noch vor dem Tageslicht durchblißt: „Andrea traf das eine, was noch bleibt: Gut machen, was wir verbrochen! Signor Orlando hat ein Kind zurückgelassen! Vielleicht ist es in dieser Unheilszeit hilf los, vielleicht haben die Diener seines Hauses die Flucht ergriffen. Ich will nach dem Kinde des Cornaro sehen und jede Stunde Leben, die mir bleibt, jede Zechine, die ich habe, für dasselbe hingeben!"

So stand er in seiner Gondel aufrecht; das Frühlicht beschien ein Gesicht, welches blasser und gefurchter, doch auch gefaßter war als am Abend zuvor. Mit einer plößlich erwachten Ungeduld sah er den Kanal hinab, es drängte ihn hinwegzukommen und den ersten Schritt auf der Bahn zu thun, die er jetzt vor sich sah

und doch fühlte er sich hier noch festgebannt. Er mußte Gewißheit haben, daß sein armer Kamerad wenigstens zur Ruhe in den großen Gräbern gebettet werde, die auf San Michele für die Opfer der Seuche bereitet waren. So harrte er, während rings um ihn her der Morgen die geschwärzten Mauern und die Thüren mit den roten Kreuzen enthüllte. Die Häuser schienen alle so ausgestorben, wie das Andreas in der That war. Kein Schritt klang, kein Menschengesicht zeigte sich an einem der Fenster; noch eine Stunde rann so dahin, und die Dämmerung ward lichter und lichter, ehe sich endlich das Geräusch von Ruderstangen vernehmen ließ. Daniello erkannte an der schleppenden Art, mit welcher ein schweres Fahrzeug vorwärts bewegt ward, daß es die Pestknechte seien, die ihre Morgenfahrt antraten. Er rief ihnen, auf die Hausthür Andreas deutend, schon von weitem entgegen, daß sein Gefährte inzwischen verschieden sei.

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Faßt ihn sänftlicher an, als ihr gewohnt seid, und legt ihn wenigstens so, daß er ein Stück Erde für sich allein hat. Im Hofe nebenan liegt noch ein Totes ich weiß nicht, ob Mann oder Weib bei der Cisterne! Ich lege euch hier eine Zechine ans Ufer, damit ihr eure Pflicht gut erfüllt. Überzeuge ich mich, daß ihr für den armen Andrea Rotto ein Übriges gethan habt, so sollen euch zwei oder drei weitere Goldstücke nicht fehlen. Wißt ihr, wie es mit der Krankheit in den Häusern am Rio Polo steht?"

„Wie überall, Sor Daniello!" sagte einer der verhüllten Schiffer. „Fast in jedem Hause war oder ist die Pest. Sie nimmt seit gestern in allen Quartieren der Stadt noch zu, nur bei den Ca

stellani steht es ein wenig besser, wenn | say, den er gefaßt, ihm eine Art troßigen Ihr Euch dort eine Wohnung suchen Lebensmutes zurückgegeben habe. wollt."

Rasch genug ward ihm dieser neuerwachte Mut gebeugt, als er schon von fern erkannte, daß der Palazzo Cornaro so wüst und verlassen schien wie andere der großen Häuser am Rio Polo. Besser hätte es Daniello gedünkt, wenn eine Wache von Slavoniern ihm mit ihren Partisanen das Anlanden verwehrt hätte, als daß die Vorstufen menschenleer waren, der Morgenwind durch die hohlen Fenster des großen Baues strich und die kunstreichen ehernen Thorflügel weit offen standen. Er hatte sich während der leßlen halben Stunde das Hirn zersonnen, wie er Eingang in den Palast und Zutritt zu der jungen Signorina Chiara Cornaro gewinnen solle. Jezt hinderte niemand die Anfahrt und niemand den Eintritt. Ein Gefühl der Bestürzung ergriff ihn, es sah völlig so aus, als ob die Pest hier ihr Unheilswerk bereits gethan habe und das Haus nur darum offen stehe, weil es von niemand mehr bewohnt. werde. Daniello meinte die rettende Hand, die er im tiefsten Elend seines Schuldbewußtseins über sich erblickt hatte, verschwinden zu sehen. Er, der geschickte Gondolier, fuhr so unachtsam und gewaltsam an den Stufen des Palazzo auf, daß er beinahe von der Kante seines Verdecks in den Kanal gestürzt wäre. Mit Entsezen nahm er drinnen von der Vorhalle aus die Flucht geöffneter und völlig leerer Zimmer wahr, in denen sich kein Mensch zeigte. Hastig stieg er die Treppe empor Wo Daniello ein menschliches und traf auch oben auf offene Thüren Gesicht wahrnehmen konnte, trug es das und Räume, die seit längerer Zeit nicht Gepräge der Trauer oder der Furcht; bewohnt gewesen waren. Nur eine einzige lautloser als sonst erschienen die stillen Thür rechts vom Treppenaufgang schien Wasserstraßen, in die er wieder einlenkte fest verschlossen, und ehe der Eindringling und durch die er dem Palazzo Cornaro sich entschied, ob er hier anpochen oder zustrebte. Er hatte seine Fahrt nur mit Gewalt zu öffnen versuchen solle, hateinige Augenblicke unterbrochen, um sich ten ihn seine zwischen den leeren Marden Beutel mit Andreas Hinterlassenschaft | morwänden wiederhallenden Schritte anwie eine Tasche umzuknüpfen, da er be- gekündigt, und von drinnen ließ sich eine dachte, daß er seine Gondel verlassen Stimme vernehmen: „Wer ist hier? Wer müsse. Und während er eifrig dem Ziele seid Jhr? Was sucht Ihr?" entgegenruderte, fühlte er, daß der Vor

Der Gondolier des Rates der Zehn machte eine abwehrende Bewegung. Er blieb noch einige Minuten an seinem Plaze und sah mit gramvollem Blick, wie die Becchini die Leiche Andreas, welche sie in die Decke seines Sterbelagers gewickelt hatten, mit mehr Sorgfalt, als sie sonst zeigten, in ihr Fahrzeug trugen. Dann sezte er seine Ruderstange ein und ließ endlich seine Gondel davongleiten. Er wußte wenigstens, was er zunächst thun wolle, und in seinem Gesicht paarte sich ein Wiederschein der quälenden Reue, die ihn erfüllte, mit dem Ausdruck düste rer Entschlossenheit. Indem Daniello den Rio di Felice durchfuhr und über den großen Kanal seßte, war es völlig hell geworden; über der Stadt erschien der Himmel rosig angehaucht und lichtklar. | Doch nirgend erschlossen sich Läden und Thüren dem neuen Tage. Längs der Ufer schritten in kleinen Trupps die Sbirren, an anderen Stellen häuften die Arsenalotten, die mit der Entzündung der Pestfeuer betraut waren, Holz und Wachholderreisig zusammen. Der große Kanal, sonst um diese Morgenstunde so belebt, zeigte sich auf und ab trostlos verödet. Ein paar der unheimlichen Fahrzeuge mit der schwarzen Fahne, welche die Toten der Nacht in den Häusern gesammelt hatten, fuhren schwerfällig den Kanal hinab; ein paar Gondeln, in denen Ärzte oder Geistliche saßen, glitten hin und wieder.

„Um der Signorina Chiara willen, öff

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net!" rief Daniello, der sich jezt zum besser Fabiano hat sich über das Schickerstenmal besann, wie unerhört sein Ver- sal seines Herrn und dieses edlen Hauses langen selbst in dieser Zeit sei. Den wah gehärmt, bis er lebenssatt ward. Ich ren Grund seines plötzlichen Diensteifers selbst könnte mich jede Stunde hinlegen für das Haus Cornaro durfte hier nie- und sterben, ohne daß mich die Pest hinmand von fern ahnen. Aber mit dem raffte. Da haben sie uns das öde Haus Troz und der Verschlagenheit, die ihm durchräuchert und, wo Fabiano nur hineigen waren, rechnete er auf einen glück getreten ist, Decken, Betten und Hausrat, lichen Zufall, einen Pfahl, an den er sich die beiden Gondeln und die Ruder, alles, festlegen könne, wie er in der Sprache was sie greifen konnten, verbrannt. Als seines Berufs sagte. Und ein solcher fand ob wir nicht schon ärmlich genug in dem. sich alsbald: die Thür, durch welche die großen Palazzo gesessen hätten!" „Wenn also euer Fabiano Frage erklungen war, that sich auf, der Gott sei Kopf einer greisen Frau, deren weißes seiner Seele gnädig hinüber ist, braucht Haar von einer dunklen nonnenhaften die Signorina um so mehr einen guten Haube bedeckt war, ward sichtbar und Gondolier!" fiel Daniello der scheltenden die Stimme wiederholte mit hörbarer Alten ins Wort. „Führt mich zu ihr, zu Ungeduld die Frage: „Wer seid Jhr und ihrer Aja, laßt mich mein Wort anbringen!" was könnt Ihr von uns wollen?"

„Mich sendet Fra Paolo, der Theatiner!" versezte Daniello, dem der Name seines Beichtigers im rechten Augenblicke einfiel. „Er hat vernommen, daß im Hause Cornaro viele Diener die Flucht ergriffen haben, daß der Gondolier gestorben ist. Ich bin Daniello Barozzi, ein guter Gondolier, und zu jedem Dienst für die junge Herrin Eures Hauses bereit, solange mir Gott das Leben gönnt." Überrascht, aber mit entschiedenem Mißtrauen in ihren Zügen trat jezt die Alte in den Saal heraus, der hier das Obergeschoß des Palastes in zwei Hälften teilte. Ihre Augen ruhten prüfend auf dem bleichen Gesicht Daniellos.

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Wer ist Euer Fra Paolo ?" sagte sie erst zögernd und im Verlauf ihrer Rede eifriger und heftiger werdend. „Was erzählt er Euch für Fabeln? Im Hause Cornaro braucht nicht erst die Pest die müßigen Diener zu verscheuchen, die meisten haben dem Unglück den Rücken gekehrt, schon seit der erlauchte Signor Orlando in der Fremde oder im Grabe verschwunden ist. Von den wenigen, die geblieben sind, ist freilich der arme Fabiano, der Gondolier, vor zwei Tagen gestorben. Die Sbirren wollen durchaus wissen, daß der Arme an der Pest verschieden sei. Unser alter Signor Dottore weiß es

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Chiara Cornaro braucht für jezt keinen Gondolier, und wer weiß, ob sie je wieder einen bedarf!" sagte die Alte heftig. Das arme Kind hat wahrlich. hier in dem geplünderten Hause schlecht genug gelebt, aber sie war doch daheim. und ward von uns auf den Händen getragen! Jezt mag die allerheiligste Jungfrau ihre Hände über sie breiten! Gott weiß, was sie mit ihr vorhaben. Wenn sie leben soll, blieb sie hier vor der Seuche ebensowohl bewahrt wie dort drüben so wahr ich Gemma Maura heiße!"

Daniello, der in höchster Spannung und innerer Pein ihrem Gerede gelauscht hatte, fuhr ungestüm heraus: „So wäre Signorina Chiara nicht mehr hier im Hause? Und wo weilt sie — und wer hat ihr den schlimmen Rat erteilt, bei solcher Zeit den lezten Schuß, den des eigenen Hauses, zu verlassen ?“

Die Alte maß mit unvermindertem Mißtrauen den lauten Sprecher. Ihrem scharfen Auge war die leidvolle Unruhe in dem Gesicht des fremden Mannes nicht entgangen, zu deuten wußte sie dieselbe nicht. „Wenn Euer Fra Paolo Euch so vieles gesagt hat, warum verriet er Euch nicht, daß sie Madonna Chiara zum Palast Morosini geführt haben, damit sie dort besser vor der Krankheit behütet sei als hier?"

Daniellos Augen hefteten sich so un- | gnor Alvise hat bis vor drei Tagen nach heimlich starr auf die greise Beschließerin, Signorina Chiara wenig gefragt und nur daß dieselbe ein paar Schritte gegen die Luca die paar Zechinen zugezählt, die für Thür zurückwich, aus der sie vorhin ge- Kleider und Schmuckwerk des armen Kinkommen war. Aber der Gondolier war des ausgegeben werden durften. Da mit mit einem Schritt wieder neben ihr, legte einemmal kommt er und reißt sie heraus ihr seine Hand wuchtig auf die Schulter aus dem Haus ihrer Väter." und sagte mit gewaltsam gedämpfter Stimme: Wo ist das Kind, in wessen Hause? Beim Alvise Morosini von San Stefano? Um der Barmherzigkeit Gottes willen, sagt mir, daß Ihr lügt, oder redet die ganze Wahrheit!"

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„Und er hat sie allein, ganz allein mit sich in sein Haus genommen?" fragte Daniello wieder ungestüm dazwischen.

Behüte Gott, ihre Aja und ihre Cameriera sind mit ihr!" verseßte Frau Gemma empfindlich. „Signor Orlando Gott verzeih ihm! hat schlimm ge

Daniello mochte nichts mehr hören. Er hatte erfragt, was die blöde Alte wußte, und jeder Augenblick Verzögerung dünkte ihm unheilvoll. Er zwang sich, noch zu äußern: „So werde ich meine Dienste dort anbieten müssen, wo Eure junge Herrin weilt. Fra Paolo wird erstaunt sein, zu hören, daß Signorina Chiara nicht mehr hier ist. Gehabt Euch wohl, Frau Gemma!“

Ihr wißt die Wahrheit!" rief Gemma. „Liegt Euch so viel an dem edlen Kinde | wirtschaftet, aber so bettelarm sind wir obschon ich Euch nie hier im Hause doch nicht, daß das arme Kind niemand erblickt habe und am wenigsten damals, hätte, der ihm hilfreich zur Hand ist.“ als mit dem Verschwinden Signor Drlandos die große Not über uns herein brach, so seht selbst zum Palazzo Morosini! Das arme Kind hat lauter Freunde, von denen sie bei Lebzeiten ihres Vaters nichts gewußt! Signor Alvise hat nie mals als Gast unser Haus betreten, da wir hier noch Gäste sahen er ist nur einmal bei Signor Orlando gewesen, und unser armer Herr kam, als er den Besucher damals auf die Stufen unseres Palazzo geleitet hatte, so bleich zurück, wie wir ihn nur im Zorn gesehen. Aber jeit Signor Orlando von jener Fahrt, zu der ihn sein Better, der erlauchte Doge, lud, nicht heimgekehrt ist, spielt Signor Alvise Morosini hier den Herrn im Hause. Sein Befehl schnitt uns das Brot vor und maß uns den Wein zu, er ließ den alten Luca, den Hausmeister, allmonatlich zur Sala della Bussole kommen und forderte ihm Rechenschaft für jeden Scudo ab, als wären wir's gewesen, die Signor Orlandos Hab und Gut vergeudeten.“

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„Wir kennen Euren Fra Paolo so wenig als Euch!" rief die Alte hinter dem Abgehenden drein. Die lange Unterredung, die mit dem Namen endete, mit dem sie begonnen, hatte sie schließlich mit Bangen erfüllt. Verdrossen sagte sie vor sich hin: „Es muß wahr bleiben, in guten Zeiten braucht man in Venedig drei Hüter für die Zunge, in schlechten müssen es dreißig sein."

Daniello hörte, die Treppe mit wuchtigem Schritt langsam hinabsteigend, bereits nicht mehr, was im Obergeschoß gesprochen ward. In seiner Seele hatte keine andere Vorstellung Raum, als daß Alvije Morosini dem Hause der Cornaro den Untergang sinne und die Zeit der furchtbaren Krankheit dazu benutzen wolle, um auch das schuldlose Kind des schuldig-unschuldigen Orlando zu verderben. Der zerknirschte Mann vergaß völlig, wie jung seine Reue und seine Sehnsucht nach einer thätigen Buße seien, er fühlte nur, daß

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