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lich auch erfolglosesten Bestrebungen gin- und doch auch wieder mit ausländischen gen nach dieser Seite hin; für Tho- Phrasen und Wendungen auf ziemlich ge= masius gab es ein so hohes Ziel schon | schmacklose Weise buntscheckig untermischt. nicht mehr, seine Bemühungen richten sich | Auf die Bestrebungen für Reinigung nur auf Verbesserungen der Einzelzustände der deutschen Sprache, wie sie in besonin Bildung, Gesittung, Wissenschaft und ders dafür gegründeten Gesellschaften zu Rechtspflege. Leibniz erscheint als der Tage traten und wie sie allerdings nicht legte Repräsentant einer Zeit, in welcher immer frei blieben von Übertreibung und der Gedanke nationaler Einheit und gro- Affektation, sah Thomasius spöttisch verBer Gemeininteressen auf den Gebieten achtend herab, während Leibniß vielleicht des öffentlichen Lebens, wenn auch in zu große Erfolge von ihnen erwartete. den äußeren Schicksalen der Nation be- Die Wahrheit lag wohl hier, wie so oft, reits zu Schanden geworden, doch in in der Mitte. den Gemütern einzelner Höhergesinnter sich noch immer mit der ganzen Macht einer wertgehaltenen Tradition behauptete -mit Thomasius beginnt jene Periode unseres deutschen Kulturlebens, für welche diese Fragen völlig abgethan sind und wo der ganze Drang des Reformierens sich auf das ideale Gebiet der Denkfrei heit, der Aufklärung, der geistigen Entwickelung des Individuums wirft.

Durchgreifende Reformen im Fache der Jurisprudenz, für Leibniß eine der frühesten Lieblingsideen seiner Jugend, waren auch für Thomasius, besonders in seinem reiseren Alter, ein Gegenstand wiederholter und anhaltender Beschäftigung; allein ihre beiderseitigen Ziele waren verschieden: Leibniz erstrebte eine einheitliche und im großen Stile angelegte deutsche Gesetzgebung (etwa wie wir jetzt sie haben); Thomasius hatte es mehr auf praktische Verbesserungen der Rechtspflege im einzelnen nach den Forderungen der Vernunft und der Gerechtigkeit abgesehen.

Daher haben die Bestrebungen dieser beiden Männer selbst da, wo sie scheinbar sich in der gleichen Richtung bewegen, dennoch einen wesentlich verschiedenen Charakter. Sowohl Leibniz als Thoma- Derselbe nationale Sinn leitete Leibsins zeigten sich eifrig bemüht, die deutsche niß bei seinen großartigen geschichtlichen Muttersprache wieder in ihre Rechte ein Studien; für ihn war eine umfassende zusehen; allein, was Leibniz bekämpfte, Geschichte des Reiches und seiner einzelvornehmlich die Entstellung des nen Teile das Ideal des GeschichtsforDeutschen durch die Aufnahme fremdarti- | schers — Thomasius sah in der Geschichte ger Elemente aus anderen modernen nur eine Sammlung von Beweisstücken Sprachen, ein Verfahren, welches seinen zu den Aussprüchen der Vernunft und Nationalstolz verlegte; Thomasius eiferte legte daher auf die Geschichte des menschgegen den übermäßigen Gebrauch der lichen Geistes, der Religion und der alten oder toten Sprachen (mit welchem Philosophie einen größeren Wert als auf übrigens auch Leibniß nicht einverstanden die Geschichte der äußeren Schicksale der war), weil er darin ein Zeichen gelehrter Völker oder der Politik der Kabinette. Pedanterie und ein Hindernis allgemeiner Verbreitung der Bildung erblickte. Leibnig schrieb zwar kein ganz reines, aber für die damalige Zeit ein verhältnismäßig gutes Deutsch, bisweilen von einer Kraft und Einfachheit, welche an die Schriften unseres großen Reformators erinnert der deutsche Stil des Thomasius ist nur zu häufig unschön, nachlässig in der Form, schwerfällig im Periodenbau, altmodisch

Das Strebeziel Leibniz' auf kirchlichem Gebiete war eine Aussöhnung und wenn möglich Vereinigung der getrennten Konfessionen, nicht bloß der Lutheraner und Reformierten, die sich damals aufs leidenschaftlichste bekämpften, sondern auch der Protestanten und der Katholiken. Er hoffte davon eine Beseitigung der unseligen Spaltung Deutschlands, ja vielleicht die Verwirklichung seiner hochfliegenden

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täten und leitete

Ideen von einem christlich germanischen Aristokratie von Gelehrten unter der Weltreiche Thomasius ging viel nüch- Form von Gesellschaften oder Akademien; terner, aber viel praktischer zu Werke, Thomasius hielt die Freiheit für einen indem er Duldung und Gewissensfreiheit kräftigeren Hebel des geistigen und wissenfür den einzelnen erstrebte, zu dem Ende schaftlichen Fortschritts als alle Socieaber auf eine möglichst scharfe Trennung zwischen dem weltlichen und dem geistlichen Gebiete drang. Beide, sowohl Leibnih als Thoma

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sius, waren von Haus aus Lutheraner; allein Leibnitz schien bisweilen dem Katholicismus, dessen großartige Organisation er bewunderte, so

sehr sich zu nä= hern, daß ihm mehrfach (obgleich mit Unrecht) schuld ge= geben ward, er habe seinen Glau= ben gewechseltThomasius, von der Unduldsamteit lutherischer Zeloten aufs tief= ste verlegt, neigte der minder schrof sen Lehre der Reformierten zu. Wie in ihren

Zwecken, so wi

aus dem Mangel dieser Frei

heit (nicht wie Leibniz aus dem Mangel an Protektion der Ge= lehrten seitens der Vornehmen)

das Zurückbleiben Deutschlands hinter Ländern in Wis= senschaft und Bil

anderen

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chen beide Män

ner auch in der

Leibniz-Standbild in Leipzig.

jüngeren Strebensgenossen bei weitem überle= gen; dagegen übertraf ihn dieser an Stärke des Charakters, Energie des Wil

Art und Weise ihres Wirkens wesentlich lens, Mut und Selbstverleugnung in voneinander ab. Leibniz erblickte den sichersten Weg zur Durchführung groBer, gemeinnüßiger Reformen teils, wie schon oben erwähnt, in dem unmittel bar fördernden Eingreifen der Macht haber, teils in der Vereinigung einer

Verteidigung der Wahrheit. Leibniz war ebenso rücksichtsvoll nach allen Seiten wie Thomasins häufig rücksichtslos. Jener, eine, wie er selbst sich nennt, zum Vermitteln geschaffene" Natur, bejaß das seltene Talent, in allen, selbst den ab

weichendsten Meinungen irgend etwas zu schen und nicht am wenigsten auch der entdecken, was den seinigen wahlverwandt, Deutschen lag, für die Erweckung eines was zur Anbahnung einer Vereinigung geeignet schien; für diesen war steter Kampf ein Lebenselement, und so konsequent verfuhr er in der Verteidigung des sen, was er für das Rechte hielt, und in der Bekämpfung des Gegenteils, daß er auch solche, die in manchen Punkten mit ihm über einstimmten (z. B. die Pietisten), dennoch unerbittlich befehdete, sobald sie an irgend eine Seite seiner Überzeugungen rührten. Durch seine Entdeckungen in den er akten Wissenschaften, namentlich der höhe ren Mathematik (als Erfinder der Differentialrechnung), und durch seine spekulativen Ideen: seine Monadenlehre, seine Lehre von der vorausbestimmten Über einstimmung der geistigen und der körperlichen Bewegungen, endlich seine Theodicee", worin er nachzuweisen sucht, daß die von Gott geschaffene Welt von allen denkbaren Welten die beste sei durch alles dieses hat Leibniz tiefere und blei bendere Spuren in der Geschichte des deutschen und überhaupt des menschlichen Geistes zurückgelassen als Thomasius; allein für die Verbreitung der Kultur, für die Zerstreuung des dichten Nebels der Unwissenheit und des Aberglaubens, der zu Ende des siebzehnten Jahrhunderts noch auf dem größeren Teile der Men

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freieren, humaneren und zugleich sittlich ernsteren Geistes in allen Schichten des Volkes hat vielleicht Thomasius mehr gewirkt als sein größerer und berühmterer Vorgänger. Wir Heutigen unterschäßen leicht das Maß von Mut und Entschlossenheit, welches damals in einer so dunklen und von so vielen Vorurteilen. befangenen Zeit dazu gehörte, um einen Kampf zu wagen, wie ihn Thomasius gegen die vereinigte Macht der kirchlichen Orthodoxie, des pedantischen Gelehrtentums, der Unwissenheit und Roheit in den unteren, der geistigen Schlaffheit und der sittlichen Verderbtheit in den höheren Klassen fast ein halbes Jahrhundert lang alleinstehend und nur auf sich selbst angewiesen geführt hat. Wenn die Ideen, für deren Geltendmachung Thomasius seiner Zeit so viel Eifer aufbieten, so viel Anfechtung und Verfolgung erleiden mußte, heutzutage ein Gemeingut aller Gebildeten und aller civilisierten Nationen ge= worden sind, so wollen wir doch nicht vergessen, wie viel Mut und wie viel Beharrlichkeit dazu gehörte, ehe es so weit kam, und wollen die Verdienste derer in Ehren halten, welche wie Thomasius diesen Mut und diese Beharrlichkeit besaßen und bethätigten.

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halb dürfen die Opfer, welche das Befahren der Meere erfordert, nicht in Betracht kommen. Von diesem Gesichtspunkte gingen auch schon unsere Altvordern, die Hansen, aus, und die Bremer seßten jenen Spruch über die Thür ihres alten Hauses „Seefahrt", in welchem sie alles verhandelten, was die Schiffahrt anging.

3 einst wegen stürmischen Menschheit und der Civilisation? und desWindes die für die Verproviantierung Roms mit Getreide bestimmten Transport flotten sich weigerten, von Ostia auszulaufen, soll Pompejus sie mit den Worten hinausgetrieben haben: „Navigare necesse est, vivere non necesse" die Schiffahrt ist notwendig, das Leben nicht. So hart dieser Ausspruch des Triumvirn Trozdem darf aber der Sinn jener flingt, hatte er nicht nur in jenem beson Worte nicht so weit gedeutet werden, als deren Falle eine Berechtigung, da das ob es auf das Leben der an Bord befind furchtsame Zaudern der Schiffer Rom mit lichen Personen nicht im geringsten aneiner Hungersnot bedrohte, sondern er komme, wenn nur die Schiffahrt bestehen darf auch in gewisser Beziehung verallge- bleibe, und am allerwenigsten kann man meinert werden. Was wäre die Erde sie in unserem Zeitalter so auslegen, dessen ohne Schiffahrt, wie stände es mit der Anschauungen über Humanität von den

Zeiten des Pompejus so verschieden sind. Wohl müssen Seeleute wie Passagiere ihr Leben wagen, wenn sie die Meere kreuzen wollen, aber ebenso fordert der Stand punkt unserer heutigen Civilisation gebieterisch, daß sich auf den Schiffen auch alle diejenigen Hilfsmittel befinden, welche dazu angethan sind, bei einem Unfalle, werde dieser durch Scheitern, Brand, Zusammenstoß oder durch andere Ursachen herbeigeführt, die Möglichkeit zur Rettung von Mannschaft und Passagieren zu geben. Diese Forderung erscheint so natur gemäß und selbstverständlich, daß man nicht begreift, weshalb sie nicht erfüllt wird, und dennoch lehren Fälle wie zum Beispiel Großer Kurfürst“, „Alice“, „Cimbria“ und „Daniel Steinmann" in erschreckender Weise, daß jene Hilfsmittel entweder ihren Zweck verfehlen oder sich nicht in genügender Zahl an Bord be finden.

Lezteres ist sehr leicht zu beweisen. Nehmen wir als Beispiel irgend einen transatlantischen Dampfer, der achthundert bis tausend Passagiere befördern kann, zu denen dann noch die Besazung mit etwa hundert Köpfen tritt, so ist diese Masse Menschen im Falle eines Unglückes zunächst auf die Boote angewiesen. Wie steht es aber damit? Auf solchem Schiffe sind acht Boote vorhanden; einige davon haben Luftkasten, damit sie nicht sinken können, und heißen deshalb besonders ,,Rettungsboote". Sie hängen in Kränen an beiden Seiten des Schiffes in symmetrischer Reihe, sind sauber gestrichen und sehen stattlich und so aus, als ob sie jeden Augenblick gebrauchsfähig seien. Dem mit Schiffsverhältnissen nicht bekannten und nur nach der äußeren Erscheinung urteilenden Passagier flößen sie ein Gefühl beruhigender Sicherheit ein und er blickt mit Vertrauen auf sie.

In Wirklichkeit sind aber die Sicher heit und das Vertrauen sehr problema tischer Natur. In dem günstigsten Falle, der indessen fast nie eintritt, das heißt bei ganz ruhiger See, genügender Zeit, Aufrechterhaltung der Ordnung und Disciplin,

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und wenn man sämtliche Boote glücklich zu Wasser bringen kann, fassen diese noch nicht ein Dritteil der oben genannten Zahl von Schiffbrüchigen. Die übrigen sind in den weitaus meisten Fällen von vornherein hilflos preisgegeben und dem Tode verfallen. Passiert das Unglück in einer lebhaften Wasserstraße, so können Rettungsgürtel und ähnliche Vorrichtungen wenn sie in genügender Zahl an Bord find - dazu beitragen, daß ein Teil der so Verlassenen sich stundenlang über Wasser hält, bis Hilfe von anderen Schiffen herbeieilt. Ein solcher Fall trifft aber, wie gesagt, nur höchst selten ein. Wenn schlechtes Wetter und hoher Seegang den Unfall begleiten, wenn er nachts eintritt, wenn wie bei „Großer Kurfürst“ und anderen das Schiff sich sehr bald nach dem Zusammenstoße so weit auf eine Seite legt, daß die Hälfte der Boote gar nicht einmal hinuntergelassen werden kann

wenn die Passagiere in ihrer Todesangst alle Disciplin und Ordnung durchbrechen und es selbst den energischsten und kaltblütigsten Seeleuten unmöglich machen, wirksame Rettungsversuche zu unternehmen, wie es meistens stattfindet, dann treten eben solche Fälle ein wie die oben genannten, bei denen viele Hunderte Menschen auf einmal und teilweise unter den erschütterndsten Umständen ihr Leben verlieren.

In den lezten Jahrzehnten haben sich derartige Katastrophen in erschreckender Weise gehäuft, aber bis jezt ist wenig oder nichts zu ihrer Abhilfe geschehen. Es ist dies geradezu unbegreiflich, und der gesunde Menschenverstand muß die Frage aufwerfen: Wenn auch die Passagiere selbst und die öffentliche Meinung, vielleicht aus Unkenntnis der einschlägigen Verhältnisse, nicht auf wirksame Wandlung dieser schreienden Mißstände drängen weshalb greift in solchem Falle nicht der Staat ein? Weshalb überläßt er es dem Belieben der Reeder, ihre Schiffe mit Rettungsmitteln auszurüsten, während er doch in allen anderen Fällen auf dem Lande, wo die Sicherheit von Menschen

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