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ie Stadt Leipzig hat unlängst ihrem großen Sohne Gott fried Wilhelm Leibniz ein seiner würdiges, von der Meisterhand Hähnels in Dresden geschaffe nes Denkmal errichtet. Sie hat damit nur eine alte Schuld der Dankbarkeit gegen den Mann eingelöst, dessen Ruh mesglanz auch auf sie, seine Vaterstadt, zurückstrahlt, obschon freilich kaum mehr als seine Geburt und seine erste Jugendbildung ihr angehört.

Eine ähnliche Verpflichtung hätte die Stadt Leipzig eigentlich wohl gegen einen zweiten großen Geist des siebzehnten Jahrhunderts, Christian Thomasius. Ja, diesem ist sie sogar noch schwerer verschuldet, denn ihm gegenüber hat sie nicht bloß, wie bei Leibniz, den Fehler begangen, ihn nicht festzuhalten, sondern das positive Unrecht, ihn von sich zu stoßen.

Die Verdienste eines Leibnitz, die ohnehin durch ihre Größe jedes Vergessen werdens spotten, sind bei Gelegenheit der Aufrichtung seines Standbildes auf dem Thomaskirchhofe zu Leipzig wieder viel fach in das gebührende Licht gestellt worden. Die Gerechtigkeit erfordert, daß das neben auch jenes anderen großen Leipzigers gedacht werde, der, ein Zeit- und Strebensgenosse von Leibniz, ihm in man chen Stücken ähnlich, in anderen freilich um so unähnlicher war.

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ein Leipziger Kind". Gleich diesem entstammte er einer Leipziger Professorenfamilie. Sein Vater, Jakob Thomasius, ordentlicher Professor der Philosophie an der Universität, war der Lehrer von Leibniz, wie er natürlich auch der Lehrer des eigenen Sohnes war. So hatten die beiden großen Männer die Wurzeln ihrer physischen und geistigen Existenz miteinander gemein: die Vaterstadt und den Lehrer. Sie waren im Alter um nicht ganz neun Jahre voneinander verschieden, Leibniz am 6. Juli 1646, Thomasius am 1. Januar 1655 geboren. Ihre Studien waren von Haus aus die gleichen, einerseits Jurisprudenz, andererseits Philosophie und Mathematik - eine damals nicht seltene Vereinigung verschiedener Fächer in einer Person. Gleich dem jungen Leibniz fühlte auch der junge Thomasius in sich schon früh den Drang und die Kraft, etwas Ungewöhnliches zu leisten, nicht auf den breit getretenen Pfaden des Hergebrachten zu wandeln, vielmehr seine Wege und Ziele sich selbst zu suchen.

Aber wie verschieden waren doch bald die Ziele und mehr noch die Wege der beiden Männer!

Beide fanden sich, als sie selbständig zu denken anfingen, unter dem Drucke eines angewöhnten und anerzogenen, beinahe blinden Autoritätsglaubens. Beide

Christian Thomasius war wie Leibniz machten sich davon frei, Leibnitz schon

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sehr früh, Thomasius erst in etwas späte ein sehr schönes Bekenntnis, welches ihn rem Alter. Kaum auf die Universität in Sachen des Glaubens als den Geübergegangen, erst fünfzehn Jahre alt, ging Leibniz schon mit sich zu Rate (auf seinen Spaziergängen in einem Wäldchen bei Leipzig, Rosenthal genannt, wie er selbst erzählt), ob er der alten Metaphysik (des Aristoteles) treu bleiben oder ob er sich den neuen Lehren englischer und französischer Denker, eines Baco, eines Descartes und anderer, zuwenden solle. Er entschied sich für das leßtere. Thomasius dagegen war schon akademischer Lehrer, als er noch immer an den streng orthodoxen Ansichten, wie sie damals gelehrt wurden, festhielt und gegen die freieren Ideen eines Hugo Grotius und eines Pufendorf auf dem Gebiete des Rechtes wie gegen Keßereien" heftig eiferte. Erst eine neue Schrift Pufendorfs brachte ihn zu der Einsicht (so schildert er selbst seine Bekehrung), „daß er ja doch ein mit Vernunft begabtes Wesen sei und daß er gegen die Güte des Schöpfers sündige, wenn er gleich einem Vieh sich von anderen am Zügel führen lasse, wohin es ihnen beliebe."

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sinnungsgenossen eines späteren großen Geistes, Lessing, erscheinen läßt, ja welches selbst in seiner Wortfassung einigermaßen. an diesen erinnert. Wenn mich jemand fragen wollte," sagt Thomasius, „was ich denn glaube: ob der Mensch durch den Glauben oder durch die Liebe selig werde, so würde ich ihn bitten, er solle mich mit dieser Frage verschonen. Wenn ich weiß, daß mich die Sonne erwärmt, so ist es eine unnötige Frage, zu forschen, ob es das Licht oder die Bewegung thue, obgleich die eine dieser Meinungen vielleicht der Wahrheit näher kommen mag. Anstatt daß man gestritten, ob der Glaube oder die Liebe selig mache, hätte man einander beiderseits auf das Innerste, auf das Reich Gottes in uns, führen sollen, dann würde es besser stehen. Wie, wenn nun einer heute aufstände und sagte: ‚Die Hoffnung macht selig? Was würde da für ein neuer Lärm werden! Meine Sittenlehre sagt mir:,Glaube, Liebe, Hoffnung machen selig. Auch die Hoffnung! Wo eines mangelt, da ist das andere auch nicht!"

Dies waren die einander ähnlichen philosophischen Anfänge der beiden Män- In den Augen der streng Orthodoxen ner. Im weiteren Verlaufe ihrer Selbst galt übrigens Leibnitz so gut wie Thoma entwickelung fand eine merkwürdige Um- fius für irrgläubig oder ungläubig. Bei kehrung der Pole statt: Leibniz ward in seinem Begräbnis sah man keinen Geistseinem Denken wieder mehr und mehr lichen. Das gemeine Volk in Hannover, konservativ; er setzte seinen Ruhm darein, unstreitig von den Geistlichen so gelehrt, nicht bloß die allgemeinen Grundlagen verkehrte den Namen Leibniz in Glövenir des christlichen Glaubens, sondern auch (Glaubenichts). Man machte es ihm zum manche der subtilsten Lehrsäße einzelner | Vorwurf, daß er sich unterfangen habe, Kirchen (z. B. das von den Katholiken die Glaubenslehren der Kirche philoangenommene Wunder der wirklichen Ver- sophisch erklären und erhärten zu wollen, wandlung der Hostie in den Leib Christi, da doch das Wesen dieser Lehren gerade die sogenannte Transjubstantiation) mit darin bestehe, daß sie nur geglaubt, nicht Hilfe philosophischer Auslegungen begreif bewiesen und nicht erklärt werden könnlich zu machen Thomasius hielt seit sei- ten. Daß Thomasius, der Vertreter einer ner Bekehrung den Glauben und das Wissen | „natürlichen“ (d. h. nur aus der menschstreng auseinander; die Wissenschaft sollte lichen Natur und ihren Gesetzen genach ihm von jeder Autorität unabhängig schöpften) Moral und eines ebenso von und nur auf die Geseße der menschlichen der Theologie unabhängigen ,,Natur Vernunft gegründet sein; dies hinderte rechts", von den Orthodoxen verkeert ihn jedoch nicht, einer tief religiösen Stim- wurde, versteht sich von selbst. mung zu huldigen. Wir haben von ihm

Den engen Kreisen des Universitäts

doch schon den philosophischen Doktorgrad daselbst erlangt hatte, war wohl nicht bloß der, daß man den juristischen Doktorhut ihm, dem kaum Zwanzigjährigen, als noch zu jung verweigerte; vielmehr war sein Geist über die engen Schranken des

lebens entzog sich Leibniz früh. Ihn trich es hinaus in die große Welt", und in dieser lebte er fortan ununterbrochen, theils an verschiedenen Höfen, erst in Mainz an dem Hofe des Reichskanzlers und Kurfürst-Erzbischofs, eines Grafen v. Schönborn, dann an dem der beiden Universitätslebens, wie es damals war,

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dem Banne des Pedantismus, in dem sie noch so tief verstrickt lagen, zu entreißen. Er that den für die damalige Zeit un erhörten Schritt, eine Vorlesung in deut scher Sprache durch einen deutsch geschriebenen Anschlag am schwarzen Brett anzukündigen an dem schwarzen Brett, „das“, wie sein Biograph Luden mit beißender Ironie bemerkt, noch nie zuvor durch die deutsche Sprache entweiht wor den war."

Hier traf übrigens Thomasius in seinen Bestrebungen vollständig mit seinem großen Zeitgenossen Leibniß zusammen; denn auch Leibnitz eiferte gegen die Miß achtung und Entstellung der deutschen Muttersprache und war unablässig bemüht, Gesellschaften für deren Pflege zu gründen.

Nach anderer Seite jedoch trennten sich die Wege beider wieder. Beide waren von einem lebhaften und feurigen reformatorischen Drange beseelt, aber sie schie den sich in den Mitteln, wie sie diesem Drange Genüge zu thun, wie sie ihre reformatorischen Ideen zu verwirklichen suchten. Leibniz wandte sich an die GroBen, bei denen er denn auch vielerlei Gunst genoß und hoch in Ehren stand; sie suchte er für seine Ansichten und seine Pläne zu gewinnen und er hatte damit insofern recht, als damals, wo es noch weder eine starke öffentliche Meinung noch einflußreiche und berechtigte Vertretungen des Volkes und seiner Interessen gab, Verbesserungen im Staats- und Gesell schaftsleben, wenn sie überhaupt erfolgen sollten, nur von oben, von den Regierenden, ausgehen zu können schienen. Er reicht freilich hat er auf diesem Wege nicht gerade viel, die Stiftung der Berliner Akademie ausgenommen, die er mit Hilfe der feinsinnigen Königin Sophie Charlotte von Preußen durchseßte. Thomasius wendete sich an die Kreise der Gebildeten (nicht der bloß Gelehrten); er suchte eine öffentliche Meinung zu schaf fen; er handhabte zu dem Ende mit großer Kraft und Kühnheit die seit lange außer Gebrauch gekommenen Waffen der

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Kritik, des Wizes, der Satire. Leibniz verfaßte gelehrte oder geniale Denkschriften, in denen er Fürsten und Könige, bis hinauf zum deutschen Kaiser und zum russischen Zar, für großartige wissenschaftlich-civilisatorische, humanitäre Pläne zu interessieren suchte, für die Gründung gelehrter Gesellschaften, für das Zusammenwirken zu großen naturwissenschaftlichen Entdeckungen, für nationale und internationale Zwecke aller Art; Thomasius schrieb Pamphlete, in denen er politische und religiöse Freiheit, Duldung, Aufklärung predigte. Zu einem einflußreichen und gefürchteten Organe dieser seiner Bestrebungen machte er eine von ihm begründete und - für jene Zeitin populärem Tone geschriebene Zeitschrift: die „Monatsgespräche“, eine Art von Gegenstück zu den im streng gelehrten Stile gehaltenen „Actis Eruditorum“, welche Leibniz mit Beiträgen bereicherte. In diesen Monatsgesprä chen" ging Thomasius zunächst mit der in akademischen Kreisen noch vielfach herrschenden Unwissenheit, Selbstüberhebung, Engherzigkeit scharf ins Gericht. Er verschonte weder die Theologen noch die Juristen, weder die Mediziner noch die Philosophen, sondern erklärte allen Fakultäten kecklich mit einemmal den Krieg. „Ich bin kein Theologus,“ sagt er in seinen „Monatsgesprächen“, „denn ich kann nicht mit den Kezern disputieren; ein Jurist bin ich auch nicht, dieweil ich die wunderliche Einbildung habe, daß die meisten Teile der Jurisprudenz von Triboniano und den alten Gloffatoribus so verhunzt worden sind, daß man sich gar nicht wundern darf, wenn heutzutage ein Rabulist so viel leichter in diesem Studio fortkommt als ein gelehrter Mann. Viel weniger bin ich ein Mediziner, denn ich habe mich von Jugend auf gehütet, mit anderer Leute Schaden klug zu werden, und halte von einem Trunk Rheimvein mehr als von der besten Perlessenz. Am allerwenigsten aber bin ich ein Philosophus, denn ich halte dafür, daß die Logica, die wir in Schulen und Akade

mien lernen, zur Erforschung der Wahr- | den Wirkungskreis und volle Freiheit für heit gerade so viel helfen, als wenn ich mit einem Strohhalm ein Schiffspfund aufheben wollte."

sein reformatorisches Streben. Dort war es auch, wo er eine der traurigsten Wirkungen der damals noch tiefgewurzelten Unwissenheit in Naturdingen: den Glauben an Heren und die daraus entspringenden Hexenprozesse, mutig und erfolgreich bekämpfte, nachdem er früher allerdings selbst (gleichwie auch Leibnitz) dem Glanben an direkte Einwirkungen höllischer Mächte auf die Menschen, an Verzauberungen und dergleichen gehuldigt hatte.

So verschieden war der Lebensgang, so verschieden waren die Richtungen der Thätigkeit dieser beiden großen Männer. Natürlich waren es auch die Resultate dieser Thätigkeit, natürlich war es auch die Art ihrer Einwirkungen auf ihre Zeit und auf ihr Volk. In Bezug darauf sei mir gestattet, aus einer Vergleichung zwischen beiden, die ich vor vielen Jahren in meinem kulturgeschichtlichen Werke Deutschland im achtzehnten Jahrhundert" angestellt habe, einige der dort ausgesprochenen Gedanken hier zu wiederholen.

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Besonders heftige Kämpfe hatte Tho masius mit den Theologen. Ihrem Glaubensdespotismus, ihrer Unduldsamkeit gegen Andersgläubige sezte er die entschiedene Forderung unbedingter Gewissensfreiheit und Toleranz entgegen. Als ein dänischer Hofprediger Masius, um den Jesuiten, die sich an die Fürsten drängten, den Rang abzulaufen, in einer besonderen Schrift auszuführen suchte, „keine Religion sei dem Ansehen der Regierungen so förderlich wie die protestantische“, da ergrimmte Thomasius über solch feilen Servilismus eines Lehrers des göttlichen Wortes und erklärte es „eines Theologen für unwürdig, seine Religion hohen Potentaten wegen des zeitlichen Interesses zu rekommandieren". Was den Sah vom „göttlichen Recht der Fürsten“ betreffe, den Masius besonders betont hatte, so meinte Thomasius: „er halte dafür, daß zwar die Majestät von Leibniz hat bei seinen Reformplänen Gott herrühre, daß aber zu deren Gül- immer ein großes Ganzes vor Augen: die tigkeit auch die Einstimmigkeit des Volkes Nation, die Wissenschaft, die Menschheit notwendig sei." Als die Leipziger Ortho- oder gar das unendliche Reich der Geister, doxen die Schüler des frommen Spener, die „Stadt Gottes“, wie er es nennt Francke, Anton und Schade, die sich in Thomasius beschäftigte sich vorzugsweise Leipzig habilitiert hatten, von da zu ver- mit dem einzelnen Menschen, seinen Leidrängen suchten, da warf sich Thomasius, denschaften, seinen Bedürfnissen, seinem obgleich nicht in allen Punkten mit der Fortkommen und Wohlergehen in diesem Spenerschen Lehre einverstanden, mutig irdischen Leben. Leibniz strebte überall zu ihrem Sachwalter und Verteidiger nach positiven, organischen Schöpfungen auf, erreichte aber damit nur so viel, und wendete seinen ganzen Scharfsinn daß auch ihn der volle Haß der Ortho- daran, das Neue mit dem Alten zu verdoxen traf. In seiner akademischen Wirk- mitteln, das Bestehende zugleich fortsamkeit durch sie gelähmt, der Freiheit zubilden und zu erhalten - des Thozu schreiben durch die über ihn verhängte masins Hauptstärke lag in dem RaumCensur beraubt, zuleht sogar in seiner schaffen für neue Bildungen, in dem persönlichen Sicherheit gefährdet durch Durchbrechen und Niederreißen der bedie von den Theologen beim Dresdener engenden Schranken, welche Herkommen, Hofe gegen ihn angebrachte Anklage auf Vorurteil, blinder Autoritätsglaube dem Majestätsbeleidigung, entwich er aus Leip- vorwärtsstrebenden Menschengeiste setzig in die Staaten des aufgeklärten und ten. Leibniz glaubte noch an die toleranten Großen Kurfürsten. Dort, an Möglichkeit einer Wiederbelebung und der bald darauf errichteten neuen Univer- Kräftigung des hinsterbenden deutschen fität zu Halle, fand er einen ihm zusagen- | Reichskörpers, und seine eifrigsten, frei

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