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Mund steckte, ohne den Anwesenden von seinem Vorrat etwas darzureichen - ein Anerbieten, das man das erste Mal stets ablehnt, aber — wird es wiederholt aus Höflichkeit annehmen muß. Eine freundliche Sitte, die zu den hübschesten Picknicks im Eisenbahnzuge Veranlassung giebt und die Menschen rasch miteinander bekannt werden läßt. Wer zusammen gegessen, muß auch zusammen plaudern. Wir könnten uns in manchen Dingen an diesem kindlichen Volke ein Muster nehmen. Hier ist nichts von dem Egoismus zu finden, der hartköpfig und hartnäckig seine geliebte „Ece" behauptet. Die Spanier schneiden dir kein finsteres Gesicht, wenn du in ein Coupé trittst; sie räumen dir bereitwillig einen Plaz und, bist du eine Dame, den besten Plaz ein; sie drücken sich zusammen, damit du die Aussicht siehst, damit du nicht in der Sonne sizest, damit dein Handgepäck nicht leidet. Sie sind alles in allem die besten, zuvorkommendsten Reisegenossen, die ich bis jezt kennen gelernt.

Die Sonne hatte inzwis schen den See auf dem Fußboden des Wagens ge= trodnet, und der Señorito. Bascha war mir näher

gerückt, denn mein rotes Reisebuch in teressierte ihn. Ich gab es ihm, und er studierte es emsig; er freute sich naiv über die Stadtpläne, über die Karte von Spanien, auf welcher man alles so hübsch sehen könne, die Flüsse und Städte, ganz wie es da draußen läge. Einmal lachte er hell auf und bewies mit nicht geringem Stolze, daß er etwas aus dem fremdländischen Buche verstehe.

"Si vas a Brenes Lleva que cenes,"

las er laut. Er hatte die Route Cordoba-Sevilla, Eisenbahn 803, Meilen,* aufgeschlagen. Brenes ist ein an dieser Strecke belegener Flecken, der, wegen seiner Armut berüchtigt, zu obigem Spott

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Andalusierin.

wort Veranlassung gegeben hatte. Doch soll das jezt anders sein und man in Brenes nicht mehr zu hungern brauchen. Es erscheint auch so unmöglich in dieser Gegend. Zur Rechten und Linken des Weges blüht und grünt es wie in einem Garten; Wiesen und Felder sind mit Blumen, weißen, gelben, roten, wie besäet. Nicht lange währte es, so gelangten wir

Es sind englische Meilen gemeint.

nach El Empalme, und bald darauf sah ich einen mattrosa Turm mit seiner Spize auftauchen, die Giralda von Sevilla. Und in kurzer Frist sah ich ihn voll und ganz, den berühmten arabischen Glockenturm, erblickte ich Sevillas riesige Kathedrale, seinen Guadalquivir, seine Palmen und Orangen. Niemand konnte mir das mehr rauben, es war mein, meiner Erinnerung unauslöschlich eingeprägt.

Ich nahm von der lustigen Gesellschaft freundlichen Abschied; es war ein Hin und Her von Zuruf und Scherz, bis jede der acht ihre Blumen, ihren Käsekorb gefunden. Mein Gepäck ließ ich auf dem Bahnhofe, nahm einen Wagen und fuhr, nur mit einem Touristenschirm bewaffnet, in die Stadt, denn ich hatte die Absicht, hier längere Zeit zu verweilen und mich nicht in ein Hotel, sondern in eine casa de huespedes zu begeben. Leztere gleichen unseren gemischten Pensionen, jedoch mit dem Unterschiede, daß hier nicht nur Ausländer, sondern auch viele Einheimische dauernd wohnen: Offiziere, Beamte, Studenten und auch Familien, die keinen eigenen Hausstand führen können oder wollen. Bei uns würde dies Leben als abenteuerlich und zigeunerhaft verdammt werden; in Spanien ist es ganz üblich, und niemand wundert sich darüber. Besonders ältere Leute, welche ihre Kinder verheiratet haben, ziehen sich gern in solche Pension zurück; sie lieben die Geselligkeit zu sehr, um sich zu einem ewigen Duo zu verdammen.

„Auf der Plaza nueva," hatte mir mein italienischer Wirt in Cordoba gesagt, finden Sie Haus bei Haus casas de huespedes. Suchen Sie nur selbst, man kann da ruhig seinem Eindrucke folgen; wenn Ihnen die Leute gefallen, mieten Sie."

Er war mir wie ein Landsmann entgegengekommen, als er gehört, daß ich schon öfter in Italien gewesen und Land und Menschen dort gern habe, und er hatte sich verpflichtet gefühlt, mir väter liche Ratschläge zu geben, als ob ich in einem verwilderten wüsten Lande reiste

und nicht unter so guten ehrlichen Menschen, wie es die Spanier meist sind.

Mein Wagen hielt auf einem großen schönen Plaze, Palmen und Orangen beschatteten weiße Marmorbänke, und ele= gante Gaskandelaber versprachen für den Abend Tageshelle. Ich stieg aus und sah mich um. An der Schmalwand des Plazes Hotel an Hotel. Fonda de las cuatro naciones, Fonda de Londres u. s. w. An der gegenüberliegenden das Renaissancegebäude des Ayuntamiento (Rathaus). Drüben eine Flucht von fast gleich gebauten Häusern: grüne Fensterläden, Balkon an Balkon, sämtlich casas de huespedes oder Cafés. Auf der Seite, wo ich stehe, dasselbe Bild. Ich betrachte sie und erwäge: Wo wendest du dich zuerst hin? Dort, wo die rotröckigen Bedienten erwartungsvoll vor dem Eisengitter lungern, oder hier, wo ich durch Eisengitter und verschlossene Glasthür in einen dämmerigen, blumengeschmückten Patio schaue? Es hat für mich einen eigenen Reiz, in eine fremde Stadt unter ganz fremde Leute zu kommen; ich liebe es, wenn jede Straße mir eine Überraschung, jeder Mensch mir einen Blick_in_ein_anderes Leben, andere Anschauungen, andere Empfindungen giebt.

Mein Entschluß ist gefaßt, ich wähle das bedientenlose Haus. Ich trete in eine Vorhalle, deren Wände und Fußboden mit bunten glasierten Kacheln (dem spanischen azulejo) ausgelegt sind, und ziehe an einem zur Seite der Gitterthür befindlichen Messingringe. Hinter der Glasscheibe erscheint eine reizende Andalusierin; sie öffnet Gitter und Glasthür und verspricht, ihre Tante zu rufen. In ein hellblaues Kattungewand und gewiß mit keinem Unterrock bekleidet, denn jede ihrer imposanten Formen zeichnet sich plastisch ab, pustet Doña Ana herbei, Gutmütigkeit in dem breiten Gesicht, in der Stumpfnase, in den etwas durch die Wangen beeinträchtigten Augen und in den kleinen runden Händen. Man lache nicht - Hände haben ihre Sprache so gut wie Augen und Mund. Sie führt

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ein Amt zu erhalten, ein Examen zu bestehen, studieren, lernen müsse, das hielt sie für eine traurige Notwendigkeit, aber daß man solche trockenen Dinge als Genuß betrachte, wäre ihr tonto (dumm) erschie nen.

„Morgen wird ein anderes Zimmer frei, das schönste im Hause, ein Ingles benußt es jezt, ein feiner, stiller Herr, das verspreche ich Ihnen. Es hat auch einen grünen Tisch, darauf können Sie malen und studieren. Bleiben Sie diese Nacht noch hier und ziehen Sie morgen hinauf. Usted me gusta," schloß sie,

„Usted soll es billiger als der Ingles Dieser quadratische Glockenturm ist bis haben."

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„Außer dem Ingles nur Spanier," sagte sie entschuldigend. „Aber alle fein und gebildet, die meisten studieren das Gesez hier auf der Universität. Aber wir haben auch einen Oberst mit Gemahlin und Pepito aus Madrid und einen Capitano der Marine aus Cadix."

Das wollte ich just nur unter Spaniern wollte ich leben, um gezwungen zu sein, ihr Idiom zu reden und zu ler nen. Und sie hatte nicht zu viel versprochen. Das Zimmer im ersten Stock mit seinem großen Balkon und seinem großen grünen Tische war sehr behaglich, trop der vier riesigen gemarterten Heiligen in Öl an den Wänden. Und wenn ich an die Aussicht von seinem Balkon auf die schöne Plaza Nueva denke, kommt mir das einförmige gelbe Haus, mein Berliner Visavis, noch langweiliger und häßlicher als sonst vor.

Am anderen Morgen ging ich in die Kathedrale. Wo soll ich anfangen und wo aufhören, sie zu beschreiben? ... Sie bildet ein längliches Viereck, denn sie ist auf den Grundmauern der alten arabischen Moschee errichtet, die 1172 von Abu Yusuf Yakub-Al-Mansur erbaut und bis 1401, also auch noch unter christlicher Herrschaft, als Gotteshaus benugt ward. Sevilla wurde schon 1248 durch Ferdinand von Castilien den Mauren entrissen, nachdem es eine Reihe von Jahrhunderten afrikanischen Herrschern gehorcht hatte. 1403 begann man den Bau der christlichen Kathe drale und beschloß ein Werk zu schaffen, wie seinesgleichen noch nicht dagewesen. In der That ist der Dom ein Riesenbau, fünfschiffig mit anstoßenden Kapellenreihen, so daß er eigentlich siebenschiffig zu nen nen wäre. Er erhebt sich auf erhöhten Stufen, las gradas, wo einst die Wechs ler ihre Börse hielten. Neben der Kathedrale, doch gesondert von ihr, steht der Stolz Sevillas, die berühmte Giralda.

auf den neuen Aufsatz ganz maurisch, seine rötlichen Wände sind mit einem zierlichen Netzwerk von ajaracas (Arabesken), die an den vier Seiten verschiedene Muster zeigen, bedeckt. Er ist 1196 unter Abu Yusuf Yakub von Jaber, spanisch Gever, erbaut, den man fälschlich für den Erfinder der Algebra hielt. Den Mauren war der Turm so heilig, daß sie ihn bei der Einnahme Sevillas lieber zerstören als in christliche Hände fallen lassen wollten; aber zum Glück wurde ihre fromme Absicht vereitelt. Man drohte ihnen, die Stadt in dem Falle einzuäschern, und so wurde der schöne Turm der Mueddin den ungläubigen Nachfol= gern erhalten. Jezt ist er für Sevilla so charakteristisch, daß man sich die Stadt, dieses Gemisch von arabischen Erinnerungen und katholischem Glanze, kaum ohne ihn zu denken vermag. Auf der Zinne, wo einst der Moslem zum Gebet gerufen wurde, erhebt sich nun der christliche Glockenturm. Die Glocken hängen frei in offenen Nischen; das oxydierte Grün ihres Erzes kontrastiert schön mit dem Mattroja des Unterbaues. Sie sind sämtlich mit geweihtem Öl getauft, werden von den Sevillanern wie lebende Wesen betrachtet und tragen den Namen eines oder einer Heiligen. Die in der Mitte befindliche Riesenglocke heißt Santa Maria; die anderen zwanzig: Santa Lucia, San Juan Bautista, San José, San Pedro, Santa Jnes, San Cristobal, Omnium Sanctorum u. s. w.

Zur Maurenzeit lagerten vier vergol dete riesige Bronzekugeln wuchtig auf der Zinne, jezt erhebt sich auf leichtem Türmchen eine Bronzefigur, welche der Giralda den heutigen Namen gegeben hat. Es ist eine weibliche Gestalt, die sich beim leisesten Windhauch dreht (spanisch gira). In der einen Hand trägt sie ein Banner, in der anderen einen Palmenzweig. Es stimmt humoristisch, daß diese flatterhafte beweg= liche Dame die Treue darstellen soll. Der Künstler mag den Schalk im Nacken gehabt und seine Andalusierinnen gekannt

haben. So reizend, so verführerisch sie sind, an Beständigkeit fehlt es ihnen; gefällt ihnen Don Fernando besser als Don José, der leztbeglückte, so geben sie die sem den Vorzug.

Ich hatte den Turm erstiegen und stand nahe der Glocken ehernem Mund auf seiner Zinne. Zu deinen Füßen liegt Sevilla, jauchzte ich, die Königin Anda lusiens. Muß mir da nicht selbst wie einem Könige zu Mute sein, reich und stolz? Wenn ich geradeaus in die Tiefe blicke, sehe ich in den Orangenhof, die grüne dufterfüllte Vorhalle der Kathedrale, ein lebendes blühendes Zeugnis von den einstigen Herrschern der Stadt. Die Gotteshäuser der Araber sind von den unseren verschieden. Außen stehend, erkennt man kaum ihre Bestimmung; sie sind von hoher, zinnengekrönter Mauer im Viereck festungsähnlich umschlossen, so daß sie aus der Ferne wie eine Burg erscheinen. Der Gläubige schritt durch das Hauptthor dieser Mauer, die schön geschweifte, reich verzierte Puerta del Perdon, und dann über einen orangen bestandenen Hof, in dessen Mitte sich ein Springbrunnen befand, wo er sich vom Staube der Straße reinigte, ehe er in die dem Thor der Verzeihung gegenüber liegende Moschee trat. In dem Orangen hofe Sevillas vor dem arabischen Thore saßen jetzt schwarzröckige katholische Priester, und an dem heiligen Brunnen spiel ten schwarzäugige andalusische Kinder, in deren Adern noch mancher Tropfen arabi schen Blutes rinnt.

Weiterhin sehe ich auf die weißen Häuser der Stadt, auf grüne Pläße, auf flache, unit Blumen oder Gras bewachsene Dächer oder auf ein vertikal geripptes hohes Ziegeldach. Hier ragt eine Palme, dort eine Cypresse auf; hier sehe ich in einen blütengeschmückten Patio, dort auf einen Balkon, von dem rote und gelbe Nelken, die Lieblingsblumen des Andalusiers, herabnicken. Wäschestücke flattern auf den Dächern, an den Häusern. Die Hauptstraße Sevillas, die Calle de las Sierpes, zieht sich in gewundener Linie

von der Plaza de la Constitucion, an der das schöne Rathaus steht, hin. Schlangenstraße würde sie auf deutsch heißen, und eigentlich müßte man allen Verkehrsadern der Stadt diesen Namen geben. Denn die klugen Araber bauten sämtliche Straßen in gewundenen Linien, um der Sonne den Eintritt zu verwehren und auch während der Mittagshige stets eine Schattenseite zu haben. Diesen engen gewundenen Gassen, den luftigen Patios verdankt Sevilla, daß es troß seiner südlichen Lage just im Sommer den gesundesten Aufenthalt bietet und man hier weniger als zum Beispiel in Südfrankreich oder auch in nordspanischen Städten von der Hiße zu leiden hat.

Ich gehe unter den Glocken hin und wende mich nach Westen. Dort erhebt sich der edle Renaissancebau der Lonja (Börse) und hinter ihr die Türme des Alcazar, des maurischen Schlosses, welches jezt die Erkönigin Spaniens, Isabella, bewohnt. Weiterhin auf freiem grünem Plaze macht das spanische Militär- Sevilla hat eine ziemlich starke Garnison, 15000 Mann seine Übungen. An die Gärten des Alcazar schließt sich ein riesiger Gebäudekomplex, die Tabaksfabrik. Südlich von ihr ragen Palmen, Orangen, Kastanien auf: es ist die reizende Promenade De las delicias, die ihren Namen in der That verdient. Palast und Park San Telmo, die Residenz des Herzogs von Montpensier, werden von ihr umschlossen, und sie zieht sich weit am Ufer des breiten, schiffbedeckten Guadalquivir hin. Der Strom umschließt die Stadt im Süden. Er ist kein schmächtiges Silberband, er trägt auf seinem Rücken große Weltumsegler, denn Sevilla hat direkte überseeische Verbindung nach der Havana, Mexiko und so weiter. Als Spanien noch mächtig und reich und die stolze Herrscherin Amerikas war, barg man in dem Turme, welcher sich hart am Guadalquivir erhebt, die Schäße des neuentdeckten Weltteiles. Torre del oro heißt er noch jezt, allein er enthält nicht mehr funkelndes Gold, sondern ist eine Station für die Douane.

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