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"Ich auch? Kann ich denn zweimal geloben?"

„Wenn du dich Gott gelobst, so hat kein anderes Gelöbnis mehr Macht über dich. Das habe ich mir für dich von dem Pater Kapuziner sagen lassen; der Pater Kapuziner will es dir selbst sagen.“

„Aber das Fegefeuer, Marja? Die schrecklichen Flammen -"

„Gerad von dem Fegefeuer kannst du deine Mutter losbitten. Gelobe dich dem Himmel an!"

Sie bat ihn flehentlich, mit aufgehobenen Händen.

Er mußte sich erst lange besinnen, bis er es zu fassen vermochte. Doch seit sie vor ihm stand, war etwas in ihm wie aus langem, bangem Schlummer erwacht.

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Wenn ich mich dem Himmel gelobe, so kann ich meine Mutter von den ewigen Flammen losbitten." Er begriff es, plößlich begriff er's.

„Ach, mein Salvatore, das kannst du gewiß! Du kannst bitten, daß sie selig werde. Die Heiligen sind so gut."

Wiederum schwieg er eine lange Weile, sie unverwandt ansehend. Seine Lippen zuckten, über seine bleichen, eingefallenen Wangen rollten langsam schwere Thränen. „Neige dich zu mir herab, ich will dir etwas sagen."

Sie that es sogleich, am ganzen Leibe zitternd, mit einem Ausdruck von Schreck und Entsehen, als erwarte sie Furchtbares zu hören. Mit ersticktem Schluchzen flüsterte er ihr zu:

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Hoch aufgerichtet, festen Ganges schritt er über den blühenden Berg. Er hörte die Lerchen über sich singen, unter sich die Glocken läuten und vernahm keine gespenstischen Stimmen mehr. Wie ein Auferstandener atmete er den Hauch der auferstehenden Natur ein. Sein Gesicht belebte sich, ein Schimmer ihres alten Glanzes kehrte in seine Augen zurück. Er hätte gern gesungen, aber ihm fiel kein Lied ein außer jenem einen, und das war von jezt an für ihn verklungen.

Plößlich blieb er stehen, den Atem anhaltend, wie festgebannt. Seine Augen wurden starr, die eben noch so friedlichen Züge nahmen einen schrecklichen Ausdruck an, ein Schauer durchlief seinen Körper; es überkam ihn wieder jenes entseßliche Gefühl, als ob sich Gesicht und Hände mit gerinnendem Blut bedeckten.

Im Grase, das über ihm zusammenschlug, ruhte Marco Mariani, sest schlafend; daneben lagen sein langer Hirtenstab und sein Dolchmesser es hatte dem Gemordeten gehört.

Einen Augenblick war's, als wolle Salvatore sich herüberbeugen, das Messer ergreifen und zustoßen aber nur einen Augenblick; dann rief er laut:

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Während der schauerlichen Klänge des Miserere erlöschte am Altar eine Kerze nach der anderen. Bei der lezten großen Lamentation, welche die Herzen der Hörer erbeben machte, ward es ganz dunkel.

Auf dem Plaz drängte sich in unge- | Braut und Bräutigam legten sich hinein. wöhnlicher Menge das Volk, die Straßen, Sie konnten sich dabei ansehen: ruhig und durch welche die Prozession ziehen würde, hoffnungsvoll, fast freudig. waren mit Buchsbaumzweigen bestreut, und die Kinder hatten auf dem Pflaster aus Blumen Namenszüge gebildet. Aus den Fenstern hingen rote Seidendecken herab, hier und dort hatte man Madonnen- und Heiligenbilder aufgestellt, vor denen Kerzen brannten. An verschiedenen Stellen waren aus blühendem Ginster Triumphbogen geflochten.

Der Dom glich einer ungeheuren prunkenden Gruft. Bis zum Ansaß der Wölbungen bekleideten schwarze Draperien die Säulen und Wände; schwarz behangen war auch der Altar, auf dem dreizehn hohe Wachskerzen brannten. Es mußte ein Totenamt gehalten werden.

Die Thüren des tusculanischen Kapuzinerklosters und des Heiligtums des heiligen Augustinus waren bekränzt. Rosen lagen auf der Schwelle.

Aus Rom traf am Morgen der Bischof ein.

Gegen mittag näherten sich von zwei verschiedenen Seiten dem Dom zwei Züge: Vom Kapuzinerkloster herab die Mönche, brennende Kerzen haltend, eine Sterbelitanei singend. In ihrer Mitte schritt in einer schwarzen Kutte, die Abbildung eines Totenschädels auf der Brust, ein Jüngling. Er trug den Kopf, den bald die Tonsur weihen sollte, tief gesenkt und sah aus, als ob er dem Leben entgegenginge. Hinter ihm wurde ein offener Sarg getragen. Der andere Zug begab sich in feier lichem Pomp vom Kloster des heiligen

Sie waren für die Welt gestorben und begraben.

Sie wurden für den Himmel, zum Leben erweckt.

Triumphierende Trompeten schmetterten, jubelnd fiel der Chor ein, überall sanken die schwarzen Verhüllungen, in rotem Seidenglanz erstrahlten die Wände, erstrahlte der Altar. Glorie schien sich über die beiden Auferstehenden zu ergießen: blendendes Sonnenlicht!

Die Kerzen flammten wieder auf, das ganze Heiligtum erleuchtete sich. Geläute aller Gloden vermählte der Bischof die beiden dem Himmel.

Mit fester Stimme thaten sie die Gelübde. Wieder begegneten sich ihre Blicke: glanzvoll, verklärt.

Im Triumph führte man sie durch die Stadt: die junge Nonne schritt in weißen. Schleiern dahin, der junge Mönch trug seine Kutte.

In einer engen Gasse stockte der Zug, geriet er in Verwirrung. Ein trunkener Campagnole hatte sein Weib, das sich dem frommen Zuge auf den Knieen entgegengeworfen, aufgerissen und mit einem Faustschlag niedergeschlagen. Man mußte die Frau forttragen.

hätten beide gerufen:

Sowohl die Nonne als der Mönch hatAugustinus nach dem Dom. Schwarze | ten die Mißhandlung mit angesehen; gern Schleier verhüllten Gestalt und Antlig der Himmelsbraut, auch hinter ihr wurde ein Sarg mitgeführt, und die Nonnen trugen Grabkerzen und sangen Sterbelieder.

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„Seid getrost, Mutter-Vater! Für diese Welt ist euer Leben Schuld und Jammer für jene Welt wird es Vergebung und Gnade sein. Eure Kinder bitten für euch!"

Dann gingen die beiden Züge auseinander, jeder seinem bekränzten Heiligtum dann trennten sich die Geschwister.

Vor dem Altar standen, von Mönchen und Nonnen umringt, die beiden Särge. | zu

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ndalusien! Wer deine Poesie einmal genossen, wie könnte er anders als mit wehmüti gem Verlangen deiner gedenken? Ich will von Sevilla schreiben; ich versuche, mir den Stoff regelrecht einzuteilen: a) das kirchliche Leben, b) das Volksleben, c) die landschaftliche Lage, aber so oft ich auch die Feder anseße, ich vermag in dieser kühl objektiven Weise nicht von dir zu sprechen. Ich muß er zählen dürfen, zwanglos und warmherzig, wie ich dich gesehen, was du mir in glücklichen Stunden gegeben, und lasse die Abrundung der Artikel und dergleichen nordischen Kram dahin fahren, wo man mehr denkt als lebt, mehr arbeitet als genießt. Von deinen sonnigen Wundern will ich meinen Landsleuten berichten; ich will ihnen die Sehnsucht wecken nach dir, und wenn einer oder der andere dich dann

I.

gesehen, wird er mir beistimmen und sagen: Du hast recht, du konntest nicht anfangen: „Nirgends lernt man die Macht des Katholicismus“ oder „Der andalusische Volksschlag —“

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Für einen Schriftsteller insonderheit, der sich überarbeitet, den das Schwarz und Weiß anstarrt, den die Krähenfüße anfangen zu ärgern, zu reizen vermag ich mir nichts Köstlicheres zu denken, als unterzutauchen und sich jung zu baden in deinem Leben, lustiges, blütenreiches, lachendes Andalusien! Einmal Monate hin= durch das Schwarz nur zu sehen an der Spizenmantilla deiner reizenden Frauen, das Weiß nur an dem Marmor deiner entzückenden Patios und lauschigen Häuser. Deine Frauen haben nicht viel ge= lernt, aber sie besigen Prachtaugen und la sal andaluza das andalusische, nicht das attische Salz ; deine Patios sind

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nicht zur Arbeit geschaffen, aber in ihrem Dämmerlicht plaudert es sich so süß, so beglückend.

Ich stand auf dem Bahnhofe in Cordoba und war im Begriff, el tren de Sevilla zu besteigen. Mit mir eine bunte, lustige, blumengeschmückte Menschenschar. Die Coupés zweiter Klasse sind in Spanien nicht gut eingerichtet, sie sind plebejischer, zugiger als die unserigen, ihre Polsterung härter. Aber wird man sich der Bequemlichkeit zuliebe im Monat Mai in die vornehme Einsamkeit Einzel haft hätte ich fast gesagt der ersten Ordnung begeben, wenn man in den groBen, fünf Compartimentos umfassenden Coupés der zweiten fröhliches Volkstreiben beobachten kann?

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"

Ein junger Mann war Beschüßer von
acht Mädchen und Frauen, Sevillane-
rinnen, die in ihre Vaterstadt zurück-
kehrten. Sie trugen sämtlich Blumen auf
Brust und Haar, ja im Haar förmliche
Gärten. Sie sangen, sie lachten, sie
schäkerten mit ihrem Beschüßer, sie jubel-
ten vor Übermut, als der Schaffner kam
und der jugendliche Pascha seine neun
Billets, die wie ein Spiel Karten aus-
sahen, zeigen mußte. Señorito hier,
Señorito da!" Sie ließen ihm keine
Ruhe, bis er endlich lachend in mein
Coupé stieg, um wie er meinte
ihre Sachen besser unterzubringen. Da
ich an der Endwand saß, befand sich ein
Kofferbrett über meinem Kopfe. Er
türmte nun die riesigen Bouquets von
Nelken, Rosen, Stiefmütterchen, die seine
acht bisher auf dem Schoß gehalten,
dort auf, dazu die Körbe mit Ziegenkäse,
Orangen, mit Reisefourage. Dann seßte
er sich pustend mir gegenüber, nahm
Tabak und Papier aus der Tasche und
wünschte in Frieden einen Cigarillo zu
rollen.

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„Señorito! Don Juan!"
„Eh!" rief er, sich umwendend.

Es hatte am Morgen geregnet, ein leichter Maischauer bei Sonnenschein; der klarblaue Himmel hatte ein Wölkchen zerflattern lassen, wie ein Kind weint, während ihm der Schalk schon wieder aus den Grübchen guckt. Doch die Schelmerei des andalusischen Himmels hatte eine üble Folge für uns gehabt. Die Decke des Waggons schloß natürlich nicht ganz, wie man überhaupt nicht nordische Präcision auf der Jberischen Halbinsel erwarten darf. Ein Wit flog zu ihm hinüber, den ich Als ich eintrat, stand auf Fußboden und nicht verstand, der aber sehr gut sein. ledergepolstertem Siß ein hübscher kleiner mußte, denn alle brachen wieder in ein See, in dem unteren schwammen die schallendes Gelächter aus. Die älteste Stümpfchen der Cigaretten, welche die und die lauteste der Frauen hatte ihn geInsassen geraucht, munter umher. Don rufen. Sie besaß keine Zähne mehr, doch nerwetter, Schaffner, ist das eine infame auf dem schwarzen Haar befand sich ein Wirtschaft!" So hörte ich schon im Geiste förmliches Beet von Stiefmütterchen und meine Landsleute bei ähnlichem Miß- Rosen, und sie hielt das schmale bräungeschick rufen. Anders die Andalusier. liche Gesicht nicht einen Augenblick still. Der Vorfall bot ihnen nur Anlaß zu er- Nun begann sie ein Lied zu singen, und höhter Heiterkeit. Sie klappten das Leder- die anderen stimmten ein. Es war eines kissen um, so daß sie wie auf einem jener näselnden monotonen andalusischen tropfenden Throne saßen, zogen die Füße Lieder, die man erst sonderbar findet und hoch und scherzten über den lago, der dann lieb gewinnt, denn sie rufen uns, den Frauen willkommenen Vorwand bot, hört man sie später einmal unvermutet ihre zierlichen Füße zu zeigen und den wieder, allen Zauber dieses sonnigen Männern galant zu sein. Die Coupés Landes und Volkes zurück: die feurisind nicht durch Seitenwände abgeteilt, gen Blicke, die wißigschnellen treffenden und so konnte ich die verschiedenartigsten Antworten, das kinderlustige Lachen, die Gruppen beobachten. Neben mir befand mit Orangenduft geschwängerte laue Luft, sich die lustigste, ausgelassenste Gesellschaft. die märchenhaften arabischen Kunstdenk

mäler, den berückenden Reiz der Land- und die Spuren dieser Wirksamkeit sind schaft.

"

fast bei allen an je zwei braunen Fingern, dem zweiten und dritten der Hand, zu erkennen, die wie poliertes Mahagoni erscheinen. Der Tabak ist seinkrümelig, nicht

Die Anwesenheit dieser rauchenden Herren störte eine Frau in demselben Coupé nicht, uns zu Zeugen ihrer Mutterfreuden zu machen. Sie löste die Knöpfe ihres schwarzen Leibchens und legte ihren schreienden, ziemlich großen Jungen an die volle Brust. Niemand beachtete das, und jeder fand das Natürliche natürlich. Ja, einige guardias civiles unterhielten sich während dieses Aktes mit ihr. Die guardias civiles find eine Truppe mit polizeilicher Eigenschaft. Sie begleiten zu drei oder vier jeden Eisenbahnzug. Als ich sie zuerst in Barcelona sah, glaubte ich, sie seien ein lebender Beweis für die Unsicherheit der Bahnstrecken, aber bald überzeugte ich mich, daß sie augenblicklich nur ein Überbleibsel aus gefährlicher Zeit und die friedlichsten Leute von der Welt sind, höflich, gefällig und sehr hübsch uniformiert.

Während die Frauen ein Lied nach dem anderen sangen, betrachtete ich sie näher. Sie zeigten mit Ausnahme einer sehr aus dem Leim gegangenen korpulen- | langgeschnitten und der echte der Havana. ten Mujer" sämtlich den andalusischen Die Cigaretten werden nur gerollt, nicht Typus: zierliche graziöse Gestalten, kleine durch Befeuchten zusammengeklebt, so daß Hände und Füße, schwarzes Haar und eine Art Kunst dazu gehört, sie in Brand schwarze blizende Augen in dem bräunlich zu erhalten. ovalen Gesicht. Die Männer aus dem Volke dagegen sind stämmig, unterseßt, und auf den dicken glattrasierten Zügen zeigt sich der bläuliche Schimmer starken Bartwuchses. Um die kräftigen Hüften tragen sie eine rote oder violette wollene Faja (Tuch), auf das kurz geschorene Haar sehen sie einen runden schwarzen Filzhut, dessen erhöhter Kopf mit einem rauhen sammetähnlichen Stoffe bespannt ist. Einen eigentümlichen Gegensatz zu diesen derben Gestalten bilden die Männer der vor nehmeren Klassen. Während aller Mißgeschicke und Mißregimente, welche die Jberische Halbinsel erduldet, hat man die Besitzenden, die man fürchtete, durch Despotismus, Inquisition, nahe Heiraten zu degenerieren gesucht, während das niedere Volk verhältnismäßig frei in der Dunkelheit wild aufwachsen durfte und, von Luft und Sonne begünstigt, immer wieder Kraft aus der üppigen heimischen Erde sog. Wer einen derben Mann des Volkes neben einem schmächtigen, engbrüstigen, vornehmen Herrn sieht, wird kaum glauben, daß es Kinder eines Stammes sind. Freilich haben diese Caballeros bärtige, dunkeläugige, regelmäßig geschnittene Gesichter auf den schmalen eleganten Gestalten, aber Kraft ist's, was ihnen fehlt. Was würden sie zu einem preußischen Schuhmann, zu einem Garde du Corps sagen?

Einige Señores, die den oben beschriebenen glichen und weiterhin in einem anderen Coupé saßen, gaben mir zu dem Gedanken Anlaß. Sie drehten unablässig Cigaretten mit den mageren Fingern und rauchten eine nach der anderen. Oft rauchen sie dreißig Cigaretten des Tages,

Die Sevillanerinnen bekamen Hunger. Don Juan mußte einen der Eßkörbe hinüberreichen, und derselbe wurde ausgepackt. Brot, kaltes Fleisch, Wein, Früchte, Kuchen kamen zum Vorschein; Servietten, Messer und Gabeln, Gläser fehlten nicht. Neben den Frauen, welche meist das Haupt unbedeckt hatten oder das bunte seidene Tuch, die Kopfbedeckung des Volkes, trugen, saß eine Dame, ganz in | Schwarz gekleidet, in schwarzer Mantilla. Sie war entschieden in ernster Stimmung. Dennoch hatte auch sie öfter unwillkürlich über die Drolligkeit ihrer Gefährtinnen lachen müssen. Man bot ihr von den Speisen an, dann mir, dann dem Señorito. Es würde in Spanien ein grober Verstoß gegen die Gastfreundschaft sein, wenn man einen Bissen in den

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