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Dicht an ihm vorbei zogen sie vorüber: seltsam vermummte, bald rot, bald weiß oder blau gekleidete Männer, welche Fahnen und mächtige Bilder schleppten, die, an vielen Stricken befestigt, in der Luft schwankten. So ging es fort in langen, langen Reihen über den Plaß, die Treppe hinauf, in die Kirche hinein, wo der glänzende Zug, aus dem Sonnenlicht tretend, von dem Dunkel verschlungen zu werden schien. Aus den Fenstern schütte ten die Leute unaufhörlich Blumen und Blätter hinab.

Plötzlich fiel alles auf die Kniee. Eine Frau neben Salvatore zog ihn mit sich herab.

Als er wieder auf den Füßen stand, sah er gerade noch eine Schar schimmern der Männer sie trugen golddurchwirkte Gewänder, und eine goldene Decke wurde über sie gehalten in der Kirche verschwinden.

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Er rief es laut, sie sofort erkennend, obgleich sie sehr verändert war. Sie ging unter vielen anderen Mädchen, hatte ein blaues Kleid an, einen weißen Schleier um, einen Rosenkranz auf dem Kopf und trug wie alle anderen eine brennende Kerze. Sie sah krank und blaß aus und hielt die Augen beständig auf den Boden gesenkt.

Salvatores Ruf mußte sie in dem Getös der Musik und der Schüsse nicht gehört haben. Die Mädchen wurden von Nonnen geführt; sie gehörten einer geistlichen Körperschaft an, in der nur solche Kinder Aufnahme fanden, die von ihren Eltern dem Himmel geweiht wurden gewöhn lich zur Sühne für eine schwere Schuld.

Als Salvatore auch Marja aus dem Sonnenglanz in die Nacht tauchen sah, rief er wieder ihren Namen, schmerzlich, angstvoll.

Jetzt drängte das Volk in die Kirche. Salvatore ließ sich mit fortreißen: er wollte Marja suchen.

In die kühle Dämmerung tretend, fühlte er einen eisigen Schauer bis ins Herz hinein. Die er suchte, sah er nicht.

In der Kirche war es genau so, wie Marja ihm erzählt hatte; auch mit dem Rauch hatte es seine Richtigkeit. Wie Wolken stieg es vor den Lichtern auf, die trübe die dichten Dünste durchdrangen. Plöglich teilten sie sich. In den Nebeln erschien, gleichsam schwebend, eine leuchtende Gestalt, die dreimal einen Namen. rief: „Salvatore! Salvatore! Salvatore!" Von Entsezen gepackt, drängte Salvatore sich durch das Volk und entfloh.

Erst gegen abend langte er auf Tusculum an. Er hatte nicht den Mut ge= funden, jemanden nach dem Wege zu fragen, und war aufs Geratewohl zugegangen. Nun stand er droben, wie von tagelanger Wanderung zu Tode erschöpft, Fieberschweiß auf der Stirn.

Vor ihm lagen die Ruinen der ciceronischen Villa, ganz so wie vor einem Jahre von Ginster und Holunder umblüht. Von der Herde war nichts zu sehen — auch nicht von Marja.

Sein scheuer Blick, darin bereits das Fieber glühte, heftete sich auf die Stelle, wo der Epheuvorhang die Öffnung in dem braunen Gemäuer versteckte. Dort war es gewesen!

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Das gräßliche: Gelobe! seines sterben= den Vaters durchgellte den dreimaligen Ruf seines Namens, und mit dem goldenen Glanze, der um jene Gestalt geflossen, mischte sich das dunkle rinnende Blut, in das er seine Hand hatte tauchen müssen. Aber drunten blieb alles still. schwankte weiter, durch einen jungen Pinienwald auf die antike Straße hinab. Auf diesem Weg umging er die unheimlichen Ruinen und gelangte auf die Höhe, wo am Rande des Waldes das Wächterhaus lag. Dort war seine Mutter.

Laurina sah ihren Sohn herangewankt kommen. Sie stieß einen Schrei aus und wollte ihm entgegen, blieb aber zitternd stehen. Aus dem Hause trat ein Mann: Marco Mariani.

Über das fahle Gesicht des Jünglings glitt ein glückseliges Lächeln. Mutter!" rief er lallend.

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Für Marjas Vater fand er feinen. Namen, aber sein glänzender Blick grüßte ihn. Er taumelte auf die beiden zu.

Sie regten sich nicht, sie wagten nicht, aufzusehen. Wie zwei Schuldige standen sie da, wie zwei Verbrecher, zu denen ihr Richter fam. Marjas Vater atmete schwer, seine Augen stierten vor sich hin was war aus dem Manne geworden! Da erkannte Laurina den Zustand ihres Sohnes.

Er stirbt!" freischte sie auf und umfing den Sinkenden. Als Marco ihr helfen wollte, den Kranken ins Haus zu schaffen, stieß sie ihn leidenschaftlich zurück: Du sollst ihn nicht anrühren!"

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Auch Marja erfuhr, daß ihr ehemaliger Spielgefährte am Sterben liege; aber wie sie auch bat und flehte, ihn noch ein einziges Mal sehen zu dürfen, die frommen Schwestern ließen sie nicht fort. Als sie vernahm, daß ein Mensch durch Gebete gerettet werden könne, lag sie die ganze Nacht hindurch auf den Knieen. Tags über mußte sie für anderes beten.

In seinen Phantasien sang Salvatore fortwährend jene Mahnung zur Blutrache. Marco konnte es nicht mit anhören, ging fluchend hinaus, oft noch nachts hinunter nach Frascati in die Bottega und betrank sich. Laurina kauerte am Boden, warf die Schürze über den Kopf und wimmerte vor sich hin.

Eines Nachts erwachte der Kranke. Er fühlte brennenden Durst, konnte sich jedoch weder aufrichten, noch vermochte er zu rufen; alle Erinnerung in ihm war noch tot. noch tot. Dabei befand er sich bei Bewußtsein und erkannte, von dem matten, flackernden Schein der erlöschenden Öllampe beleuchtet, Wände und Decke der Hütte. Jeßt hörte er auch die Mutter; sie weinte. Wahrscheinlich war sein Vater wieder betrunken und schlug sie. Wie er ihn haßte!

Gewaltsam hielt er sich zurück, seiner gemißhandelten Mutter beizustehen, aus Erfahrung wissend, daß das die Wut des Berauschten gegen sie verdoppelte. Mit weinschwerer, stammelnder Zunge hörte er diesen reden:

Du weißt, warum ich's gethaneh, oder weißt du's nicht? Wer hat mich damals auch verachtet, als ich's nicht that?! He, wer?! Ich mußte es thun, ich hätte eher keine Ruh gehabt. Hab's lang genug mit mir herumgeschleppt. Das mit dem Buben hat es nur schlimmer ge= macht. Damals hing das Weib gleich an meinem Hals, die Dirne! Damals war ich ihr gut genug damals! Als ob ich ihr nicht hätte geloben müssen, es zu thun -nun hab ich's gethan! Totge= schlagen hab ich ihn wie einen Hund den Hund! Nun ist's wegen des Buben.

wieder nicht recht, Stirbt er nicht, so

schlag ich ihn auch noch tot, wenn's auch mein eigener ist Gott verdamm ihn! Heul nicht so! Still, oder ich will dich -"

Rühr mich nicht an!"

Es war wie ein heiseres Auflachen, wie ein dumpfer Schlag, wie ein erstickter Schrei. Der Kranke hatte sich aufgerichtet. In demselben Augenblick erlosch das Licht.

Salvatore blieb leben, aber er war blödsinnig geworden wenigstens be haupteten es die Leute. Auch sein Stiefvater, selbst seine Mutter gaben es zu.

Es war nichts mit ihm anzufangen. Mit leerem Blick schlich er umher, kaum, daß er Nahrung nahm. Seine Mutter scheute er plöglich, und wenn er deren Mann kommen sah, lief er fort und verfroch sich vor ihm. Die Nächte brachte er in den Ruinen zu und zwar mit einer unheimlichen Vorliebe in dem unterirdischen Raume, in welchem sein Vater ermordet worden war im Schlafe!

Auch am Tage hielt er sich vielfach hier auf, wo die gelbe Marmorwand noch immer dunkle Flecken trug. Sobald seine Augen sich an die Dämmerung gewöhnt, konnte er sie deutlich sehen. Stundenlang fauerte er auf dem Boden und starrte darauf hin. Zuweilen kam ihm bei diesem Anblick plöglich in den Sinn, daß er ein Lied wisse. Er sang es.

Seine Mutter war unschlüssig, ob sie nach Loretto pilgern solle oder nicht; schließlich unterließ sie es. Auch ihr Mann wußte nicht, was mit seinem Gelöbnis beginnen. Salvatore lebte ja.

Während Salvatore wie im Traum dahinlebte, drängte sein Stiefvater unaufhörlich, von Tusculum fortzugehen, zurück in die Abruzzen, wo er sich jetzt „zeigen“, wo er ein „angesehener Mann“ werden könne. Aber Laurina war nicht dazu zu bewegen: sie habe ihrem Sohn gelobt" zu bleiben. Salvatore, so stumpfsinnig er zu sein schien, hätte sich auch niemals von Tusculum getrennt.

Marco verfiel mehr und mehr dem. Trunk, sein Unglück an seinem Weibe

rächend, was Laurina auch ruhig geschehen ließ. So vergingen einige Jahre.

Während dieser langen Zeit fam Marja nur ein einziges Mal, eines Sonntags, nach Tusculum hinauf. Ihr eigener Vater erkannte sie nicht.

Sie war groß und schön geworden, aber ganz verwandelt, blaß und stumm. Marco, der zufällig gerade zu Hause war, konnte ihren Anblick nicht ertragen. Er ging fort, in den Wald hinein, warf sich auf den Boden und weinte.

Drinnen saßen Laurina und Marja einander stumm gegenüber. Salvatore war natürlich nicht da. Die Frau sah gedrückt aus und wußte nicht, was sie sagen sollte. Nachdem das Mädchen ihre neue Mutter eine lange Weile still angesehen - ein Blick, dem Salvatores Mutter ausweichen mußte, begann sie mit leiser, müder Stimme.

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hätte," erwiderte Marja ruhig. Aber ob seine arme Seele jezt Frieden hat?"

bis mir die Hände davon schmerzen; meine Seele thut mir ohnedies weh genug. Wenn's Euch nur zu gute kommt.“

Er wollte etwas sagen, irgend etwas, aber sie unterbrach ihn und sah ihn wieder unverwandt an.

Warum sollte sie wohl nicht Frieden haben? wollte Laurina hervorstammeln; doch die Worte erstarben ihr auf den Lippen. Sie beeilte sich, etwas Speise für den Gast zusammenzutragen, aber Marja mochte nichts anrühren nein, keinen Bissen! Sie wollte ihren ehemaligen Spielge- daß Ihr meine neue Mutter küßtet. Jeder fährten suchen. Nuß muß Euch ja ärger in der Seele

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„Ach, Vater, armer Vater! Wie seht Ihr aus?! Euch wär's auch besser, Jhr büßtet im Fegefeuer Eure Sünden, als

Er soll ja wohl ein Narr geworden brennen, als eine Flamme das kann, Gott sei Euch gnädig!“

sein ?"

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Sie schlug beide Hände vor das Gesicht und ging langsam davon. „Marja!" rief er ihr nach und noch einmal: „Marja!“ Da blieb sie stehen und ließ die Hände sinken.

„Ich bin heraufgekommen, um Abschied von Euch zu nehmen. Morgen werde ich Novize, und übers Jahr kleiden sie mich ein. Dann legen sie mich in einen Sarg; dann bin ich für die Welt und für Euch tot und begraben. Ihr seht mich heute

„Ich habe drinnen mit meiner neuen Mutter, die Laurina heißt, gesprochen, Vater. Sie wird Euch wohl sagen, was.“ | zum leßtenmal als eine Lebendige. Lebt „Wie du mich ansiehst — Was haben sie im Kloster aus dir gemacht?!"

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wohl!"

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Marja! Marja!" schrie er wieder. Aber diesmal ging sie fort, ohne umzusehen.

Salvatore lag im griechischen Theater auf der höchsten Stufe und sah zu, wie auf den Treppen und in dem Halbkreis

„Freilich thu ich das. Deshalb habt des Chores die Lacerten ihr anmutiges Ihr mich ja auch hineingethan."

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Spiel trieben. Sie jagten einander, schnellten die Stufen hinab und hinauf, huschten durch das hohe Kraut und die Blumen, ein lustiges, glänzendes Sonnenvölklein.

Dasselbe thaten in der Luft Scharen gelber und braunroter Schmetterlinge. Sie hingen sich in dichten Schwärmen an die Kelche und das Gestein, stoben wieder auf und auseinander wie sprühende Funken.

„Aber wenn du wieder heraus willst Was sollte ich wohl hier draußen? Meine neue Mutter lieb haben und mit dem armen, tollen Salvatore Blumen Es war im Frühling. Die großen pflücken? Damit ist's vorbei. Da ist's dunkelvioletten, stark duftenden tusculanidenn besser, ich bleibe drinnen, habe nur schen Veilchen quollen aus allen Fugen die guten Heiligen lieb und winde Kränze und Spalten. Um den alten Opferstein für die Gottesmutter. Das will ich auch, | mitten im Chore, der durch ein tief einge=

meißeltes Kreuz dem Christentum über liefert worden, blühte ein Teppich blauer Anemonen, und der ulmenbeschattete Weg mit den antiken Pflastersteinen, der vom Forum her auf die Scena führte, schimmerte von Tazetten und Sternblumen, als sei mitten in den römischen Frühling Schnee gefallen.

Die hohe Brüstung, die den Zuschauerraum ringsum abschloß, trug auf ihrem grauen Gemäuer eine Bekränzung von Goldlack.

Was man über den Bergrücken hinweg. sehen konnte: Gebirge, Meeresküste und Campagna, die ganze ungeheure Weite, war Schimmer und Glanz.

Sogar Salvatores verworrenes und umdüstertes Gemüt empfand die bacchantische Stimmung der Natur an einem dumpfen, schmerzlichen Sehnen: er sehnte sich, die Augen schließen zu dürfen und nichts mehr empfinden zu brauchen, nicht Haß und nicht Liebe, nicht Müdigkeit und nicht Schmerz. Selbst eine Bewegung zu machen, kostete ihn Mühe; selbst das Gefühl der Sonnenwärme, das bis dahin immer sein liebstes Lebensbewußtsein gewejen, fing an, ihm zu viel zu werden. Er sehnte sich nach Schlaf, aber nach einem Schlaf ohne Traum; seine Träume mit ihren Bildern und Gesichtern waren schrecklich. Er fürchtete sich vor dem Leben wie vor einem blutigen Gespenst, das ihn ohne Unterlaß reizte, eine fürchterliche That zu begehen. Wenn er dem Gesang der Lerchen und Drosseln zuhören wollte, hörte er eine Stimme donnern: Gelobe! und in jedem Glockenklang vernahm er den Ruf: Salvatore!

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weißen Schleier gehüllt. Er sah nicht, daß sie dahinschritt; sie schien durch die schneeigen, lichten Blüten zu schweben, von Scharen lichter Schmetterlinge umflattert, die wie Sonnenstrahlen vor ihr aufstoben; der Glanz des Tages umfloß sie.

Er fürchtete sich gar nicht. Wäre er nicht so matt gewesen, er hätte sich aufgerichtet, beide Arme nach ihr ausgestreckt und sie angerufen wie damals: Marja! Marja !

So blieb er liegen und grüßte sie nur mit den Augen.

Sie kam näher und näher; sie betrat die Scena, wandelte langsam um den Altar durch den Chor, stieg die Stufen hinauf und blieb dicht vor ihm stehen. Er rührte sich nicht.

„Kennst du mich nicht? Ach, Salvatore, Salvatore, was fehlt dir?"

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Gelobt hast du es? Weißt du auch, daß du dein Gelöbnis halten mußt?" Das weiß ich."

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Sonst wird dein Vater verflucht verflucht in Ewigkeit, Marja!" „Ich kann ihn losbitten.“ „Was kannst du?“

Hätte er gewußt, was Selbstmord sei keinen Tag würde er länger gelebt haben. That er es nicht: rächte er nicht, so war seine Mutter verflucht in Ewigkeit! An sich selbst dachte er noch immer nicht. Heute hatte er wieder eine seiner Visionen: durch den knospenden Ulmengang, über den grüngoldige Schleier niederzusinken schienen, jah er es auf sich zukommen, langjam, langjam: eine hohe, schlanke Gestalt im blauen Kleide, in einen Monatshefte, LVI. 333. — Juni 1884. Fünfte Folge, Bd. VI. 33.

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„So lange beten und bitten, bis der Fluch von ihm genommen wird.“ „Wie kannst du das?“

„Eben dadurch, daß ich mich dem Himmel gelobe — du solltest es auch thun.“

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