Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

die sie mir entgegengestreckt, am Leibe herabsinken. Auch ich war unfähig, mich zu regen. Die neugierigen Blicke des armen Gesindels, die uns beobachteten, und das Geraune und Gezischel, das sich aus allen Winkeln vernehmen ließ, lähmten mir eine Weile jedes Wort und jede Bewegung.

Dann überwand ich es doch, trat dicht an sie heran und ergriff ihre Hand. „Arme Schwarze,“ sagte ich, „müssen wir uns so wiedersehen? Warum bist du nicht früher zu mir gekommen? Es wäre alles anders geworden, und ich fände dich jezt nicht hier!"

Da sah sie mich mit einem vollen Blicke an, und das Blut stieg ihr in die Wangen. Aber es war nicht die Röte der Scham, sondern es leuchtete wie ein Freudenfeuer aus ihrem bräunlichen Gesicht, das ein wenig hagerer erschien als vor vier Jahren, aber eher dadurch gewonnen hatte.

„Ich dachte mir's gleich, daß du kommen würdest," sagte sie, „obwohl du eine so vornehme gnädige Frau geworden bist; ich wollte nur nicht geradezu darum bitten. Es freut mich so viel mehr, daß du es von selber gethan hast. O, ich bin nun ganz glücklich, und wenn erst mein Kind

es hat deinen Namen, du wirst es nicht übelnehmen -"

"

Ich sagte ihr, daß die Kleine bei mir sei und was der Arzt gesagt hatte. Sie drückte verstohlen unter ihrer Schürze meine Hand. Dann sah sie sich um. „Komm ans Fenster!" flüsterte sie. Die Frauenzimmer sind neugierig wie die Kazen. Da! seh dich auf den Stuhl; ich habe dir was zu sagen. Du siehst gut aus, du hast noch ganz dein altes Gesicht, aber du bist etwas voller geworden und bist immer noch meine Goldene. Ich ich bin eine arme Närrin und werde es mein Lebtag bleiben."

Dabei lachte sie, ganz das alte sorglos trozige Lachen ihrer jungen Zeit. Wir standen an der Fensterwand, möglichst weit von den anderen entfernt; so kläglich aber alles war, fühlte ich doch wieder den alten Zauber ihrer Nähe und

mußte sie nur immer ansehen, ob es denn wahr, ob es möglich sei, daß sie etwas gethan haben könne, was sie dieser Gesellschaft würdig machte.

[ocr errors]

"

[ocr errors]
[ocr errors]

es war

Sie schien zu erraten, was in mir vorging. Wieder wurde sie rot und lachte zugleich. Ich danke dir tausendmal," sagte sie, daß du das Kind versorgen willst und vor allem, daß du gekommen bist. Denn mehr noch als um den armen Wurm, der wie seine Mutter ein Unkräutchen ist, das nicht leicht verdirbt, war mir bange drum, du möchtest hören, daß ich gestohlen habe es kommt ja alles in die Zeitung, und dann würdest du von deiner Schwarzen nichts mehr wissen wollen. Aber denke nur, wie es zugegangen. Ich hab mir's ausgemacht bei meiner Herrschaft, die es gut mit mir meint, alle Mittwoch- und Sonnabendnachmittag durft ich auf ein paar Stunden zu meinem Kind. Vor acht Tagen nun gerade schön Wetter das Luischen war den ganzen Tag nicht an die Luft gekommen - ich zieh ihm also sein Mäntelchen. an und setz ihm das Pelzmüßchen auf und geh mit ihm in die Stadt, daß es sich die hellen Läden ein bißchen ansehen soll. Vor einem Spielwarenladen bleibt es stehen und will nicht weiter, und immer zeigt's auf eine große Puppe im Schaufenster, mit langen blonden Locken und einem Seidenkleid, ein Prachtstück. „Kind, sag ich, die ist viel zu schön für uns, die ist nur für eine Prinzeß. Aber es läßt sich nicht wegbringen und sagt immer wieder: ,Mir die Puppe schenken, Mütterchen! -- Ich gehe endlich mit ihm in den Laden und kaufe eine ganz niedliche kleine Puppe, die auch wirkliches Haar hat; aber das eigensinnige Ding sieht sie kaum an und starrt immer nur auf die große, bis ich sie endlich auf den Arm nehme und nach Hause bringe. Und auch da, zu der alten Frau, beständig von der Prinzessin im blauen Kleide geschwärmt! In der Nacht aber wird sie krank, sie hatte sich doch erkältet, und wie ich Sonnabend darauf hinkomme, hat sie hochrote Bäckchen und irre Äugelchen und faßt

mich mit ihren heißen kleinen Patschchen | sobald sie frei würde, sich gleich bei mir und sagt immer nur: Mir die große sehen lassen. Auch an einem Christbaum Puppe schenken, Mütterchen!' Das für ihr Kind werde es nicht fehlen. Dann konnt ich endlich nicht mehr mit anhören, umarmte ich sie und küßte sie in meiner gehe fort und in den Laden, wo wir das hellen Freude, daß sie nichts verbrochen, Prachtstück gesehen. Wie viel es kosten was sie in meinen Augen herabseßen soll? frag ich die Ladenmamsell. Fünf konnte, und sah, wie ihr Gesicht glänzte Thaler! und holt sie herein aus dem von stillem Triumph über den Neid und Schaufenster, weil sie meint, ich erkun- das Staunen des Gesindels um sie her, digte mich im Auftrag einer Herrschaft. da eine vornehme Frau sich so schwesterIch hatte bloß noch einen Thaler und sag lich zu ihr betrug. Ich aber machte, daß ihr das und daß mein Kind krank sei, ich aus dem eklen Dunst und Brodem und wenn es die Puppe nicht bekäme, hinauskam, und sorgte bei dem Wärter könnt es schlimmer werden. Der Herr dafür, daß sie heimlich besser gehalten des Geschäftes kommt dazu, ich schlag ihm wurde als die anderen, und so kam ich vor, ich wollt ihm den einen Thaler auf sehr vergnügt zu den beiden kleinen MädAbschlag geben und die anderen vier in chen zurück, die inzwischen gute Freun= den nächsten beiden Monaten abzahlen. dinnen geworden waren. Er will aber nichts davon hören und Dies war der Tag vor Heiligabend. wird endlich grob und heißt mich, hier Am 28., abends ganz spät, kam das nicht länger herumstehen und reellen Kun- arme Weib scheu und verstört zu mir ins den den Plaz wegnehmen. Da wurde ich Zimmer, lief auf das Luischen zu, das innerlich so wild, daß ich ihm hätte ein nun doch mit der großen PrinzessinnenLeids anthun können, wenn ich mit ihm puppe spielte und ganz genesen war, fiel allein gewesen wäre. Und wie der Laden dann vor mir nieder und brach in heftiges so voll von Käufern war, daß man sich Schluchzen aus, das ihr offenbar das kaum rühren konnte, benuße ich einen Herz erleichterte. Ich versuchte umsonst, Augenblick, wo ich denke, niemand sieht's, | sie aufzuheben und neben mich zu sehen, und ziehe die Puppe sacht vom Laden- sie wehrte mich leidenschaftlich ab. Wie tisch herunter und unter meinen Mantel und hinaus damit, so flink meine Füße mich tragen wollen. Aber ich war noch nicht bis zur nächsten Querstraße, da hör ich hinter mir her schreien und rennen, und richtig werde ich gefaßt und visitiert, und ich mochte sagen, was ich wollte: den Thaler hätt ich ja auf dem Ladentisch gelassen und das übrige Geld würd ich gewiß von meinem Lohn nachzahlen sie schleppten mich auf die Polizei, und nun muß ich als Diebin hier unter weit ärgeren Missethäterinnen noch volle fünf Tage sizen und kann nicht einmal meinem Luischen ein Weihnachtsbäumchen anzünden."

Indem sie dies sagte, trat der Gefängniswärter wieder herein und winkte mir, daß die Zeit für meinen Besuch verstrichen sei. Ich konnte ihr nur noch zu flüstern, sie solle gutes Mutes sein und,

[ocr errors]

ihre Thränen dann zu fließen aufhörten, sah ich einen Ausdruck in ihren Zügen, der mich erschreckte, ganz hart und bitter und trozig-wild. „Schwarze,“ sagt ich, was hast du? Wirf alles hinter dich! Nun fangen wir von vorn an, als fänden wir uns erst jest, zwei einsame junge Witwen mit zwei lieben Kindern, und du gehst nie mehr von mir!" Aber sie schüttelte den Kopf. „Es geht nicht!" sagte sie mit ihrer rauhesten Stimme. „Nein, Goldene, es geht gewiß und wahrhaftig nicht. Was du auch sagen magst, ich weiß, wie die Welt ist, und daß ich dir Schande machen würde. Und dann, ich muß mir selbst durchhelfen, muß arbeiten, daß ich nicht zur Besinnung komme über mich selbst und alles. Halt mich nicht auf! Daß du das an dem Kind gethan und an mir, werd ich dir nie vergessen, obwohl mich nichts von dir wun

dert. Nun aber siehst du wohl, hier in der Stadt kann ich nicht bleiben, ich habe doch einmal gesessen, wer wird mich in Dienst nehmen? Ich will in einen kleineren Ort, wo man mich nicht kennt; ich habe Geschick zu vielem und bin jung und gesund, und ich will nicht unglücklich werden, Goldene! ich will nicht und brauch es auch nicht, und unser Herrgott scheint es auch nicht zu wollen, da er mir meine Goldene noch gelassen hat!"

Damit wurde ihr Gesicht wieder milde und menschlich, ja sie lachte wieder und hatte für eine kurze Zeit ihr ganzes Schicksal vergessen. Ich mußte ihr meine Wohnung zeigen, all meine Sachen, vor allem mein Kind, das sie aufs lieblichste herzte und liebkoste, auch das Bild mei nes verstorbenen Mannes. Darüber aber sagte sie kein Wort, und auch von dem Vater ihres Luischens war nicht zwischen uns die Rede. Hernach, als wir ein wenig zu Nacht aßen, zog sie plößlich das weiß seidene Tüchlein hervor, das sie auf ihrer bloßen Brust trug, und sagte: „Kennst du es noch, Goldene? Ich habe es an allen Sonntagen getragen und so darauf acht gegeben, daß es noch unzerrissen ist, freilich jetzt nur noch wie ein Spinneweb." -Ich wollte ihr ein neues schenken, aber sie nahm nichts an. Ebensowenig wollte sie davon hören, mit einer Summe, die ich ihr anbot und die sie später einmal hätte zurückzahlen können, ein kleines Geschäft anzufangen. Du bist reich und ich bin arm," sagte sie, und doch fühle ich mich zu dir wie gleich zu gleich. Das aber könnt ich nicht, wenn ich deine Schuldnerin wäre, anders als durch dei nen Schatz von Lieb und Treue. Und darum laß es dabei! Du machst mich nicht anderen Sinnes."

"

"

aufgestanden, hatte ihr Kind in ein Tuch gewickelt und sich mit ihm fortgeschlichen, es heftig untersagend, daß man mich weckte. Ich fuhr sogleich in die Wohnung der Pflegemutter. Auch da war sie nur erschienen, um die paar Siebensachen des Luischens zusammenzuraffen. Wohin sie sich wenden wollte, hatte sie nicht verraten.

Also hatte ich sie wieder einmal verloren.

Es machte mir um so mehr Kummer, als ich der festen Überzeugung war, es werde ihr nicht glücken, wieder emporzukommen, und ich allein wäre im stande. gewesen, ihr ein leidliches Los zu bereiten. Die Hauptsache aber war, daß ich sie noch so herzlich liebte wie in meiner Backfischzeit und alles daran gesezt hätte, sie bei mir zu behalten, zumal jezt, da ich mich einsam fühlte und noch nicht entschließen konnte, wieder mitzumachen, was in meinen Kreisen als gesellige Pflicht betrachtet wurde.

Nun denken Sie, wie unerhört es mich überraschte, als zu Anfang des Sommers, da ich eines Sonntagnachmittags mit meinem Kinde ausgefahren war und dann im Tiergarten ausstieg, um uns etwas Bewegung zu machen, das Kind plöglich von mir weg auf ein anderes kleines Mädchen zu lief, das neben einer Bank mit einem Handwägelchen spielte. Auf der Bank aber saß ein stattlicher, blondbärtiger Mann in Uniform und neben ihm, ganz solide wie eine junge Bürgersfrau angezogen, meine Schwarze.

Sie wurde dunkelrot, als sie uns erblickte, stand auf und flüsterte ihrem Begleiter ein Wort ins Ohr, worauf auch So mußt ich mich ergeben. Diese Nacht der sich kerzengerade von der Bank erhob blieb sie bei mir, sie schlief auf einem und salutierend die Hand an die Müze Sofa, neben das sie das Bett ihres Luis- legte. Meine Jugendfreundin aber trat chens gestellt hatte. Das Wiedersehen ganz unbefangen auf mich zu und sagte: und all unser Geplauder hatte mich so „Du kommst mir zuvor, Goldene. Ich aufgeregt, daß ich erst gegen morgen ein wollte in diesen Tagen zu dir kommen schlief. und dir meinen Mann, den Wachtmeister Wie ich dann erwachte, war sie längst Krüger, vorstellen. Ja, wundere dich nur,"

lachte sie, „aber er ist mein richtiger Mann. | zu ihnen auf die Bank, und als wir uns trennten, mußte sie mir versprechen, recht bald zu kommen und das Luischen mitzubringen.

[ocr errors]

"

Er kam auf Urlaub nach dem kleinen Nest, wo ich lebte und mich notdürftig mit meiner Hände Arbeit erhielt. Er hatte da eine kleine Erbschaft zu erheben, und wie er mich zufällig sah, verliebte er sich in mich und bestand darauf, mich zu heiraten. Ich," fuhr sie leiser fort mit einer unbeschreiblichen Gebärde, halb Mitleiden, halb Gleichgültigkeit, lieber Gott! ich hatte gar kein Verlangen danach, Frau Wachtmeisterin zu werden. Er war mir viel zu groß und zu steif und zu blank gepugt, und sein Gesicht, das sie alle schön finden, kam mir so hölzern vor wie von einem Nußknacker. Aber er hatte einen Narren gefressen an dem Luischen und ist überhaupt ein so guter Mensch; ich glaubte, ich sei es dem Kinde schuldig. Und das denk ich auch jezt, so oft mir einfällt, ich hätt am Ende doch einen dummen Streich gemacht.“

Sie lachte gezwungen und winkte dann dem Mann, näher zu kommen. Das that er sehr gravitätisch, und wie er seinen bärtigen Mund öffnete, um mir ein paar Artigkeiten zu sagen, fiel es auch mir auf, wie sehr er einem blanklackierten Nußknacker ähnlich sah. Aber die Herzens güte leuchtete ihm aus den Augen. Ich fragte scherzend, wie er mit meiner alten Freundin als Ehefrau zufrieden sei, und er erwiderte, sie sei eine gute Frau und folge ihm aufs Wort, und Appell und Subordination seien die Hauptsache, und daran gewöhne sich auch das Luischen immer mehr. Und da sie gottlob ihr reichliches Auskommen hätten, die freie Wohnung in der Kaserne, und seine Frau geschickt mit der Nadel sei und sich manchen Nebenverdienst mache, so könne er sich kein besseres Leben denken.

Dabei sah er seine Frau mit so warmer Zärtlichkeit an, daß ich wohl merkte, die Subordination sei durchaus nicht immer auf ihrer Seite, und sie erriet meine Gedanken und lächelte, und ich sah, wie hübsch sie geblieben war und wie guten Grund er hatte, stolz auf sie zu sein. Dann seßte ich mich noch eine Weile

Ich wartete aber vergebens. Je mehr ich darüber nachsann, je deutlicher wurde mir, daß sie sich schämte, diese vernünftige Partie gemacht zu haben, und gerade mir gegenüber sich nicht unbefangen zeigen konnte. Ich hätte nun gern meinerseits sie aufgesucht. Aber es widerstrebte mir mehr, zu ihr in die Kaserne zu gehen, als damals in ihr Gefängnis. Zum erstenmal fühlte ich, daß ein kühler Hauch über mein Herz gekommen war. Ich hätte ihr alles andere zugetraut, als daß sie etwas that, wozu sie sich nicht mit vollem Herzen getrieben fühlte.

[ocr errors]

Und wirklich hatte ich mich nicht in ihr getäuscht, wenn ich annahm, daß es unmöglich auf die Länge gut gehen könne. Stellen Sie sich vor: eines Nachmit tags - ein paar Monate waren wieder vergangen - läßt sich der Wachtmeister Krüger bei mir melden. Ich erschrecke bis ins innerste Herz, als der baumstarke Mensch blaß und zitternd, wie wenn er eben aus dem Lazarett käme, in mein Zimmer tritt und sogleich die Frage hervorstottert, ob ich seine Frau nicht gesehen oder doch wisse, wo sie stecke. Sie sei gestern abend plößlich verschwunden, unter dem Vorwand, zu der alten Frau zu gehen, die das Luischen in Kost gehabt, und seitdem nicht wiedergekommen.

Ich suchte ihn zu beruhigen, obwohl ich selbst die schwärzesten Befürchtungen hegte, und fragte ihn, ob er irgend etwas Absonderliches die Tage vorher an ihr bemerkt habe. Nicht das Mindeste, versicherte er steif und fest, während seine großen runden Augen ganz sacht überzufließen anfingen. Es habe gar nichts gefehlt an Appell und Subordination, auch habe sie gegessen und getrunken wie sonst. Nur als sie am Abend vorher eine Ziehharmonika auf der Straße gehört habe, sei sie auf einmal still und kopfhängerisch geworden, obwohl es ein ganz flotter Schottischer gewesen sei, und die nächste

*

Nacht habe sie sich immer herumgewälzt | tapferen Mann an Subordination unter und keinen Schlaf gehabt, auch ein Glas seinen kindischen Willen zu gewöhnen. Schnaps, das er ihr deshalb angeboten, nicht trinken wollen. Und so sei er früh zum Exerzieren gegangen, und beim Kaffee habe sie ihn noch ganz freundlich angesehen und gesagt: es gehe ihr nun wieder gut, er brauche sich nicht um sie zu ängstigen, und sie danke ihm auch recht herzlich, daß er immer so gut zu ihr und dem Kinde sei, und wenn das Luischen erst groß geworden, werde sie es ihm gewiß vergelten, mehr als manches leibliche Kind. Da habe er sie noch umgefaßt und küssen wollen, aber sie habe den Kopf weggebogen und gebeten: jezt nicht! Sehr zärt lich sei sie überhaupt nie aufgelegt gewesen. Wie er dann nachmittags wieder in die Kaserne gekommen, habe er nur das Luischen gefunden; Mütterchen sei fortgegangen und habe ihr aufgetragen, den Vater zu grüßen. Und dann habe er Stunde um Stunde gewartet und jetzt glaube er, sie werde nie mehr wiederkommen.

Ich sollte aber nicht lange mehr mein stilles Gelübde, mich um das Luischen zu bekümmern, erfüllen, und auch an die unglückliche Mutter, die ich nun freilich nie wiederzusehen glaubte, dachte ich nur noch dann und wann in einer meiner vielen schlaflosen Nächte. Denn mein eigenes Kind, das zu kränkeln anfing, nahm all meine Gedanken in Beschlag. Es war der bitterste Winter meines ganzen Lebens. Im Frühling, als ich eben ein wenig Hoffnung schöpfte, trat plötzlich eine Verschlimmerung ein. Eines Morgens hielt ich mein armes, liebes, leztes Glück kalt und stumm in meinen Armen.

Am Tag nach dem Begräbnis, als ich wie zerbrochen an Leib und Seele thränenlos in meinem verwaisten Zimmer saß, wird plößlich die Thür aufgerissen, und Der arme Mensch trocknete sich den eine Gestalt stürzt herein, die ich erst erAngstschweiß von der Stirn, und wie ich kannte, als sie, vor meine Füße niederihn zum Sizen nötigte, fiel er förmlich gesunken, meine Kniee mit beiden Armen auf den Stuhl nieder, wie wenn er seiner umklammerte und in so krampshaftes Glieder nicht mächtig wäre. Ich riet | Schluchzen ausbrach, daß es mich durch ihm, noch bis morgen zu warten, eh er's und durch erschütterte. Sie sah gar nicht anzeige. Was er von der Ziehharmonika zu mir auf, sie hatte das Gesicht in meigesagt, verscheuchte meinen ersten Arg- nen Schoß gedrückt, der Hut war ihr vom wohn, sie möchte sich ein Leids angethan Kopf gefallen, ihr Haar hatte sich gelöst haben. Doch war es vielleicht weit schlim- und hing ihr tief über die Schultern herab. mer so. Ich beugte mich zu ihr hinab und streichelte ihr sanft das Haupt. „Komm,“ sagte ich, „steh auf! Beruhige dich! Ich danke dir, daß du gekommen bist. Du hast mir wohlgethan. Wir wollen ruhig sein!"

Und richtig, sie kam nicht wieder. Und nach längerer polizeilicher Nachforschung erfuhr der arme betrogene Mensch, daß sie mit ihrem ersten Geliebten irgendwo in Österreich gesehen worden war, wo sie sich Gott weiß wie als fahrende Leute ihr Brot erspielten oder erbettelten. Das Luischen erfuhr nichts davon. Ich ließ es manchmal zu meinem Kinde holen und gelobte mir, Mutterstelle an ihm zu vertreten. Das hatte ich freilich nicht nötig. Der Stiefvater war zärtlicher zu ihm als eine leibliche Mutter, und wenn ich sie zusammen sah, merkte ich, daß schon das Kind anfing, den riesenhaften und

Sie aber schluchzte fort, und ich hatte noch immer keine Thränen.

Endlich umfaßte ich sie mit beiden Armen, sie zu mir emporzuziehen. Aber sie entriß sich mir sträubend und schnellte, am ganzen Körper zitternd, in die Höhe.

„Nein,“ rief sie, „du sollst nicht so gut zu mir sein, du sollst mir nur verzeihen, daß ich mich unterstanden habe, hier bei dir einzudringen, aber ich hielt's nicht länger aus, obwohl ich weiß, daß ich mich nicht.

« ZurückWeiter »